Abschied von Leonard Cohen

Leonard Cohen ist tot und damit ist ein Tag gekommen, vor dem ich mich immer gefürchtet habe. Ich weiß, dass seine Musik und Worte uns bleiben und bin unglaublich dankbar dafür. Trotzdem trifft mich sein Tod und ich empfinde Trauer und Verlust, wie sie so sonst für den Abschied von Menschen reserviert sind, die ich persönlich kenne. Immerhin, einmal hatte ich das große Glück, ihn live zu sehen, und die Ehre, darüber schreiben zu dürfen: Wiesbaden, September 2010.

Leonard Cohen

Cohen verzaubert Wiesbaden

Es ist beinahe elf Uhr, als Leonard Cohen die Bühne vor dem Kurhaus für eine erneute Zugabe betritt. „I tried to leave you, I don’t deny“, haucht der Altmeister der musikalischen Poesie mit kratziger Stimme ins Mikrofon – und die knapp Zehntausend, die ihn eben nicht gehen lassen wollen, lachen; sind beinahe selig, dass er noch immer da ist: Tänzelnden Schrittes zurückkehrt in den Kreis seiner Musiker. Er zieht den Hut, verneigt sich tief vor seinem Publikum und stimmt einen weiteren Song an – dieser tatsächlich sein letzter; doch nur für heute: „Until we meet again“, verabschiedet sich Cohen – bis wir uns wieder treffen. Während er endgültig von der Bühne geht, wird der Nachthimmel über der Kurstadt von einem Feuerwerk erhellt: Ein perfekter Moment – nicht der einzige an diesem Abend.

Es ist kurz nach sieben, als Leonard Cohen das Konzert mit „Dance me to the end of love“ eröffnet. Er wirkt beinahe selbstvergessen, wie er sich so mit gesenktem Blick, die Hände stets nah vor seinem Gesicht, rückwärts zur Musik über die Bühne bewegt. Auf zwei großen Bildschirmen wird jede Bewegung des 75-Jährigen übertragen, der sein Publikum als „dear friends“ anspricht, sich aufrichtig bedankt, für das herzliche Willkommen, und mit jedem Wort, jeder Bewegung große Bescheidenheit ausstrahlt.

Hinterm Nassauer Hof geht langsam die Sonne unter, am Himmel zeigen sich Farbspiele, wie sie nur in diesen wenigen Tagen zwischen Sommerende und Herbstanfang vorkommen. Rosa und orange hängen die Wolken wie süße Berge von Zuckerwatte über dem Bowling Green, Cohen singt „Bird on the wire“ – und just in diesem Moment kreisen unter lautem Geschrei Vögel über dem Park: Als fühlte sich nicht nur jedes zaghaft schlagende Herz im Publikum angesprochen von den Liedern des kanadischen Poeten, seiner magischen Ausstrahlung, sondern jedes Wesen, das atmet und lebt.

Who by fire“, singt Cohen, „who by sunshine, who by nighttime“, während der Tag langsam in die Nacht übergeht und seine Stimme auf dem Klang einer Harfe durch die Reihen schwebt. Es sind exzellente Musiker, mit denen der singende Dichter auf Tour ist – darunter Sharon Robinson, die etliche Songs mit ihm geschrieben hat. Kurz vor der Pause, zu den hymnischen Klängen von „Anthem“, stellt er sie dem Publikum vor, teilt den Applaus – doch was wirkt wie ein Konzertende ist zum Glück erst die Halbzeit.

Ein Abend wie dieser sei ein seltenes Ereignis, während die Welt immer weiter im Chaos versinke, philosophiert der Liedermacher, der sich immer wieder für die „freundliche Aufmerksamkeit für unsere Songs“ bedankt. Zum zweiten Teil kehrt er mit Sonnebrille auf die vom Dunkel umgebene Bühne zurück, eröffnet mit der persönlichen Ballade „Tower of song“ und erntet jubelnden Applaus für die Textzeile, „I was born with the gift of a golden voice“.

Well my friends are gone and my hair is grey
I ache in the places where I used to play.

Längst spielt es keine Rolle mehr, wie nah oder fern der Bühne man sitzt, weil alles erfüllt ist von seiner Musik, den zarten Weisheiten dieses klugen Poeten. Und als Cohen schließlich mit ruhiger, klarer Stimme, auf den Knien, sein unbeschreibliches „Hallelujah“ anstimmt, da ist es, als rücke die ganze Stadt unter seiner Musik zusammen.

