Kastanien sammeln

Schön sah sie aus, wie sie so da lag. Ihr Gesicht wirkte jünger, als die gelebten Jahre dies hätten bestätigen können – und selbst mit dem Schrecken, der sich darein vermischt hatte, spiegelten ihre Augen etwas Sanftes wider, das aus den Tiefen ihrer Seele emporgestiegen schien. Nur ihr Hals war seltsam verdreht, doch er nahm es nicht wahr, war zu gefangen von ihren Augen, die ihm ihre Geschichte offenbaren wollten. In einer lauten Welt war sie ganz leise; und wurde doch niemals übersehen. Obwohl sie durch die Menschen wie hindurchzugleiten schien, auf ihren täglichen Wegen durch die Städte im Bauch dieser Erde, nahmen die sie doch wahr. Vielleicht nicht bewusst, als Person, Mensch der sie war, wohl aber als ein Gefühl, einen Schatten in ihren Köpfen, wie von einem herabschwebenden Blatt im Herbst ihrer Leben; so blieb sie doch niemals unerkannt.

Foto: Andreas Dengs – www.photofreaks.ws/pixelio.de

Foto: Andreas Dengs – www.photofreaks.ws/pixelio.de

Kinder hatten eine seltsame Faszination mit ihr. Mag sein, sie ließen in ihrer frischen Unschuld dieses Gefühl, wie von einem fallenden Blatt, aus den Köpfen in ihre Herzen wandern, schnell und heftig, als werde es von einem Magneten angesaugt. Dort unten hämmerte und schlug es dann schneller für einige Momente, und das heftig pulsierende Blut jagte ihnen bizzelige Schauer bis in die Kuppen ihrer kleinen Finger. Das Lächeln, welches sie der Welt schenkte, war vor Jahren zahnlos geworden. Und doch wäre dieses Wort nie gefallen, bei einer Beschreibung ihrer Person. Das hatte sie sicher ihren Augen zu verdanken, in denen so viel Leben nach Verheißung schrie, dass man von nichts anderem sprechen wollte, wenn man von einer der raren Begegnungen mit ihr berichten konnte.

Im Herbst lief sie umher und sammelte Kastanien. Die schimmernden, schönsten ließ sie liegen und griff stattdessen nur nach solchen, die angegriffen waren und verdellt; mit denen stopfte sie ihre Taschen, die so dick wurden wie die Backen eines Hamsters. Und es blieben, bis zum nächsten Herbst, weil sie für jedes Leeren die Taschen wieder neu auffüllte. Wohin sie ihre Beute trug, wusste niemand zu sagen, weil kein Mensch je Zeuge geworden war, ob sie dereinst verschwand in den Hauseingängen der Städte, die sie durchstreunte. Nur in die Wälder hatte man sie schon entschwinden sehen, aber keine Höhle gefunden und kein geheimes Versteck. Alte hatten eine seltsame Faszination mit ihr. Mag sein, sie ließen in ihrer wiederkehrenden Unschuld dieses Gefühl, wie von einem fallenden Blatt, aus den Köpfen in ihre Herzen wandern, schnell und heftig, als werde es von einem Magneten angesaugt. Dort unten hämmerte und schlug es dann schneller für einige Momente, und das heftig pulsierende Blut jagte ihnen bizzelige Schauer bis in die Kuppen ihrer schrumpeligen Finger.

Schön sah es aus, wie sie so da lag, nur ihr Hals war ein wenig seltsam verdreht, das nahm er jetzt wahr; obgleich ihm das seltsam erschien – denn verdreht im Bezug wozu? Er hatte keine Ahnung, wie ihr Kopf hier auf seinem Schreibtisch im Revier 13 gelandet war. Er wusste nur, dass ihre Augen ihn nicht loslassen würden, bis er den Rumpf gefunden hätte, mit den Taschen voller Kastanien.

Rome burning

Foto:  Rainer Sturm/pixelio.de

Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

do you remember the day
the dog ran away
in his mouth he carried
a stick on fire
the sound of your voice
grew louder and higher

I reached out for you
you cut of my hand
I bled to death
which wasn’t planned

meanwhile the dog ran on and on
and carried his burning stick to Rome
he dropped it into the streets of the town
and so the city burned all down

you cry for Rome because it’s dead
and stick a knife deep in my head
my eyes drop on the floor
that moment opens the door

the dog walks in in pretty good mood
you mix my eyeballs under his food
now all I see is what he eats
what does he get to fill my needs

please feed him an orange to be my sun
I wait for the day you’ll be dead and gone

Benn and Break

Benn and Break

Wenn Gottfrieds weiße Nase
ihn hinfort trägt
bleibe ich feige zurück
und träume,
mit Blut am Knie
von der Wiege noch,
die ich nie hatte.

