05-Gegnerbetrachtung: Alte Dame in neuem Glanz

Die Gegnerbetrachtung ist zurück. Vor jedem Auswärtsspiel des 1. FSV Mainz 05 spreche ich mit PodcasterInnen, JournalistInnen oder BloggerInnen aus dem Umfeld des gastgebenden Vereins. Diesmal erzählt Henry Cieslarczyk vom Podcast „Damenwahl Berlin“ von der Saison der Hertha.

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Hallo Henry, danke, dass du dir die Zeit für meine Fragen nimmst. Ich habe gelesen, du bist zur Hertha gekommen, weil du im Herbst 1996 mit Kumpels Fußball schauen wollest und ein Spiel im Olympiastadion das Beste war, was der Abend hergab. Erzähl uns von diesem ersten Stadionbesuch und warum du wiedergekommen bist.

HenryHm, was habe ich da denn erzählt? Naja, ganz falsch ist es ja nicht. Vereinsfußball fand für mich in Berlin Anfang bis Mitte der Neunziger praktisch nicht statt. Der BFC, zu dem ich manchmal in den 80ern noch gegangen bin, war für mich nicht mehr erträglich, zu Union hatte ich noch nie eine Beziehung, und der Rest der Berliner Vereine war irgendwie nicht wahrnehmbar.
Aber anders als deine Frage andeutet, bin ich schon gezielt ins Stadion gegangen. Ich weiß allerdings nicht mehr, wer der Gegner war. Was ich allerdings noch weiß ist, dass Hertha gewonnen hat und dass vielleicht 10.000 Zuschauer im Stadion waren. Vielleicht nur zur Erinnerung die Namen von zwei, drei Spielern, die auch überregional noch einen kleinen Bekanntheitsgrad haben könnten: der Stürmer Axel Kruse, der Keeper Christian Fiedler und der zum Verteidiger umgeschulte Jolly Sverrisson. Sowie ein gewisser Michael Preetz.
Offensichtlich war es kein sonderlich erinnerungswürdiger Kick. Aber immerhin hat er dafür gesorgt, dass ich wiederkommen wollte. Und das tat ich dann auch, regelmäßig. Und ich konnte zusehen, wie sich die Besucherzahl Schritt für Schritt immer weiter erhöhte. Das Ganze gipfelte dann in der für alle Herthaner inzwischen legendären Partie gegen den 1. FC Kaiserslautern, einem Montagsspiel, bei dem auch lange nach Anpfiff dem Ansturm der Massen folgend Block um Block geöffnet wurde, bis das Stadion restlos gefüllt war. 74.000 sahen einen 2:0 Heimsieg, der die Tür zum Aufstieg weit aufstieß. War eine geile Saison.

Herthaner würden die alte Dame wählen. (Foto: HS)

Herthaner würden die alte Dame wählen. (Foto: HS)

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Zusammen mit Steffen und Micha betreibst du den Podcast „Damenwahl Berlin“. Als Grund hast du mal in einem Interview angegeben, du warst es leid, die herablassenden Berichte über den Hauptstadtclub in überregionalen Medien zu lesen. Wie berichtet ihr über den Club? Und woher kennt ihr Drei euch ursprünglich?

Wir berichten so, wie sich Fußballfans auch am Stammtisch unterhalten: mal analytisch, mal emotional, mal ganz sachlich, dann wieder extrem subjektiv, mal ruhig, mal aufgeregt. Hoffentlich jedoch nie langweilig. Aber eigentlich ist es wohl öfter als notwendig so eine Art Schmerztherapie. Gegenseitiges Wundenlecken und Rückenkraulen.
Kennengelernt haben Steffen und ich uns auf dem Twitterstammtisch Berlin, dem #tpber. Zuerst waren Steffen und ich alleine, etwas später ist Michael dazu gestoßen. Auch er war vorher ein ständiger Gast auf dem Twitterstammtisch. Dazu laden wir uns regelmäßig Gäste ein: andere Herthaner, Fans anderer Vereine, aber auch Journalisten und Vereinsvertreter.

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In der Fußnote eurer Homepage steht das wunderbare Zitat: „Irgendwann wird mich dieser Verein noch ins Grab treiben“ – anonymer Fußballfan. Wunderbar, weil es auf jeden Club übertragbar ist. Und dann finde ich „treiben“ auch so viel deutlicher als „bringen“. Warum geht es trotzdem nicht ohne die alte Dame und den Fußball?

Wat willste machen? Nützt ja nüscht. Muss ja. Ohne Hertha isses ja ooch scheiße.

Dárdai als Spieler der Hertha. (Foto: Steindy / CC BY-SA 3.0)

Dárdai als Spieler der Hertha. (Foto: Steindy / CC BY-SA 3.0)

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In den 2010er Jahren ging es im Hauptstadtclub noch eher turbulent zu: Auf- und Abstiege, das wohl bekannteste Relegationsspiel der Neuzeit und öffentlicher Zoff zwischen Manager Michael Preetz und diversen Trainern. Seit Pál Dárdai als Trainer übernommen hat, scheint Ruhe eingekehrt zu sein. Was macht der Trainer richtig? Und was hat sich im Hintergrund verbessert, wie haben die Verantwortlichen sich gefangen?

Eigentlich gab es nur mit einem Trainer richtig Zoff. Das war Markus Babbel. Diese Koryphäe der Trainerzunft kann seine überragenden Qualitäten nun in der australischen Liga unter Beweis stellen. Über die Umstände des Machtwechsels von Manager Dieter Hoeneß zu Preetz im Sommer 2009 und die dramatische finanzielle Schieflage, die der Manager hinterlassen hat, ließen sich Bände füllen. Holprig waren der Übergang und die ersten Jahre auf jeden Fall. Der alte Manager hat kein geordnetes Haus übergeben und dem neuen Manager, der damals auch zielsicher in einige Fettnäpfchen trat, fehlten zu Beginn Erfahrung und Mittel, das Desaster abzuwenden. Es dauerte zwei Abstiege und zwei Aufstiege, bis sich das System wieder gefangen hatte.
Pál Dárdai kam dann zum genau richtigen Zeitpunkt. Dárdai, im Januar 1997 mit gerade mal 20 Jahren nach Berlin gewechselt, steht wie kaum ein anderer derzeit für Hertha BSC. Nach seiner aktiven Karriere begann er seine Trainerlaufbahn. Er befolgte den Rat seines Vaters, der auch Trainer war: „Beginne mit den Kindern.“ Also startete er seine Trainerlaufbahn in der Jugendabteilung von Hertha BSC. Zum Zeitpunkt seines Wechsels zum Cheftrainer stand er gerade dem Jahrgang vor, der derzeit die Augen vieler Herthaner leuchten lässt: den 99ers. Und die zieht er jetzt Schritt für Schritt hoch in den Männerbereich. Im Hintergrund hat Preetz nach der One-Man-Show Hoeneß die Strukturen verändert, ein neues Betriebsklima geschaffen, andere Verantwortlichkeiten gesetzt. Das war ein andauernder Prozess, der eigentlich auch nie ein Ende findet.

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Bei der Mitgliederversammlung im November konnte Finanzgeschäftsführer Ingo Schiller sowohl den ersten Gewinn nach Steuern seit 2014 verkünden, als auch, dass der eingetragene Verein Hertha BSC den Finanzinvestor KKR ausbezahlt hat und nun wieder 100 Prozent der Anteile der Hertha BSC & Co. KGaA hält. Was bedeutet die Loslösung vom Investor für den Verein und wie ist die finanzielle Stabilisierung gelungen?

Der Investor KKR war für Hertha ein Glücksgriff. Vom ersten Tag bis zum endgültigen Ausscheiden war von KKR nicht ein einziges Wort in der Öffentlichkeit über das Engagement bei Hertha zu hören. KKR hat geholfen, als die Hilfe nötig war, und sie sind mit dem verzinsten Einsatz ihres Investments wieder aus der Teilhaberschaft entlassen worden. Was will man mehr? Diese Jahre konnte Finanzchef Schiller nutzen, die finanzielle Sanierung des Vereins fortzusetzen. Einfach ist das nicht, und es werden derzeit auch wieder Schulden gemacht. Wollen wir mal hoffen, dass nicht wieder der alte Schlendrian einreißt.
Derzeit gehören wieder alle Anteile der KGaA dem Verein Hertha BSC. Die Geschäftsführung ist aber auf der Suche nach einem neuen Investor, der dann für das neue Paket einen wesentlich höheren Preis zahlen müssen wird, als es KKR damals getan hat.

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Beim Auswärtsspiel in Dortmund im Dezember wurden im Fanblock Bengalos abgebrannt. Die Polizei ist in den Block gegangen, was sehr ungewöhnlich ist, es kam zweifellos zu unschönen Szenen, die aber ebenso zweifellos im Nachhinein extrem hochgespielt wurden. Der Verein hat sich, so das Gefühl vieler Fans, damals gegen die Szene gestellt und im nächsten Heimspiel Fahnen und Banner verboten. Wurde die Geschichte aufgearbeitet und wie ist die Stimmung zwischen Verein und Fans aktuell?