Ein großer Künstler – und ein wahrhaft unvergesslicher Konzertabend.

My coffee tastes of tears today. How are we supposed to live in a world without Leonard Cohen? His music has been my shelter and light in the darkest of hours. Thank you, for so much more than I’ll ever be able to find the words for. I am grieving a true companion.

Wer Cohens Stimme, seinen Witz und seine klugen Gedanken gerne ein wenig hören möchte an diesem Tag, dem empfehle ich dieses Audio aus The New Yorker. Es ist sein letztes Interview.

Komm, wir geh’n ins Neustadt-Kino

Am Donnerstag, 10. November, startet in Mainz Das Neustadtkino. Dahinter verbirgt sich eine Kinoreihe an einigen besonders schönen Plätzen der Mainzer Neustadt. Los geht’s – wie könnte es auch anders sein – im LUUPS, frei nach dem Motto, liebe deine Stadt, liebe die Neustadt, liebe diese Filme. Ich habe mit den Machern darüber gesprochen, was sie antreibt und welche Träume sie zum Thema Kino haben.

Im November startet in Mainz Das Neustadtkino als Veranstaltungsreihe. Was genau wird da passieren?
Feli: Da werden wir Filme an ungewöhnlichen Orten zeigen – also an Orten, die nicht unbedingt für Filmabende bekannt sind. Man kann da einfach hinkommen und wird von einem Film überrascht, der zur Location passt und besonders dann Spaß macht, wenn man ihn gemeinsam guckt. Manche Locations tragen auch auf ihre Weise zum Abend bei. In der Weinraumwohnung etwa werden wir passend zum Film Wein trinken… und im Klotz & Quer kann man etwas basteln, wozu der Film einen vielleicht inspiriert hat…

Das Team hinter dem Neustadtkino: Felicitas Pommerening, Mark Pommerening, Hanno Schmidt und Nadine Daschmann.

Das Team hinter dem Neustadtkino: Felicitas Pommerening, Mark Pommerening, Hanno Schmidt und Nadine Daschmann.

Wer sind die Menschen hinter der Idee dieses Wanderkinos? Und wie seid ihr zueinander gekommen?
Hanno: Wir sind vier Freunde… Beruflich machen wir alle etwas anderes. Aber wir haben ehrenamtlich schon andere Dinge gemeinsam gestemmt und als die Idee des Neustadtkinos im Raum stand, fanden wir es alle gleichermaßen cool und haben gedacht: Das müssen wir probieren!

Wie seid ihr bei der Wahl der Locations vorgegangen, was war euch wichtig?
Nadine: Sie sollten auf jeden Fall in der Neustadt sein und auch einen gewissen Bekanntheitsgrad haben. Wenn wir die Reihe wiederholen sollten, können wir uns auch Locations vorstellen, die normalerweise gar nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind, also in diesem Sinne vielen unbekannt wären. Aber für die erste Reihe wollten wir lieber erstmal dort sein, wo die Leute, die wir ansprechen wollen, sowieso ein- und ausgehen.

Welche technischen Voraussetzungen muss ein Inhaber erfüllen, der euch gerne einladen möchte?
Mark: Die Technik bringen wir mit, wenn sie nicht vorhanden ist. Daran würde es nicht scheitern. Wir freuen uns generell über Anfragen!

Bislang habt ihr nicht verraten, welche Filme ihr zeigen werdet… Lüftet ihr das Geheimnis vielleicht jetzt? Und haben die Zuschauer darauf künftig auch Einfluss?
Feli: Nein, das Geheimnis werden wir tatsächlich erst am Abend selbst lüften… Aber wir werden mit ein wenig Vorlauf Flyer in den Locations auslegen, auf denen man nachlesen kann, in welche Richtung der jeweilige Film geht. Und dann darf wild geraten werden! Zuschauer mitbestimmen zu lassen, fänden wir großartig, aber dazu müssten wir dann vermutlich einen anderen Rahmen organisieren. Ein Schritt nach dem anderen, würde ich sagen!

