Bitte nicht (ver)schlucken

Überlegen Sie mal, wie viele Menschen es gibt, mit denen Sie gerne in der Badewanne sitzen (würden)? Und jetzt ziehen Sie Benicio del Toro oder Chloë Sevigny ab, wie viele bleiben da übrig? Je nach dem, was Sie in der Wanne vorhaben, dürfte das zumeist einer sein; niemand kommt bei dieser Überlegung aber wohl auf mehrere Hundert. Und trotzdem rennen wir bei diesem Wetter alle ins Schwimmbad, um mit unzähligen wildfremden Menschen – zu baden.

Ich schwimme unglaublich gerne. Bin überhaupt gern im Wasser, Meer, Badewanne, Pool – das ist mein Element, immer schon gewesen. Will heißen, bei steigenden Temperaturen gehöre ich zu den ersten, die Richtung Schwimmbad pilgern, um dort meine Bahnen zu ziehen, statt in den Feldern laufen zu gehen. Schwimmen, das ist prima zum Abschalten, da ist man ganz auf sich zurückgeworfen, nicht einmal Musik ist möglich, nur das gleichmäßige Gleiten, das Rauschen im Ohr, die Sonne, die sich im Wasser bricht… Ach ja, und der leicht renitente Nebenmann, der nach dem Motto „dies ist meine Bahn, von ihr werde ich nicht weichen“ alles aus dem Weg krault und tritt, was nicht ohnehin angesichts seiner Wasserhiebe die Flucht ergreift. Aber – Schwimmen entspannt ja so herrlich; von derlei menschlicher Überdrehung lasse ich mich nicht aus der Ruhe bringen.

Beim nächsten Mal lieber wieder ins Meer! (Foto: Marieke Stern)

Beim nächsten Mal lieber wieder ins Meer! (Foto: Marieke Stern)

Viel eher Anlass zur Beunruhigung gibt der Blick durch die Taucherbrille: Wer gerne abends nach dem Büro noch seine Bahnen zieht, weiß, wovon ich rede – unfassbar, welche Menge an Haaren nach einem Sommertag im Becken schwimmen. Damit meine ich nicht die einzelnen, langen Haare, die an den gespreizten Schwimmfingern hängen bleiben; nein – ganze Büschel menschlichen Haupthaares liegen auf dem Beckenboden. Allein, wenn sie dort nur blieben – doch in der ewigen Bewegung des Wassers tanzen die Büschel vom Boden gen Oberfläche. In einem Wort, ekelhaft. Fast nicht auszuhalten, von einem solchen Büschel am Fuß berührt oder gar am Bauch gekitzelt zu werden. Bitte kotzen Sie jetzt nicht: Es sind Menschen im Wasser.

Die übrigens, sofern unter 20 und männlich, gerne mit ihren Boxern statt einer Badehose ins lauwarme Nass hüpfen. Was genau so lange egal ist, bis man zum ersten Mal etwas darüber liest, wie viel mehr Urin auf diese Weise ins Wasser gelangt – weil die Boxer natürlich nicht frisch, sondern vorher schon zwei bis 100 Stunden getragen sind, bis sie am Unterleib ihres Besitzers ins Wasser gleiten. Merken Sie was? Sie müssen jetzt ganz stark sein; und dürfen sich auf keinen Fall fragen, was noch so alles in der Boxer… Nein. Als kleinen Kindern hat man uns erzählt, wer im Schwimmbad ins Wasser macht, färbe es damit lila – so ist die Pinkelwutz überführt; und wir hielten dicht. Heute wünschte ich mir manchmal, es wäre so. Denn mehr als die Boxershorts machen mir die Aufenthaltszeiten manch eines jugendlichen Casanovas im Becken Sorge. Da kann mir doch niemand erzählen, dass die Jungs mit ihren Minibläschen nicht ab und an unauffällig einen Mittelstrahl ins Wasser lassen.

Wer nach 16 Uhr ins Becken gleitet, kann sich überdies die Sonnencreme sparen. Das machen Geruch und Anmutung sofort klar: Im Laufe eines Tages wäscht das Poolwasser derart viel Sunlotion von verschwitzten Körpern, dass selbstcremen Verschwendung wäre. Es ist natürlich auch zu viel verlangt, dass die Schwimmbadbesucher sich kurz unter die Dusche stellen, bevor sie sich in die Massenbadewanne stürzen. Das Schlimme – diese Gedanken lassen sich mit jeder Bahn schwieriger abschütteln, während man durch tanzende Haarbüschel gleitet. Wie viele Menschen waren wohl allein heute in dem Becken, wie viele Liter Schweiß sind ins Wasser geflossen, wie viel Sonnencreme, wie viele Kids und Erwachsene haben sich beim Pinkeln mit dem Gedanken beruhigt, dass das doch eh keiner merkt? Wie kann es nur sein, dass am Grund des Beckens um diese Uhrzeit genügend Pflaster versammelt sind, um einen Kriegsverwundeten zu versorgen, warum gehen Frauen mit Binden oder Slipeinlagen ins Wasser (und verlieren sie dann noch) – und woher kommen nur diese Unmengen an Haaren; eine reine Fundgrube für Perückenmacher.

Ein Bekannter hat kürzlich erzählt, er habe nach dem Besuch im Freibad Fußpilz bekommen. Nicht etwa aus mangelnder Hygiene – sondern vor Ekel. Ich versuche, beim Schwimmen an das Hochgefühl zu denken, das mich ergreifen wird, wenn ich aus dem Wasser steige und in die Wiese falle, erschöpft, aber glücklich, müde, aber stolz. Meine Strecke absolviere ich bei diesem Wasserzustand trotzdem ziemlich sicher in neuer Rekordzeit. Kurz vor Ende passiert es dann doch – ein junger Schlacks springt neben mir ins Becken, die Welle überrascht mich – und ich verschlucke mich am haarigen Wasser. Da hilft nur eines, Zuhause schnell einen Schnaps hinterher kippen, um abzutöten, was das Chlor verschont hat – sicher ist sicher. Prost!

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