Paul Simon: Der kleine Junge im großen Jeanshemd

Paul Simon betritt die Bühne auf der Zitadelle gemeinsam mit seiner Band: acht Erwachsene und ein kleiner Junge im zu großen Jeanshemd – nur, dass der kleine Junge im Oktober 70 Jahre alt wird. Wir sitzen in der 12. Reihe und bis hierher kann man den Schalk in seinen Augen blitzen sehen, auch das Vergnügen darüber, wie bereitwillig ihm das Publikum zu Füßen liegt: ein warmer, einladender Teppich aus Menschen, auf dem er durch den Abend tanzt.

Als ich mich vor gut zehn Jahren eine wahnsinnig kurze und genauso schöne Zeit lang der Illusion hingab, ich würde einmal Filmemacherin werden, war Simon and Garfunkels „The Sound of Silence“ der Einstieg in den Soundtrack einer meiner Kurzwerke. Was mir damals den Tadel einbrachte, ich solle doch mit Musik arbeiten, die Leute in meinem Alter hören, das mache die Filme authentischer. Zu diesem Zeitpunkt begleitete mich das Duo bereits seit einem guten Jahrzehnt, über Jahre nur auf einer schrabbeligen, alten Kassette, aber immer und überall hin. Leute in meinem Alter – allein schon die Bezeichnung…

Im echten Leben ist der schärfer: Paul Simon in Mainz. (Foto: WP)

Im echten Leben ist der schärfer: Paul Simon in Mainz. (Foto: WP)

Um mich herum jede Menge gesetzte ältere Herren mit Schiebermützen, die eher zaghaft mit den Füßen wippen, als Simon seine Zeitreise durch vier Jahrzehnte Musikgeschichte beginnt. Der Wechsel zwischen alt und neu stimmt, die vielen Zuhörern noch unbekannten Songs seines aktuellen Albums „So Beautiful or So What“ schmiegen sich zwischen die Klassiker, zu denen die gesetzten älteren Herren erstmals ihre Schiebermützen abnehmen, langhaarige Althippies dynamisch von den Sitzen springen, Jugendliche wie selbstverständlich die Hüften kreisen lassen. Knutschende Paare, nostalgische Gesichter, Kinderlachen. this could be a fucking movie-scene. Selten ein so perfektes Klischee erlebt.

Ich wüsste gerne, wie das aussieht im Gehirn eines Menschen, wenn er auf eine bestimmte Musik auf eine gewisse Art und Weise reagiert. Ich wüsste gerne, was da genau unter der Haut passiert, wenn Musik unseren Herzschlag beschleunigt, uns zum Lachen bringt oder Tränen in die Augen treibt. Ich wüsste gerne, woran es liegt, welche Musik uns berührt und welche gleichgültig hinterlässt. Einerseits. Und ich bin froh und dankbar, all das nie zu erfahren; nur zu spüren.

Unterwegs mit Paul Simon, das ist eine Reise auch durch die klugen kleinen Textperlen der Songs dieses wunderbaren Liedermachers, seine hoffnungsvollen Aus- und sehnsüchtigen Rückblicke. „Why don’t we drive through the night? We’ll wake up down in Mexico“,„These are the days of miracle and wonder, this is the long distance call“, „A bad day’s when I lie in bed and think of things that might have been“,„I fear I’ll do some damage one fine day, but I would not be convicted by a jury of my peers“.

Und schließlich die fast schon obligatorische Hommage an den Beatles-Kollegen, „Thank you, George“: Here comes the Sun – gerade, als diese hinter den fliehenden Wolken über Mainz verschwindet. Nach einer guten Stunde, so etwas wie eine Pause – oder der Auftakt zu einer 45-minütigen Zugabe: „Hello Darkness“. Seine Solo-Version von „The Sound of Silence“ darf zum Glück auch in Mainz nicht fehlen. Leises Summen. Klopfende Herzen. Feuchte Augen. Magic Moments. Thank you, Mr. Paul Simon.

„Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“

Als ich im September beim 3sat Zeltfestival die ersten Songs von „Kettcar“ in Begleitung eines Streicherquartetts der Neuen Philharmonie Frankfurt hören durfte, war ich absolut hingerissen. Insofern musste ich selbstverständlich in die Wiesbadener Ringkirche, wo die Hamburger Jungs einen von nur sechs Stopps auf ihrer Akustiktour mit besagtem Streicherquartett einlegten. Die Band hatte um Abendgarderobe gebeten – und an der Eingangstür der Ringkirche hing zudem der Hinweis, es sollten keine Garderobe mit hinein genommen werden. Zum Glück habe ich nicht dem Impuls nachgegeben, meinen Mantel zurück ins Auto zu bringen, denn drinnen war es ziemlich kalt: Vor allem auf der Empore, wo unter anderem die Presse Platz nehmen durften.

Die netten Jungs aus dem hohen Norden. (Foto: Veranstalter)

Die netten Jungs aus dem hohen Norden. (Foto: Veranstalter)

Während John K. Samson von der Band „The Weakerthans“ den Abend eine gute Stunde nach Einlass eröffnet hat, habe ich mich schon gefragt, ob der Kanadier furchtbar nuschelt, oder nur die Akustik auf dem Oberdeck schrecklich schlecht ist. Als nach einer Umbaupause gegen viertel nach zehn endlich die Jungs von Kettcar auftauchen, lässt sich die Antwort schnell ausmachen – die Akustik hier oben ist grauenvoll. Also ab nach unten, ins Kirchenschiff, wo es nicht nur wärmer ist und die wundervolle Lichtgestaltung sich viel besser entfaltet – auch klanglich kein Vergleich zu oben. Tipp an die Konzertveranstalter der Ringkirche: Never, never ever Rezensenten auf den Rang schicken, da kommt garantiert nichts Gutes bei heraus!

Well, an dieser Stelle sei noch gesagt: das Konzert war natürlich sehr fein. Die Jungs können es, das wissen sie auch, die Fans lieben Kettcar – und verzeihen ihnen im Zweifel auch einiges. Unruhe kommt trotzdem auf, als Wiebusch nach nur einer knappen Stunde bei „Nacht“ verkündet, es handle sich um den letzten Song des Abends. Denn anders, als er witzelt, gleichen die schicken Anzüge der Hamburger ein derart kurzes Set nicht aus… Drei Songs spielt die Band als Zugabe und endet überraschend rockig mit „Graceland“. Die Fans zollen stehende Ovationen für das Zusammenspiel mit den Streichern und fordern die Jungs energisch zurück auf die Bühne. Die kommt dem Wunsch nach und die Wahl fällt auf „Balkon gegenüber“ – nur konsequent, denn mit „Money left to burn“ und „Nacht“ komplettiert der Song die Top-Drei im Einklang mit dem Streicherquartett. Ungewohnt ist es dennoch, so energisch aus dem Konzert zu gehen, statt gewohnt zart; und so richtig vermag das kurze Set trotz der zuvor versprochenen „absurden Schönheit“ nicht zu erfüllen.

Die Dazwischen-Band

Im Grunde sollte Kettcar nur noch in der kurzen Phase des Jahres Konzerte geben, wenn der Sommer langsam in den Herbst übergeht. Die Strahlen der Sonne nach und nach an Wärme verlieren, aber noch ein goldenes Licht über der Landschaft ausschütten, das sich mit dem Bunt des ersten farbigen Laubes mischt: Nie sind Konzerte dieser Band passender, nie rufen sie beim Zuhörer ein intensiveres Echo hervor als in diesen Tagen, wenn die warme Jahreszeit sich langsam zurückzieht – und noch ein Hauch Wehmut über diesen Abschied in der Luft liegt; ein Gefühl, irgendwie zwischen den Dingen, den Zeiten zu schweben. Denn fruchtbarer könnte der Herzboden nicht sein, auf dem Marcus Wiebusch seine Texte wie kleine Samenkörner auswirft; wo sie aufgehen und im Wechsel kleine Lichter anzünden oder den Muskel erschrocken krampfen lassen.