Worauf müsst ihr als Veranstalter eigentlich achten, um Filme öffentlich vorführen zu dürfen?
Hanno: Zu allererst müssen wir natürlich die Aufführungsrechte erwerben. Und dann gibt es bestimmte Vorschriften, an die wir uns halten müssen. Das ist gar nicht so einfach… Wir geben uns Mühe alles richtig zu machen, aber als Laie schüttelt man nicht so ohne Weiteres aus dem Ärmel, was da nun alles dazugehört – und Profis sind wir nun einmal nicht. Wir hoffen, dass wir nichts übersehen haben!

Kino ist wie Eis, es geht immer.

Kino ist wie Eis, es geht immer.

Ihr steckt viel Zeit und Liebe in das Projekt, von der Homepage bis zur eigentlichen Veranstaltung. Was für Ideen habt ihr, um auf den Kosten nicht sitzenzubleiben bzw. ab wann hofft ihr, mit dem Neustadtkino vielleicht auch Geld zu verdienen?
Mark: Im Moment ist das eine nicht-gewerbliche Veranstaltung. Wir bitten aber an den Abenden um eine Kostenbeteiligung. Damit wollen wir kein Plus machen, aber natürlich gerne minimieren, wie sehr wir „auf den Kosten sitzenbleiben“.

Tatortsonntage im Haddocks, Quizabende im Irish Pub, Kinoabende in der Neustadt – was glaubt ihr, woher kommt der Trend, ein Stück Privatheit im öffentlichen Raum auszuleben?
Feli: Also ich habe es schon immer geliebt, mit anderen Menschen Filme zu gucken und direkt im Anschluss über den Film zu reden, einen Film also gemeinsam zu erleben. Wenn wir damit jetzt im Trend liegen, umso besser! Aber daran haben wir gar nicht gedacht. Wir sind nur unserer eigenen Leidenschaft gefolgt.

Steckt hinter der Idee zum Neustadtkino auch der Traum, irgendwann ein tatsächliches Kino zu führen?
Hanno: Ja, schon. Aber im Moment steht das noch in den Sternen.

Neben den Abendterminen gibt es eine Familienvorführung. Ist das auch als eine spielerische Art und Weise zu sehen, um Kinder an die große Leinwand heranzuführen?
Nadine: Das haben wir uns dabei nicht auf die Fahnen geschrieben… Aber tatsächlich gehören wir jetzt nicht unbedingt zu den Eltern, die finden, Kinder sollten so lange wie möglich aus den Kinos rausgehalten werden. Wir finden Filme einfach toll und sehen nicht, dass man Kinder davor schützen müsste. Und wenn Familien sich jetzt mit uns erstmal wohler fühlen, und dadurch dann auch in andere Kinos gehen, freuen wir uns!

Apropos Familie: Ihr seid alle Eltern, alle berufstätig, und du, Feli, steckst auch noch hinter der Plattform Ich-Erzähler.de, die kürzlich den Mainzer Story-Slam ins Leben gerufen hat… und jetzt macht ihr noch das Neustadtkino. Wie schafft ihr das?
Feli: Also, Ich-Erzähler.de und auch das Neustadtkino, das sind ja so Herzensprojekte. Das ist ein bisschen wie mit Nachtisch, den man irgendwie doch noch essen kann, obwohl man von der Hauptspeise schon fix und fertig ist. Aber natürlich geht alles nur im Rahmen. Deswegen gibt es erstmal nur sechs Vorstellungen vom Neustadtkino – und dann eine kleine Pause. Aber wir würden uns riesig freuen, wenn es im nächsten Jahr weitergeht! Das hängt jetzt natürlich auch davon ab, wie die Abende laufen und wie die Sache überhaupt ankommt. Aber momentan sind wir zuversichtlich. Der bisherige Zuspruch war schon ziemlich überwältigend.

Danke für das Gespräch.

Das Neustadtkino
10. November: Premiere im LUUPS-Shop
17. November: Wein-Abend mit Film in der Weinraumwohnung
24. November: Dänischer Filmabend im hygge
1. Dezember: Gucken und Basteln im Klotz und Quer
4. Dezember: Familiennachmittag mit Kinderfilm im Neustadtzentrum
8. Dezember: Abschlussfilm mit Partylaune im Nelly’s

STIJL: Ein Festival der Kreativität

Mainz ist kreatijv – besonders am 22. und 23. Oktober. Dann feiert der StijlMarkt sein 15. Jubiläum und kehrt dafür an seine Wurzeln in Mainz-Mombach zurück, wo einst auf dem Gelände der Alten Wagonfabrik begann, was inzwischen bundesweit organisiert wird: eine Messe ganz im Zeichen der Kreativität. Im Vorfeld habe ich mit Jacqueline Koss vom Organisationsteam darüber gesprochen, auf welche Neuheiten und altbewährten Lieblinge sich die Besucher freuen dürfen.

