Gegnerbetrachtung: Mainz 05 bei Hannover 96

Neu im Blog: die Gegnerbetrachtung. Vor den Auswärtsspielen des 1. FSV Mainz 05 spreche ich künftig mit Journalisten, Podcastern und Bloggern darüber, was die 05er in der Fremde erwartet. Über Hannover 96 habe ich mit Klaas Reese gesprochen, der beim Deutschlandfunk arbeitet und mit Alex Feuerherdt den Podcast Collinas Erben betreibt.

Klaas (links) und Alex prosten ihren Hörern zu. (Foto: Collinas Erben)

Klaas (links) und Alex prosten ihren Hörern zu. (Foto: Collinas Erben)

Hallo Klaas. Du bloggst, wenn auch aktuell nicht sehr regelmäßig, unter Reeses Sportkultur, bist ein Teil des Schiedsrichter-Podcasts „Collinas Erben“ und blickst für „11 Freunde“ unter dem Motto „GIF mich die Kirsche“ auf jeden Spieltag in GIFs zurück. Da steckt deutlich mehr Fußballbegeisterung drin als die Liebe zum eigenen Verein. Wie hat die sich entwickelt?
Die Fußballbegeisterung wurde schon in ganz frühen Jahren geweckt. Mein Bruder war hier schon früh das große Vorbild und wir waren früher fast täglich draußen und haben mit den Kids aus der Nachbarschaft gespielt und auch später im Verein die komplette Jugend durch gespielt. Mit dem Studium in Köln wuchs dann merkwürdiger Weise die Begeisterung für 96, weil auch mein Bruder und ein paar Freunde an den Rhein zogen und wir fortan fast alle Spiele der Roten in der Umgebung besuchten – natürlich inklusive der Europapokalhighlights in Brügge, Kopenhagen und Sevilla. Leider ist die Leidenschaft für den Club Hannover 96 etwas geschwächt aktuell, weil ich mit dem Gebahren der Vereinsführung um Martin Kind meine Probleme habe. Aber die Begeisterung für den Fußball an sich ist geblieben und mit meinen GIF-Kolumnen versuche ich, das Fußballgeschäft etwas aufs Korn zu nehmen, denn oft sind mir die Diskussionen um das Spiel Fußball viel zu ernsthaft und zu dogmatisch.

Für die Deutsche Akademie für Fußballkultur sitzt du außerdem in der Jury für den Deutschen Fußball Kulturpreis in der Sparte „Fanpreis“. Was sind besonders spannende Projekte, die du dadurch in den letzten Jahren kennenlernen durftest?
Das sind tatsächlich zu viele, um sie hier alle aufzuzählen, aber ich bin nach wie vor ein großer Fan des „Textilvergehen“, einem Podcast- und Blogprojekt rund um Union Berlin. Außerdem find ich das Projekt zur Erinnerung an „Das Kreuzlinger Grenzland-Stadion“ von Daniel Kessler toll. Der Fußballhistoriker hat ein umfassendes Archiv zur Geschichte der einstigen Spielstätte seines Lieblingsvereins FC Kreuzlingen erstellt – und das, obwohl es das Stadion schon seit Jahrzehnten nicht mehr gibt.

War es sozusagen von langer Hand geplant, dass der Fußball mal einen so großen Teil deines Lebens einnehmen würde? Oder hat sich vieles davon auch zufällig ergeben?
Der Sportjournalismus hat mich schon immer interessiert. Dass ich jetzt beim Deutschlandfunk in der Sportredaktion arbeiten darf, ist aber dennoch immer wieder ein Grund, mich zu kneifen. Ich sehe es als großes Privileg an, in einer Redaktion zu arbeiten, die nicht nur 1-zu-0-Berichterstattung betreibt, sondern sich auch den unbequemen Themen der Sportwelt widmet – wie Doping, Korruption oder sexuellem Missbrauch. Ich finde es auch prinzipiell wichtig, dass sich unsere Sendungen nicht nur mit Fußball beschäftigen, sondern auch viel Raum für andere Sportarten bietet.

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Du bist – wie ich – ein großer Fan des sozialen Netzwerks Twitter. Obwohl sich das Vorurteil eines „Quatschmediums“ hartnäckig hält, finden sich hier – gerade zum Thema Fußball – Leute, die mit viel Interesse, Sachwissen und Leidenschaft den Austausch suchen. Was glaubst du, wieso passen Fußball und Twitter so gut zusammen?
Das Schöne an Twitter ist, dass selbst das langweiligste Fußballspiel der Welt mit diesem Sozialen Netzwerk auf dem Second Screen unglaublich unterhaltsam sein kann. Dazu ist der große Vorteil aus meiner Sicht, dass ich mich nicht stündlich durch alle möglichen Sportseiten klicken muss, die oft eh nur immer wieder dasselbe bieten von unglaubwürdigen Transfergeschichten oder verbalen Ergüssen von irgendwelchen Pseudoexperten. Durch Twitter bekomme ich oft Hinweise auf spannende Geschichten abseits des Mainstreams und außerdem ist das Medium viel schneller als jede Nachrichtenapp. Das gibt einem die Möglichkeit, sich in die Medien zu stürzen, birgt aber auch immer die Gefahr, lange am Tablet, Rechner oder Smartphone hängen zu bleiben.

Privat bist du Fan von Hannover 96. Nach einem Jahr Abstinenz ist dein Verein zurück in der 1. Liga. Wie zufrieden bist du unterm Strich mit eurer Hinrunde?
Sportlich äußerst zufrieden. Ich habe 96 ehrlich gesagt als Abstiegskandidaten Nummer 1 bis 2 zusammen mit dem FC Augsburg gesehen, weil ich dachte, dass der Kader zu schwach für die 1. Liga sei. Natürlich ist 96 noch nicht durch und kann noch in Abstiegsgefahr geraten, aber die Hinrunde hat gezeigt, dass die Mannschaft mithalten kann, dass sie den Teamspirit aus der 2. Liga mit ins Oberhaus gerettet hat und dass André Breitenreiter es versteht, seine Mannschaft taktisch schlau und variabel aufs Feld zu schicken. Ich bin da tatsächlich positiv überrascht worden.

Ist es hinderlich für euch, dass Hannover in der Wahrnehmung der anderen Vereine kein klassischer Aufsteiger ist? Was macht das mit der Erwartungshaltung im Umfeld?
Ich habe das Gefühl, dass die meisten in diesem Jahr schon demütig genug sind, um nicht zu hohe Erwartungen an das Team zu stellen. Den allermeisten ist bewusst, dass 96 gegen jedes Team in der Liga verlieren kann und die meisten sind froh, dass Hannover überhaupt wieder in der 1. Liga spielt.

Die Mainzer Kurve in Hannover. (Foto: Meenzer on Tour)

Die Mainzer Kurve in Hannover. (Foto: Meenzer on Tour)

Gegen Ende der Hinrunde kam mächtig Unruhe in den Verein, weil Hannover plötzlich Horst Heldt an den Ligakonkurrenten Köln zu verlieren drohte. Heldts Kommunikation wirkte dabei auf Außenstehende nicht immer schlüssig. Wie siehst du seine Rolle in der Causa?
Seine Aussagen waren ja eindeutig und ich denke, dass er nicht damit gerechnet hat, dass Martin Kind hier sein Veto einlegt. Ich war nicht sonderlich begeistert, als die Verpflichtung von Heldt in Hannover bekannt wurde, muss aber zugeben, dass er einen ordentlichen Kader auf die Beine gestellt hat. Dass solche Arbeit Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen auslöst ist normal, vor allem, wenn man sich in einer solchen Krise befindet wie der 1. FC Köln. Wie die ganze Sache dann in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, war kein Ruhmesblatt – für keinen der Beteiligten –, passt aber zur Außendarstellung beider Vereine in dieser Saison.

Und wie beurteilst du Heldts Rolle im Verein? Bist du froh, dass ihr ihn gehalten habt?
Im Endeffekt ja, denn mitten in der Saison einen neuen Sportdirektor zu präsentieren ist nicht leicht, auch wenn ich nichts gegen eine Rückkehr von Jörg Schmadtke gehabt hätte…

Als Daniel Stendel im März 2017 bei Hannover 96 beurlaubt wurde und André Breitenreiter seinen Platz einnahm, kam das fürs Umfeld nicht mehr überraschend. Aus der Ferne wirkte die Art und Weise wie eine unnötige Demontage. Wie hast du das damals wahrgenommen?
Martin Kind und Horst Heldt haben damals wohl befürchtet, dass 96 unter Stendel die Luft ausgehen würde und der Aufstieg gefährdet werden könnte. Die Verpflichtung von Breitenreiter war nicht ohne Risiko, aber schlussendlich haben die Verantwortlichen wohl alles richtig gemacht. Nichtsdestotrotz war der Umgang mit Stendel nicht in Ordnung. Er hatte 96 in einer Phase im Abstiegskampf übernommen, die aussichtsloser nicht sein konnte. Damals wollte wohl kein anderer Coach 96 trainieren und Stendel ging das Risiko ein, sich mit diesem Engagement seinen Namen zu ruinieren. Er hat dann sogar dafür gesorgt, dass 96 mit positiven Emotionen und einigen Achtungserfolgen aus der Saison gekommen ist. Sein Anteil am Wiederaufstieg ist deshalb nicht von der Hand zu weisen.

Arbeitsplatzsituation: All Cats Are Beautiful… (Foto: Collinas Erben)

Arbeitsplatzsituation: All Cats Are Beautiful… (Foto: Collinas Erben)

Welches Ansehen genießt André Breitenreiter bei den 96-Anhängern?
Ich denke, dass er bei den meisten mittlerweile wohlgelitten ist. Nicht nur, weil er der Aufstiegstrainer ist, sondern auch, weil er aus Hannover kommt und sich komplett mit Stadt und Verein identifiziert. Er hat seine Chance bei 96 genutzt und zeigt, dass er über mehr taktisches Verständnis und Talent zur Mannschaftsführung verfügt, als im viele Experten innerhalb und außerhalb von Hannover zugetraut haben.

Das Verhältnis zwischen der aktiven Fanszene und Präsident Martin Kind war in den letzten Monaten nicht gerade rosig. In der Saison 2014/15 blieben die Ultras zeitweise den Spielen der 1. Mannschaft fern, letztes Jahr gab es erneut einen Stimmungsboykott. Wie beurteilst du die Auseinandersetzung und kannst du etwas zum aktuellen Stand sagen?
Der aktuelle Stand ist, dass sich vor Kurzem mehrere hundert Fans trafen und entschieden haben, dass der Stimmungsboykott fortgesetzt wird. 96 hat es einfach in den letzten Jahren geschafft, das Verhältnis zur aktiven Fanszene nachhaltig zu zerstören. Es gibt keinerlei Vertrauen in die Aussagen von Martin Kind, weil er in der Vergangenheit wiederholt mit Beschimpfungen und Aussagen gegenüber der Fanszene deutlich gemacht hat, wie unwichtig ihm die Meinung der Fans ist. Er zieht sein Ding, die Übernahme des Traditionsvereins Hannover 96, durch – und erwartet, dass Fans nur ins Stadion kommen, um für Stimmung zu sorgen. Eine kritische Teilhabe am Vereinsleben ist nicht gewünscht. Oft wird – das haben 96 und Mainz 05 wohl gemeinsam – von außerhalb recht harsch über die Fans von 96 geurteilt und schnell auf die Ultras als einzig Verantwortliche für die schlechte Stimmung im Verein gezeigt. Dass der Auslöser dieser Konflikte im Präsidium des Vereins sitzt wird dabei zu oft unterschlagen und eine kritische Auseinandersetzung mit der Gesamtproblematik findet zu oft nicht statt.