Nach jenem Wochenende droschen sich beide Seiten, Vereinsführung und Fans, erstmal ihre gegenseitige Abneigung um die Ohren. Es waren keine schönen Tage. Aber nicht lange später taten sie das einzig Vernünftige: Sie trafen sich an einem ruhigen Ort und redeten miteinander. Seitdem hat sich die Stimmung wesentlich gebessert. Es hat auf beiden Seiten ein Einsehen gegeben, dass es keine Lösung sein kann, gegeneinander zu agieren. Zum Wohle des Vereins haben sie sich zusammengerauft.

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Die Hertha ist richtig gut in die Saison gestartet: In den ersten fünf Spielen gab es drei Siege, ein Unentschieden und erst am fünften Spieltag eine Niederlage gegen Bremen. Dann gelang ein Sieg gegen die Bayern, auf den mit einer Serie von Unentschieden und Niederlagen eine Delle folgte. Erst am 13. Spieltag gab’s wieder einen Dreier. Was lief in der Phase schief?

Zu Beginn der Saison konnte Hertha über das Zentrum ein sehr druckvolles Spiel aufbauen. Das wiederum entlastete die beiden Außen, die anders als in den Jahren zuvor nicht die Hauptlast der Offensive zu tragen hatten. Somit boten sich tolle Optionen im Angriffsspiel über die beiden Flügel.
Später konnte diese Spielweise nicht aufrechterhalten werden. Mangels Dominanz im Zentrum genügte es der gegnerischen Verteidigung meist, die Außen zuzustellen und damit das Angriffsspiel von Hertha wirksam zu behindern. Nicht zufällig fiel die Verletzung von Marko Grujic genau in diese Phase.

Blauweiße Berliner erwarten rotweiße Mainzer. (Foto: HS)

Blauweiße Berliner erwarten rotweiße Mainzer. (Foto: HS)

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In der Rückrunde gab’s eine Niederlagen gegen Wolfsburg, Siege in Nürnberg und Gladbach, das Unentschieden gegen Bremen und nach dem Aus gegen die Bayern im Pokal nun auch in der Liga eine Niederlage, die aber vermeidbar schien. Wie bewertest du die bisherige Saison insgesamt? Sehen wir da ein Team in der Entwicklung oder eines, das bisweilen unter seinen Möglichkeiten bleibt?

Wir sehen ein Team in der Entwicklung, aber mit manchmal stotterndem Motor. Es hängt noch zu viel davon ab, ob alle Leistungsträger an Bord sind. Hertha ist – wie die meisten Mannschaften der Liga – nicht oder nur eingeschränkt in der Lage, Verletzungsausfälle kompensieren zu können.
Leider hängt aber auch viel davon ab, ob auf der anderen Seite des Platzes die Spitzenteams stehen oder die Schlusslichter. Gegen die Ligaführenden tut sich Hertha in dieser Saison wesentlich leichter. Muss eine Kopfsache sein.

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Aktuell steht Hertha BSC mit 32 Punkten auf Tabellenplatz zehn und damit zwei Zähler und eine Position vor Mainz 05. Wie zufrieden ist das Umfeld mit dem oft als Niemandsland der Tabelle ausgerufenen hinteren Mittelfeld und wo will Dárdai mit dieser Mannschaft hin?

Das Ziel war ein einstelliger Tabellenplatz. Nicht ausgesprochen, aber sicher angestrebt, möchte die Mannschaft sicherlich auch gerne einen Europapokalrang erreichen. Machbar ist das sicherlich. Das Umfeld scheint mir angesichts der deutlichen spielerischen Entwicklung dieses Jahr die Situation weitaus wohlwollender zu begleiten als in früheren Spielzeiten. Die spielerischen Ausschläge sind größer. Und es sind eben regelmäßig echte Highlights zu erleben. Das wird honoriert.

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Im Spiel gegen Mainz 05 am Samstag muss Dárdai auf Karim Rekik verzichten. Der hatte im Spiel gegen die Bayern Robert Lewandowski geschubst, nachdem der ihn zuvor mit dem Fuß am Kopf getroffen hatte. Lewandowski hat darauf mit der leider üblichen Theatralik reagiert. Wie sehr nervt einerseits dieser Reflex, sich sofort das Gesicht zu halten, als würden sonst alle Zähne auf den Rasen fallen? Und wie schwer wiegt die Sperre des Verteidigers?

Wir drei vom Podcast haben Lewandowski via Twitter gute und schnelle Genesung ob seiner schweren Gesichtsverletzung gewünscht. Hoffentlich werden sich keine dauerhaften Schäden einstellen. Come back stronger, Robi! Für ein Spiel werden wird Rekiks Ausfall hoffentlich kompensieren können. Aber der Mann ist eine Wucht. Leider wird wohl auch Jordan Torunarigha fehlen. Nicht schön, aber auch nicht zu ändern.

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Auch wenn es für die Hertha zuletzt eine Niederlage setzte, am Samstag stehen sich in Berlin zwei Mannschaften gegenüber, die aktuell gut drauf sind. Mainz kommt mit dem Rückenwind vom Sieg gegen Schalke und neun Punkten aus fünf Rückrundenspielen, die Berliner haben es gegen München gut gemacht, haben daheim aber seit dem 8. Dezember nicht mehr gewonnen. Was für ein Spiel erwartest du und wer wird als Sieger vom Platz gehen?

Ich erwarte nicht gerade einen fußballerischen Leckerbissen, sondern eher einen zähen Brocken. Die beiden Mannschaften haben in ihren Spielen gegeneinander Fußball immer mehr gearbeitet als zelebriert. Am Ende gewinnt natürlich Hertha. Es wird einfach mal wieder Zeit.

KOMPAKT
Die Hertha ist der beste Club der Welt, weil … Wer auf so eine Frage eine schlüssige Antwort weiß sammelt auch Briefmarken.
Was ich an unserem Stadion besonders liebe… sind die Erinnerungen, die ich damit verbinde.
Mein ewiger Lieblingsspieler ist eindeutig … Marcelinho. Über den Tellerrand gesehen wohl Zinedine Zidane.
Wer Berlin besucht, sollte unbedingt … den Marco-Polo-Reiseführer mit den „Geheimtipps“ verbrennen und einfach drauflosstiefeln.
Besonders lecker essen Gästefans … bei meiner Mutter. Aber ich sage nicht, wo sie wohnt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Alle als Clowns nach Berlin! (Quelle: Q-Block)

Alle als Clowns nach Berlin! (Quelle: Q-Block)

LETZTE WORTE
Für den FSV Mainz 05 hat es quasi schon Tradition: An Fastnacht spielen die 05er in aller Regel auswärts. Das hält natürlich niemanden davon ab, sich zu verkleiden. Erlaubt ist, was gefällt, der Q-Block ruft aber launig alle dazu auf, als Clowns nach Berlin zu kommen.
So oder so, wir sehen uns im Block!

05-Gegnerbetrachtung: VfL-Liebe, egal, was andere sagen

Die Gegnerbetrachtung ist zurück. Vor jedem Auswärtsspiel des 1. FSV Mainz 05 spreche ich mit PodcasterInnen, JournalistInnen oder BloggerInnen aus dem Umfeld des gastgebenden Vereins. Diesmal erzählt mir Antonia Menge von ihrer Liebe zum VfL Wolfsburg.

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AntoniaHallo Antonia, danke, dass du dir die Zeit für die Gegnerbetrachtung nimmst. Du beschreibst dich auf Twitter als „professionelle Werksclub-Feministin“. Wie bist du zum VfL Wolfsburg geworden und warum gehört Feminismus (auch) in den Fußball?

Die Antwort darauf, wie ich zum VfL gekommen bin, ist leider jedes Mal gleich langweilig: Ich wohne hier halt. Mein Vater hat den VfL immer verfolgt, ich als Kind sporadisch, und dann irgendwann richtig. Es ist schwer, dran vorbeizukommen – vor allem in der Meister-Saison 2008/09! Und Feminismus gehört so lange in den Fußball, bis ich wegen Stau zu spät ins Stadion kommen kann und nicht von wildfremden Männern hören muss: „Na, hat das Schminken zu lange gedauert?“

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Du gehörst aktuell zum Stab der Bundesliga-Fan-Experten, die für Spiegel Online vor jedem Spieltag eine Prognose über ihr Team abgeben. Wird das dein Einstieg als Sportjournalistin – oder bleibt der VfL ein reines Hobby für dich?

Ich habe schon seit 2015 immer mal wieder kleine Nebenjobs im Sportjournalismus, die mir wirklich riesig Spaß machen und für die ich sehr dankbar bin. Allerdings studiere ich Psychologie und das ist mein Berufswunsch. Ich könnte mir nicht vorstellen, mich hauptberuflich mit dem VfL zu beschäftigen. Die hängen mir schon als Hobby ab und zu zum Hals raus. ;)

Das Stadion in Wolfsburg bei der letzten Begegnung mit Mainz 05. (Foto: Rheinhessen on Tour)

Das Stadion in Wolfsburg bei der letzten Begegnung mit Mainz 05. (Foto: Rheinhessen on Tour)

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Für mein Empfinden gibt’s aktuell in der Bundesliga zwei Arten von Vereinen, über die gern gelästert wird: Solche, die andere Fans als langweilig empfinden und solche, die andere Fans als Plastikclubs empfinden. Mainz gehört in der Wahrnehmung oft zu den ersten, Wolfsburg zu den zweiten. Interessiert es dich persönlich, wie dein Verein von anderen wahrgenommen wird? Und wie siehst du die Diskussion um Werksclubs und Mäzene?