Seine stand unter biblischem Kreuze
das trieb ihn brennend davon
und lauschte, mit jedem Schnitt
sein Herz den Worten Zarathustras.

Über meiner Wanne tanzt behände
was der Kopf nicht buchstabiert
und Gottfried, das Messer scharf
backt bei Nacht die Seele eines Kindes.

Stille kann man nur unter Wasser hören
wo das Licht trüb ist und die Luft knapp.

Sauerstoffbläschen

Am Ende waren sie zu dritt. Er, sie – und die Angst: vor dem Scheitern. Dem alleine sein. Die Angst davor, zu früh aufzugeben. Die Angst auch, sich immer wieder verletzten zu lassen – und dabei selbst zu verletzen. Angst, sich leerzulieben. Totgeliebt zu werden. Die Angst, dass das niemals aufhört.

+ „Ich kann so nicht weitermachen.“
– „Ich kann ohne dich nicht leben.“
+ „Das macht mich kaputt.“
– „Nur mit dir bin ich glücklich.“

War es alleine ihre Angst – oder war es auch seine? Hatten sie je einen gemeinsamen Kampf gefochten, oder war das nur sie, immer wieder – und immer umsonst, scheinbar. Wenn sie nachts in seiner Nähe lag, nie ganz bei ihm, weil er mehr Raum brauchte als sich einstellen wollte zwischen ihnen, spürte sie ihr Herz, das kaum noch schlug, bloß flimmerte.

Foto: Katharina Wieland Müller/pixelio.de

Foto: Katharina Wieland Müller/pixelio.de

+ „Ich will das nicht.“
– „Ich brauche das.“
+ „Du tust mir weh.“
– „Du tust mir so gut.“

Zu dem flimmernden Herzen gesellte sich bald auch eine flatternde Lunge. Neben dem Raum, der zu eng war, wurde ihnen die Luft zu knapp. Anstatt zu teilen, hat er sie weggeatmet, mit weit offenem Mund und geblähtem Brustkorb, bis sie ganz blau war im Gesicht, weil kein Bläschen Sauerstoff mehr durch ihren Körper wanderte. Und das langsame Ersticken begann.

– „Ich bestimme das so.“
+ „Ich fühle mich unwohl damit.“
– „Haben wir es nicht schön zusammen.“
+ „Du hast es gut an mir – und ich?“

Sie grübelte darüber nach, wo sie einander verloren hatten, bis es in ihrem Kopf anfing zu bluten und dicke, schwarze Tropfen aus ihrer Nase liefen. Mit denen konnte sie nichts weiter als alleine sein – und hat sich so für eine kleine Ewigkeit weggeschlossen. Die Angst ist geblieben in dieser Zeit, mit kalter Hand kratzte sie ihr an den Magenwänden. Sie erbrach sich so lange, bis alles in ihr verätzt war und sie einen Grünstich bekam.

– „Du kannst mich nicht verlassen. Und das weißt du auch.“
+ „Du kannst nicht ohne mich sein. Das habe ich verstanden.“
– „Komm zurück zu mir, wohin du gehörst.“
+ „Ich werde da sein, doch ich bleibe nicht.“

Dann ist ihr zuerst das Herz stehengeblieben. Und danach die Lunge geplatzt. Der Grünstich hat zugenommen, ist schließlich immer dunkler geworden, bis sie schimmernd auf dem Bett lag und durch ihr Blut, das immer noch dick und schwarz über ihr Gesicht lief, die Decke sah wie einen Haufen düsterer Schlieren. Drei sind einer zu viel. Das hatte sie längst begriffen. Nicht aber, wer hier zu wem gehörte. Das kam dann. Sie hat gewartet, bis die Sonne untergegangen war, an jenem Tag. Dann ist sie barfuss zu seiner Wohnung gelaufen und hat ihm die Angst zurückgebracht, die er bei ihr abgeladen hatte. Auf dem Rückweg ist sie gehüpft, erst ganz vorsichtig, dann immer schneller, höher, mit Lachen und Musik – so, wie ihr Herz die Zeit vor ihm erinnerte.

Must I paint you a Picture?

Must I paint...
die ungeschminkte nacht
hat ihre spuren
auf dem kopfkissen hinterlassen
als sei das hässliche geheimnis
ihr aus den augen gefallen
sich eine leinwand zu suchen.