„Nur weil man sich so dran gewöhnt hat / ist es nicht normal / Nur weil man es nicht besser kennt / ist es nicht – noch lange nicht – egal“, schreibt Wiebusch ins Poesiealbum seiner Generation und die Fans unterm orange-roten Himmel des 3sat-Zelts summen und flüstern seine Weisheiten beinahe ehrfürchtig mit. Es sind diese Texte, die ein Kettcar-Konzert so perfekt machen für einen Abend zwischen den Jahreszeiten; weil sie vom „dazwischen-Sein“ handeln – zwischen zwei Beziehungen, zwischen gegensätzlichen Emotionen aber vor allem: zwischen der Erwartung, die man mit Mitte zwanzig an die eigene Zukunft hatte – und der Realität, in der man sich zehn Jahre später wiederfindet. Und so resümiert Wiebusch nur seine eigenen Songs, wenn er in Graceland erst beteuert: „Wir würden alle sofort von vorn anfangen“ – nur um dann zu gestehen: „Ich bin einer von ihnen / Es gibt ja auch ernsthaft keine Alternativen.“

Fühlt ihr euch denn auch so total dazwischen? (Foto: Veranstalter)

Fühlt ihr euch denn auch so total dazwischen? (Foto: Veranstalter)

Für die Fans sind Kettcar-Konzerte beinahe Heilige Messen, textsicher und eingeschworen hängen sie an Wiebuschs Lippen und reagieren euphorisch auf jede Ansprache der Musiker. Die Stimmung erinnert an eine Familienfeier, freilich die einer idealen Familie, in der alle große Sympathie und jede Menge Hochachtung füreinander empfinden. „Ein Freund hat mal zu mir gesagt, in Städten mit Flüssen haben die Menschen noch Hoffnung“, textet Wiebusch „Landungsbrücken raus“ an – und erntet überraschte Proteste dafür, den Song bereits so früh zu spielen. Auf seine Prophezeiung, „Und all die guten, guten Geschichten passieren immer auch nur denen / Die sie erzählen können“ (Nullnummernspiel) folgt die Feststellung, „irgendwie schon besser im Taxi zu weinen, als im HVV-Bus“ – doch verhindern lassen die Tränen sich nicht, an Abenden mit „Selbstmitleid für alle. Und jeder bringt sich selbst allein nach Haus’.“ Der erste Teil des Konzerts endet mit dem fabelhaften „Am Tisch“, einem nämlich, an dem unterschiedliche Lebensläufe nebeneinander nicht standhalten können, weil niemand bis ins Detail überzeugt ist vom eigenen – und nicht ausschließen zu können, dass man doch den falschen Weg gewählt hat, lässt die Wellen der Frustration hochschwappen.

Es folgt eine kurze Umbauphase, aus der Kettcar mit einem Streich-Quartett der Neuen Philharmonie Frankfurt zurückkehrt. Auf der eigenen Homepage sprechen Kettcar bezüglich der Streicher-Auftritte von „absurder Schönheit“ – und besser könnte man es kaum beschreiben. Während die Instrumente sich bei „48 Stunden“ noch wenig bemerkbar machen, entfalten sie bereits beim zweiten Stück, „Money left to burn“, beeindruckend ihre Kraft im kleinen Zelt. Fast hypnotisch schließlich der Schulterschluss zwischen Band und Streichern beim als letzten Song angekündigten „Nacht“: Sanft schwellen die Instrumente an, übernehmen zwischendurch fast ganz, als Wiebusch mehr neben- als ins Mikrofon wispert – und verbünden sich schließlich mit seiner Stimme zu einem wehmütigen Ausklang.

Die Fans aber wollen sich nicht zufrieden geben, sondern fordern vehement „Balu“ ein, die traurigschöne Liebesballade, in der Wiebusch sich erst noch fragt: „Wie die Dinge sich wohl anfühlen / Wenn sie denn noch ganz wären / Ein Lebenslauf gebastelt, / Mit den Händen eines Tanzbären“, nur um später lakonisch festzustellen: „Vergiss Romeo und Julia / Wann gibt’s Abendbrot? / Willst du wirklich tauschen / Am Ende waren sie tot.“ Sicher, Euphorie geht irgendwie anders, und doch liegt eine Ruhe über der Szenerie, die Hoffnung atmet, keine Resignation. Denn, wie gesagt, Kettcar-Fans sind textsicher, wissen also, Wiebusch wird sie mit Zuversicht aus dem Abend zurück in ihren Alltag schicken, getragen von den einfachen doch beruhigenden Worten: „Ich werd immer für dich da sein, / Bist du dabei? / In dem Gefühl wir wären zwei.“