Überhaupt nicht. Vor ein paar Jahren hatte ich noch das Bedürfnis diese Diskussionen zu führen. Ja, ich bin wirklich Fan. Nein, nicht nur wenn sie erfolgreich sind. Nein, wir könnten nicht mit dem Geld von VW einfach mal Ronaldo kaufen. Wolfsburg wird immer Volkswagen sein und der VfL somit auch. Ich kenne kaum eine Stadt, bei der das Verhältnis von Arbeitgeber, Stadt und Verein so eng ist. Aber ich reagiere auf diese Vorwürfe nicht mehr. Es bringt nichts etwas zu erklären, was niemand verstehen will. Jeder, der hier war – ob Fan, Spieler oder Manager –, weiß das. Das reicht mir. Es interessiert mich nicht, wer meinen Verein als ätzend, langweilig oder als den Zerstörer des Fußballs empfindet. Ich finde die drei mitgliedsstärksten Vereine Deutschlands nämlich auch nicht so geil. Beschwere ich mich ja trotzdem nicht drüber.

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In der vergangenen Saison sah es lange nicht gut aus für den VfL. Am Ende ging der Verein mit Bruno Labbadia als drittem Trainer in die Relegation und konnte gegen Kiel die Klasse halten. Was haben die Verantwortlichen deiner Meinung nach aus dieser Saison gelernt und wie beurteilst du deren aktuelle Zusammensetzung?

Die zweite Relegation in Folge und eine Saison, die es irgendwie geschafft hat NOCH schlimmer zu sein als die 2016/17, hat den Verantwortlichen vor allem Demut gelehrt. Bisher sieht es ja ganz gut aus und trotzdem wurde das offizielle Ziel (gesichertes Mittelfeld) noch nicht nach oben korrigiert. Das wäre früher anders gewesen. Mit Bruno Labbadia, Jörg Schmadtke, Marcel Schäfer und dem aktuellen Kader zeigt der VfL endlich die Werte, für die er schon seit Jahren zu stehen versucht: Arbeit, Fußball, Leidenschaft.

Das Motto des VfL: Arbeit, Fußball, Leidenschaft. (Foto: VfL Wolfsburg)

Das Motto des VfL: Arbeit, Fußball, Leidenschaft. (Foto: VfL Wolfsburg)

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Zwischen Bruno Labbadia und den Wolfsburger Fans war das zunächst nicht unbedingt eine Liebesbeziehung. Woran lag das aus deiner Sicht, wie ist es aktuell – und welche Meinung hast du selbst zu eurem Trainer?

Bruno Labbadia kam als dritter Trainer der Saison zum VfL, nachdem Martin Schmidt das Handtuch warf, was aber kaum ein Fan wollte. Dann musste man sich also wieder an einen neuen Trainer gewöhnen, bei dem alles an der Verpflichtung nach „Plan Y“ klang. Und dieser neue Trainer konnte erstmal (Überraschung) auch aus der Trümmertruppe keine Glanzleistungen bringen. So wenig ich diese Schmähgesänge gutheißen möchte: Man muss die ganze Situation betrachten. Ich bin froh, dass Labbadia das richtig einzuordnen wusste und es jetzt besser läuft. Das kann man ihm nur hoch anrechnen! Ich muss allerdings zugeben, dass ich noch nicht vollends überzeugt bin. Ich mag die Spielweise, die er spielen lässt, finde es aber vor allem in der Rückrunde auffällig, dass es ihm bisher nicht gelang, im Spiel Fehler zu korrigieren. Und sein Faible für William – naja…

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Nach dem Auswärtssieg gegen Hertha BSC stand Wolfsburg am Ende des 20. Spieltags mit 31 Punkten auf Rang sechs. Das ist insofern bemerkenswert, als in der kompletten Vorsaison 30 Punkte gesammelt wurden. Hättest du mit einer so viel ruhigeren Saison gerechnet? Wer hat daran die größten Anteile?

Das ist wirklich Wahnsinn und der Beweis, WIE schlecht wir in der letzten Saison waren. Wir stehen übrigens auch schon bei neun Siegen – letzte Saison waren es nach 34 Spieltagen nur sechs. Ich habe damit überhaupt nicht gerechnet, dem „Umbruch“, bei dem sowohl der Trainer als auch gefühlt der ganze Kader blieb, hatte ich nicht zu viel zugetraut. Ich habe nicht nur Bruno Labbadia, sondern vor allem Jörg Schmadtke und die Qualität seiner Transfers (Jerome Roussillon, Daniel Ginczek, Wout Weghorst) unterschätzt. Ich kann nicht sagen, wer die größten Anteile an der bisher wirklich guten Saison hat, es sieht von außen wie eine gelungene Kombination von allem aus.

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Die vergangene Woche war dann für Fans der Wölfe eher nervig. Erst das Aus im DFB-Pokal gegen RB Leipzig und dann ein Unentschieden gegen Freiburg. In der Bundesligapartie war’s am Ende sogar knapp, trotz mehrfacher Führung. Wie erklärst du dir die Schwankungen?

So eine Veränderung von Grund auf klappt halt nicht in einem Sommer. Vor allem die Spieler, die schon seit 2 Jahren bei uns spielen, sieht man manchmal in alte Muster verfallen und die ziehen dann natürlich auch die anderen runter. Das Aus im DFB-Pokal war bisher vermutlich das ärgerlichste Spiel der Saison, weil die Leistung grottenschlecht und der Wille wenig bis gar nicht zu erkennen war. Das war gegen Freiburg dann wieder anders – immer wieder den Ausgleich zu kassieren, ist zwar ätzend, aber diese Spiele hätten wir letzte Saison auf jeden Fall verloren. So lange diese Schwankungen nicht überhand gewinnen, kann man sie verzeihen.

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Wie beurteilst du euren aktuellen Kader? Welche Spieler würdest du hervorheben und auf welcher Position habt ihr vielleicht Nachholbedarf?

Auch wenn ich nicht glaube, dass dieser Kader für ein Erreichen des Europapokals reicht, halte ich doch ziemlich viel von ihm. Wir dürften so nichts mit dem Abstieg zu tun haben – und das ist wirklich das Wichtigste. Von den Neuzugängen bin ich vor allem von Jerome Roussillon begeistert – einer der besten Linksverteidiger dieser Bundesliga-Saison, und das für fünf Millionen! Aber auch die Spieler, die mit uns zweimal 16. geworden sind, sind teilweise kaum wieder zu erkennen. Vor allem Yannick Gerhardt und Admir Mehmedi wissen zu überzeugen. Wir brauchen allerdings definitiv einen neuen Rechtsverteidiger – gefühlt war William diese Saison mit Brooks an 90% der Gegentore Schuld und er hat mit Paul Verhaegh und Sebastian Jung einfach nicht genug Konkurrenz um seinen Startelfplatz.

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Bruno Labbadia ist nicht unbedingt als ein Trainer bekannt, der junge Talente fördert. Was traust du im mit dem VfL Wolfsburg zu und glaubst du, er ist ein Coach, der auf Dauer die Geschicke des Vereins mitlenken kann? Wie sichtbar ist seine Handschrift aktuell?

Ich habe schon das Gefühl, dass Labbadia versucht, junge Talente einzubinden. Gian-Luca Itter, Felix Uduokhai und John Yeboa sind auf ihre Einsätze gekommen – und das nicht nur durch eine Einwechslung in der 89. Minute. Vor allem herauszuheben ist hier aber natürlich Elvis Rexhbecaj, der schon 15 Mal gespielt hat diese Saison. Ob Labbadia derjenige sein wird, der auch im Verein Dinge verändert, weiß ich nicht. Er wird auf jeden Fall die Chance dazu bekommen – auch in einer längeren sieglosen Serie wurde er von den Verantwortlichen nicht in Frage gestellt.

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Mit Yunus Malli hat Wolfsburg einen ehemaligen 05er im Kader, der in Mainz mehr oder weniger Stammspieler war, in Wolfsburg aber meist die Bank warmhält. Wieso kommt er unter Labbadia nicht zum Einsatz?

Das Problem mit Yunus Malli ist leider seine fehlende Konstanz. Anfangs hat er einfach nicht ins System gepasst, das hatte gar nicht unbedingt etwas mit ihm zutun, aber die Chancen, die er bekommt, nutzt er leider selten. Mal ein gutes Spiel reicht dann leider auch nicht, um die schwachen Leistungen auszugleichen. Diese Probleme hatte er ja aber bei uns bei jedem Trainer, außer in der Phase mit Martin Schmidt.

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Welche Lehren wird Bruno Labbadia aus den beiden durchwachsenen letzten Spielen ziehen? Auf was für eine Taktik sollte sich Sandro Schwarz mit seiner Mannschaft einstellen und was für ein Ergebnis erwartest du im Heimspiel?

Dass es mal wieder Zeit für einen Sieg wäre! Die Tore sind gegen Freiburg gefallen, jetzt muss nur die Defensive stabiler stehen. Ich schätze, dass darauf der Fokus liegen wird, und das Spiel daher etwas zäh sein könnte. Ich bin aber für meine Verhältnisse vorsichtig optimistisch und sage: 2:1.