Neue Heimat für den Stijl-Markt.

Neue Heimat für den Stijl-Markt.

Wie ist eigentlich der Name der Messe ursprünglich mal entstanden?
Das war ein kleines lustiges Gedankenspiel unserer Gründer: Stijl kommt aus dem Holländischen und bedeutet „Stil“, außerdem war „de Stijl“ eine niederländische Künstlervereinigung aus dem frühen 20. Jahrhundert. Wir kommen allerdings nicht aus den Niederlanden und sprechen auch kein holländisch… (lacht) Aber es sieht einfach sehr schön aus, was für gelernte Designer wichtig ist, lässt einen kurz stocken und darüber nachdenken, und es hebt sich von anderen ab.

Ihr feiert im Oktober in Mainz euer 15. Jubiläum. Wenn du für uns zurückschaust auf die Entwicklung der Messe, was sind die Highlights?
Ich bin erst seit einem Jahr mit dabei, darum ist das schwierig für mich. Ich würde sagen, es ist generell ein Hij-Light, dass wir nun schon zum 15. Mal in Mainz mit dem StijlMarkt vor Ort sind, viele unserer Besucher wirklich regelmäßig immer wieder kommen und nicht müde werden, wir es also schaffen, ihnen immer wieder Neues zu zeigen und uns zu wandeln – und sie dadurch immer wieder neu zu begeistern!

Geografisch kehrt der Markt zum Jubiläum an seinen Ursprung zurück. Welche Vorteile bietet die Halle 45?
Größenmäßige auf jeden Fall: Wir haben etwa 1.300 Quadratmeter mehr als im Postlager für die Jungdesigner und Kreativen zur Verfügung, insgesamt 4.800 Quadratmeter. Dadurch haben wir 150 Aussteller, etwa 20 mehr als bislang. Man könnte meinen, bei der Fläche gehen noch einige mehr, aber die Dosierung ist sehr genau gewählt, schließlich sollen sich die Aussteller nicht gegenseitig Konkurrenz machen. Wir konnten diesmal die Gänge deutlich breiter gestalten und mehrere Flächen zum Verweilen einbringen. Außerdem hat die Halle mit ihren Baukränen einfach einen wunderbaren Charme!

Mittendrin statt nur dabei.

Mittendrin statt nur dabei.

Daran anknüpfend, was ist neu an der Messe in diesem Jahr?
Da haben wir uns für unsere 15. Auflage natürlich eine Menge ausgedacht, schließlich soll dieses Jubiläum etwas ganz Besonderes werden
• „Wijtblick“-Aussichtsplattform: Stijl-Besuchern auf vier Metern Höhe entspannt einen 360-Grad-Überblick über alle Hingucker und Stationen auf der Stijl verschaffen
• „Wijndorf“ präsentiert vom Wein-Startup GEILE WEINE und der Mainzer Weinraumwohnung: auf 150 Quadratmetern junge Weine von jungen Winzern hautnah ganz unkompliziert entdecken, kosten und genießen
• alle nicht Weintrinker kommen bei Markus Pasel und seinem „Braurad“ auf ihre Kosten
Kolorat-Workshop: hier können die Besucher sich an neue Farbkombinationen herantrauen, Profis in Aktion erleben und sich Dank eines Gewinnspiels Farbträume für Zuhause erfüllen
• Minigolf Court mit Indomigo: Minigolf geht auch Indoor – auf dem StjilMarkt gibt’s satte Action und Hole-in-One-Gefahr…
CAMper Photobooth – bitte nett lächeln: mehr als nur eine kleine Fotoecke ist der Retro-Wohnwagen mit modernstem Kameraequipment für schnelle Porträts zum Mitnehmen
Olson & Hekmati Testcenter: die Mainzer Longboardmanufaktur lässt sich für das Stijl-Jubiläum nicht lumpen und hat jede Menge hochwertige, handgemachte Boards zum Testen im Gepäck