Ohne Fans verliert der Fußball seine Seele. (Foto: Meenzer on Tour)

Ohne Fans verliert der Fußball seine Seele. (Foto: Meenzer on Tour)

Die DFL wird vermutlich auf ihrer nächsten Sitzung über den Ausnahmeantrag Kinds von der 50+1-Regelung entscheiden. Der Präsident möchte Hannover 96 komplett übernehmen. Wie würde das den Verein aus deiner Sicht verändern? Und was wären die Auswirkungen auf das Umfeld, gerade auch im Hinblick auf die Fans?
Ich kann das nur schwer einschätzen, weil ich nicht in Hannover wohne, kann mir aber gut vorstellen, dass eine Übernahme dazu führt, dass viele Fans 96 den Rücken kehren, um einen eigenen Verein zu gründen. Vorbilder für diesen Prozess gibt es ja in Manchester und Hamburg. Außerdem würde sicherlich prozessiert und die Gerichte müssten dann entscheiden, ob alles rechtens gewesen ist bei der Übernahme, die der Präsident Kind ja mit dem Käufer Kind quasi selbst verhandelt hat und deren Vorteile für den Club fraglich sind. Der größte Teil wird das aber einfach hinnehmen und irgendwann werden auch wieder Fans in der Kurve stehen, die die Kommanditgesellschaft auf Aktien lautstark unterstützen. Richtig unruhig würde es dann, wenn Kind entgegen seiner Versprechen den Verein doch irgendwann an einen Investor verkauft. Es wird also auf Dauer spannend bleiben an der Leine und es wird stets vom sportlichen Erfolg abhängen, wie laut die Debatte geführt wird.

Der Kroate Josip Elez ist der einzige Winterzugang der 96er. Ist der Kader wirklich so ausgewogen, dass es keine weitere Verstärkung braucht, oder siehst du das kritisch?
Oft ist es ja ein schlechtes Zeichen, wenn im Winter viele Transfers getätigt werden müssen, weil das zeigt, dass der Kader vor der Saison nicht ordentlich zusammengestellt war oder dass es viele Verletzungen gab. Der 96-Kader hat in der Hinrunde weitestgehend überzeugt und ich denke, dass es richtig ist, den Spieler das Vertrauen für die Rückrunde zu geben.

Hannover 96 beginnt die Rückrunde mit einem Heimspiel. Bei der Partie in Mainz hattet ihr einen Verbündeten im schweigenden Videoassistenten. Was erwartest du dir am Samstag vom Rückspiel?
Ich denke, der Videoassistent wird das auch im Rückspiel wieder regeln…Scherz beiseite: ich erwarte ein ausgeglichenes Spiel und bin vor allem gespannt auf die Mainzer Neuverpflichtungen. De Jong und Ujah sind ja alte Bekannte, die dem Mainzer Spiel geben können, was in der Hinrunde etwas gefehlt hat: eine gewisse Körperlichkeit in den Zweikämpfen und eine extrovertierte Leidenschaft. Dennoch denke ich, dass 96 aufgrund des Heimvorteils leicht favorisiert in die Partie geht.

Die Mainzer im Februar 2016 beim Auswärtsspiel in Hannover. (Foto: Meenzer on Tour)

Die Mainzer im Februar 2016 beim Auswärtsspiel in Hannover. (Foto: Meenzer on Tour)

Worauf müssen sich die Mainzer bei der Partie einstellen?
Auf eine Mannschaft, die das Spiel des Gegners quasi kopiert und eine aggressive Manndeckung spielt. 96 kommt mit einer hohen Laufbereitschaft auf den Platz und lässt dem Gegner wenig Raum, um sein eigenes Spiel zu entfalten.

Wie intensiv hast du dich mit der bisherigen Saison der 05er beschäftigt? Und wie schätzt du sie unter dem neuen Trainer Sandro Schwarz ein?
Ich habe wenige Spiele über die komplette Spielzeit gesehen, bin aber beruhigt, dass Mainz unter Schwarz weniger lange Bälle in die Spitze spielt als im letzten Jahr. Das hat sicherlich mit dem Abgang von Jhón Cordoba zu tun und es bleibt abzuwarten wie Ujah jetzt eingebaut wird und wie man ihn in das Spiel einbinden will. Ich denke, dass es prinzipiell gut ist, dass Mainz wieder mehr spielerische Lösungen sucht, denn der Fußball der letzten Saison war deutlich unansehnlicher als unter dem neuen Coach. Auf lange Sicht wird sich dieser Weg sicher eher auszahlen als das Spiel mit dem „langen Hafer“.

Was ist dein Tipp fürs Spiel?
Ich tippe auf ein 3 zu 1.

Vielen Dank für das Gespräch!
Sehr gern.

|| Mit großem Dank an Meenzer on Tour für die zur Verfügung gestellten Fotos. ||

Gegnerbetrachtung: Mainz 05 bei Werder Bremen

Neu im Blog: die Gegnerbetrachtung. Vor den Auswärtsspielen des 1. FSV Mainz 05 spreche ich künftig mit Journalisten, Podcastern und Bloggern darüber, was die 05er in der Fremde erwartet. Diesmal spreche ich mit Johanna Göddecke, deren Herz grün-weiß angestrichen wurde, als sie vom Sauerland nach Bremen zog.

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Liebe Johanna, schön, dass du Zeit für die Gegnerbetrachtung hast. Du beschreibst dich selbst als „Leuchtturm aus dem Sauerland, nach Bremen versetzt | Grün-weiße Werder-Seele“. Seit wann lebst du in Bremen und wie hat Werder dein Herz gewonnen?
Die Zeit nehme ich mir sehr gerne! Ich wohne seit Juli 2013 in Bremen. Werder-Fan bin ich seit 2006. Nach der WM hatte ich Bock, weiter Fußball zu schauen und kam dann durch Klose, Borowski und Co. zum SV Werder. Es war wahrscheinlich mein Glück, dass Diego, Mertesacker, Fritz usw. in dem Sommer zu Werder wechselten und die Mannschaft einfach einen wunderbaren Fußball gespielt hat.

Neugierige Nachfrage: Leuchtturm wegen deiner Größe? Wir haben uns beim Auswärtsspiel eurer Buben in Mainz mal kurz getroffen und zu dir muss ich fast hochsehen. Passiert mir bei Frauen eher selten!
Ich wurde tatsächlich schon oft wegen meiner Größe und den roten Haaren als Leuchtturm bezeichnet. Das ist sehr hilfreich, wenn meine Leute uns in der Ostkurve oder den Gästeblöcken der Republik suchen. :D Ich fand es übrigens auch angenehm, mal nicht zu jemandem runter schauen zu müssen. :D

Du bist im Weserfunk-Team für meinsportradio.de am Podcast-Mikrofon. Wie oft nehmt ihr die Sendung auf? Was motiviert dich, Zeit in ein solches Projekt zu stecken?
Wir versuchen schon, regelmäßig wöchentlich aufzunehmen. Es macht einfach Spaß, mit den drei Jungs, mit denen ich den Weserfunk zusammen mache, und unseren Gästen über Werder und alles drumherum zu fachsimpeln. Vor allem, wenn man positive Resonanz bekommt.

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Außerdem bist du Mitglied im Fanclub WFC TWERDER. Aus euren Reihen wurde die Aktion „Green White Wonderwall“ gestartet, mit der Werder im Kampf um den Klassenerhalt so spektakulär unterstützt wurde, dass es dafür sogar eine 11Freunde-Trophäe gab. Was war da genau los?
Das fragen wir uns bis heute, was da eigentlich los war. Wahnsinn! Wir hatten damals einfach das Gefühl, irgendwas machen zu müssen, um die Fans wieder komplett hinter die Mannschaft zu bekommen, da die Stimmung kippte. Was dann wochenlang in der Stadt abging, war unglaublich. Im Endeffekt haben wir den Klassenerhalt geschafft, das Ziel war erreicht. Unvergesslich.

Es gehört zum Geheimnis einer jeden Fanseele, den eigenen Verein, aber auch die eigenen Supporter, für etwas Besonderes zu halten. Werder ist aber, so scheint mir, ein Verein, auf den sich – außerhalb der norddeutschen Rivalitätshochburgen – viele einigen können. Was hat Bremen also, was andere nicht haben?
Die Sympathien reichen bestimmt noch aus den Jahren des tollen Offensivfußballs her. Hier gab es nie Skandale, wir sind hanseatisch cool außerdem ist Bremen einfach Werder und Werder ist Bremen. Die Verbindung zwischen Fans, Stadt und Verein ist schon sehr besonders. Ob es wirklich so einzigartig ist, wie es uns vorkommt, mag ich nicht zu beurteilen, dafür habe ich zu wenig Einblick bei den anderen Vereinen.

Du bist unglaublich viel auswärts unterwegs. Organisierst du den Fußball in dein Leben oder dein Leben um den Fußball? Und wie hast du deine Werder-Familie gefunden, mit der du on tour gehst?
Ich muss gestehen, dass ich mein Leben um den Fußball organisiere. Natürlich vor allem an den Wochenenden bestimmt Werder den Ablauf. Aber da meine Freunde genau so verrückt sind, stellt das selten ein Problem dar. Tatsächlich kennen wir uns alle größtenteils über Twitter. Auch etwas verrückt.

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Als in der Abschiedsphase von Christian Heidel bei Mainz 05 die ersten Gerüchte aufkamen, Rouven Schröder könnte sein Nachfolger werden, warst du alles andere als glücklich. Welche Rolle hat Rouven, auch im Umgang mit den Fans, in Bremen gespielt und wie stark schmerzt sein Abschied nach wie vor?
Zu Rouven hatte ich einen besonderen Bezug, weil er auch aus dem Sauerland stammt. Deswegen haben wir das ein oder andere Mal geschnackt. Er war immer sehr fannah, direkt, offen und kam an sich menschlicher, nahbarer rüber als Thomas Eichin. Schmerzen tut der Abschied nicht mehr, das wäre das falsche Wort. Etwas vermissen tue ich ihn trotzdem. Ich möchte doch einfach nur meinen Quoten-Sauerländer wiederhaben!

Gibt es im Verein sowas wie einen menschlichen Nachfolger?
Da dieser besondere Bezug nur auf unserer Herkunft beruht, braucht es da gar keinen menschlichen Nachfolger in dem Sinne. Aber wir haben ja zum Glück genug tolle Menschen im Verein.

Apropos menschlich: Ein Grund, warum ich deine Beiträge auf Twitter so schätze ist, dass du Fußball ähnlich emotional angehst wie ich. Die Trainerwechsel der letzten Jahre haben dich immer nicht nur sportlich getroffen, sondern auch menschlich. Welche Spuren haben Viktor Skripnik und Alexander Nouri hinterlassen und wo fehlen sie heute?
Oh, das ist ja lieb von dir. Manchmal denke ich, ich bin fast zu emotional dabei. Skripnik ist einfach Werderaner durch und durch. Da berührt es einen schon sehr, wenn er – nach insgesamt 20 Jahren im Verein – gehen muss. Alex Nouri war erfrischend anders. Redegewand, egal, um welches Thema es sich handelte. Hinzu kam natürlich die verdammt gute, erste Saison unter ihm. Ob die beiden jetzt irgendwo fehlen, weiß ich nicht. Man vermisst vielleicht die eine oder andere Eigenart, aber da das Fußballgeschäft einfach so schnelllebig ist, gewöhnt man sich fix um.