KOMPAKT
Der VfL Wolfsburg ist der beste Club der Welt, weil … wir nicht so tun, als wären wir Etwas, was wir gar nicht sind.
Was ich an unserem Stadion besonders liebe, ist … dass es sich, egal wie schlecht das Spiel auch sein mag, immer wie zuhause anfühlt.
Mein ewiger Lieblingsspieler ist eindeutig … Josuha Guilavogui.
Wer Wolfsburg besucht, sollte unbedingt … unvoreingenommen an die Sache rangehen. ;)
Besonders lecker essen Gästefans … im Eat With Heart!

Vielen Dank für das Gespräch!

Barreiro nach der Unterschrift seines Profivertrages im November 2018. (Foto: Mainz 05)

Barreiro nach der Unterschrift seines Profivertrages im November 2018. (Foto: Mainz 05)

LETZTE WORTE
Mit Leandro Barreiro hat nach Jonathan Burkardt und Ahmet Gürleyen in dieser Saison bereits der dritte Spieler aus dem Nachwuchsleistungszentrum des FSV Mainz 05 sein Debüt bei den Profis gefeiert. Die mit der Wahl von Vereinsvorsitzendem Stefan Hofmann erneuerte Ausrichtung des Vereins, stark auf die Kicker aus dem eigenen NLZ zu setzen, wird konsequent vorangetrieben.

Für den Youngster war es zwar ein undankbarer Auftakt, seine Leistung und der Einsatz stimmten aber. Rouven Schröder kommentierte Barreiros Einsatz im Anschluss folgendermaßen: „Das ist für alle ein Riesending. Einen aus dem Jahrgang 2000 in der Bundesliga einzusetzen, wünscht man sich einfach. Und der Trainer stellt ihn ja nicht umsonst auf. Man sieht’s im Training, wie Leandro das umsetzt. Das ist alles sehr positiv.“

05-Gegnerbetrachtung: Feuer in der Puppenkiste

Die Gegnerbetrachtung ist zurück. Vor jedem Auswärtsspiel des 1. FSV Mainz 05 spreche ich mit PodcasterInnen, JournalistInnen oder BloggerInnen aus dem Umfeld des gastgebenden Vereins. Heute erklärt mir Kristell Gnahm vom Podcast „Auf die Zirbelnuss“ die Krise des FC Augsburg.

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Hallo Kristell, schön, dass du dir die Zeit für meine Fragen nimmst. Du bist gebürtige Augsburgerin und seit vielen Jahren Fan des FCA. Bist du so ganz klassisch auf Papas Schultern zum ersten Mal ins Stadion, oder wie ging diese Liebe los?

DSC_0128_1 (2)Mein Papa war meines Wissens erst einmal in seinem Leben im Fußballstadion, nämlich auf Einladung und Drängen meiner Schwester und mir. Tatsächlich ist in meiner Familie die Fußballbegeisterung mütterlicherseits vererbt: Meine Mama kommt aus Frankreich und in ihrer Familie guckt jeder Fußball, zwei meiner Cousins waren früher sogar Profis, allerdings unterklassig. Dass ich den FCA entdeckt habe, habe ich aber meiner Schwester zu verdanken, die mich irgendwann zu Beginn der Zweitliga-Zeiten des FCA mit in die Rosenau genommen hat, weil sie Freikarten gewonnen hatte. Ab da gingen wir immer wieder und immer öfter hin, weil es einfach schön war: Das alte Stadion mitten in der Stadt, die Ur-Augsburger um uns herum mit ihrer Grantelei, der eher hemdsärmelige Kampffußball der Jungs auf dem Rasen – das hat mich sehr schnell in seinen Bann gezogen. Seitdem bin ich dabei, und weder schlimme Trainer (Holger Fach!) noch der Umzug ins neue Stadion auf dem Lechfeld draußen vor der Stadt haben es geschafft, mir die Zirbelnuss aus dem Herzen zu entfernen.

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Inzwischen bist du selbst zweifache Mutter. Wer dir auf Twitter folgt, kennt deine Kinder als Hashtag: #fcababys. Wie läuft die heimische Sozialisation und hast du manchmal Angst, eure Dötze an den großen, bayerischen Nachbarn zu verlieren?

Diese Angst begleitet mich natürlich, dass eines Tages eine meiner Töchter verkündet: Der FCA ist doof, ich bin ab jetzt Bayern-Fan. Die fliegt dann halt leider raus. Scherz beiseite, solange sie nicht zu den Löwen hält, darf sie bleiben. ;) Ich habe mein Möglichstes getan und beide Kinder am Tag ihrer Geburt beim FCA als Mitglied angemeldet, sie sind mit FCA-Fan-Utensilien eingekleidet, haben Schnuller mit dem Vereinswappen und manchmal singe ich ihnen die Hymne zum Einschlafen vor. Die Große erkennt schon viele Spieler, und auch wenn Marvin Hitz ihr das Herz gebrochen hat mit seinem Wechsel nach Dortmund, schaut sie gern zu, wenn wir zuhause gucken. Und beim Familientag, der traditionell rund ums letzte Testspiel vor Saisonstart im Stadion stattfindet, darf sie auch immer mit und feiert das ausgiebig. Für Punktspiele, vor allem im Stehblock, sind beide noch zu klein, aber sobald sie 90 Minuten durchhalten, werden wir sicher mal in den Familienblock gehen mit ihnen. Ich tu also mein Bestes, meinen Kindern nicht nur eine Liebe zum Fußball zu vermitteln, sondern auch zum richtigen Verein. Ob’s am Ende was nützt oder gar keinen Fußball oder andere Vereine lieben, wird sich zeigen.

Zirbelnuss Logo

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Du betreibst den Blog „Wer FCA sagt…“, der allerdings schon eine Weile ruht. Außerdem bist du die Frau hinter dem FCA-Podcast „Auf die Zirbelnuss“. Wie hat es sich entwickelt, dass du dich mit dem Verein nicht nur privat, sondern auch medial beschäftigst?

Das war kompletter Zufall, denn ich wäre eigentlich nicht drauf gekommen, meine Gedanken zum FCA und zum Fußball öffentlich zu machen. Mein früherer Arbeitskollege Andreas Thies war aber beim damaligen mein-sportradio.de (inzwischen meinsportpodcast.de) aktiv und sprach mich an, ob ich nicht mal dort was zum FCA erzählen wollte im BuLi Special, einem Podcast, in dem vor jedem Spieltag alle Begegnungen kurz mit Fans der jeweiligen Vereine besprochen werden. Sie fanden einfach keine FCA-Fans, und ich sei die Einzige, die er kenne. Meine Reaktion war zunächst „ICH??? Über Fußball? Öffentlich?“, aber er versicherte mir, er sei überzeugt von meiner Kompetenz in diesem Bereich, also hab ich’s einfach probiert, und so weh tat es gar nicht. Damals entstanden auch immer mehr Vereinspodcasts, ich dachte mir, da darf der FCA nicht fehlen und so wurde die Zirbelnuss geboren, die ich zusammen mit ein paar treuen Mit-Fans seit mehreren Jahren mehr oder weniger regelmäßig produziere. Es macht uns immer wieder großen Spaß.

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Frauen als Journalistinnen und Expertinnen im Fußball, das ist ein Thema, was einerseits an Normalität gewinnt, andererseits aber immer noch viel diskutiert wird. Wie fühlst du dich als Frau im vermeintlichen Männerzirkus und welche Erfahrungen machst du? Findest du, es ist immer noch schwerer, als Frau tatsächlich ernst genommen zu werden in diesem Business?

Eine schwierige Frage. Ich höre ja immer wieder, dass Frauen, die sich aus der „frauentypischen“ Sphäre hinauswagen und über Dinge wie zum Beispiel Fußball sprechen, extremen Anfeindungen bis hin zu übelsten Beschimpfungen ausgesetzt sind. Erstaunlicherweise habe ich selbst solche Erfahrungen bisher nicht gemacht. Natürlich gab es schon mal Sprüche wie „Ach, ist ja auch mal außergewöhnlich, dass sich eine Frau so gut mit Fußball auskennt“, aber das ist ja nicht beleidigend. Ich schiebe diese Tatsache vor allem darauf, dass ich über den FC Augsburg spreche und der ist den Leuten außerhalb von Augsburg in Prinzip völlig egal. Da stört es auch nicht weiter, dass eine Frau sich äußert. Würde ich über den FCB oder den BVB sprechen, sähe das wahrscheinlich ganz anders aus.

Die Mainzer Fans im Oktober bei der Pokalpleite in Augsburg. (Foto: Rheinhessen on Tour)

Die Mainzer Fans im Oktober bei der Pokalpleite in Augsburg. (Foto: Rheinhessen on Tour)

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Augsburg gehört wie Mainz zu den Vereinen, deren Faszination Außenstehenden wohl für immer verborgen bleiben wird. Das war kürzlich im Twitter-Universum schön zu sehen, als beide Verein in der #TraumBundesliga vieler Fans keine Rolle spielten. Kratzt dich sowas?

