Rückrunde, Baby! Ach nein: Restrunde, denn das Jahr 2023 beginnt natürlich mit der Fortsetzung der Hinrunde, in der noch zwei Partien zu spielen sind. Und das nach der (nur) gefühlt längsten Winterpause der Welt. Es sei fast ein wenig wie nach einer kompletten Sommervorbereitung, nun wieder zu starten, fasste ein gut gelaunter Bo Svensson bei der Pressekonferenz seine eigene Gefühlslage zusammen. Die Mannschaft sehe er in einer guten Verfassung, mutmaße aber, die Trainer der anderen Teams dürften das von ihren Truppen wohl ähnlich sehen. Zeit genug, um ein Themen zu beackern, Dinge neu zu justieren und Spieler zu verpflichten gab es jedenfalls in den zurückliegenden Wochen.
Trainer Bo Svensson in der Pressekonferenz am Donnerstag. (Screenshot: 05-Youtube-Kanal)
Bei Mainz 05 hat sich Neuzugang Andreas Schjølberg Hanche-Olsen laut seines Trainers in den ersten Tagen schon gut eingelebt. Die Ankunft des norwegischen Innenverteidigers in Mainz bescherte der Pressekonferenz am Donnerstag den Besuch eines Journalisten aus Hanche-Olsens Heimatland, der Svensson erstmal zur Verpflichtung eines norwegischen Spielers für die 05er gratulierte. Der Coach beschrieb ihm seinen neuen Spieler so: „He’s really a defender. He’s aggressive, he’s fast. (…) He’s certainly a player who doesn’t walk away from responsibility.“ Zudem sei Hanche-Olsen spürbar, dass es sein ausdrücklicher Wunsch war, nach Mainz zu kommen, erklärt der Coach, und skizziert den Verteidiger als intelligenten Jungen, offen und wissbegierig.
He’s certainly a player who doesn’t walk away from responsibility.
Bo Svensson über Andreas Hanche-Olsen
Der Neuzugang selbst hatte in der Medienrunde unter der Woche erklärt: „I would describe myself as a fighter.“ Den ersten Kontakt mit Svensson gab’s telefonisch bereits im Sommer, damals kam der Wechsel noch nicht zustande. An Mainz 05, so Hanche-Olsen, möge er das Familiäre und das der Club für etwas stehe. Mit Stürmer Burkardt trifft er zudem auf einen Spieler, dem er auf dem Feld schon gegenüberstand: In einer U21-Begegnung Deutschland gegen Norwegen. Sofern er sich erinnere, habe Norwegen gewonnen, erzählte der Neue heiter.
Neuzugang Hanche-Olsen im Interview auf dem Vereinskanal. (Screenshot: 05erTV)
Während also in der Verteidigung der erhoffte Neuzugang realisiert wurde, dünnt sich die Offensive gerade verletzungsbedingt selbst aus. Marlon Mustapha ist noch nicht zurück, Jonathan Burkardt kommt in der Reha laut Svensson voran, aber nicht so rasch, wie erhofft, Delano Burgzorg ist ebenfalls verletzt. Mit Blick auf mögliche Neuzugänge bleibt in einer solchen Situation freilich zu bedenken, dass die Spieler allesamt zurückkommen werden und der Kader auch dann noch ausgeglichen sein sollte.
Angesprochen auf die Frage, inwieweit in dieser Lage die jungen Spieler aushelfen können, erklärte Svensson, die Thematik ginge über den Ansatz hinaus, jemanden einfach mal so reinzuschmeißen. Die Nachwuchskicker haben unterschiedliche Stärken, so der Coach, und stünden an sehr verschiedenen Punkten ihrer Entwicklung. Fragen, die diese betreffen, seien im Zweifel wichtiger als ein momentaner Ausfall älterer Spieler, der im Kader ohnehin immer kompensierbar sein müsse. „Das zeigt ein bisschen, wie kompliziert das Thema ist.“
Die anstehenden englischen Wochen machen dem Trainer kein Kopfzerbrechen, gleichwohl er natürlich mit fünf Spielen in 14 Tagen besonders sorgfältig planen muss. Für den Aufbau der jeweiligen Woche mache es einen großen Unterschied, ob zwischen den Partien drei oder vier Tage liegen, erläuterte Svensson. Je nach dem falle der freie Tag mal aus oder sei gerade wichtig, liege der Schwerpunkt auf Training, Regeneration oder seien die Physios besonders gefragt. Die dürften derzeit auch noch an Robin Zentner arbeiten: Ob der Keeper am Samstag zwischen den Pfosten stehen kann, ist derzeit unklar.
Klar ist hingegen, es geht (endlich!) wieder los. Also alle auf in die Arena. Wir sehen und lesen uns.