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Aktuell zahlt Werder drei Cheftrainern Gehalt, auch wenn es in den Verträgen von Nouri und Skripnik Klauseln geben soll, nach denen ihre Bezüge mit einer Beurlaubung deutlich sinken. Trotzdem keine optimale Situation für einen Club, oder?
Das ist schon ziemlich dumm gelaufen, ja. Und wirft natürlich auch ein komisches Bild ab.

Klar, rückblickend weiß man immer mehr. Dennoch die Frage: Wie hätte Werder sich diese Situation aus deiner Sicht ersparen können?
So doof es vielleicht klingen mag, aber man hätte den Vertrag mit Skripnik nie verlängern dürfen. Völlig ohne Not. Ich glaube, Baumann wollte damals ein Zeichen setzen, was er danach ja selbst bereut hat.

Bei Nouri hatte man von außen betrachtet das Gefühl, seine Entlassung kam am Ende eine Woche zu früh. Seit Max Kruse wieder fest auf dem Platz steht, fallen wieder die dringend benötigten Tore. Das wäre auch ohne den Trainerwechsel passiert. Stimmst du zu oder ist das zu einfach gedacht?
Definitiv zu einfach gedacht. Klar, Max kam erst unter Kohfeldt und eben mit der Spielpraxis in Fahrt, aber er hat auch unter Nouri seine Spiele gemacht in dieser Saison. Dafür hat sich auch generell zu viel unter Kohfeldt geändert.

Im Boulevard hieß es dagegen, der Haussegen zwischen Nouri und einigen Spielern – unter anderem Kruse – habe schiefgehangen. Was gibst du auf solche Gerüchte?
Da gebe ich gar nichts drauf. Spannungen kann und wird es immer geben. Und ja, wahrscheinlich waren einige mit der defensiven Spielausrichtung unter Nouri nicht zufrieden, aber die Stimmung war trotzdem immer gut. Zudem hat Kruse letzt nochmal klargestellt, dass an all diesen Sachen nichts dran ist. Aber da soll jeder für sich selbst entschieden, wie viel er/sie davon glaubt.

Mit Florian Kohfeldt sitzt nun der ehemalige U23-Trainer auf der Profibank. Einen Mann aus dem Verein zu befördern ist eine Lösung, die wir Mainzer gut kennen und auch in Bremen ist das nicht neu. Gerade deswegen gab es aber auch Kritik, man hätte diesmal einen anderen Weg gehen müssen. Wie siehst du das Thema generell?
Auch wenn die Lösung jetzt im Endeffekt zweimal nicht geklappt hat, sollte man nicht vergessen, dass man sich sowohl unter Skripnik als auch unter Nouri zweimal fast für die Europa League qualifiziert hat. Es lief also nicht alles schief mit dieser Fahrweise. Ich find es auch zu einfach, das alles zu vergleichen. Und vor allem wird man Florian Kohfeldt nicht gerecht damit. Er genießt so ein hohes Ansehen im Verein, warum sollte man ihm dann nicht die Chance geben?

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Wie beurteilst du Kohfeldt grundsätzlich? Was hat er seit seinem Amtsantritt in der Mannschaft verändert?
Ich halte viel von ihm und halte ihn auch für die richtige Lösung für den Posten. Ich hätte ihn zwar auch gerne noch etwas länger mit der U23 in der 3. Liga gesehen, aber da sind wir wieder beim schnelllebigen Fußballgeschäft. Gefühlt hat sich schon ziemlich viel unter ihm geändert. Alleine die offensivere Ausrichtung bereitet mir endlich wieder Spaß, Fußball zu schauen. Es sind auch Kleinigkeiten. Er vermittelt den Jungs, dass ein Ballverlust nicht schlimm ist, weil sie sich den Ball dann eben wiederholen. Scheinbare Banalitäten, die aber zeigen, was wichtig ist. Warten wir mal die Wintervorbereitung unter ihm ab.

Frank Baumann wirkt von außen betrachtet immer leicht verunsichert. (Warum) Ist er dennoch der richtige Mann für Werder? Und wie ist sein Standing bei den Fans?
Baumann war noch nie der große Redner und wird es wahrscheinlich auch nie werden. Meiner Meinung nach macht er einen guten Job. Um den ich ihn wirklich nicht beneide. Baumi ist der ewige Kapitän bei Werder, der ein sehr hohes Ansehen hat. Deswegen werden Fehler auch schneller verziehen, vor allem, wenn er sie zugibt und doppelt so viel gute Dinge macht.

Wie geht es dir eigentlich, wenn du Pizarro im Kölner Dress siehst?
So oft konnte man ihn ja noch nicht darin bewundern. :D Scherz beiseite. Es war schon ein Stich ins Herz, ihn im fremden Trikot und nicht mit dem W zu sehen. Dennoch war es die richtige Entscheidung, ihm keinen neuen Vertrag zu geben. Sein Körper möchte einfach nicht mehr so, wie er will.

Und wie oft vermisst du Thomas Schaaf?
Gar nicht so oft, wir sehen ihn ja glücklicherweise oft genug hier. Aber wenn man ihn sieht, geht einem das Herz auf. Und sollte er tatsächlich bald in den Verein zurückkehren, schmeiße ich die nächste Balkonparty!

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Die Tendenz bei Bremen ist zuletzt eindeutig positiv: Sieg gegen Hannover, verschmerzbare Niederlage gegen Leipzig, Siege gegen Stuttgart und Dortmund, doofe Niederlage gegen Leverkusen. Seid aus dem Gröbsten raus? Gelingt der Klassenerhalt diesmal früher?
Gefühlt sind wir besser, als der Tabellenplatz es vermuten lässt. Aber wir stehen nun mal dort, wo wir stehen. Deshalb ist es zu früh gesagt, dass wir aus dem Gröbsten raus sind. Die Saison ist noch lang und wir haben in den letzten Jahren zu viel erlebt, als das wir uns auf irgendwas ausruhen. Na, letzte Saison haben wir den Klassenerhalt ja ziemlich früh geschafft, das würde ich gerne wieder nehmen. ;)

Ist Max Kruse eigentlich so unverzichtbar, wie er scheint?
Es scheint fast so, ja. Er ist einfach der Ausnahmespieler bei uns. Es ist ja bestimmt auch statistisch bewiesen, dass wir mit ihm mehr Punkte holen, als ohne ihn.

Was erwartest du dir vom letzten Spiel der englischen Woche? Und worauf sollten die Mainzer sich einstellen?
Da wir mit einem Sieg die Abstiegsränge verlassen könnten, wird das bestimmt noch mal Motivation mehr sein, gewinnen zu wollen. Das Weserstadion wird nochmal alles geben und Grün und Weiß nach vorne peitschen. Bei bestem Bremer Wetter, wie es scheint.

Was erwartest du umgekehrt von den 05ern? Und wie schätzt du sie diese Saison ein?
Gefühlt habe ich noch gar nicht so viele Spieler der Mainzer gesehen diese Saison. Aber ihr plagt euch ja auch mit einigen Verletzten rum, habe ich gehört. Mainz 05 ist für mich immer eine Wundertüte. Bei euch kann es gefühlt jederzeit in jede Richtung gehen.

Was glaubst du, wo beide Teams stehen werden, wenn wir uns in der Rückrunde wieder treffen? Klappt der doppelte Klassenerhalt auch diese Saison?
Ich hoffe sehr stark, dass wir beide mit einer schönen Weinschorle anstoßen können. Und zwar auf den doppelten Klassenerhalt, den beide Vereine schon frühzeitig unter Dach und Fach gebracht haben!

Danke für das Gespräch!

Gegnerbetrachtung: Mainz 05 bei RB Leipzig

Neu im Blog: die Gegnerbetrachtung. Vor den Auswärtsspielen des 1. FSV Mainz 05 spreche ich künftig mit Journalisten, Podcastern und Bloggern darüber, was die 05er in der Fremde erwartet. Diesmal beantwortet Kai Bieler, der zu Regionalligazeiten Fan des RB Leipzig wurde, meine Fragen.

Ja zu RaBa

Hallo Kai, danke, dass du dir Zeit für mich nimmst. Du bist Mitglied im Fanclub #taLEntfrei des Rasenballsport Leipzig e.V., der selbstironisch auf seiner Homepage erklärt, er sei „ein lockerer Zusammenschluss von erfolgsorientierten Fußballkonsumenten, die schon während Regionalliga-Duellen gegen Meuselwitz von der Champions League träumten. Jeder von uns ist seinen ganz eigenen Weg zum einzig wahren Rasenballsport gegangen.“ Was war deiner?
Mein Weg begann irgendwann 2011 in der zweiten Regionalliga-Saison von RB unter dem damaligen Trainer Peter Pacult. Nach einigen sporadischen Besuchen von Heimspielen und dem ersten emotionalen Highlight, dem 3:2-Sieg über den VfL Wolfsburg im DFB-Pokal, schenkte mir meine Freundin zur Rückrunde die erste Dauerkarte. Das bereut sie wahrscheinlich bis heute.

Um ehrlich zu sein, lässt sich von außen schwer nachvollziehen, wie Leute Fans von einem Verein wie Leipzig werden. Hätte Twitter mich nicht längst sozial verdorben und mit Fans sämtlicher Vereine positiv zusammengebracht, hätte ich das anstehende Spiel gegen Leipzig vermutlich ignoriert. Wie nervig ist es, sich für seinen Verein so verteidigen zu müssen?
Erklären ja, verteidigen nein. Ich erkläre gern meine Sicht auf die Dinge, aber ich habe keine persönliche Mission als Missionar in Sachen RB. Besonders in den ersten Jahren gab es viele Diskussionen, in den sozialen Medien oder im Freundeskreis und das war auch ok. Über die Jahre hat man als RB-Fan natürlich irgendwann alle Argumente ausgetauscht und die Lust, es zum 237. Mal zu tun, nimmt etwas ab. Zumal, wenn mit jedem Aufstieg neue Fanszenen anderer Vereine plötzlich das Thema für sich entdeckten und dachten, sie würden jetzt das Rad der RB-Kritik völlig neu erfinden. Da war dann wahlweise erheiternd oder ermüdend.
Ich nehme für mich selbst in Anspruch, die Entwicklung von RB leidenschaftlich aber mit einer gewissen kritischen Distanz zu begleiten. Insofern sind grundsätzliche Diskussionen mit anderen Fans über das Modell RB Leipzig selbstverständlich, wenn sie ein Mindestmaß an gegenseitigem Respekt und Höflichkeit einhalten. Dazu gehört für mich auch, das Fan-sein seines Gegenübers zu respektieren. Wenn es schon an der Bereitschaft dazu mangelt, wird ein Gespräch schwierig.