Und was sind altbewährte Highlights?
Natürlich unser FoodCourt – da freu ich mich jetzt schon auf meine Mittagspause – mit dem Newcomer Kleine Pause und auch Neustadtfood oder Arnauld’s Cult-Tour. Außerdem die Aufteilung des Marktes in Anziehen, Wohnen, Genießen, das ist einfach altbewährt und macht Spaß. Outfittechnisch kann man sich wirklich von den Socken bis zur Mütze bei uns ausstatten. Im Bereich „Wohnen“ haben wir tolle Aussteller, die besondere Produkte für zu Hause dabeihaben – von Papeterie und Kalendern und Büchern bis hin zu Lampen, Kleinmöbeln und Deko ist alles dabei. Und ich mag besonders den Bereich „Genießen“, weil man sich dort wirklich durchprobieren kann und die leckersten Sachen entdeckt, vom frisch selbstgebrauten Bier in kleinen Mengen, bis hin zu Gewürzen, Tees, Backmischungen, oder auch Likören.

Neue Ideen fürs Zuhause. (Fotos: Veranstalter)

Schicke Ideen fürs Zuhause. (Fotos: Veranstalter)

Das Thema DIY boomt seit einigen Jahren schwer. Welche Rolle spielt es auf der Messe?
Unsere Besucher können auf dem Markt die Kreativen hinter den Labels kennen lernen, das sind genau die, die auch mal klein angefangen haben. Sie hatten eine Idee und haben die umgesetzt, jetzt führen sie ihre eigenen Labels. Wir sprechen Besucher an, die Interesse an diesem kreativen Vorgehen haben und da auch gerne mal selbst Hand anlegen. Darum, und weil wir aktiv mit unseren Besuchern umgehen möchten, also mehr sind als nur ein Einkaufsladen, soll man sich eben auch selbst hinsetzen können und die Möglichkeit haben, etwas zu fertigen. Sei es bei DaWanda oder aber bei Klotz&Quer – wir freuen uns auf die Kreativität auf unserem Markt, die mit unseren Besuchern noch verstärkt werden kann.

Worauf freust du dich persönlich diesmal besonders?
Endlich eine Plattform mitten auf dem Markt zu haben, von der aus man den vollen Überblick hat. Das wird bestimmt eine fabelhafte Aussicht! Und als Organisatorin freut man sich einfach auf den Markt als Ganzes, dass es eine erfolgreiche Veranstaltung wird, von der die Besucher mit einem Lächeln wieder heimgehen, weil wir ihnen auch zu unserem 15. Jubiläum wieder etwas Neues zeigen konnten!

Danke für das Gespräch und viel Erfolg mit dem Jubiläum!

daten

Ich habe eine Wassermelone getragen

Im Oktober des Jahres 1990 setzten meine Eltern mich in einen Zug in Richtung Osten. Die Deutsche Wiedervereinigung war gerade abgeschlossen und ich wollte meine Brieffreundin in Eisenach besuchen, mit der ich seit zwei Jahren, zuerst noch über die innerdeutsche Grenze hinweg, Nachrichten tauschte. Ihre Familie veranstaltete mit den beiden Töchtern regelmäßig Filmabende, und so kam es, dass ich mit zwölf Jahren in einem ostdeutschen Wohnzimmer zum ersten Mal in die kristallblauen Augen von Patrick Swayze sah: Ich war hingerissen. In meiner Erinnerung haben wir Mädchen Dirty Dancing in den folgenden Tagen sicher sechs, sieben Mal gesehen – für mich der Ausgangspunkt einer andauernden Faszination.

Als Dirty Dancing 1987 in die Kinos kam, senkte der Filmkritiker und Pulitzerpreisträger Roger Ebert den Daumen und vergab nur ein mageres Sternchen. Begründung: „Idiotischer Plot – vorhersehbare Liebesgeschichte zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft“. Gleichzeitig aber übte die absolute Low Budget Produktion auf viele Zuschauer eine solche Faszination aus, dass sie nach dem ersten Kinobesuch auf dem Absatz kehrt machten, um den Film direkt ein zweites Mal zu sehen. Dabei waren die Erwartungen der Produktionsfirma so gering gewesen, dass sie kurzerhand den Beschluss gefasst hatte, den Film nach nur wenigen Tagen im Kino direkt auf DVD herauszubringen. Co-Produzentin Eleanor Bergstein, die auch das Drehbuch geschrieben hat, stellte im Kinosaal fest, dass am Tag fünf etliche Leute um sie herum beim Themensong der Hotelangestellten kurz vor dem Finale mitsangen – und sich als so textsicher erwiesen, dass offensichtlich war: Sie hatten den Film bereits mehrfach gesehen. Da begann Bergstein zu ahnen, welchen Erfolg Dirty Dancing haben würde.