Es gib ein Foto, auf dem ich mit meiner Mutter am Frankfurter Flughafen stehe. Ich bin kurz davor, in ein großes Abenteuer zu starten, natürlich auch, weil meine Eltern es mir ermöglichen: Das Flugzeug, in das ich steige, bringt mich in die USA, wo ich die nächsten zehn Monate leben werde. Ein bisschen ist das damals schon eine Flucht vor den Verhältnissen zuhause, die mich erdrücken. Die Wochen vor meinem Abflug sind geprägt von einem unfassbaren schlechten Gewissen, vor allem gegenüber meiner kleinen Schwester, die ich mit dem Chaos alleine lasse, und meiner Mutter, deren emotionale Stütze ich bin. Doch ich spüre, dass ich fortmuss, wenn ich eine Chance haben will, mein eigenes Zerbrechen zu verhindern.
Auf diesem Foto nun klammert meine Mutter sich mit ausdruckslosen Augen an mir fest. Ich halte sie sicher in meiner Umarmung. Es wird alles gut, sagt mein Blick. Ich bin da. Und auch, wenn ich physisch in den nächsten Monaten an einem anderen Ort lebe, werde ich weiterhin dein Anker sein. So, wie ich das immer war. Damals bin ich 16 Jahre alt.
Die zehn Monate in Mississippi erinnere ich besonders deutlich in Briefen. Mitte der Neunziger schreiben wir weder Mails, noch sind wir per Messenger dauerhaft verbunden. Aber meine Mutter schreibt so lange intensive Briefe, dass ich oft denke, sie kann zuhause überhaupt nicht anwesend sein: Sie lebt in dieser Post. Zehn, zwölf Seite erreichen mich jede Woche, mit einer minutiösen Aufzeichnung dessen, was sie tut, sowie dessen, was mein Paps und meine kleine Schwester nicht oder falsch machen. Immer wieder bittet sie mich, diese Post nach dem Lesen wegzuwerfen, und wenn ich heute hineinlese, verstehe ich, warum.
Mich zwingen ihre vielen wunden Worte ebenfalls in eine schriftliche Parallelwelt, weil ich versuche, ihr den üblichen Trost und Rat in Briefumschlägen zu vermitteln, sie nicht alleine zu lassen. Erst spät in meiner Abwesenheit beginnt auch eine zaghafte, liebevolle Korrespondenz mit meiner Schwester und meinem Paps. Die beiden leiden unter meiner Abwesenheit ebenso wie unter jener meiner Mutter, die physisch anwesend und doch nicht da ist. Wieder kämpfe ich mit Schuldgefühlen.
Als ich zurückkehre in die Heimat, finde ich ein Haus voller Scherben vor. „Was hast du denn erwartet, wenn du einfach abhaust?“, fragt mich meine Mutter. Ich habe das Gleichgewicht, an das wir alle uns über Jahre gewöhnt hatten, durcheinandergebracht. Meine Eltern reden von Scheidung. Fremde Menschen wandern durch unser Haus, vermessen Wände und Türen und verhandeln über Kaufpreise.
Inmitten diesem Chaos kommt und geht unbemerkt mein 18. Geburtstag. Später in jenem Herbst raufen meine Eltern sich noch einmal zusammen und beschließen, einander eine Probezeit von einem Jahr zu gewähren. Was, wenn es nun, wo wir wieder zu viert sind, doch funktioniert? Ein Jahr später folgt schließlich die Trennung, es ist die erste, die beide auch räumlich durchziehen; weitere werden folgen.
In meiner Erinnerung steht dieser 18. Geburtstag wie ein ungelenkes Symbol für den Zerfall unseres Zuhauses. Nicht, dass zuvor alles auch nur annähernd in Ordnung gewesen wäre, die Trennung kommt dennoch mit einer großen Erschütterung über mich und meine Schwester. Vor allem, weil wir Kinder das Gefühl haben, keines der Elternteile alleine lassen zu können – was bedeutet, wir müssen uns trennen. Meine Schwester bleibt bei unserem Paps, ich bleibe bei unserer Mutter; darüber müssen wir überhaupt nicht sprechen, das wissen wir beide.
Zahlen, Jahreszahlen, Geburtstage, Zeitabstände sind schon eine komische Sache. Ob etwas fünf oder sieben Jahre her ist, elf oder vierzehn, was für einen Unterschied macht das letztlich? Natürlich verblassen manche Erlebnisse mit der Zeit oder beginnen Wunden, zu heilen. Gefühle aber werden nicht in Nummern erfasst und vermessen, lassen sich weder wiegen noch vergleichen. Und doch stehen Zahlen manchmal symbolisch für einen Moment oder eine Phase, so, wie für mich diese 18. „Jetzt wirst du erwachsen“, scherzen die Großen gern zur Volljährigkeit. Ich war es längst – und werde es seither doch immer jeden Tag ein wenig mehr.