Natürlich hinterlässt das ein blödes Gefühl. Es erinnert an die entwürdigende Situation im Sportunterricht, wenn man als letztes noch aus der Bank saß, weil keiner dich ins Team gewählt hat. Aber wenn ich mich dann mal frei mache von der Kränkung sehe ich natürlich ein, dass es da nicht um mich geht, sondern darum, dass der FC Augsburg nun mal sehr neu ist auf der großen Fußballbühne und daher noch nicht viel Zeit hatte, außerhalb Augsburgs viele Emotionen auszulösen. Und hinter diesen Traumligen steckte im Grunde ja vor allem der Wunsch, eine Liga zu haben, in der man jeden Spieltag ein hochemotionales Spiel mit seinem Verein erlebt – da haben Vereine, die die Leute in ihrer Kindheit schon kennengelernt haben, viel mehr emotionales Potential – im Positiven wie im Negativen – als der FC Augsburg, der bis vor wenigen Jahren über die Grenzen von Bayern hinaus kaum eine Rolle spielte, wenn man die Zeit von Helmut Haller außer Acht lässt.

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Nicht permanent im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, kann aber auch Vorteile haben oder eben Beleg dafür sein, dass alles planmäßig funktioniert. Beim FCA schien das in den letzten Jahren zuzutreffen, aktuell so gar nicht mehr. Fangen wir mit dem Sportlichen an: Wieso läuft es diese Saison plötzlich nicht mehr so rund wie in den Jahren zuvor? Was hat Baum spielerisch verändert, wo siehst du Kaderprobleme?

Baum hat wenig verändert und Kaderprobleme hatten wir bis vor Kurzem auch nicht unbedingt. Unsere Ausgangssituation vor der Saison war hervorragend, sogar so gut, dass uns erstmals seit unserem Aufstieg in die Bundesliga so gut wie keiner als Abstiegskandidat getippt hat. Ich glaube, das ist unser Problem: Wir sind viel zu selbstsicher in die Saison gegangen, man hörte von einigen Spielern sogar Dinge wie: „Natürlich erstmal den Klassenerhalt sichern, aber dann wollen wir schauen, was mit dem Kader noch alles möglich ist.“ Das war in meinen Augen der Fehler. Man hat sich viel zu lang damit geblendet, dass der FCA in den meisten Spielen mindestens gleich stark, oft sogar der bessere auf dem Platz war – aber leider entweder durch individuelle Fehler oder durch späte, unglückliche Gegentore doch als Verlierer vom Platz ging. Aus dieser Ergebniskrise ist dann spätestens mit Start der Rückrunde eine veritable sportliche Krise geworden, denn die Niederlage gegen Düsseldorf zum Auftakt war eine Offenbarung im negativen Sinne.

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Auch sonst gab es zuletzt massive Unruhe. So hat Martin Hinteregger am Wochenende nach der 0:2-Niederlage gegen Gladbach offenbar nichts Positives gefunden, was er über Manuel Baum sagen kann. Was läuft da deiner Ansicht nach schief zwischen Trainer und Team?

Natürlich bin ich in der Kabine nicht dabei und kann auch nur von außen beurteilen, was da abläuft. Aber ich habe das Gefühl, dass der vielbeschworene Zusammenhalt im Team und im Verein insgesamt ins Wanken geraten ist und nicht nur Hinteregger anfängt, sich innerlich aus der Sache rauszuziehen. Das hat man auf dem Platz immer wieder gesehen zuletzt, dass eben nicht jeder mit 110% dabei ist, und das ist ja nun auch der Grund, warum Hintereggers Tage beim FCA als Folge unter anderem dieser Aussage gezählt sind. Ich werte das aber als Folge der oben beschriebenen völlig überzogenen Erwartungen an die Saison und die Tatsache, dass die meisten nun in der Phase des Erkennens sind, dass es eben doch wieder „nur“ der verdammte Abstiegskampf ist, den der FCA abzuliefern hat. Diese Erkenntnis scheint auch bei Baum und Reuter zumindest ihren Aussagen nach noch nicht völlig angekommen zu sein.

Das Spiel des FCA gegen Mainz 05 ist das erste mit Co-Trainer Jens Lehmann. (Foto: WP)

Das Spiel des FCA gegen Mainz 05 ist das erste mit Co-Trainer Jens Lehmann. (Foto: WP)

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Um den aktuellen Negativtrend zu stoppen, wurde Jens Lehmann als Co-Trainer verpflichtet. Salopp gesagt hat man von dem in den letzten Jahren ja hauptsächlich blöde Sprüche gehört – sportlich blieb da wenig in Erinnerung. Wie beurteilst du diese Maßnahme? Und ist sie der Anfang vom Ende der Ära Baum?

Ich stehe dem Ganzen mit gemischten Gefühlen gegenüber. Einerseits schätze ich am FCA sehr, dass er sich den üblichen Mechanismen des Fußballgeschäfts entzieht und selten Trainer entlässt, bloß weil es sportlich gerade nicht so gut läuft. Beim FCA wird üblicherweise viel vertraut, solange die Akteure einen plausiblen Plan haben, wie es da wieder rausgehen soll. Und wenn es nun hilft, Manuel Baum als Trainer zu halten, dass man ihm einen Jens Lehmann zur Seite stellt, dann will ich das eben akzeptieren. Vielleicht schauen die Spieler zu ihm mehr auf, weil er noch präsenter ist als großer Spieler, vielleicht bringt er neue Ideen von Wenger mit, oder vielleicht kann er sie in der Kabine besser zusammenbrüllen, wenn sie sich den Allerwertesten nicht aufreißen. Was auch immer Reuter denkt, wenn es hilft, die Klasse zu halten, dann nehme ich auch einen Jens Lehmann. Andererseits mag ich ihn halt einfach nicht, hab ihn nie gemocht und tu mir schon schwer, ihm jetzt die Chance zu geben, bei der Rettung meines Herzvereins mitzuhelfen. Aber ich rede mir jetzt einfach so lange ein, dass er bestimmt Qualitäten hat, bis ich mir das glaube.

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Aktuell ermittelt nun auch der DFB-Kontrollausschuss gegen Baum, weil er sich am Samstag nach der Niederlage abfällig über das Schiedsrichtergespann geäußert hat. Andererseits hat der DFB in Person von Dr. Jochen Drees eingeräumt, es sei ein Fehler gewesen, das 1:0 durch Lars Stindl zu geben. Wie sauer macht dich sowas persönlich? Die Punkte sind ja nun mal so oder so verloren. Verstehst du Baum da?

Ein Stück weit verstehe ich Baum natürlich, so etwas ist ein Schlag in die Fresse, wenn du eh schon am Boden liegst. Allerdings empfinde ich so eine Kritik, noch dazu in dieser extremen Wortwahl, als unsouverän, denn Fehler passieren, und so schwer es fällt, muss man damit leider einfach leben. Es liegt ja nun nicht an den Schiedsrichtern, dass wir da stehen, wo wir stehen, und ob wir das Spiel tatsächlich über die Zeit gerettet hätten, wenn das Tor nicht gegeben worden wäre, weiß auch keiner. Beim bisherigen Saisonverlauf hätten wir einfach ein wenig später eines rein bekommen, das kein Abseits gewesen wäre, weil wir einfach keine Schlussphase überstehen und schon gar nicht zu Null spielen.

Spiele gegen den FCA waren schon oft eine Wundertüte für Mainz 05. (Foto: Meenzer on Tour)

Spiele gegen den FCA waren schon oft eine Wundertüte für Mainz 05. (Foto: Meenzer on Tour)

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Der letzte Aufreger war im Grunde nicht neu: Mittelfeldmann Caiuby, der seit Trainingsstart fehlte, wurde freigestellt. Ähnliche Probleme hatte es mit ihm häufiger gegeben, bislang hat der Verein ihn aber geschützt. Inwieweit ist auch das ein Trainerproblem, den Spieler nicht in den Griff zu kriegen? Oder ist Caiuby einfach unbelehrbar?

Caiuby ist sicherlich ein spezieller Charakter, der sich nicht zum ersten Mal etwas rausgenommen hat. Er hatte allerdings bisher den Trumpf im Ärmel, dass er nicht nur sportlich wichtig für das Team war, sondern auch auf dem Platz ausnahmslos vollsten Einsatz gezeigt hat und zumindest dadurch demonstrierte, dass er weiß, worauf es beim FCA ankommt. Das hat offensichtlich nun ein Ende gefunden, und vielleicht war es ein Fehler, dass man ihm schon früher solches Verhalten durchgehen ließ. Hinterher ist man immer schlauer, aber ich hätte wohl in Baums und Reuters Lage genauso gehandelt, weil es auch viel gab, was eben für Caiuby sprach. Dass nun nicht nur bei ihm, sondern auch bei Hinteregger recht drastisch durchgegriffen wird, belegt aber, dass nun ein anderer Wind herrscht, weil die Verantwortlichen wohl erkannt haben, dass sie die Zügel zu locker gelassen haben.

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Mittelfristig: Was glaubst du, wie die Saison für deinen FCA weitergeht? Kurzfristig: Welche taktischen Veränderungen erwartest du am Sonntag? Worauf muss sich der FSV einstellen? Und was ist dein Tipp fürs Spiel?