Ich habe eine Wassermelone getragen.

Ich habe eine Wassermelone getragen.

Oberflächlich betrachtet mag Ebert mit seiner Kritik Recht haben, tatsächlich aber beschränkt sich der Film nicht auf die klassische Geschichte (poor) Boy meets (rich) Girl, sondern spannt den Bogen weiter, wobei die Erzählung von der fabelhaften Musik angetrieben und getragen wird. Nach dem Dreh sollte diese an vielen Stellen ausgetauscht werden, da die Lizenzen für die von Bergstein geplanten Klassiker sehr teuer waren: Sie sollten lediglich der Untermalung beim Shooting dienen. Letztlich setzte Musikproduzent Jimmy Ienner sich dafür ein, die meisten Songs zu behalten und den Soundtrack durch Musik speziell für den Film nur zu ergänzen; für Bergstein ein Grund zum Jubeln, da sie sich die Szenen ohnehin nicht mit anderen Liedern vorstellen konnte als denen, die sie ihnen ursprünglich zugedacht hatte.

Was nun die Story der jungen Frances „Baby“ Houseman (Jennifer Grey) betrifft, die mit ihren Eltern (Jerry Orbach, Kelly Bishop) und der älteren Schwester Lisa (Jane Brucker) in den Sommerurlaub fährt, sich in Tänzer Johnny (Patrick Swayze) verguckt und für ihre Liebe kämpft, auch gegen die Wertvorstellung der Familie, so symbolisiert diese ein übergeordnetes Thema des Films: Das Kräftemessen zwischen dem Geldadel und dem Proletariat, in diesem Fall dargestellt durch die Tänzer – mit einem bessere Ende für die unterdrückten Künstler, die sich in der Schlussszene ihren Tanzraum zurückerobern. Wie es in Dirty Dancing überhaupt immer wieder um Räume geht, darum, wer wo hin gehört, sich wo aufhalten darf – und wie man private Bereiche schützt. Das gilt physisch für die Bungalows der Tanzcrew ebenso wie für den Bewegungsradius, den Johnny so definiert: „This is my dancespace, this is your dancespace.“ Denn der Tanz, wie eine Beziehung, kann nur funktionieren, wenn jeder den Bereich des anderen achtet, es aber andererseits Momente gibt, in denen Zwei ihre Grenzen bereitwillig aufgeben, um sich in einem neuen, gemeinsamen Bereich zu treffen.

Mein Tanzbereich – dein Tanzbereich.

Mein Tanzbereich – dein Tanzbereich.

Es ist dies vielleicht der perfekte erste Liebesfilm, den ein Mädchen sich anschauen kann; das liegt auch an der fast greifbaren Unschuld seiner Protagonistin. Babys Naivität offenbart sich nicht nur in der beinahe kindlichen Annäherung zu Johnny, sondern auch dem festen Glauben an das Gute in der Welt, die sie retten will, und in die Menschen, denen sie helfen möchte. Sie kennt noch keine Enttäuschung und keinen Schmerz, aber sie erkennt Ungerechtigkeiten und geht selbstverständlich und intuitiv dagegen an. So wie Johnny ihr Lehrer wird, der Baby alles über das Tanzen zeigt, bringt sie, die viel jünger und unerfahrener ist, ihm bei, sich fallen zu lassen bei einem anderen Menschen, in der Liebe füreinander da zu sein und aufzustehen. Auf der Leinwand wird jeder Tanz zum Teil dieser Geschichte, in deren Verlauf Baby zu Frances heranreift und auch Johnny sich weiterentwickelt, die beiden miteinander wachsen und sich füreinander strecken. Nebenbei behandelt der Film das Thema ungewollte Schwangerschaften und Abtreibung, wie als eindringlicher Fingerzeig an seine jungen Zuschauer(innen), dass es da ein Thema gibt, mit dem sie sich künftig noch beschäftigen müssen: Verhütung.