Wenn der erste Monat eines neuen Jahres zu Ende geht, senkt sich Stille wie ein dunkles Tuch über mein Herz: In einer der letzten Januarnächte haben wir unseren Paps verloren, und jedes Jahr sind diese letzten Tage des Wintermonats angefüllt mit Erinnerungen an ihn. Mal sind sie heiter, mal schmerzlich, immer liegt darin ein Vermissen und die große Traurigkeit darüber, was ich alles nicht mit meinem Vater teilen konnte. Zugleich verspüre ich große Dankbarkeit für die Zeiten, die ich mit ihm teilen und erleben durfte, für die gemeinsamen Wege, das Wachsen.
In jenem Winter hatten sich meine Eltern erneut getrennt. Diesmal sollte es für immer sein, erklärten sie, ohne zu wissen, dass sie Recht behalten würden, weil das Leben ihnen diesmal keine Zeit lassen würde, sich selbst zu widerlegen. Mein Vater war feiern an dem Abend, der sein letzter werden sollte, tags darauf wollte ich ihn in seinem neuen Zuhause besuchen. Ich fuhr tatsächlich in den Odenwald an jenem Wochenende, doch es klaffte eine gewaltige Lücke im Ort meiner Kindheit, dort, wo unser Paps aus dem Leben gerissen worden war.
Mein Vater war kein einfacher Mensch, aber was heißt das schon. Ich glaube nicht, dass diese Zuschreibung auf irgendwen wirklich zutrifft. Er war witzig. Das ist bis heute das Erste, was mir einfällt, wenn ich an ihn denke. Der Schalk saß ihm im Nacken, von klein auf, er machte gerne Scherze, vor allem mit und für uns Kinder. Am Frühstückstisch quakte er auf Zuruf wie Donald Duck, er war ein leidenschaftlicher – und mieser – Witzeerzähler, und wenn er lachte, dann donnerte es in seiner Brust und sein ganzes Gesicht wurde eine frohe Landschaft.
Unser Paps war nicht leise und konnte doch verstummen, was selten ein gutes Zeichen war. Entweder ging es ihm dann schlecht oder er war wütend, und mit beidem konnte ich nur ganz schwer umgehen. Besonders schlimm war es, wenn die stillen Wolken, die ihn düster umgaben, wegen Streitigkeiten mit meiner Mutter aufgetaucht waren. Es fühlte sich dann an, als würde sein Herz in meiner Brust brechen – und ich war nicht in der Lage, ihn vor dem Kummer zu beschützen, der ihn heimsuchte.
Dieses Herz hatte eine emotionale Größe und eine organische Schwäche, und so richtig konnte ich beides nie zusammenbringen. Mit der Regelmäßigkeit von Schaltjahren wurde mein Paps aus dem Leben gerissen, um in einem Klinikbett zu landen, wo wir Kinder ihm die Zigaretten versteckten und es den Ärzten Mal um Mal gelang, sein Leben zu retten. Jedes Mal kehrte er danach zu uns zurück, als wäre nichts gewesen. Er hielt sich für unsterblich und wir begannen, ihm dieses unwahrscheinliche Märchen zu glauben, weil wir es uns so sehr wünschten.
Es ist erst ein paar Jahre her, dass ich die Briefe wiederentdeckt habe, die mein Vater mir nach Amerika schickte. Sie sind ein Schatz, dessen Wert sich in Zahlen nicht beschreiben lässt. Die Wertschätzung, die daraus nicht nur für mich spricht, sondern auch für meinen Weg, der sich immer von dem meiner Geschwister unterschied, hat mich vollkommen überwältigt.
Ich weiß, dass mein Paps nicht immer nachvollziehen konnte, warum ich die Dinge so handhabte, wie ich es tue. Doch ich hatte in den bangen Momenten, in denen ich mich nach seinem Tod frage, was er heute zu meinem Leben sagen würde, vergessen, wie liebevoll und unerschütterlich sein Zuspruch für mich immer gewesen ist.
In den letzten Tagen habe ich immer wieder an die Skiurlaube mit meinem Paps gedacht. Ich war in der Grundschule mühelos Klassenbeste, und wenn er im Januar eine Woche mit der Schneeclique Skifahren ging, wurde ich regelmäßig dafür beurlaubt. Ich war das einzige Kind auf diesen Reisen und liebte alles daran, von den Erwachsenen, die mir über die Jahre vertraut wurden, mitgeschleift und durchgeknuddelt zu werden. Ich erinnere die sonnengebräunten Gesichter, die in blasse Hälse übergingen, feiernde Erwachsene und mittendrin ich, auf dem Schoß meines Paps, mit glänzenden Augen und immer einem Stück Schokolade zur Hand. Der heimischen Familiendynamik entledigt, war unser Verhältnis am unkompliziertesten.
