Be freakin‘ friendly, oder: Nicht in diesem Land

Kürzlich ist es mir tatsächlich passiert: Als ich, beladen mit zwei schweren Einkaufstüten, die Straße hinunterschnaufe, stellen sich mir zwei Typen in den Weg. Ihre langen Leiber werfen große Schatten auf den Gehweg zu meinen Füßen. Langsam hebe ich den Blick. „Brauchst du Hilfe?“, fragt einer der beiden. Und ich bin so perplex, dass ich antworte: „Nein, danke.“ Ich meine, wer rechnet denn auch mit sowas? Selbstlose Freundlichkeit vollkommen Unbekannter im Alltag? Nicht in diesem Land (und vermutlich auch in keinem anderen…). Normal sind doch eher solche Szenen: Eine alte Dame schleift unter Aufbietung all ihrer Kräfte mit beiden Händen eine Einkaufstasche hinter sich her. In unmittelbarer Nähe stehen einige Jugendliche, einer der Typen ist bewaffnet mit einer kleinen Tüte von Douglas. Kichernd macht er seine Kumpels auf die Tütenschleiferin aufmerksam, bevor er mit seinem Parfumerie-Täschchen ihr mühsames Schleppen nachahmt. Ich hätte den dummen Kerl ja liebend gerne umgeworfen, habe mich aber doch entschieden, stattdessen der alten Dame mit ihrer Tüte zur nächsten Bushaltestelle zu helfen.

Willkommen in der sozialen Kälte. (Foto: Marieke Stern)

Willkommen in der sozialen Kälte. (Foto: Marieke Stern)

Oder wie wäre es mit etwas Szenischem aus dem Straßenverkehr? Freitagabend in der vollkommen überfüllten Innenstadt. Unmöglich, hier voranzukommen, völlig egal doch also, ob und wer und wie man zu so etwas absurdem wie seinem Recht kommt, beispielsweise dem, unbedingt noch vor irgendwem abzubiegen oder einzufädeln, oder… Trotzdem verteidigen spießige Feierabendanwärter verbissen jeden Zentimeter, brüllen, fuchteln und zeigen Mittelfinger, statt einem Mitmenschen mal freundlich entgegenzukommen. Kinderstube? Fehlanzeige.

Noch schlimmer als die Straße – der Supermarkt. Darüber, wie scheinbar zivilisierte Bürger auf dem Weg zur Kasse ihre hässliche Fratze zeigen, ließen sich ganze Bücher verfassen. Klassiker Nummer 1: Kunde mit maximal drei Artikeln nähert sich mit schüchtern zu Boden geworfenem Blick. „Äh, Entschuldigung, ich habe nur“ – und kommt nicht weiter, weil die Kundin vor ihm keift: „Mir egal, ich hab es eilig und war vorher da.“ Funktioniert in Sachen unverschämt auch mit Wut auf den Kleinsteinkäufer, dann mittels Trick: Kunde mit wenigen Artikeln kommt an die Kasse, deutet irgendwo nach vorne und sagt: „Ich habe das noch kurz geholt, meine Frau/Schwiegermutter/Nichte steht weiter vorne“ – und schiebt sich so bis zur Kassiererin, bei der er seelenruhig zahlt.

Dann die Geschichte, die vor einer Weile meiner besten Freundin passiert ist. Völlig überforderter Typ knallt eine Weinflasche neben, statt auf das Warenband. Während meine Freundin mit Tempos bewaffnet auf allen Vieren kriecht, um ihm mit seiner Pfütze zu helfen, öffnet nebenan eine weitere Kasse, und – genau: Der so Unterstützte zieht wortlos von dannen. Ist ja irgendwie nicht mehr seine Sauerei, jetzt, wo jemand anders sich darum kümmert. Überhaupt haben es Menschen offenbar nie so eilig wie an Kassen. Das gilt für Kunden wie für Kassiererinnen, denen grundsätzlich auch bei sichtlich bemühten älteren Herren die Geduld fehlt, deren Münzzählung abzuwarten. Da können diese noch so hilfesuchend und freundlich schauen beim Suchen und noch so offensichtlich auf ein nettes Wort oder zumindest ein Lächeln hoffen, der Drache an der Kasse kriegt die Zähne nur zum Zetern auseinander.

Bleibt die Gretchenfrage, wo will dieser Text hin und was möchte uns die Autorin sagen? Na, zum einen, dass sie wütend ist und die Nase voll davon hat, täglich solche Szene zu beobachten. Viel wichtiger aber, dass es so einfach ist – ganz kitschig – jeden Tag einen verdammten Unterschied zu machen, anstatt die Welt zu verpesten. Es hingegen aber niemanden weiterbringt, bei den Nachrichten oder einem Blick auf die Arbeitslosenstatistik über soziale Kälte zu jammern. Und sie gleichzeitig jeden Tag zigfach selbst zu produzieren.

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