Zitatklassiker wie „Baby’s gonna change the world“ – „Lisa’s gonna decorate it“, „I carried a watermelon“ und „Nobody puts baby in a corner“ stehen heute für den andauernden Erfolg von Dirty Dancing und sind im Original oft treffender als in der Übersetzung. Wenn Johnny Frances da nämlich vor dem Finale mit den Worten „Mein Baby gehört zu mir“ aus der Ecke holt, wird ihr das nicht gerecht: Sie ist niemandes Baby mehr, sondern erwachsen geworden – und das Finale betont diese Entwicklung. Ursprünglich wollten die Produzenten das Paar da nämlich einen neuen Tanz aufführen lassen, schwenkten aber kurzfristig um: So ist es erneut der Mambo, den Johnny und Frances auf der Bühne vorführen. Und während sie beim ersten Auftritt noch unsicher war und sich führen ließ, ist es nun ihr gemeinsamer Tanz, sind sie einander ebenbürtig geworden und schließt diese Szene ihre Entwicklung ab. Ganz abgesehen von der inhaltlichen Bedeutung ist dieses Ende, bei dem sich die anderen Tänzer ihren Raum ebenso zurückerobern wie Johnny sich seine Liebste, einfach verdammt romantisch. Das gilt auch dann, wenn man es schon 23 Mal gesehen hat. Ich weiß, wovon ich rede…

Hinweis Buch

Saša Stanišić: Konzert der Wörter

Eigentlich sollte der Auftakt zur neuen Saison im Wiesbadener Literaturhaus Villa Clementine am Donnerstag mit der Neueröffnung des Cafés einhergehen. Anfang der Woche musste diese aber verschoben werden, unter anderem, weil die Küche im Keller nicht fertiggeworden war. Wein und Häppchen gab es aber trotzdem, wobei Häppchen eindeutig ein unzutreffender Begriff ist für die ausgefallenen kleinen Köstlichkeiten, die Betreiberin Lee Perron auf die Tabletts zauberte. Dem Café der Konditorin in der Langgasse, das sie auch nach der Eröffnung in der Villa weiter betreibt, werde ich demnächst definitiv einen Besuch abstatten.

Kultur gab es natürlich auch: Saša Stanišić las aus seinem neuen Erzählband „Fallensteller“, der im Mai 2016 bei Luchterhand erschienen ist, ebenso wie aus früheren Werken. Der 1978 in Višegrad in Bosnien-Herzegowina geboren Schriftsteller erzählte von der Flucht seiner Familie 1992 nach Deutschland, vom Aufbrechen und Ankommen und davon, wie erstaunt er heute noch manchmal ist, wenn er feststellt, was ihm alles gelingt in einer Sprache, die nicht seine erste, ursprüngliche war. Während das Thema Flucht ihn häufig in die Vergangenheit führt, ist es in dem Land, in dem er lebt, Deutschland, ein sehr aktuelles und Stanišić ist einer, der Stellung bezieht, sich einbringt, wie als Deutschlehrer für Geflüchtete, denn: „Sprache ist der Schlüssel zur Integration.“ Das klingt aus dem Munde eines Mannes mit seiner Geschichte nicht nach Phrase, sondern Lebensrealität, und die freundlich, aber sehr bestimmt in den Saal geworfene Aussage „Das erwarte ich von Ihnen allen auch“ – Geflüchteten helfend zur Seite zu stehen also – war nachdrücklich als Appell gedacht.

Unbeding live erleben: Saša Stanišić.

Unbeding live erleben: Saša Stanišić.

Dann las Stanišić, und wie. Es war ein Erzählen und Ergreifen, ein Tanzen und Sehnen, es war ein Durchdringen mit Worten und Formulierungen, ein Verbinden mit dem Publikum, ein Lachen und Weinen, eine sprachliche Leichtigkeit und poetische Schwere. Es waren Momente, in denen nichts existierte als Stanišićs Texte, die durch den unfassbar heißen Saal schwebten, in dem der letzte Abend dieses Sommers zu Ende gehen sollte. Wie ein Konzert ohne Musik, aber mit unglaublichem Tempo, mit Klang und Worten, die wie Töne nachhallen. Als wären sie gerade für diesen Moment geschrieben, für uns alle, die ihn miteinander verbringen. Und am Ende war dieses Gefühl gar nicht so falsch, aber das zu erläutern, würde den Genuss bei künftigen Lesungen schmälern. Und die sind tatsächlich genau das: ein Genuss.

So klug, so witzig, so poetisch, mutig und humorvoll ist dieser Saša Stanišić, ihr sollten ihn alle unbedingt live erleben. Und natürlich seine Bücher lesen, diese wunderbaren Schätze.