Wobei müssen natürlich eh Quatsch ist, der Verein sucht sich bekanntlich seine Fans und die Wege dahin sind unergründlich. Trotzdem. Erkläre doch Fußballromantikern wie mir, wieso Modelle wie das eure nicht den Fußball zerstören – und was du dem abgewinnst.
Dieses Bonmot von Nick Hornby ist zwar sehr schön, trifft auf die „1. Generation“ von RB-Fans aber eher nicht zu. Für sie (und für mich) war die Wahl des Vereins eher eine bewusste Entscheidung, gegen viele Widerstände und aus vielen verschiedenen, individuellen Gründen. Schon für die Kids von heute sieht die Sache ganz anders aus. Sie gehen mit ihren Eltern ins Stadion, werden mit RB sozialisiert und werden in ein, zwei Jahrzehnten die gleichen Geschichten erzählen, wie heute die Fans von „Traditionsvereinen“. Für sie ist RB einfach der Verein aus ihrer Stadt und die Diskussionen, die wir heute noch führen, werden für sie keine Rolle mehr spielen.
Dem Vereins-Modell von RB Leipzig „gewinne ich“ nichts ab in dem Sinne, dass es irgendwie besser oder moderner wäre als andere Modelle. Es war – ganz pragmatisch und unromantisch – die Bedingung dafür, dass Red Bull hier investiert. Ich kann aber auch nicht erkennen, dass es „den“ Fußball zerstört. Letzten Endes prägen weder die Rechtsform meines Vereins noch sein wirtschaftlicher Background mein persönliches Stadions-Erlebnis als Fan. Ok, letzteres in gewisser Weise schon, weil es natürlich über Dinge wie Liga-Zugehörigkeit und Kaderstärke mitbestimmt.

Stadion

Siehst du denn selbst Teile dieser Entwicklung auch kritisch? Was, wenn alle fünf Jahre ein Verein wie RB oder Hoffenheim aus der Regionalliga ins Oberhaus gefördert wird? Ist das eine Entwicklung, die du unterstützten könntest? Und würden dir Augsburg, Mainz und Frankfurt in zehn Jahren bei Spielen gegen „Coca Cola Rüsselsheim“ fehlen?
Fehlen Dir Waldhof Mannheim, Saarbrücken oder KSC Uerdingen in der Bundesliga? Die spielten nämlich noch in der Bundesliga, als ich Mitte der 1980er Jahre anfing, Fußball zu schauen. Der Fußball hat sich seitdem extrem verändert, sportlich, wirtschaftlich und auch gesellschaftlich, hin zu einem bürgerlichen Massenphänomen, das in allen Facetten einer marktwirtschaftlichen Verwertungslogik folgt. Das tat er natürlich auch schon damals, nur nicht so offensichtlich.
Ich kann mit diesem Traditionsdings grundsätzlich wenig anfangen und finde „Plastikklubs“ wie Hoffenheim und Leverkusen sportlicher spannender als Traditionsvereine wie Mainz, den HSV oder Augsburg. (Die beiden letztgenannten spielen im übrigen aktuell auch nur Bundesliga aufgrund eines spendablen Investors.) Aber das ist Geschmacksache und nichts, was mich über diese Vereine und deren Fans urteilen lässt. Im Übrigen glaube ich nicht an das oft bemühte „Coca Cola Rüsselsheim“. Auch, weil der Weg, den Red Bull in Leipzig gegangen ist, sich nicht so einfach auf andere Investoren und Standorte übertragen lässt.
Bestimmte Entwicklungen im internationalen Fußball – wie Ablösesummen im dreistelligen Millionenbereich, Trainingslager in Katar und Marketingreisen nach China – lassen mich mitunter auch kopfschüttelnd zurück. Aber in den schon oft angestimmten, kulturpessimistischen Klagegesang über den Untergang des „Fußball-Abendlandes“ mag ich trotzdem nicht einstimmen. Das setzt voraus, dass es mal den paradiesischen Zustand des „Volkssports Fußball“ jenseits aller ökonomischen Spielregeln gab, zu dem man zurückkehren könnte. Das ist Quatsch. Fußball war immer ein Spiegel seiner Zeit.

Ganz grundsätzlich: Kannst du das Bauchgrummeln derer verstehen, die ein Problem mit deinem Verein haben?
Klar kann ich verstehen, dass man grundsätzliche Einwände gegen Investoren im Fußball hat oder bestimmte Zusammenhänge in Leipzig von Außen nicht oder anders wahrnimmt. Das ist völlig legitim. Mitunter werden dabei nur Ursache und Wirkung verwechselt. RB Leipzig ist in Deutschland sicher das bisher konsequenteste Beispiel für den beschriebenen, „modernen Fußball“, aber bestimmt nicht sein Erfinder.

Wie beurteilst du Oliver Mintzlaff? Und glaubst du, er hat ein echtes Interesse am Fußball – oder ist es ihm egal, welche Sportart er als nächstes beflügelt?
Oliver Mintzlaff ist Manager, erst bei Puma und Andrea Berg, nun bei RB Leipzig. Seine Aufgabe als Geschäftsführer ist es, die wirtschaftlichen Strukturen zu professionalisieren, dafür zu sorgen, dass sie mit der sportlichen Entwicklung mithalten. In dieser Funktion macht er sehr vieles richtig. Die internen Strukturen in den Bereichen Sales und Marketing wurden neu aufgestellt, die Anzahl der Sponsoren ist signifikant gestiegen. Das Merchandisingangebot und der Hospitality-Bereich im Stadion werden sukzessive ausgebaut. Sein Ziel ist es, den Abstand zu den großen Playern wie BVB und Bayern zu verringern und gleichzeitig die finanzielle Abhängigkeit von Red Bull sukzessive zurückzufahren.
Mitunter kommt die „technokratische“, zahlengetriebene Sicht von Oliver Mintzlaff in der Fanszene nicht so gut an, etwa in den Diskussionen darum, ob die Red-Bull-Arena am historischen Standort des Zentralstadions um- oder auf der grünen Wiese neu gebaut werden soll. Rein von der zukünftigen Einnahmenseite aus betrachtet, wäre ein Neubau an der Autobahn sicher die logischere Alternative gewesen. Aber ein größerer Teil der Fanszene wollte den Erhalt des Innenstadt-Stadions. Letzten Endes hat sich der Verein für diese Lösung entschieden, worüber ich auch sehr froh bin. Aber ich würde Oliver Mintzlaff nicht vorwerfen, dass er das Thema Fußball vor allem wirtschaftlich betrachtet hat. Er ist Geschäftsführer eines Unternehmens, nicht dessen Fankultur-Beauftragter.

Schampus

In der Vergangenheit wurden die hohen Hürden bezüglich der Mitgliedschaft bei RB Leipzig kritisiert. Wie ist da der aktuelle Stand? Und bist du selbst Mitglied?
Daran, dass der Verein mit weniger als 20 handverlesenen, stimmberechtigten Mitgliedern, ein „closed shop“ ist, hat sich nichts geändert und das wird es in absehbare Zeit auch nicht. Daran lassen auch offizielle Äußerungen von Oliver Mintzlaff keinen Zweifel. Hier schützt Red Bull klar weiter sein Investment, nach dem Motto: „Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt auch die Musik.“ Im Zusammenhang mit der erstmaligen DFL-Lizenzierung nach dem Zweitligaaufstieg hat RB die Möglichkeit von Fördermitgliedschaften (in Gold, Silber und Bronze) eingeführt. Die Fördermitglieder sind nicht stimmberechtigt, können aber an den Mitgliederversammlungen des Vereins teilnehmen. Aktuelle Zahlen zur Anzahl der Fördermitglieder gibt es nicht, aber es dürften ein paar Hundert sein, einer davon bin ich.
Bei dem Thema geht es mir wahrscheinlich wie der Mehrheit der RB-Fans, die kein gesteigertes Interesse an Mitbestimmung haben. Meinen Gestaltungswillen kann ich in meinem Beruf und in meinem Ehrenamt bei einem sozialen Träger zur Genüge ausleben. Fußball ist ein Hobby. Da will ich mich mit Freunden zu treffen, mich über den Schiedsrichter aufzuregen und die ein oder andere Hopfenkaltschale oder „Berliner Luft“ (Grüße an die @brausecrew!) trinken. Ich bin außerdem ganz froh, von folkloristischen Auftritten a lá Watzke und Hoeneß auf Jahreshauptversammlungen verschont zu werden.
Im Übrigen hat die aktive RB-Fanszene auch jenseits formaler Mitbestimmung Wege gefunden, ihre Themen und Interessen beim Verein zu platzieren. Sei es über den Fanverband (Zusammenschluss von Fanclubs), die Fanbetreuer oder auch über soziale Medien. Da geht es um typische Fan-Themen wie Ticketpreise, die Qualität des Merchandisings, Livestreams von Testspielen oder das Catering im Stadion, aber auch die lange diskutierte Frage des Um- oder Neubaus des Zentralstadions. Dieser informelle Dialog klappt mal besser und mal schlechter. Mitunter greift man sich an den Kopf, wie bestimmte Entscheidungen kommuniziert werden – oder eben auch nicht. Aktuell beispielsweise bei der Entlassung eines langjährigen Fanbetreuers. Aber grundsätzlich werden kritische Äußerungen aus der Fanszene sehr wohl durch den Verein wahrgenommen und in der Regel wird auch darauf reagiert.

Wie ist der Verein eigentlich in Sachen Jugendarbeit aufgestellt?
Da gibt es seit geraumer Zeit einen krassen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zum einen hat sich RB für 35 Mio. Euro eines der modernsten Nachwuchsleistungszentren in Deutschland hingestellt und wird dafür regelmäßig medial abgefeiert. Auf der anderen Seite hat es bislang kein Spieler aus dem eigenen Nachwuchs in den Profikader geschafft. (Komischer Weise klappt die Integration junger Spieler von anderen Vereinen in die 1. Mannschaft regelmäßig, siehe Uppamecano und Konate.) Die U19 spielt seit längerem in der Bundesliga unter den Erwartungen, die U23 wurde zum Ende der vergangenen Saison komplett abgeschafft. Das halten viele immer noch für einen Fehler, weil damit das Bindeglied zwischen den U-Teams und Männer-Profifußball weggefallen ist. Wer sich dazu genauer informieren will, dem sei die aktuelle Folge des RB-Podcasts „Champagner statt Bier“ empfohlen, in der das aktuelle Dilemma der Nachwuchsarbeit detailliert aufgearbeitet wird.