Für uns gilt es für den Rest der Saison, uns dem Abstieg mit allem was wir haben entgegen zu stemmen. Das wird nicht leicht werden, weil wir gefühlt noch nicht ganz im Abstiegskampf angekommen sind, zumindest nicht in der Wahrnehmung der Spieler. Es wird also weiterhin anstrengend und schmerzhaft. Der FSV darf sich aber auf einen Gegner einstellen, der in seinen besseren Phasen durchaus auf Augenhöhe mitspielen kann, und wenn der Fußballgott wohlwollend auf uns blickt und uns vielleicht einen Führungstreffer spendiert, könnte der eine oder andere Knoten platzen. Realistisch betrachtet erwarte ich aber eine eher defensive Einstellung und bei eurer derzeitigen Form spätestens ab der 75. Minute einen leider verdienten Sieg für euch.

KOMPAKT
Der FC Augsburg ist der beste Club der Welt, weil … wir kein Maskottchen und keinen Wimpel brauchen, aber unseren Gästen ihre Hymne spielen und dem Kapitän eine Marionette aus der Puppenkiste überreichen.
Was ich an unserem Stadion besonders liebe, ist … dass man Augsburg an allen Ecken und Enden spürt: an der grattligen Grummelei um mich herum, am kopfwehproduzierenden Stadionbier, an der Straßenbahnbimmelei vor den Ecken, an der nostalgisch abgefilmten Anzeigetafel aus der Rosenau und dem Wagner Josef, der den neuen Spielstand aufhängt, wenn der FCA ein Tor schießt.
Mein ewiger Lieblingsspieler ist eindeutig … Tobi Werner, Fußballgott.
Wer Augsburg besucht, sollte unbedingt … durch die Altstadt und die Innenstadt schlendern und sich die geschichtsträchtigen Hot Spots anschauen. Augsburg hat, ähnlich wie Mainz, eine jahrtausendealte Geschichte zu bieten.
Besonders lecker essen Gästefans … im Ratskeller im Keller des Rathauses – wenn es für eine Sightseeing-Tour nicht reicht, kann man wenigstens passable bayerisch-schwäbische Küche im ehemaligen Folterkeller genießen.

Vielen Dank für das Gespräch!

KOMPAKT
Kaum wartet man mal 114 Jahre, da stellt Mainz 05 auch schon die erste Fastnachtssitzung seiner Geschichte auf die Beine. Das wurde aber auch Zeit! Sahen anscheinend auch die Spieler so, die sich bei der von Klaus Hafner organisierten Narrengaudi bestens amüsierten. Helau.

|| Danke an Meenzer on Tour und Rheinhessen on Tour für die Fotos. ||

05-Gegnerbetrachtung: Den VfB-Brustring eng schnüren

Die Gegnerbetrachtung ist zurück. Vor jedem Auswärtsspiel des 1. FSV Mainz 05 spreche ich mit PodcasterInnen, JournalistInnen oder BloggerInnen aus dem Umfeld des gastgebenden Vereins. Diesmal beantwortet Jannick von Rund um den Brustring meine Fragen zum kriselnden VfB.

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Hallo Jannick, du schreibst und podcastest bei Rund um den Brustring zusammen mit vier KollegInnen über den VfB Stuttgart. Wie häufig veröffentlicht und sendet ihr? Habt ihr feste Formate? Und wie organisiert ihr euch untereinander? (Und wie überlebst du als Fußballfan eigentlich ohne Twitter-Account? Ich dachte, sowas gibt es gar nicht.)

15781262_1408290589195078_5620868780721062921_nServus Mara, erst einmal vielen Dank für deine Einladung. Wir nehmen alle zwei Wochen während der Saison einen Podcast auf. Geschriebene Berichte erscheinen nach jedem Spieltag. Zu aktuellen Themen rund um den Verein, wie zum Beispiel Transfers, auch in kürzeren Abständen. Unter anderem ist Lennart auch bei Amazon diese Saison als „VfB-Reporter“ nach den Spielen zu hören. Dies wird dann auch auf unserer Seite verlinkt. Des Weiteren gibt es auch mal ein „Special“, wie den doch sehr lesenswerten Hinrundenrückblick meiner Kollegin Jenni. Untereinander organisieren wir uns, da wir alle verteilt über den Südwesten leben, über soziale Netzwerke Whatsapp, Skype, Facebook – oder auch mal klassisch übers Telefon. Und ja, meine Kollegen haben das (mit Twitter) auch schon angemahnt. Irgendwie bin ich bisher um diesen „Twitterhype“ ganz gut rumgekommen, indem ich mir meine Infos für das Fandasein und Podcasten über andere Quellen wie verschiedenen Apps, Facebook oder Transfermarkt einhole. Und außerdem besitze ich auch noch, ganz old school, ein Kicker Print-Abo.

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In der Rückrunde habt ihr mit drei weiteren Fan-Podcasts die Viererkette veröffentlicht, angekündigt als größten VfB Stuttgart-Podcast aller Zeiten. Wer ist auf die Idee gekommen, die Kräfte hierfür zu bündeln? Wie kam das Experiment bei den HörerInnen an? Und wie bewertest du es in der Rückschau?

Die Idee für solch ein Projekt kam in einem Gespräch mit den Verantwortlichen der anderen Podcasts auf. Man kam da recht schnell auf einen gemeinsamen Nenner und sie war geboren. Die Hörer, mit denen ich gesprochen und kommuniziert habe, waren sehr positiv angetan! Besonders aufgrund der geballten Meinungsvielfalt. Auch fanden Sie, dass – trotz der schwierigen Situation rund um den VfB – in dieser Aufnahme die Objektivität gewahrt wurde. Das kann ich, obwohl ich leider hier nicht aktiv mitwirken konnte, ebenfalls bestätigen und so unterschreiben.

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Hinter jedem Podcaster/Blogger steht natürlich eine persönliche Fangeschichte. Wie lautet deine?

Wenn du hier in der Region aufwächst (Böblingen, circa 30 km vom Stadion entfernt), kommst du an diesem Verein gar nicht vorbei. Dennoch gibt es bei mir auch eine Initialzündung, ausgelöst, wie bei den Meisten, durch den Vater: Meine Fangeschichte beginnt im Herbst 2003, als ich quasi heimlich mit Hilfe meines Vaters (ebenfalls seit vielen Jahren VfB-Fan) das Champions-League Spiel gegen Manchester United im Fernsehen schauen durfte. Davor hatte ich bereits schon sporadisch den VfB, so gut es damals ging, verfolgt, meistens am Samstagnachmittag übers Radio. Das besagte Spiel gewann der VfB bekanntermaßen völlig überraschend 2:1! Es wird heute noch von vielen Fans als das beste Spiel aller Zeiten gesehen. Nach dem ich schon zuvor gewisse Sympathien gehegt hatte, war nach Werner Hanschs legendärem Jubel am Mikro („Ein bisschen Wiesenromantik“) klar, dass der VfB mein Verein ist! Es sollte aber dennoch 3 Jahre dauern, bis ich dann endlich zu meinem ersten Spiel ins Stadion gehen durfte. Das war das zweite Heimspiel gegen Dortmund in der Meistersaison 2006/2007. Man muss sagen, ich hatte in meinen ersten Fanjahren sehr viel Glück und Freude mit dem VfB!

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In der Kurzbiografie auf eurer Homepage ist über dich zu lesen, dass du es dir zur Aufgabe gemacht hast, „die Historie des Vereins, aber auch der Fankultur genauer zu ergründen“. Was reizt dich an gerade diesen Themen und welche Erkenntnisse hat die Beschäftigung schon zutage befördert?

Ich habe mich schon in der Schule sehr für Geschichte interessiert. Geschichte ist ja mehr als nur irgendwelche Fakten, finde ich. Sie ist vor allem Identität und hat in ihren verschiedenen Stationen den Verein zu dem gemacht, was er jetzt ist. Eben das zu ergründen und die Auswirkungen auf die heutige Zeit, finde ich sehr spannend. Man findet dabei auch immer wieder Neues heraus und lernt sehr viel über seinen Verein! Auch finde ich es wichtig, besonders den jüngeren Fans – zu denen ich ja gehöre – die Historie nahe zu bringen, damit sie diese verstehen und ein Stück weit auch verinnerlichen. Besonders letztes Jahr, als wir 125 Jahre VfB gefeiert haben! Und vor allem in der heutigen Zeit der Kommerzialisierung. So geht auch die Bodenhaftung nicht verloren!
Wenn man sich mit der Geschichte eines Vereins wie dem VfB beschäftigt, muss man natürlich auch die Fankultur mit in Betracht ziehen. Das ist quasi „unsere eigene Geschichte“. Auch aus gesellschaftsgeschichtlicher Sicht, von klassischen Fans, über „Kutten“, Hools, und letztendlich zu Ultras, der momentan größten Jugendbewegung in Deutschlands. Zutage gefördert wurden zum Beispiel kleinere Anekdoten von Zeitzeugen aus den goldenen 50ern, als der VfB zwei Mal Deutscher Meister und zwei Mal Pokalsieger wurde. Wie die Mannschaft in Stuttgart empfangen wurde, wie man sich als kleiner Junge unter dem Mantel des Vaters damals ins Stadion schleichen konnte. Ich finde, genau diese Geschichten, diese kleinen Auszüge, machen doch einen Verein letzten Endes so liebenswert. Aber auch düstere Kapitel, wie das damals sehr aufgeschlossene Verhältnis zum NS-Regime, welches der VfB in einem eigenen Buch, mit Hilfe eines Historikers aufgearbeitet hat.