Es schneite in der Nacht, die zur letzten meines Paps werden sollte, und er war tanzen. Später beschwerten sich einige Leute darüber, dass die Feier eine Stunde vor ihrem offiziellen Ende abgebrochen wurde, weil er tot in der Lobby lag. Sein Sakko mit den Goldknöpfen, für das er einen rührenden Stolz empfand, wurde ihm geklaut, während die herbeigeeilten Ärzte noch um sein Leben kämpften. Wir konnten ihn nicht darin beerdigen und das war in den Tagen nach seinem Tod eine dieser sinnlosen Kleinigkeiten, die uns völlig fertigmachten.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich mehr hätte tun können, um meinem Paps ein glückliches Leben zu bescheren. Was ich weiß, ist, dass er sich in seinem Weg nie hat beirren lassen, und dass er mir damit die Freiheit geschenkt hat, dasselbe zu tun; zumal, wenn es um unser Verhältnis ging.
Die Nacht, in der mein Vater starb, war kalt und roch nach Schnee. Vielleicht erinnere ich mich deswegen so intensiv an die gemeinsamen Skiurlaube, wenn sich der Tag jährt, an dem er aus diesem Leben gerissen worden ist. Ich habe lange nicht verstanden, dass ich ihn nirgends mehr besuchen kann, als der Anruf kam. An seine gesundheitlichen Episoden waren wir alle so sehr gewöhnt, dass wir nicht mehr damit rechneten, ihn bei einer davon wirklich zu verlieren. Doch genau das passierte ihn jener Nacht vor achtzehn Jahren.
Es ist überhaupt nicht greifbar, wie lange dieser Verlust uns nun schon begleitet. Und es schwingt in diesem Jahr die Erkenntnis darin mit, dass wir volljährig werden ohne ihn. Vielleicht ein zweites Mal erwachsen.
„Wein doch nicht, Mädel“, würde mein Vater sagen. „Das Leben muss ja weitergehen.“ Ich weiß, dass er Recht hat und sehe es auch daran, dass es ja seit vielen Jahren passiert. Meins, das Leben meiner Schwester und die der großen Geschwister, sie alle drehen sich auch ohne ihn immer weiter. Und auch dafür bin ich natürlich dankbar. Ich bin aber auch traurig, dass er daran nicht mehr teilhaben kann und immer im Januar gebe ich der Trauer einen besonderen Raum.
Ich vermisse ihn dann mit reißendem Herzen und schweren Tränen, bevor ich mich mit einem Lächeln und großer Wärme an ihn erinnere.
Es existiert ein Video von der Studienfahrt meines Jahrgangs nach Griechenland, auf dem ich unter anderem dabei zu sehen bin, wie ich auf einem Zeltplatz ein Kätzchen beschmuse. Das wusste ich nicht mehr, aber als ich den Ausschnitt vor wenigen Jahren wieder mal gesehen habe, dachte ich: passt. Katzen waren als Thema immer da.
Zwei Jahre später war ich zum ersten Mal auf Kreta, mit zwei Freundinnen aus dem Studium. Die beiden zogen nachts mit anderen Urlaubern durch die Hotelanlage, ich adoptierte an Tag zwei die Poolkatze, die fortan jede Nacht in unserem Dreierzimmer schlief.
Im Sommer 2019 waren wir als Familie auf Kreta und die Katzen waren überall. Glückliche, schmale, unruhige, gepflegte, hungrige, ausgesetzte, verschmuste. Am liebsten hätte ich jede einzelne von ihnen mit nach Hause genommen. Und mit der Idee bin ich nicht alleine.
EsgibtvieleOrganisationen, die sich um das Wohl der Straßenkatzen auf Kreta kümmern. Die Initiative geht in den meisten Fällen von Einzelpersonen aus, die sich mit der Zeit ein Netzwerk bauen. In Chania ist Piroska eine dieser Menschen. Seit vielen Jahren hat sie ihre Leben fast vollständig den streunenden Kätzchen der Insel verschrieben.
Rund einhundert sind es, um die Piroska sich bei ihren täglichen Fahrten kümmert. Wer rund um Chania unterwegs ist, findet ihre Hinweiszettel an den Futterplätzen der verschiedenen Kolonien. Kurze Informationen zur Fütterung der Tiere sind das, und wo Piroska und ihre Fellschützlinge in den sozialen Medien zu finden ist, falls jemand Kontakt aufnehmen möchte. Beispielsweise, um ein Tier zu adoptieren.