Mit Lok hat Leipzig einen Traditionsverein im besten Sinne des Wortes. Wie ist aktuell das Verhältnis? Und wie wichtig ist RB für den darbenden Fußball-Osten?
Von gegnerischen Fans bekommen wir ja regelmäßig die Aussage „In Leipzig nur Lok und Chemie“ präsentiert. Das ist auf mehreren Ebenen weit weg von der Realität. Während RB längst in der ganzen Stadt angekommen ist und als Bundesligist sowieso auf einer anderen Ebene spielt, sind Lok und Chemie eher „Stadtteilvereine“, die in der Regionalliga Nordost ein treues, aber überschaubares Stammpublikum anziehen. Große Berührungspunkte gibt es seit der Abmeldung der U23 von RB aus der Regionalliga nicht mehr. Entsprechend ist die Zeit der großen innerstädtischen Diskussionen und Auseinandersetzungen vorbei.
Zum zweiten ist für den unreflektierten Begriff „Traditionsverein“ bei beiden eine nicht unerhebliche Konstruktionsleistung nötig. Die Zahl der Brüche, Umbenennungen, Insolvenzen und Neustarts bei Lok und Chemie seit 1990 lässt sich kaum an zwei Händen abzählen. Aktuell will beispielsweise Lok Leipzig die Rechtsnachfolge des seit 2004 vom Spielbetrieb abgemeldeten VfB Leipzig vom Insolvenzverwalter kaufen, um sich als 1. Deutscher Meister von 1903 bezeichnen zu können. Diese Art kreativer Geschichtsschreibung ist nicht so meins.
Ebenso wenig wie die Argumentation „RB ist Balsam für die gebeutelte, ostdeutsche Fußballseele“. Ja, der Osten war seit dem Abstieg von Energie-Cottbus 2009 Bundesliga-Niemandsland. Aber das sind das Saarland und Schleswig-Holstein auch (zumindest noch diese Saison, schönen Gruß nach Kiel.) Ein Grundrecht auf 1. Bundesliga gibt es nicht. Trotzdem sehe ich schon, dass viele im Osten RB als Verein „von hier“ wahrnehmen, mit dem man endlich wieder erfolgreich auf der großen Fußballbühne unterwegs ist.

Stadion innen

War es strategisch klug, gerade dort ein solches Projekt zu starten?
Ja. Aus heutiger Sicht konnte es wahrscheinlich keinen besseren Standort in Deutschland geben. Eine Stadt mit 500.000 Einwohnern und ohne Profifußball, aber mit einem neuen WM-Stadion und ganz viel Fußballgeschichte. Dazu mit zwei niederklassigen Traditionsvereinen, die sich seit Jahrzehnten in ihrem Hass aufeinander paralysieren und kein besonders attraktives Erscheinungsbild für „normale“ Fußballvereins abgeben. Besonders Lok hat bis heute mit einem Klientel zu kämpfen, dass regelmäßig durch eine gewisse „Erlebnisorientierung“ sowie durch rassistische und homophobe Entgleisungen auffällt. Für viele Leipziger ist heute klar, dass es einen externen Player wie Red Bull brauchte, um die Agonie des Leipziger Fußballs seit 1990 zu beenden und was Neues anzufangen. Das mag von außen nicht besonders romantisch aussehen, war aber aufgrund der wirtschaftlichen und fußballkulturellen Rahmenbedingungen kaum anders möglich.

Als Ralph Hasenhüttl von Ingolstadt nach Leipzig gekommen ist, habe ich mir verwundert die Augen gerieben. Aber der Fußball, den er bei euch spielen lässt, ist tatsächlich ein komplett anderer. Was war damals dein erster Gedanke – und wie siehst du den Trainer heute?
Ralph Hasenhüttl war wohl schon ein Jahr zuvor ein Kandidat für den Trainerposten, wollte aber nicht in die 2. Liga wechseln (ebenso wie Thomas Tuchel). Ich habe wie viele andere die Personalie von Beginn an positiv wahrgenommen. Zum einen, weil er in Ingolstadt mit dem Klassenerhalt in der 2. Liga, dem späteren Aufstieg in die Bundesliga und noch mehr mit dem 11. Platz in der ersten Bundesliga-Saison einen extrem guten Job gemacht hat. Was er in Ingolstadt hat spielen lassen, war aus Gegnersicht unangenehm, zuweilen nervtötend, aber es war die perfekte Spielidee für die kadertechnischen Möglichkeiten des Vereins. Und es war mit dem Fokus auf Pressing und Gegenpressing ja nicht weit weg von der RB-Spielanlage.
Aus heutiger Sicht muss man sagen, es passt bislang perfekt. Er ist ein taktisch vielfältiger Trainer, ein guter Motivator und nicht zuletzt ein sympathischer Typ. Besonders erstaunlich finde ich, wie schnell er die Entwicklung von RB von einem ausgeprägten Umschaltfußball hin zu einer Spielidee mit viel Ballbesitz hinbekommen hat. Gleichzeitig ist das Pressingverhalten viel flexibler als noch unter Zorniger oder Rangnick geworden. Bei RB unter Hasenhüttl kann man sowohl dem Team als auch dem Trainer bei ihrer parallelen Entwicklung hin zur nächsten Stufe zusehen. Dieser Gleichklang ist vielleicht das Erfolgsgeheimnis überhaupt. Ich bin gespannt, wie lange er noch andauert. Dass Hasenhüttl einen persönlichen Karriereplan hat, der in irgendwann aus Leipzig wegführen wird, ist kein Geheimnis.

In den europäischen Wettbewerb seid ihr, ähnlich wie Neuling Hoffenheim, eher holprig gestartet. Warum habt ihr euch dann, anders als Hoffenheim, rechtzeitig gefangen?
Seit Mittwochabend sind wir ja aus der CL ausgeschieden, wobei ich den „Abstieg“ in die Europa League nicht wirklich als solchen empfinde. Wir haben eine typische Europa-Premiere gespielt, mit Anpassungsproblemen, mit Lehrgeld, mit der erstmaligen Erfahrung der Doppelbelastung. Ein Unterschied zu Hoffenheim ist klar der breitere, besser besetzte Kader. Dadurch konnte Hasenhüttl zwischen CL und Bundesliga ohne größere Qualitätsverluste entsprechend rotieren. Außerdem hat es sicher etwas mit der Lernkurve des jungen Teams zu tun, das sich schnell auf das neue, europäische Niveau eingestellt hat. Trotzdem hat sich gezeigt, dass zu einem europäischen Spitzenteam noch einiges an Konstanz und „Abgezocktheit“ fehlt. Insofern entspricht die Europa League aktuell eher dem Entwicklungstand von RB als das Achtelfinale der „Königsklasse“.

Du warst beim Auswärtsspiel in Monaco. Gib uns die volle Packung Kitsch: Wie fühlt sich das an?
Lass es mich so sagen: Eine Wiederholung brauche ich nicht unbedingt. Fußball ist in Monaco schon eher ein Fremdkörper, 80-Meter-Yachten und Formel 1 passen da definitiv besser hin. Das 18.000er-Stadion war maximal halbvoll, die Stimmung gruselig. Größere Ansammlungen von Fußballfans in der Stadt sind nicht erwünscht, die Sicherheitskontrollen vor dem Stadion waren deutscher Sicht absurd intensiv. Dazu „sportliche“ Preise für alkoholische Kaltgetränke und mobiles Internet, dessen Kosten einem die Tränen in die Augen treiben. Dafür war das Frühstück am Folgetag bei 19 Grad an der Strandpromenade für Ende November ganz nett. ;-) Unterm Strich gibt es aber schönere Auswärtsziele in Europa.

Monaco

Was singt man eigentlich so bei euch im Stadion als Heim-Fan?
Oft dass, was man in anderen Bundesligastadien halt auch singt: „Auf geht’s (hier Städtenamen einsetzen) Jungs, schießt ein Tor für uns“, das Pippi Langstrumpf-Lied oder die üblichen „Schalalala“-Nummern. Dazu gibt es natürlich auch ein paar genuine RB-Songs. Eine der neueren Nummern, die gut funktioniert ist „Vorwärts Rasenball, Leipzig überall“ auf der Melodie von „Komm, wir fahren nach Amsterdam“. Einer meiner Lieblingssongs ist immer noch das schon ältere „Schweine-Lied“, weil es mit dem Schuss Selbstironie daherkommt, der für die Anfangszeit der Fanszene so stilprägend war. Das verschwindet leider zunehmend, in dem Maße, in dem die Anhängerschaft größer, heterogener und „normaler“ wird.

Leipzig hat sich am Wochenende von zuvor schwächelnden Hoffenheimern 0:4 abschießen lassen, die Mainzer sind zuhause gegen Augsburg untergegangen. Mit was für einem Gefühl schaust du auf das kommende Spiel? Wird das ein lockerer Heimsieg? Oder können wir euch Probleme machen?
Lockere Heimsiege sind für uns in dieser Saison eher die Ausnahme. Die Doppelbelastung und die größtenteils sehr defensive Ausrichtung unserer Gegner haben den teilweisen „Hurra-Fußball“ der vergangenen Hinrunde verschwinden lassen. Im vergangenen November kamt ihr noch nach einer 1:6-Klatsche unter der Woche in Anderlecht zu uns und wart entsprechend chancenlos. Jetzt treten wir mit vertauschten Rollen gegeneinander an. Wir haben gerade unser letztes CL-Heimspiel verloren und Mainz kommt ausgeruht und gut vorbereitet nach Leipzig. Insofern erwarte ich ein enges Spiel, bei dem RB mit dem Ball Chancen kreieren und besser verwerten muss als noch Mittwoch gegen Istanbul. Mainz wird sicher auf seine Chancen im Umschaltspiel lauern und auch bei der Verteidigung von Standards stellen wir uns aktuell nicht besonders gut an. Insofern ist RB natürlich Favorit, aber aussichtslos ist das Spiel aus Mainzer Sicht sicher nicht.

Wo sind Baustellen in eurem Kader und welche Umstellungen erwartest du nach dem letzten Spieltag?
Aktuell fehlen uns mit Forsberg und Sabitzer zwei absolute Schlüsselspieler auf der 10er-Position, die viel Kreativität, Ballkontrolle und im Fall von Sabi auch noch Mentalität mitbringen. Er ist auf dem Platz eine absolute Führungspersönlichkeit, der nie aufsteckt, auch mal seine Mitspieler zusammenscheißt und immer für ein wichtiges Tor gut ist. Für das Mainz-Spiel wird es bei ihm nach seiner Schulterverletzung in Monaco aber sicher noch nicht wieder reichen.
Ich hoffe, dass Upamecano wieder in die Innenverteidigung neben Orban zurückkehrt. Und Bernardo wäre für mich eine Alternative zu Klostermann, der aktuell nach seiner langen Verletzung noch nicht wieder in der alten Form ist. Besonders offensiv kommt da auf der Außenbahn zu wenig. Ansonsten funktioniert die Rotation im Team ganz gut, wobei aber speziell Bruma und auch Augustin noch nicht ganz die Erwartungen an sie erfüllen können.

Wo erwartest du beide Teams, wenn wir uns in der Rückrunde wieder begegnen?
Für Mainz geht es, realistisch betrachtet, in dieser Saison nur darum, den Abstiegskampf so lange wie möglich zu vermeiden. Wenn Ihr bis zum Rückspiel den HSV, Bremen und Freiburg auf Distanz halten könnt (Köln ist eh weg), ist es wohl eine „erfolgreiche“ Saison.
Bei RB wird es spannend zu sehen sein, wie wir den Rest der Hinrunde bestreiten. Aktuell zeigt die Form-Kurve eher nach unten und mit euch, Wolfsburg und Hertha warten noch drei schwierige Aufgaben. Die Winterpause ist diesmal extrem kurz und der Spielrhythmus in der Europa League ab Frühjahr noch anspruchsvoller. Natürlich ist der Anspruch, sich wieder für einen internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Ob es dann für einen der erstmals vier direkten CL-Plätze reicht, hängt sich auch davon ab, wie die Entwicklung beim BVB, Schalke, Gladbach und Leverkusen weitergeht. Es wird auf jeden Fall enger werden als in der Vorsaison.