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Lange gehörte der VfB wie Mainz 05 zur Riege der letzten reinen Fußballvereine. Seit 2017 ist damit Schluss, die Lizenzspielerabteilung wurde ausgegliedert. Wie war deine Meinung vor der Ausgliederung, hat sich daran seit der Umsetzung etwas geändert und was hat sich im Fußballbereich des VFB seither getan? Sehen die Macher selbst eine Erfolgsgeschichte?

Ich war davor und bin jetzt danach prinzipiell für die Ausgliederung, da sich die Zeiten im Profifußball leider insofern geändert haben, als es ohne diese Öffnung für potenzielle Investoren kaum noch möglich ist, konkurrenzfähig zu sein. Die Frage ist nur das Wie. Da gibt es ja verschiedene Rechtsformen und Möglichkeiten, bei uns wurde die AG ausgewählt, und auch als einziges Mittel der Wahl propagiert, was meiner Meinung nach zu dieser teilweise doch scharfen Atmosphäre zwischen den Lagern innerhalb der Fanszene geführt hat. Dieser Bruch ist leider bis heute noch nicht richtig gekittet.
Nun, die Umsetzung des Projektes startete recht bescheiden, bald waren zwei der „Gesichter“ dieser Kampagne, nämlich Jan Schindelmeiser und Hannes Wolf, nicht mehr im Amt. Ich möchte jetzt nicht polemisch werden, aber bisher bin ich doch etwas enttäuscht. Der erste große Investor war Daimler, welcher mit einer Summe von knapp 41,5 Millionen Euro einstieg. Dieses Geld wurde in Transfers, unter anderem in diesem Sommer und Winter, gesteckt – bekanntermaßen bisher keine Erfolgsstory. Ein weiterer Teil ging in die Förderung des Nachwuchsbereiches und soll weiterhin für dessen Entwicklung genutzt werden. Auch wurde davor bereits unser Nachwuchsleistungszentrum ausgebaut. Die Förderung dieser sehr wichtigen Säule des Vereins sehe ich bisher als einzigen positiven Punkt. VfB-Präsident Wolfgang Dietrich als Schirmherr dieser Kampagne sieht der Zukunft sehr positiv entgegen und ist auch nach wie vor überzeugt davon. Zu mindestens gibt er dies öffentlich so weiter. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht und ob die momentan handelnden Personen die Früchte, die Sie versprochen haben, ernten dürfen.

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Die Hinserie des VfB verlief alles andere als planmäßig. Letztlich musste der Verein mit nur 14 Punkten auf dem Relegationsplatz überwintern. Worin siehst du die größten Probleme der Hinrunde und war der Trainerwechsel die richtige Entscheidung?

Spulen wir mal etwas zurück, in die Zeit vor Saisonbeginn. Man hatte noch vor Beginn der Vorbereitung den Kader soweit beisammen: Namhafte erfahrene Spieler wie Gonzalo Castro (über 370 Bundesligaspiele) oder auch unser verlorener Sohn Daniel Didavi wurden verpflichtet. Dazu kamen noch hochtalentierte Spieler aus dem Ausland dazu, wie zum Beispiel Pablo Maffeo oder auch Borna Sosa. Dazu die Vertragsverlängerung mit Holger Badstuber, welcher einer der Schlüsselspieler in der abgelaufenen Saison war. Viele waren sich einig, das kann etwas werden. Auf dem Papier stand da eine richtig gute Bundesliga-Mannschaft. Eine riesige Euphorie machte sich breit im Umfeld. Äußerlich ließen sich die Mannschaft und die Verantwortlichen nichts anmerken. Dann ging es los, wir flogen aus dem Pokal, das Unheil nahm seinen Lauf. Achtung, jetzt wird’s metaphorisch. Es braute sich ein ganz ungutes Gemisch zusammen, bestehend aus folgenden Zutaten: 1. Der falsche Trainer für das geplante Spielsystem (Trotzdem an dieser Stelle, Danke Tayfun Korkut! Und um auf deine Frage zu antworten: Ja, der Trainerwechsel war richtig! Hier muss aber auch nochmals die Art und Weise der Entlassung stark hinterfragt werden!) 2. Eventuell eine falsche Erwartungshaltung innerhalb der Mannschaft. 3. Teilweise eine falsche Einstellung auf dem Platz. Dazu kommen dann noch spieltechnische Faktoren: fehlende Durchschlagskraft in der Offensive, eine mangelhafte Defensive, Verletzungspech und Spieler, welcher ihr Potenzial nicht auf den Platz bekommen haben, was zu einem eklatanten Qualitätsmangel geführt hat. Leider kommen einem als VfB Fan diese Punkte aus den letzten Jahren sehr bekannt vor!

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Markus Weinzierl ist trotz reichlicher Vorschusslorbeeren durch Michael Reschke auch nicht mit dem erhofften Erfolg gestartet. War das Pech, Unvermögen, die Schuld der Mannschaft oder eine Mischung aus allem? Wie viele Hoffnungen setzt du in ihn als Trainer?

Nun ja, Weinzierl kam und musste binnen weniger Tage eine verunsicherte Mannschaft gegen den damals noch ungeschlagenen Tabellenführer Borussia Dortmund aufstellen. Danach folgten ein Auswärtsspiel gegen die TSG Hoffenheim und eine Woche später empfing man zuhause Eintracht Frankfurt. Alle drei Spiele gegen diese Top-Mannschaften verlor man sehr deutlich, was dann eben auch nochmals offenbarte, dass die momentane Qualität der Spieler nicht für höhere Ziele ausreicht. Dann, muss man allerdings sagen, fing sich die Mannschaft so ein bisschen. Man gewann auswärts überzeugend gegen Nürnberg, einem direkten Konkurrenten im Abstiegskampf, verlor aber im Gegenzug wieder bei Mannschaften aus dem oberen Tabellendrittel (Gladbach, Leverkusen, Wolfsburg). Unterm Strich war es wieder eine Mischung aus den genannten negativen Faktoren. Ich setze sehr viel Hoffnung in Weinzierl, da ich von ihm als Trainer schon vor seinem Amtsantritt durchaus überzeugt war. Er hat in Augsburg bewiesen, dass er das absolute Maximum aus einer Mannschaft herauskitzeln kann. Auch sehe ich ihn als taktisch sehr versiert an, mit einem Händchen für junge Spieler. Man hat auch den Eindruck, dass er eine durchaus sehr positive Energie auf die Mannschaft ausstrahlt. Diese Einschätzung hat sich auch bei meinem letzten Trainingsbesuch bestätigt.

Die Auswärtspleite der 05er aus der Vorsaison soll sich, wenn es nach den Mainzern geht, nicht wiederholen. (Foto: Rheinhessen on Tour)

Die Auswärtspleite der 05er aus der Vorsaison soll sich, wenn es nach den Mainzern geht, nicht wiederholen. (Foto: Rheinhessen on Tour)

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In der Winterpause wurde verkündet, dass Benjamin Pavard (der am Wochenende gegen Mainz vermutlich verletzungsbedingt fehlen wird) im Sommer zu den Bayern wechselt. Schmerzt der Abgang den Verein, oder sind die 35 Millionen kolportierte Ablöse ein guter Deal für den VfB? Ist schon Ersatz für den Weltmeister-Verteidiger in Sicht?

Sicherlich schmerzt es, wenn ein solch herausragender Spieler wie Benji geht. Wobei man sich ja in diesem Fall darauf einstellen konnte, denn nach seiner starken Leistung bei der WM war der Abgang quasi schon beschlossene Sache und nur noch eine Frage der Zeit. So ist das Geschäft, und ich kann durchaus verstehen, dass ein Spieler mit solch großem Potenzial nach Höherem strebt. Dass es dann ausgerechnet die Bayern sind, ist nicht ganz so einfach für den leidenschaftlichen Brustingträger. Genauso hat die durchaus aus meiner Sicht gefahrene Ego-Schiene bei der Verkündung des Transfers durch „Brazzo“ ein Gschmäckle, wie man bei uns im Ländle sagt. Die 35 Millionen sind durchaus ein brauchbares Trostpflaster, das aber bei einem Verkauf im Sommer oder jetzt sicherlich höher ausfallen würde. Wie ich gelesen habe, wären die Bayern einem Wintertransfer nicht abgeneigt. Warten wir mal die nächsten Tage noch ab …
Der Nachfolger wurde ganz frisch vor ein paar Stunden präsentiert: Mit Ozan Kabak (18) wechselt eines der momentan begehrtesten Talente im europäischen Fußball zu uns nach Cannstatt und unterschreibt einen Vertrag bis 2024. Er spielt wie Pavard auf der Innenverteidiger Position, hat in dieser Saison sein Debüt in Süper Lig und Champions-Legaue gefeiert. In der Türkei wird er als kommender A-Nationalspieler gesehen, in der U-18 ist er bereits Stammspieler. Sicherlich eine Investition in die Zukunft, die ihre Nachhaltigkeit letztendlich auch unter Beweis stellen muss. Der Spieler hat meiner Meinung nach auf jeden Fall das Zeug dazu, ein würdiger Nachfolger von Pavard zu werden. Gleichzeitig stellt man einen neuen Transferrekord auf: 11,5 Millionen hat man vom Neckar an den Bosporus zu Galatasaray Istanbul überwiesen. Dies zeigt vielleicht auch nochmals, welcher Druck bei den Verantwortlichen lastete, eine solch große Summe im Winter aufzubringen.