Wo es möglich ist, stattet Piroska die Futterstellen so aus, dass das Fressen dort wettergeschützt ist und eine Möglichkeit für die Tiere besteht, sich auch mal unterstellen zu können. Jeden Tag ist sie mit dem Lastenrad unterwegs, bringt den Tieren Futter, schaut nach ihrem Wohlergehen und spürt ausgesetzte Kitten auf. Offensichtlich kranke oder verletzte Kätzchen nimmt Piroska mit zu dem Tierarzt, mit dem sie arbeitet, kümmert sich auch um Kastrationen und Sterilisationen, damit die Tiere sich nicht ungebremst vermehren.
Im Sommer gehe es den Katzen meistens gut, erzählt Piroska bei einem Treffen. Sie sitzt auf der dunklen Bank bei einer der Kolonien, die Tiere streifen um sie herum, beobachten interessiert die Menschen, die da sitzen und sich unterhalten, streifen ihrer Beschützerin um die Beine oder lassen sich auf ihrem Schoß nieder. Ein Stück den Hang hinab, im kleinen Eckladen, gibt es Produkte aus Olivenöl – und das Besitzer*innenehepaar unterstützt Piroska, wenn diese Hilfe braucht.
Sie streichelt die Vierbeiner*innen, spricht flüsternd mit ihnen. Da ist eine große Zärtlichkeit in der Stimme der Frau, die im Mittel mit sechs bis acht ihrer Fellfindelkinder zusammenlebt, bis sie für die Kätzchen Adoptivfamilien gefunden hat. Während sie erzäht, stellt Piroska jedes Tier, das sich auf sanften Pfoten nähert, mit Namen vor. Denn Namen haben sie alle: Eine Familie eben.
Zurück zu den Jahreszeiten.
Auch wenn nicht alles, was Tourist*innen an die Vierbeiner verfüttern, wirklich geeignet ist für die Kätzchen, sind diese doch im Sommer besser versorgt als in den Wintermonaten, wenn die Insel sich leert. Das gilt auch in Sachen Schmuserei, denn viele Urlauber*innen bleiben bei den Tieren stehen, streicheln sie, spielen mit ihnen, bevor sie weiterziehen zum Strand oder ins Restaurant. Die Katzen genießen die Kuscheleinheiten und kommen gerne mit zu den Kneipen der Insel, in der Hoffnung, dass beim Abendessen etwas für sie abfällt.
Piroska erzählt von ihrer großen Müdigkeit. Sie trägt eine enorme Verantwortung, sagt sie, die sie natürlich selbst aufgenommen hat, aus der aber längst eine feste Verpflichtung erwachsen ist, die ihr bleiben wird. Manchmal macht sie sich Gedanken, was aus den Kätzchen werden soll, wenn sie mal nicht mehr kann. Zudem ist das, was sie tut, auch eine finanzielle Verantwortung, denn nicht nur das Futter kostet Geld, auch die Besuche beim Veterinär.
Ihre Katzenpflege finanziert Piroska komplett über Spenden. Die investiert sie ausschließlich ins direkte Wohl der Tiere. In diesem Spätsommer musste sie außerdem sammeln, um ihr Rad wieder instand zu setzen: Ohne den Drahtesel wäre es nicht möglich, all die Kolonien regelmäßig zu versorgen oder aber die Katzen zum Tierarzt zu bringen. In einer Gruppe auf Facebook teilt Piroska all solche Themen, das Feedback ist meist sehr zahlreich, nicht immer folgt aber auch praktische Hilfe für sie und die betreuten Katzen.
Adoptionen organisiert Piroska in enger Abstimmung mit der neuen Familie der Tiere. Sie hat sehr gute Kontakte nach Österreich, Finnland und in die Schweiz, auch einige nach Deutschland. Wenn eines ihrer Schützlinge ein Zuhause findet, ist das ein Feiertag, sagt die Griechin. Wichtig ist ihr, zu wissen, wo die Tiere landen, um zu sehen, dass sie einen liebevollen Ort gefunden haben. Über Fotos der Kätzchen in ihrem neuen Heim freut sie sich deshalb sehr. Vor alle aber freut die Katzenmama aus Chania sich über Unterstützung.
Wer selbst Katzen heiß, weiß, diese verhungern im Schnitt dreimal täglich. Für die Versorgung der Tiger ist Piroska auf Spenden angewiesen. Nur so kann sie sich weiterhin gut um die Kätzchen kümmern. Wer zu Weihnachten noch eine gute Tat für Tiere in Not tun möchte, kann sie hier via Paypal unterstützen.
Wenn während der Fußball-WM der Männer in diesem Winter die Rede war vom Zahlenverhältnis zwischen Qataris und jenen Menschen, die zum Arbeiten ins Emirat gekommen sind, wurde als sprachlicher Gegensatz zu den Staatsbürger*innen meist von Arbeitsmigrant*innen gesprochen. Gemeint waren, so ist zumindest mein Eindruck, damit stets solche Menschen, die im absoluten Niedriglohnsektor arbeiten, vor allem auf Baustellen, ob für die Stadien oder die Infrastruktur. Doch das ist unzureichend.