Was für eine Strategie erwartet die Mainzer am Samstag in Leipzig? Und dürfen sie diesmal ihre Plakate aufhängen, oder … Well.
Wenn sie dafür nicht die Stadiondekoration zerstören müssen, wird das sicher kein Problem sein. Übertrage die Situation doch mal in den privaten Bereich: Jemand kommt in Dein Wohnzimmer und fängt an, die Tapete abzureißen, weil ihm die Farbe nicht gefällt und er eigene Bilder aufhängen will. Wie lange wäre er wohl noch Dein Gast? Gegnerische Fans hängen regelmäßig RB-kritische Plakate auf und das ist auch ok. Dagegen finde ich einigermaßen absurd, Sachbeschädigungen als notwendigen Teil der Ausübung von Meinungsfreiheit dazustellen und sich hinterher noch in eine Opferrolle zu begeben.

Danke für das Gespräch!

|| Zu den Hintergründen der Plakat-Frage, hier ein Artikel bei Faszination Fankurve. ||

Gegnerbetrachtung: Mainz 05 beim SC Freiburg

Neu im Blog: die Gegnerbetrachtung. Vor den Auswärtsspielen des 1. FSV Mainz 05 spreche ich künftig mit Journalisten, Podcastern und Bloggern darüber, was die 05er in der Fremde erwartet. Diesmal beantwortet Sven Metzger, der erst fern der Heimat in Berlin zum Fan des SC Freiburg wurde, meine Fragen.

Sven Fuchs

Hallo Sven, du gehst für meinsportradio.de regelmäßig mit dem füchsletalk an den Start. Erzähl doch mal ein bisschen was über das Format.
Der füchsletalk ist der einzige Podcast zum SC Freiburg. Jeden Monat sprechen wir über das, was auf und neben dem Rasen so los ist. Ergänzt wird das feste Team immer wieder um Gäste, wie beispielsweise den SZ- und SPON-Autor Christoph Ruf oder SWR-Reporterin Nadja Eckerle. Aktuell müssen wir uns leider regelmäßig über den VAR aufregen. Aber damit sind wir ja nicht allein. Nur werden bei uns keine Fernseher geworfen.

Du lebst im pfälzischen Haßloch. Wie wird man da Freiburg-Fan? Musstest du dich von der FCK-Verwandtschaft abgrenzen? Als Mainzerin würde ich das natürlich begrüßen…
Ich bin ja nun in der Kurpfalz groß geworden, und da gab es Anfang der Achtziger einen Verein, der seine Heimspiele im Südweststadion in Ludwigshafen austrug. Da meine Großeltern nur 200 Meter vom Stadion wohnten, habe ich also meine Fußballjugend beim Waldhof verbracht. Zum SC kam ich durch meinen Umzug nach Berlin, die regionale Bindung war weg und mich beeindruckten einfach die übergeordneten Werte, für die der Verein damals schon stand und immer noch steht. Viele finden Freiburg deshalb sympathisch, ich wurde deshalb Fan.

Anmerkung: Natürlich wusste ich das mit dem Waldhof vor dem Interview nicht. This changes everything!

Ob Dreisam oder Rhein, faire Fains woll'n wir sein. (Foto: Fridolin Wernick)

Ob Dreisam oder Rhein, faire Fains woll’n wir sein. (Foto: Fridolin Wernick)

Neben dem Fußball berichtest du auch über andere Sportarten – zum Beispiel Schach – und bist zudem seit diesem Jahr Sprecher der deutschen Ringerliga. Welcher Sport besetzt den ersten Platz in deinem Herzen?
Ich habe ein großes Herz mit viel Platz für eigentlich jeden Sport, so bin ich auch viel beim Eishockey oder Handball. Aber als Sprecher der Deutschen Ringerliga kann ich natürlich nur für diesen wunderbaren Sport werben. Schaut ihn euch in der Halle an, ihr werdet begeistert sein.

Für die Jungle World schreibst du unter anderem über Darmstadt 98. Wie stark achtest du auf eine Trennung von Fansicht und Berichterstattung? Ist es eine bewusste Entscheidung, Freiburg via Podcast und Darmstadt als Reporter zu begleiten?
Bei Freiburg rede ich von wir, bei Darmstadt würde ich das nie tun. Das beschreibt den Unterschied wohl ganz gut. Der Podcast hat ja nun auch eine deutliche Vereinsbrille auf, was so gewollt und vollkommen in Ordnung ist. In Darmstadt fand und finde ich es spannend zu beobachten, wie ein Verein, der dafür überhaupt nicht gemacht war, auf einmal in der Bundesliga landete, und sich dort behaupten konnte. Nun ist die große Frage natürlich, wie die Geschichte weitergeht, was ich journalistisch für nicht weniger interessant halte. Und jubelnde Journalisten und Mitsinger gibt es auf den Pressetribünen der Republik schon genug, da muss ich nicht einstimmen. Ich habe mir das mal für die Jungle World von der Seele schreiben dürfen.

Kommen wir zur Situation des SC Freiburg. Ihr habt am vergangenen Spieltag 1:3 in Wolfsburg verloren. Wie schmerzhaft war die Niederlage gegen ein Team, das vorher sieben Mal unentschieden gespielt hat?
Nicht weniger schmerzhaft als andere Niederlagen in der Saison. Sie war aber verdient, weil der SC wieder sein Auswärtsgesicht zeigte, das diese Saison kein schönes ist.

Braut sich beim SC etwas zusammen? (Foto: Fridolin Wernick)

Braut sich beim SC etwas zusammen? (Foto: Fridolin Wernick)

Das erste Saisondrittel der Freiburger in Zahlen klingt bedrückend: Acht Punkte aus 12 Spielen und mit 24 Treffern die meisten Gegentore der Liga. War das so zu erwarten?
Wenn dir zur neuen Saison über 50 Scorerpunkte fehlen, kannst du das als SC Freiburg in der Bundesliga unmöglich auffangen. Dazu noch ein hartes Startprogramm, eine Mannschaft in der Findungsphase, so dass der aktuelle Tabellenstand nicht so furchtbar überraschend kommt.

Interessanterweise hattet ihr in der Vorsaison nach 12 Spielen ebenfalls 24 Gegentreffer, auf der Habenseite standen aber 16 Tore statt jetzt 7. Wo hakt es derzeit offensiv?
Abschlusseffizienz heißt das Schlüsselwort. Der SC spielte sich im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahrs ähnlich viele Chancen heraus. Aber wo die Dinger letztes Jahr noch versenkt wurden, gehen sie dieses Jahr eben an den Pfosten, vorbei – oder werden gehalten.

Habt ihr letzte Saison über eure Verhältnisse gespielt? Oder bleibt ihr diese darunter?
Wir haben letzte Saison viele Spiele knapp gewonnen, also vielleicht etwas über die Verhältnisse gespielt, auch wenn der Platz im internationalen Wettbewerb vollkommen verdient war. Und eigentlich spielt der SC auch diese Saison über die Verhältnisse, schließlich sind wir in der Etat-Rangliste mit weitem Abstand Letzter.

Was für Punkte gibt es, die das Team aktuell schwächen?
Maximilian Philipp und Vincenzo Grifo nach der letzten Saison weg, ein überhitzter Transfermarkt im Sommer, der es kaum möglich machte, frühzeitig passenden Ersatz zu finden, dazu jede Menge Verletze, die nun im Ausfall der Schlüsselspieler Niederlechner und Frantz gipfeln. Und ich hatte in unserer Saisonvorschau den SC schon ohne all diese Ausfälle auf Platz 17 getippt.

Und was macht dir Hoffnung?
Christian Streich, die Mannschaft und das Umfeld. Die Leistungen in den Heimspielen.

Freiburg ist heimstark. Aber wird das allein reichen? (Foto: Fridolin Wernick)

Freiburg ist heimstark. Aber wird das allein reichen? (Foto: Fridolin Wernick)

Muss man in der aktuellen Situation schon froh sein über das Scheitern in der Europa League Quali, oder bedauerst du es, dieses Abenteuer nicht mit dem Verein zu erleben?
Ich war 2013 mit dem SC beim Spiel in Estoril. Es gibt kein schöneres Erlebnis für einen Fan als Europapokal auswärts mit einem Verein, bei dem dies so besonders ist. Aber bei mir war kein großes Bedauern nach dem Ausscheiden gegen Domzale da. Man sah schon in diesen beiden Spielen viel zu deutlich, wie hart die Saison werden würde, so dass meine Gedanken dann sehr schnell Richtung Bundesliga gingen.

Die Spieler wirken extrem selbstkritisch, teilweise auch fast schonungslos mit der eigenen Leistung. Siehst du mittlerweile ein Kopfproblem?
Die Frage, ob die Spieler zu klug und zu reflektiert über die eigene Leistung nachdenken, würde man wohl auch keinem anderen Verein stellen. ;) Nein, ich sehe kein Kopfproblem.

Christian Streich ist ein Phänomen, als Trainer und als Typ. Die einen lieben ihn, den anderen geht er auf die Nerven. Wie wichtig ist er für den Verein?
Christian Streich ist die wichtigste Person für den SC Freiburg. Punkt. Aus. Ende. Er steht für diesen Verein mit all seiner Empathie, seiner Menschlichkeit, seinem Fachwissen.

Findest du es gut, wenn das Bild eines Vereins so stark von einer Person geprägt ist, oder liegt darin auch eine Gefahr? Mit Volker Finke war es in Freiburg ja ähnlich.
Bei Streich ja, bei Finke zum Ende hin eindeutig nein. Lassen wir es dabei, denn das würde Seiten füllen.

Wäre eine Entlassung von Streich in Freiburg denkbar? Oder geht der Verein, wenn es sein muss, auch wieder mit ihm in die 2. Liga?
In Freiburg geht Christian Streich nur selbst, sonst hat das niemand zu entscheiden. Und das wird auch niemand anders entscheiden.

Nach dem Ausfall von Florian Niederlechner wichtig wie nie: Nils Petersen. (Foto: Fridolin Wernick)

Nach dem Ausfall von Florian Niederlechner wichtig wie nie: Nils Petersen. (Foto: Fridolin Wernick)

Was erwartest du am Samstag für eine Aufstellung? An welchen Stellschrauben kann Streich noch drehen und auf welche Taktik müssen die Mainzer sich einstellen?
Die Frage ist ja eher, wen er auf den Platz bringen kann. Wer ist fit? Wie entwickeln sich die Neuzugänge? Kriegt man Niederlechner im Spiel gegen den Ball ersetzt? Der Vorhang fällt und alle Fragen sind offen.

Und wie lautet dein Tipp? Stoßt ihr den Bock gegen auswärtsschwache Mainzer um?
Der Bock ist ziemlich störrisch, muss wohl sehr oft umgestoßen werden, und wird da mit Sicherheit noch bis ins Frühjahr 2018 stehen bleiben. Mir reicht ein 1:0 durch Petersen.

Danke für das Gespräch!

|| Mit großem Dank an Fridolin Wernick für die zur Verfügung gestellten Fotos. ||

Gegnerbetrachtung: Mainz 05 bei Mönchengladbach

Neu im Blog: die Gegnerbetrachtung. Vor den Auswärtsspielen des 1. FSV Mainz 05 spreche ich künftig mit Journalisten, Podcastern und Bloggern darüber, was die 05er in der Fremde erwartet. Diesmal beantworten Christoph und Manuel, deren Herz für Borussia Mönchengladbach schlägt und die über ihren Verein bloggen und podcasten, meine Fragen.