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Für die Rückrunde wurden zuvor bereits Alexander Esswein und Steven Zuber geliehen. Wie sehr können die beiden tatsächlich helfen? Und was hältst du grundsätzlich von den Leihen? So richtig in die Zukunft des Kaders wurde in der Pause (neben Kabak) ja nicht investiert. Wie ist generell deine Meinung zu Michael Reschke?

Ich denke, kurzfristig gesehen können beide die Durchschlagskraft in der Offensive erhöhen und auch Weinzierl mehr Spielraum und Flexibilität ermöglichen. Auch entsteht so eine neue Konkurrenzsituation, welche bei den vorhandenen Spielern noch die letzten fehlenden Prozent herauskitzelt. Wie sehr Sie dann beide tatsächlich helfen in Form von Toren und Scorerpunkten, bleibt abzuwarten, da lehne ich mich nach dem Sommer nicht mehr zu sehr aus dem Fenster. Positiv zu sehen ist, dass beide Spieler bereits Erfahrung in der Bundesliga vorweisen, und somit auch keine lange Eingewöhnungszeit benötigen. Dass der Wintertransfermarkt immer sehr schwierig ist, speziell für Vereine wie uns, ist ja kein großes Geheimnis. Wir waren ja an vielen dran, unter anderem auch Hermann von Gladbach oder Solanke, wo es dann letztendlich nicht geklappt hat. Bei Esswein haben wir eine Kaufoption eingebaut. Bei Zuber war es leider aufgrund seines noch laufenden Vertrages bis 2020 erstmal nicht möglich. Natürlich wäre es schöner, Planungssicherheit zu haben, da aber erst einmal der Saisonverlauf abgewartet werden muss, ist die Leihe ein durchaus sinnvolles Werkzeug, um kurzfristig seine neu gesteckten Ziele zu erreichen.
Mit Kabak geht man ja schon in die Richtung Zukunft des Kaders. Des Weiteren haben wir zwei Jungs aus der eigenen Jugend, Aidonis und Dajaku, beide 2001er Jahrgang, welche auch nach ersten Aussagen längerfristig an den Club gebunden werden sollen und bereits ihr Debüt in der Liga feiern durften. Ich denke, dieses Thema sollte man auch erst angehen, wenn man genau weiß, wohin die Reise führt. Generell halte ich von Herrn Reschke sehr viel, da ich seine Kompetenz besonders im Bereich Spielerscouting sehe. Seine Außendarstellung ist leider manchmal nicht die Beste, weshalb er sich selbst auch oft ein wenig um Kopf und Kragen redet und bei vielen Fans Sympathiepunkte einbüßt. Man muss aber sagen, dass er sich an dem jetzigen, nochmals optimierten Kader messen lassen muss. Daher wird seine Zukunft sehr eng verknüpft mit der Leistung der Mannschaft in der Rückrunde sein.

Markus Weinzierl bei seiner ersten Trainingseinheit in Stuttgart. (Foto: Jeollo von VfB-exklusiv.de - Own work, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=73518164)

Markus Weinzierl bei seiner ersten Trainingseinheit in Stuttgart. (Foto: Jeollo von VfB-exklusiv.de – Own work, CC BY 3.0)

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In den Artikeln zum Trainingslager und dem Rückrundenauftakt ist immer wieder die Rede davon, Markus Weinzierl wolle „mit Wucht“ spielen lassen. Wie siehst du seinen Ansatz als Trainer? Glaubst du, mit einem Team, das künftig auch nach seinen Vorstellungen gebildet wird, kann er eine langfristige Lösung für den VfB sein?

Ich sehe diesen Ansatz als sehr positiv an. Als schwächste Offensive der Liga darfst du auch eigentlich keinen anderen haben. Die zweite Frage baue ich gleich mit ein, zu dieser Aussage passen ja auch Zuber und Esswein sehr gut. Beides sind Spieler mit „Wucht“ beziehungsweise verkörpern diesen Typus. Somit ist dies der erste, wenn auch kleine Schritt in Richtung Teamoptimierung nach Weinzierls Geschmack. Und mehr ist auch meines Erachtens erstmal nicht möglich. VfB und langfristige Lösung auf der Trainerposition? Ein ziemlicher Widerspruch. Darum lass uns mal in einem Jahr nochmals sprechen, dann kann ich dir bestimmt eine bessere Antwort geben.

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Auf was sollten sich die Mainzer beim Spiel in Stuttgart am Wochenende einstellen? Was ist dein Tipp für die VfB-Taktik und wie wird das Spiel ausgehen?

Auf einen Gegner, der mit dem Rücken schon ein bisschen zur Wand steht und alles raus hauen wird um vor heimischen Publikum, die Aufholjagd zu starten. Es wird sehr viel über den Kampf gehen, da beide Mannschaften nicht gerade für ihre filigrane Spielweise bekannt sind. Taktisch wird es hinten sehr wahrscheinlich auf eine kompakte Viererkette hinauslaufen, zuletzt war das Ganze dann in einem 4 2 3 1 oder auch einem 4 1 4 1 angeordnet. Diese Spielformen wurden auch im vergangenen Trainingslager hauptsächlich einstudiert. Ich denke in dieser Hinsicht wird sich Weinzierl auf keine Experimente einlassen. Mein Tipp lautet: ein knappes, schwer erkämpftes 2:1 für den VfB!

KOMPAKT
Der VfB Stuttgart ist der beste Club der Welt, weil … er nie langweilig wird und zu Stuttgart gehört, wie die Fastnacht und Ernst Neger zu Mainz!
Was ich an unserem Stadion besonders liebe, ist … natürlich die Cannstatter Kurve! Ihre Atmosphäre, ihr Duft und ihre Menschen!
Mein ewiger Lieblingsspieler ist eindeutig … Sami Khedira!
Wer Stuttgart besucht, sollte unbedingt … den Fernsehturm (Schwindelfreiheit vorausgesetzt), den Schlossplatz mit unseren beiden Schlössern, die Grabkapelle auf dem Württemberg und das Mercedes-Benz oder Porsche Museum besuchen!
Besonders lecker essen Gästefans … im Palm Beach oder PSV. Beides unmittelbar in Stadionnähe!

Vielen Dank für das Gespräch!

LETZTE WORTE
Wenn es um die Torwartposition geht, hat Mainz 05 ein echtes Luxusproblem. Mit Florian Müller und Robin Zentner hüteten in der Hinrunde gleich zwei Talente aus der eigenen Jugend den Kasten, Jannik Huth und U23-Keeper Finn Dahmen stehen ebenfalls jederzeit bereit und dann gibt es da auch noch den verletzten, ehemaligen Nazionaltorwart René Adler. Nach der Verletzung von Flo Müller rotierte bekannterweise Robin Zentner ins Tor und machte seine Sache dort ebenfalls verdammt gut, insofern stellte sich vor dem Rückrundenauftakt die Frage, wem das Trainerteam den Vorzug geben würde. Das steht nun fest und wurde in der Pressekonferenz am Donnerstag auch bereits verkündet: Die Trainer bleiben bei ihrer Entscheidung aus dem Sommer und gehen mit Florian Müller als neuer, alter Nummer Eins in die zweite Saisonhälfte.

Flutlicht statt Gegnerbetrachtung zum Jahresausklang

Flutlicht

Normalerweise findet sich an dieser Stelle zwei Tage vorm Auswärtsspiel die Gegnerbetrachtung, also das Interview mit JournalistInnen, BloggerInnen oder PodcasterInnen aus dem Umfeld des gegnerischen Vereins. Da vor Weihnachten die englische Woche, ein hohes Arbeitspensum und letzte Vorbereitungen fürs Fest auch noch mit einer fiesen Erkältung zusammenfallen, habe ich mir erlaubt, das Interview zum Spiel in Hoffenheim ausfallen zu lassen. Möglicherweise hole ich das vorm letzten Spiel der Saison nach, jetzt steht aber nach einem bunten, schönen, auch sehr vollen Jahr erstmal der Weihnachtsurlaub an. Mit meiner Online-Kolumne bei der Allgemeinen Zeitung geht es am 10. Januar weiter, die Videokolumne Wortpiratin rot-weiß kehrt am 16. Januar zurück.

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Einen großen Termin gibt es aber noch vor dem Fest: Am Sonntag, 23. Dezember, bin ich ab 21.45 Uhr im SWR Flutlicht zu Gast. Thema dort wird die Bedeutung der Fans für den Fußball sein. Mit mir im Studio ist Frederik Paulus von Der Betze brennt, es moderiert Christian Döring. Mailt mir gerne auch schon vorab eure Meinung und schaltet am Sonntagabend ein.

Frohe Weihnachten!