Im ersten Schritt ausgeblendet wurden dabei Frauen. Mehr als einmal habe ich erlebt, dass Leute meinten, es sei unsinnig, das Wort „Arbeitsmigrant“ zu gendern, weil auf den Baustellen doch nur Männer im Einsatz seien. Ja, aber. Frauen verschiedener Herkunftsländer arbeiten beispielsweise im häuslichen Bereich. Es ist wichtig, auch über sie zu sprechen und zu schreiben, weil qua ihrer Arbeitsverhältnisse zu den Gefahren von Ausbeutung und Unfreiheit, die sie mit den Männern teilen, jene sexualisierter Gewalt ungleich größer sind. Sie dürfen nicht unsichtbar bleiben.
Zum anderen ist die Vorstellung, die rund 2,5 Millionen Menschen, die aus dem Ausland nach Qatar gekommen sind, seien allesamt im Niedriglohnsektor unterwegs, falsch. Das Emirat ist ein attraktives Ziel für so genannte Expats, Menschen aus soliden oder besser situierten Umfeldern, die zum Studium oder um in gehobenen Positionen gutes Geld zu verdienen, ins Land kommen. Sie unterrichten an Hochschulen, fliegen für Qatar Airways, arbeiten im medizinischen oder dem Bildungssektor und mehr. Wer nur von Arbeitsmigrant*innen spricht, zeichnet ein schiefes Bild.
Genauigkeit ist wichtig. Denn über kaum ein Thema wurde im Vorfeld der WM mehr geredet als über jene, die auf Baustellen in glühender Hitze geschuftet haben. Wie viele Menschen rund um das Fußballturnier gestorben sind, war eine Frage, die heftig diskutiert wurde. Ein kompliziertes Unterfangen, weil selbstverständlich jeder Mensch, der gestorben ist im Zusammenhang mit der WM, einer zu viel ist. Und die Diskussion damit eben direkt aufhören könnte. Gleichzeitig waren viele der Zahlen, die hierzu kursierten, falsch oder mindestens unscharf, bei Gegner*innen wie Befürworter*innen des Turniers. Und das ist eben auch ein Problem.
Letztlich hat Qatar sich zweimal schuldig gemacht, nicht nur mit den Todesfällen, sondern auch, weil das Emirat keinen Willen gezeigt hat, zu untersuchen, woran die Gemeldeten gestorben sind. Ja, in die Zahlen sind auch Menschen eingeflossen, die Autounfälle hatten oder morgens nicht mehr aufgewacht sind. Wenn das junge Arbeiter waren, die zuvor in der Gluthitze lange Schichten geschoben haben, wäre es dennoch Pflicht und Verantwortung, Verbindungen zu untersuchen.
Während des Turniers ist die Diskussion um die Toten der WM ein wenig in den Hintergrund geraten, obwohl zum einen zweiTodesfälle hinzugekommen sind und zum anderen Hassan al-Thawadi, der Generalsekretär des Organisationskomitees, im Gespräch bei „Talk TV“ unerwartet offen über Zahlen geredet hat. Ein Grund war aus meiner Beobachtung, dass viele Journalist*innen vor Ort auf Menschen getroffen sind, die positive Geschichten über ihr Leben und ihre Arbeit in Qatar zu berichten haben.
So entstehen Dilemmata, denn natürlich ist es wichtig, diese ebenfalls zu erzählen. Und emotional ist es verständlich, wenn sie für den Moment, im Jetzt, durch die persönlichen Begegnungen im Vordergrund stehen. Spannend, aber auch sehr anspruchsvoll, wäre es, herauszufinden, wie viel Anstrengung Qatar aufgewendet hat, um dafür zu sorgen, dass Medienvertreter*innen während der WM besonders leicht auf Menschen treffen, die Positives zu berichten haben. Bei allem, was das Emirat orchestriert hat, ist das keine abwegige Überlegung.
Wahr ist aber auch, dass eben wirklich Punkte dafür sprechen, nach Qatar zu kommen, von denen Arbeitsmigrant*innen und Ehemalige ausführlich berichten. Ihnen zuzuhören ist eine wichtige Aufgabe, weil es eine umgekehrte Instrumentalisierung ist, nur über sie zu sprechen, statt mit ihnen, womöglich um die Ansichten des Westens zu zementieren. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat es im Vorfeld der Weltmeisterschaft ermöglicht, ehemaligen Arbeiter*innen sogar ganz bequem hier in Deutschland zuzuhören, wo einige von ihnen auf Tour waren, um von ihren Erlebnissen im Emirat zu sprechen. Deren Tenor war vielfach differenzierter, als sich das manch eine*r hier vielleicht zuvor ausgemalt hätte.