Manuel ist Fohlenfan durch und durch... (Foto: privat)

Manuel ist Fohlenfan durch und durch… (Foto: privat)

Hallo Manuel und Christoph. Ihr schreibt und quasselt für den Halbangst-Blog und den Podcast vollraute. Erzählt doch erstmal ein bisschen was zu den beiden Formaten.
C: Halbangst ist so ein bisschen aus dem Frust über Fanjournalismus entstanden. Ein Kumpel von mir – wie ich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk am Mikro – und ich haben überlegt, ob wir einen gemeinsamen Blog starten. Sehr kritisch, sehr meinungsfreudig. Da er Fortuna-Düsseldorf-Fan ist und ich Gladbacher, haben wir dann so eine Mix-Sache draus gemacht, die zum einen durchaus gut ankam und zum anderen auch hier und da mal polarisiert hat. Inzwischen sind wir schon fast die alten Herren der Bloggerszene am Niederrhein, aber es läuft immer noch ganz gut – auch, weil sich Leute wie Manuel relativ schnell uns angeschlossen haben.
M: Dazu podcaste ich im vollraute-Team. Wir senden seit 2013 und sind mittlerweile sechs Leute, die regelmäßig mitwirken. Hier geht es um einen reinen Gladbach-Podcast, in dem wir – aus TV- oder Stadionperspektive – die Spiele und Taktik analysieren, über den Verein und das Umfeld diskutieren und auch Gäste einladen. Vom Gründer Sascha bis zu mir sind wir alle seit vielen Jahren vom Format Podcast als Medium überzeugt, das nun ja auch vielerorten den Fußball erfasst hat. Jüngst hat die Borussia einen Podcast in ihr vereinseigenes Medienangebot aufgenommen.

Manuel, du lebst in Großbritannien, euer Podcast erscheint auch auf Englisch. Wie hält man den Kontakt zum Herzensverein, gerade über das rein sportliche hinaus, wenn so viele Kilometer zwischen einem selbst und dem Stadion liegen? Wie viele Spiele im Jahr gönnst du dir?
In den vorherigen Jahren habe ich mir eine Handvoll Spiele pro Saison gegönnt. Das ist aus privaten und beruflichen Gründen in den letzten zwölf Monaten leider nicht mehr so möglich gewesen. Ich habe als ehemaliger Mönchengladbacher aber natürlich noch einige Kontakte, um über das Sportliche hinaus die Stimmung im Klub und Umfeld mitzuverfolgen.

Immer nah dran: Team vollraute bei der Arbeit. (Foto: privat)

Immer nah dran: Team vollraute bei der Arbeit. (Foto: privat)

Und noch eine persönliche Frage: Wie seid ihr beiden zu Fohlenfans geworden? Welche Ära und Spieler haben euch besonders geprägt?
C: Ich bin erst mit zehn zur Borussia gekommen – 1990. Ich fand Fußball erst blöd, dann aber habe ich Deutschland gegen Holland bei der WM gesehen und dachte: Aha, das ist also dieser Fußball. Dann ging es schnell, ich stamme ja auch aus Gladbach: Stadionbesuch, erste Dauerkarte für die Nordkurve mit 14 Jahren (würde ich meinem Sohn nie erlauben), Auswärtstouren ab 16, inzwischen Dauerkarte im Sitzplatzbereich. Ganz klassischer Weg. Was mich so ein bisschen stolz macht, sind die Umstände, in denen ich Fan geworden bin. Die Borussia war Anfang der 90er eher ein Abstiegskandidat. Dann kam Stefan Effenberg und auch so etwas wie ein bisschen Erfolg. Das alles auf dem Bökelberg. Nachhaltig war es nicht – irgendwann ging es in die 2. Liga. Insofern fühlt sich das schon ganz gut an, keiner der typischen 70er-Jahre-Hurra-Fans zu sein. Das erdet massiv, auch in Zeiten wie diesen, in denen die Borussia eher zum größeren Kapital der Liga gehört.
M: Als Mönchengladbacher war das in die Wiege gelegt, ich bin 1987 zum ersten Mal mit meinem Vater ins Stadion. Von daher war es ähnlich wie bei Christoph – viele Abstiegskampf-Jahre, Dauerkarte und viele Auswärtsfahrten, eine Hochzeit mit Effenberg, Dahlin und Andersson, und wieder nach unten. Besonders geprägt haben mich schon so Leute wie Hans-Jörg Criens, Joachim Stadler, besagte Pokalsieger-Elf um Effenberg, aber auch ein Marcel Ketelaer oder Arie van Lent.

Kommen wir zur aktuellen Situation der Borussia. Ihr steht mit 17 Zählern punktgleich mit Schalke 04, die aber das bessere Torverhältnis haben, auf dem 6. Rang. Hättet ihr das vor dieser Saison als Platzierung für den 10. Spieltag gekauft?
M: Wie es jetzt rein tabellarisch aussieht, ist es voll okay. Champions League ist nur machbar, wenn es die Liga hergibt – oder es eine Saison am oberen Limit wird, wie in den Vorjahren. Momentan ist diese Mannschaft extrem schwer einzuschätzen. Eine Leistungsstreuung, wie ich sie selten erlebt habe. Aber Platz 6, Europapokal, ist in Gladbach immer ein Grund zu feiern.
C: Es wäre okay. Ich bin da etwas härter drauf als Manuel. Ich halte die Borussia vom spielerischen Potential her für einen Champions-League-Aspiranten. Wenn man sich die Tiefe des Kaders anschaut, ist das für einen Verein, der nicht europäisch spielt, massiv. Daher würde ich eher einer vergebenen Chance nachtrauern, als mich freuen. Es klingt absurd: Auch, wenn Leverkusen mit dem 1:5 deutlich war – das hättest du gewinnen müssen. Frankfurt zu Hause und Augsburg sind eigentlich ebenfalls drei Punkte wert gewesen. Eigentlich müsste die Borussia bei 25 Punkten stehen. Das wäre keine Sensation.

Bayern, Leipzig und Dortmund, so scheint es, werden die ersten drei Plätze sowieso (wieder) unter sich ausmachen. Beginnt der Angriff aller anderen Teams künftig erst mit Platz 4?
M: Das ist leider ein hausgemachtes Problem dieser wohl merkwürdigsten aller Top-Ligen, in der einerseits der gerechte-Verteilungsgedanke und der Vereinsstatus sehr ausgeprägt ist, anderseits diese ganzen Ausnahmen gemacht werden und wurden. Man muss realistisch sein und sagen, dass für den Rest eine Meisterschaftswahrscheinlichkeit im Promille-Bereich liegt. Höchstens.

Der Bökelberg ist Vergangenheit, die Gladbacher spielen heute im Borussia-Park. (Foto: Meenzer on Tour)

Der Bökelberg ist Vergangenheit, die Gladbacher spielen heute im Borussia-Park. (Foto: Meenzer on Tour)

Auf ein 1:5 daheim gegen Leverkusen folgte zuletzt der Pokalsieg im Derby gegen Fortuna Düsseldorf und ein 3:1 gegen Hoffenheim. Woher kommen diese doch krassen Ausschläge?
C: Ich habe die Truppe mal Mentalitätsplüschtier genannt. Psychologisch ist sie oft nicht besonders robust. Da wird schnell der Kopf gesenkt. In Hoffenheim hast du gesehen, was passiert, wenn die Mannschaft das Grübelnde ablegt. Aber auch da musst du eigentlich mehr Tore machen. Ist schon bezeichnend, wenn einer wie Hazard bei den Torschüssen unter den Top Fünf der Liga ist, bei den Torjägern aber kilometerweit entfernt von diesen. Daher, ich glaube, es ist Kopfsache. Und ich finde das nicht ganz unwichtig – so ist die Borussia nämlich ein Club, der dieses unsägliche Bayern-Leipzig-Dortmund-Konzert durchbrechen kann.
M: Ja, irgendwo zwischen Plüschtieren und Hartplatz-Gezocke ist das Kopfproblem anzusiedeln. Ich glaube, dass das Auftreten einer Mannschaft ganz wesentlich von ein, zwei Spielern beeinflusst wird. Und momentan scheint es ein Kader zu sein, der den gepflegten Ball mag und eher nett unterwegs ist. Das ist dann teilweise ein gefundenes Fressen in dieser Alles-raushauen-Ära der Bundesliga. Dazu kommt ein Mix aus Etablierten und Jungen/Neuen, der (noch) kein balanciertes Korsett wie in den Favre-Jahren gebildet hat.

Die Redaktion der 11 Freunde hat kürzlich auch mal aufgedröselt, wieso Gladbach in dieser Saison so wankelmütig ist. Ein Problem sehen sie darin, dass ihr immer nur eine gute Hälfte schafft, positiv bewerten sie euren Ballbesitz. Stimmt ihr den Analysen zu?
C: Naja, Hoffenheim war insgesamt gut, Bremen ebenso, Hannover passte vom Willen, selbst das Spiel in Düsseldorf war konstant vom Level her. Außerdem: Die Statistiken sagen jetzt nicht unbedingt, dass die Borussia so viel Ballbesitz hat. Unter Favre war das teilweise ein Vielfaches. Aber nun gut, die 11 Freunde. Wenn wir die alten Herren der Blogszene sind, dann reden wir hier über die Opas der alternativen Fußballszene. (Das sage ich übrigens mit einem großen Augenzwinkern.)
M: Ich weiß nicht, ob das eher eine Nacherzählung oder wirklich Analyse ist. Ballbesitz ist sicherlich in dieser Liga ein Zeichen, aktiv etwas für das Fan-Auge zu tun. Allerdings: In der Rückrunde unter Hecking waren die besten Spiele die mit weniger Ballbesitz als der Gegner. Ich glaube, dass es oft ein Problem der letzten Konsequenz in der Abwehr ist und zu großer Abstände, wenn das Spiel hektischer wird. Offensiv fehlt oftmals die Tiefe des Raumes am 16er, wie ihn ein Arango oder ein Xhaka bespielen konnten. Da hat ein ähnlich veranlagter Spieler wie Grifo gegen Hoffenheim direkt den Unterschied gemacht.

Wie schlimm treffen euch die aktuellen Verletzungen? Kramer und Bobadilla beispielsweise sind ja Spieler, mit denen Hecking natürlich geplant hatte. Seid ihr nicht gut genug besetzt?
C: Kramer ist halt der Spieler mit der meiner Meinung nach wichtigen Antreibermentalität. Fußballerisch ist er genauso wichtig, auch wenn es bei ihm oft sehr unrund ausschaut. Bobadilla ist für mich immer noch ein Transfer, den ich zu verstehen versuche. Zu den Geschichten aus seiner ersten Zeit sage ich mal nix – nur so viel: Der muss schon arg geläutert sein, um jetzt zu passen. Insofern habe ich keine Sorge um das Team, wenn er ausfällt. Ich glaube auch nicht, dass er von Hecking als so wichtig erachtet wird. Zumindest nicht für die Startelf.
M: Kramer ist immens wichtig für die Stabilität und Seriosität neben den jungen Wilden wie Cuisance oder Benes, was man zum Beispiel in der zweiten Hälfte gegen Leverkusen gesehen hat. Dazu fehlt die Option Tobias Strobl mit Kreuzbandriss. Insgesamt gibt es im Mittelfeld aber schon viele Optionen, so dass es Meckern auf hohem Niveau ist. Bobadilla ordne ich in die Kategorie Macht nochmal Lärm vorne-Einwechselspieler ein.