Natürlich wurden Arbeitsbedingungen und die Maßnahmen zur Freiheitsverhinderung massiv kritisiert, ebenso wie die Tatsache, dass nicht alle Auftraggeber*innen die Abschaffung des Kafala-Systems vom Papier in die Wirklichkeit transportieren. Es wurde aber auch positiv gesprochen über Schritte zur Verbesserung, die bei vielen der Migrant*innen bereits ankommen, wie eine Anhebung des Lohnes. Entscheidend ist zudem etwas, das der kenianische Menschenrechtsaktivist Malcolm Bidali unter anderem bei der Veranstaltung in Frankfurt (die ich moderieren durfte) betont hat: In Qatar und umliegenden Ländern besteht erstmal überhaupt die Möglichkeit, einzureisen, um dort Geld zu verdienen.
Im Gegensatz zu? Genau, Europa, wo das in dieser Art und Weise nicht möglich ist. Hier tragen nun wir Europäer*innen doppelt Verantwortung, zum einen, weil wir es bei uns nicht ermöglichen, dass Menschen aus anderen Regionen unkompliziert in Jobs kommen. Zudem ist unsere ausbeuterische Lebensweise ein großer Faktor dafür, warum es Menschen in anderen Regionen nicht möglich ist, den Unterhalt für die eigene Familie dort zu verdienen. Wir sind also unmittelbar treibend beteiligt an den Bewegungen zur Arbeitsmigration – darüber wurde und wird viel zu wenig geredet.
Zu kritisieren, was in Qatar ebenso wie den umliegenden Ländern in Sachen Arbeits-, Menschen- und Freiheitsreche falsch läuft, und gleichzeitig die Erkenntnisse aus diesem Turnier zu nutzen, um eigene Fehler anzuerkennen, ist eine Gratwanderung, die vielfach misslungen ist – oder gar nicht erst auch nur im Versuch unternommen würde. Dabei gibt es einiges, worüber wir in Deutschland und Europa angesichts dessen, was wir im Emirat kritisieren, mal nachzudenken hätten.
Von wessen Ausbeutung, geschichtlich ebenso wie aktuell, profitieren wir? Wer muss(te) für unseren Wohlstand in Baracken hausen und zu Niedriglohn arbeiten? Von den selbst während Corona herangekarrten Spargelstecher*innen über Arbeiter*innen etwa in Schlachthöfen hin zu etlichen Menschen, die trotz eines Jobs von dem bisschen, was ihnen als Lohn zugestanden wird, nicht leben können, gibt es da einiges zu beackern.
Die Kluft zwischen Arm und Reich, von der in Bezug auf das Emirat sehr viel gesprochen wurde während des Turniers, ist hierzulande ebenfalls Realität, genau wie das Prinzip der Abschottung zwischen unterschiedlichen sozialen Räumen. Hier warten wirklich große Aufgaben auf uns als Gesellschaft – nicht in fernen Emiraten, sondern genau vor unserer Haustür.
Die Tatsache, wie viele Beobachter*innen auf die Frage, ob Donata Hopfen ihren Job als Chefin der DFL besonders schnell wieder los war, weil sie eine Frau ist, die Gegenfrage stellen, ob sie ihn hätte behalten sollen, weil sie eine Frau ist, sagt viel darüber aus, wie Gleichberechtigung hierzulande diskutiert wird. Das eine ist eine notwendige Beschäftigung mit strukturellen Themen innerhalb der Gesellschaft, das andere grober Unfug. So zu tun, als ginge es um ein und dasselbe, sagt vor allem etwas über jene aus, die diesen Spagat gedanklich vollziehen.
Wer verfolgt, wie ich Themen rund um den Fußball kommentiere, mag sich erinnern, dass Hopfens Amtsantritt bei mir keine Begeisterungsstürme hervorgerufen hat. Grund ist ihre Vergangenheit im Springer-Konzern. Auch ihre ersten Wortmeldungen im Amt, sei es das Vorstellungsvideo oder das Exklusivinterview just bei Springer, konnten mich inhaltlich keinesfalls überzeugen.
Als Feministin für Diversität in allen Lebensbereichen einzustehen, ist nun mal nicht gleichbedeutend damit, eine Frau in Hopfens Position (oder welcher Position auch immer) inhaltlich nicht zu kritisieren, auch wenn diese Unterstellung gängig ist. Worum es geht, ist Chancengerechtigkeit – und tatsächlich eignet sich der Fall Hopfen hervorragend, um zu veranschaulichen, warum Quoten als Hilfsmittel auf dem Weg dahin so wichtig sind.
Einen echten Kulturwandel im Fußball herbeiführen
Strukturelle Veränderungen werden nicht damit erreicht, eine Frau an die Spitze zu setzen und zu glauben, damit sei irgendetwas gelöst. Vielmehr braucht es dafür einen umfassenden System- und Kulturwandel; bedeutet: Diversität muss in sämtlichen Hierarchieebenen und inhaltlichen Bereichen Einzug halten. Das passiert leider nur allzu selten aus intrinsischer Motivation.
Frauen für Gleichstellung verantwortlich zu machen, eine Person mit Einwanderungsgeschichte für Integration und den Bereich Corporate Social Responsibility mit einer besonderen Bandbreite an Mitarbeiter*innen zu besetzen, hat übrigens nichts mit Kulturwandel zu tun. So entsteht nur ein Flickenteppich auf Basis von Zuschreibungen und Rollenklischees, der vielfach nichts mit den Kompetenzen der Leute zu tun hat.
Und: Egal, ob es um Gender oder andere Diversitätsebenen geht, die jeweiligen Menschen dürfen nicht immer die eine Person im System sein, die via persönlicher Eigenschaften mit bestehenden Strukturen bricht. Nicht die eine Frau unter Männern, nicht die eine Schwarze Person unter weißen Menschen, nicht die eine mit Einwanderungsgeschichte, die eine jüdische Person oder die eine mit Behinderung. Natürlich arbeiten bei der DFL mehrere Frauen, Hopfen war dennoch ein Fremdkörper innerhalb des „Thomas Prinzip“ des Verbandes.
Qualität wird nicht als entscheidendes Merkmal behandelt
Kennen Sie nicht? Es sagt aus, dass ein Thomas lieber einen anderen Thomas anstellt oder in einem anderen Thomas einen Verbündeten sieht, als in einer Maria, Elif oder Donata. Gleich und gleich gesellt sich eben gern. Und gleich bedeutet im Fußball nun mal nach wie vor in den meisten Fällen: männlich. Genau hier kann die Quote wirken, denn: Wenn es darum geht, ob Frauen in der Blase des Fußballs einen Job bekommen, so ist Qualifizierung trotz aller Beteuerungen eben nicht das entscheidende Merkmal.
Auch hier greift das Thomas-Prinzip: Männer in diesem Sport kommen erstmal gar nicht auf die Idee, Posten mit Frauen zu besetzen. Eine Quote zwingt sie, genauer hinzuschauen. Eine Quote schafft Veränderung. Kulturwandel. Sie verhindert eine Fokussierung auf die eine – wie auch immer – andere Person, die heraussticht aus den vielen Gleichen. Das ist ein ganz entscheidender Schritt auf dem Weg zu mehr Chancengerechtigkeit. Zu der dann übrigens auch gehört, dass die Frauen ebenso Fehler machen dürfen, wie ihre Kollegen, statt sich weiter besonders strecken zu müssen, um Anerkennung zu finden.
Es mag auf den ersten Blick seltsam anmuten, auf die Entmachtung Hopfens mit einer Diskussion zur Quote zu reagieren, inhaltlich ist es aber folgerichtig. Im „System Fußball“ haben Frauen es nicht nur besonders schwer, sich durchzusetzen – sonst gäbe es dort längst viel mehr von ihnen in Entscheidungspositionen –, sie sind offenbar zudem besonders schnell weg vom Fenster, wenn sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Was auch an mangelnden Verbündeten liegt.
Das festzustellen, ist übrigens etwas komplett anderes, als der Meinung zu sein, Frauen dürften in diesem Umfeld nicht kritisiert werden. Natürlich dürfen sie das. Es geht darum, zu reflektieren, wo welches Maß angelegt wird – und da sollten einige, die beim Lesen schon entrüstete Entgegnungen formulieren, vielleicht nochmal selbstkritisch in sich gehen.
Ob Donata Hopfen Fehler gemacht hat? Vermutlich. Mehr Fehler als ihre Vorgänger in den ersten Monaten im neuen Amt? Wer mag das beurteilen. Nach zehn Monaten festzustellen, man habe zu unterschiedliche Vorstellung von der Ausrichtung einer Zusammenarbeit, ist allenfalls amüsant. Klärt man sowas nicht in den Gesprächen vor einer hochdotierten Anstellung? Und immensen Widerstand gegen beispielsweise die kurz ins Spiel gebrachte Austragung des Supercups in Saudi-Arabien würde schon verwundern bei jenen Ligen, deren Verantwortliche Trainingslager in Qatar abhalten oder dafür nach Dubai fliegen und ihre Testspiele gegen Newcastle United austragen.
Wenn der Hauptvorwurf tatsächlich lautet, man habe nach einem Dreivierteljahr Hopfens Handschrift nicht erkannt, werden sich ihre Nachfolger daran messen lassen müssen.