Der verletzte Jonas Hofmann ist den 05-Fans in bester Erinnerung geblieben. (Foto: Meenzer on Tour)

Der verletzte Jonas Hofmann ist den 05-Fans in bester Erinnerung geblieben. (Foto: Meenzer on Tour)

Nun fällt auch noch der in Mainz bestens bekannte Jonas Hofmann für den Rest der Hinrunde aus. Wie soll der Trainer das kompensieren? Welche Reaktion erwartet ihr euch vom Team?
C: Das mit Hofmann ist schon Scheiße. Klar lässt der mit seinem Sachverwalter-Fußball viel liegen. Allerdings: Im Angriff ist er oft der Ruhepol, der mal einen Ball halten kann und stabil ist. Zwar nie die ganz große Nummer, aber schon ein wichtiger Faktor in der Truppe. So ein Element – wenn auch ein eher langweiliges – fehlt jetzt schon ein wenig.
M: Wenn Hofmann ein Eisvogel vorm Tor wäre, wäre der halt auch nie bei uns gelandet. Er kann aber auch das Vorbereitende, was mir damals bei ihm in seiner Mainzer Zeit gut gefallen hatte. Sein Ausfall ist nicht gut gerade im Hinblick auf die oben erwähnten Verletzten und den von Christoph beschriebenen Ruhepol-Einfluss.

Der populärste Gladbacher Neuzugang ist sicher Matthias Ginter vom BVB. Er hat bislang alle Ligaspiele über 90 Minuten absolviert und zwei Tore geschossen. Wie zufrieden seid ihr ganz grundsätzlich mit den Sommertransfers und wie speziell mit der Ginter-Verpflichtung?
C: Es gab halt keinen Besseren für die Position. Und bei uns ist – aus meiner Sicht – das größte Innenverteidiger-Talent Europas, Andreas Christensen, gegangen. Da musste der Verein einen Topper holen. Und da ist Ginter schon okay. Hat zwar seine Böcke, ist aber sonst sehr stabil und wächst so langsam in die Führungsrolle rein. Hat mir in Hoffenheim zum ersten Mal so richtig gut mit seinen Ansagen an die Vorderleute gefallen. Auch mit seiner Ruhe – wobei das interessant war – da hat Hecking ihn ins defensive Mittelfeld gestellt. Das sah zeitweise besser aus, als in der Innenverteidigung.
M: In Sachen Ginter sehe ich in der Tat alles genauso wie Christoph. Zu den Sommerzugängen muss ich sagen, dass ich Zakaria unfassbar gut finde. Der ist zwei Schritte weiter, als angenommen. Unglaubliche(r) Radius, Passsicherheit und Physis. Wenn der Schweizer so weitermacht, geht Zakaria in drei Jahren für jenseits einen sehr hohen achtstelligen Betrag zu einem Weltklub, soweit lehne ich mich aus dem Fenster.

In der Außenbetrachtung wirkt bei Gladbach immer noch die letzte Saison nach: Ich vermisse Lucien Favre. Dieter Hecking wirkt aus der Entfernung wie einer, der keine große emotionale Bindung zum jeweiligen Verein darstellt. Tue ich ihm Unrecht? Welches Standing hat Hecking in der Gladbacher Fanszene?
C: Favre war eine Liebeserklärung an den Fußballnerd. Da sollten wir ehrlich sein, so einen kriegst Du nicht alle Jahre. Und da ich Schubert für das komplette Gegenteil hielt (klar, hin und wieder ist Fast-Food ja okay, aber immer – näääh), ist Hecking für mich eine Wohltat. Er ist verlässlich.
M: Ich glaube schon, dass Gladbach Hecking sehr am Herzen liegt. Favre war einfach diese Melange aus Kauz und verschmitzter Intelligenz, die die Gladbacher so mögen, weil es sie an den gern erzählten cooler Underdog gegen bösen Großstadtklub-Mythos der 70er gegen die Bayern erinnert.

Und wie beurteilt ihr Heckings Arbeit?
C: Ich bin zufrieden. Er vercoacht sich zwar hier und da – wie gegen Leverkusen, da hätte er umstellen müssen, Raffael rausnehmen, den jungen Cuisance von der Sechs nach vorne beordern und Hofmann dafür ins Defensive Mittelfeld stellen sollen. Heiko Herrlich von Leverkusen hatte gesehen, dass da die Schwäche der Borussia lag und ging auf diese beiden Spieler ins starke Pressing. Beide haben die drei schnellen Gegentreffer eingeleitet. Das hätte man in der Halbzeit sehen können. Aber – und das mag ich an Hecking – er reagiert auf solche Fehler und findet in den nächsten Spielen Lösungen. Meiner Meinung nach ist er nicht so konservativ, wie viele denken.
M: Das ist schon alles okay so, gerade, wenn man die Tabelle ansieht. Die nun schwächere Heimbilanz, traditionell Gladbachs Stärke, kostet ihm in gewisser Weise sicherlich Ansehen. Er ist weder hyperaktiv noch erzkonservativ, beharrend, aber auch Fehler einsehend – vielleicht ist es für viele deswegen schwer, ein Profil zu erkennen, an dem sie sich reiben oder laben können.

Christoph liebt Fußball und Eishockey und ist oft im Stadion anzutreffen. (Foto: privat)

Christoph liebt Fußball und Eishockey und ist oft im Stadion anzutreffen. (Foto: privat)

Beim Auswärtsspiel in Hoffenheim zeigten Gladbach-Fans neben einer genehmigten Choreo ein Spruchband, das Dietmar Hopp als Fußballmörder beleidigt. Gladbach entschuldigte sich, Hoffenheim stellte Strafanzeige. Was empfindet man als Gladbacher in der Situation?
C: Ich bin auch Eishockey-Fan bei der DEG und weiß, was Hopp in Mannheim macht. Das ist so verkehrt nicht. Und auch wir Gladbacher haben von den Hoffenheimern profitiert, indem wir den einen oder anderen Spieler von der TSG bekommen haben (Hofmann, Johnson, Grifo). Klar, mag ich diesen Dorfklub nicht, er ist ein Kunstprodukt, das Stadion liegt in der absoluten Pampa – dagegen ist der Borussia-Park sowas wie der Broadway. Aber diese Proteste gegen Hopp: Mir ist das inzwischen zu 2007.
M: Absolut albern und peinlich. Die Strukturen des DFB und das Durchwinken solcher Modelle gilt es zu kritisieren. Dazu kommt, dass solche unkreativen und stillosen Entgleisungen wieder einmal genau den Law-and-Order-Typen, denen eine aktive oder wie auch immer genannte Fanszene ein Dorn im Auge ist, helfen. Und ist es dieses Rumgepöbel, was dann gestenreich als Fussballkultur verteidigt werden muss? Ein Eigentor.

Ich bin sehr für die kreative Auseinandersetzung mit Retortenclubs und selbst überzeugte Fußballromantikerin. Solche Aktionen ärgern mich aber, weil mit der Begrifflichkeit Grenzen überschritten werden. Damit spielen diese Leute, wie Manuel schon andeutet, jenen in die Hände, die alle Fußballfans als randalierende Idioten abstempeln wollen. Wie können die anderen Fans dagegenhalten?
C: Wie du sagst: kreativ sein, lustig sein, sein Vokabular im Blick haben. Aber spielen wir es nicht zu hoch: Zum Fußball gehört auch, dass Fanaktionen mal nicht geschmackssicher sind. Und diese Konstrukte wie RB Leipzig zugelassen hat ja der DFB. Ich finde, wir sollten uns viel mehr auf die Doppelmoral, die Kommerzialisierung und die Gier des DFB konzentrieren, anstatt uns an Symptomen wie Hoffenheim, Bayern, Wolfsburg oder Leipzig abzuarbeiten.
M: Da bin ich ganz eurer Meinung. Es geht anders, was den Stil angeht, und die wahren Probleme sind eine Etage höher zu finden.

Am Samstag spielt Mainz nun in Gladbach. Nach den Schwankungen zuletzt müssten wir euch aus dem eigenen Stadion kegeln. Was macht euch Hoffnung darauf, dass sich eure Mannschaft zweimal in Folge gut präsentiert?
C: Ich glaube, es wird knapp aber spielerisch klar. Ich bin da auch ohne den Blick auf Vergangenes skeptisch. Und wann habt ihr uns schon mal aus dem Stadion gekegelt. (Jaja, ich kenne die furchtbaren Auftritte der Gladbacher am alten Bruchweg.)
M: Es wird ein zähes Abwarten in der Mainzer Hälfte mit unserem erwähnten Ballbesitz. Letztlich bewegt sich Gladbach – und ein Stückweit auch Mainz – in der Klasse der Tagesform-Teams, wo Kleinigkeiten zu klaren Geschichten anwachsen. Das wird in der Nachberichterstattung oft verklärt. Im Gladbacher Falle hätten wir bei nahezu identischem Spielverlauf gegen Hannover fast nicht 2-1 gewonnen, sondern verloren, und bei beiden Klatschen gegen den BVvB (1-6) und Leverkusen (1-5) auch ohne Wunder 2-0 führen können.

Mainzer Fans beim Auswärtsspiel in Gladbach im Dezember 2016. (Foto: Meenzer on Tour)

Mainzer Fans beim Auswärtsspiel in Gladbach im Dezember 2016. (Foto: Meenzer on Tour)

Wie nehmt ihr die Mainzer bislang in dieser Saison wahr? Was für ein Spiel erwartet ihr von den Schwarz-Jungs?
C: Schwierig zu beurteilen. Ich war erstaunt, dass die Kölner euch 17 Millionen für Córdoba gegeben haben. Aber das habt ihr ja eher in die Breite gesteckt. Zumindest ist Mainz keine Truppe der bekannten Spieler (mal abgesehen von René Adler, aber der ist ja verletzt). So auf die Ergebnisse geschaut ist das doch bisher okay. Daher: Ist ein Gegner, den ich durchaus als unangenehm wahrnehme.
M: Mir ist in Mainz mit den Schmidt-Jahren zuletzt die klare spielerische Idee abhandengekommen, und so richtig sehe ich das auch noch nicht unter Schwarz. Muto, de Blasis oder Öztunali sind aber Spieler, die typischerweise gegen Gladbach aufblühen und dann ein Riesenspiel ablegen. Auswärts sind die Leistungen auch eher schwer einzuschätzen – gegen Bayern und S04 ging einfach nicht mehr, aber beispielsweise das Wolfsburg-Spiel hätten die 05er ja gut und gerne auch noch gewinnen können. Enges Ding, wie so oft.

Wo werden die beiden Teams in der Tabelle stehen, wenn wir uns in der Rückrunde erneut begegnen?
C: Die Borussia wird dann hoffentlich schon auf die 40-Punkte-Marke zusteuern oder sie längst überschritten haben. Also ich gehe vom oberen Drittel aus. Mainz sehe ich dann auf dem elften Platz. Dass Ihr in den Abstiegskampf reintrudeln werdet, glaube ich nicht.
M: So ähnlich sollte oder wird das laufen.

Vielen Dank für das Gespräch!

|| Mit großem Dank an Christoph Kessel für die zur Verfügung gestellten Fotos. ||