Rosière Fatale

Rose betritt die Bühne nicht – sie erscheint. Mit mädchenhaftem Lächeln tritt sie nah an ihr Publikum heran, und hat es schon vor dem ersten Ton gewonnen. Auf kniehohen, schwarzen Stiefeln schwingt sie mit kokett niedergeschlagenen Augen leicht die Hüften; mit jeder Bewegung rutscht ihr eng anliegendes schwarzes Kleid einige Millimeter an ihren Beinen hinauf und fällt dann wieder fließend daran herunter. Ihr Lächeln wird breiter, sie hebt den Kopf, schenkt dem Publikum erste Blickwechsel – und beginnt den Abend mit »Saisons«. Niemand, von der ersten bis zur letzten Reihe, egal ob männlich oder weiblich, Single oder seit zwanzig Jahren verheiratet, kann sich diesem traumhaften Wesen nun noch entziehen.

Und das, obwohl von ihrem ersten Schritt auf die Bühne, vom ersten Ton an, der ihre Lippen verlässt jedem klar ist, die Wahrscheinlichkeit, dass die junge Frau auf der Bühne ein perfekt durchgestyltes Kunstprodukt ist, rangiert gleichauf mit der Hoffnung, ihre Show sei, bei aller Perfektion, spontan und irgendwie authentisch. Doch ob sie in diesem Kleidchen steckt, weil sie gern schwarz trägt und dazu mit unschuldigstem Lächeln den Po schwingen lässt, weil ihr nach tanzen zumute ist oder ob sie es tut, weil sie um ihre Wirkung weiß, das spielt im Grunde keine Rolle. Die Stimmung beim Publikum ist so oder so vom ersten Ton an glückselig; auch Sängerin und Tourband scheinen einen munteren Spaß an der Veranstaltung zu haben.

Sexy Girl, kluges Mädchen. (Foto: Stefan Helbig – CC 3.0)

Rose in Mainz: sexy Girl, kluges Mädchen. (Foto: Stefan Helbig – CC 3.0)

Dass sie Rose heiße, vertraut die Schöne den Zuhörern vor dem gleichnamigen Lied an, wie ein noch ungelüftetes Geheimnis. Dann klimpert sie leichthändig auf der Gitarre, die an einem Leopardengurt um ihren Körper liegt, und umfasst zart den Mikrofonständer. Sie haucht ihre Weisen über das Leben mit verträumtem Blick – und die anwesenden Männer träumen davon, nach dem Konzert mit ihr gen Paris zu fliehen. Rose, die eigentlich Keren Meloul heißt, würde heute in einem Klassenzimmer stehen und Schulkinder unterrichten, hätte sie nicht einer Freundin einige ihrer Songs vorgespielt. Die gab sie wiederum an einen Produzenten; der Plattenvertrag folgte prompt und bereits kurz darauf spielte sie ihr erstes großes Konzert im Pariser Olympia – tragisch für Frankreichs Schüler, ein Glücksfall aber für alle Anhänger ihrer federleichten Kompositionen, irgendwo in der wachgeküssten Schnittmenge von Folk, Pop und Blues.

Mit diesem Lied sei sie in Frankreich berühmt, kündigt sie, eingerahmt von Bassist Steph und Gitarrist Jerome, schelmisch ihren Hit »La Liste« an. Die beiden würden in Personalunion den perfekten Mann ergeben: Mit dem einen möchte frau an Feiertagen bei den Eltern am Tisch sitzen, weil er so nett und artig schaut, mit dem anderen auf einem Festival die ganze Nacht lauten, dreckigen Sex im Zelt haben. Beide scheinen zu wissen, was nun kommt. Sie grinsen in Rose’ Pause hinein, die grinst noch breiter, fügt an – so berühmt etwa wie Carla Bruni. Vom schallenden Gelächter des Publikums ist sie offenbar überrascht, doch sichtlich amüsiert, und es verleitet sie dazu, einige Töne aus einem Lied der Kollegin anzuspielen.

Ob alle Anwesenden genug französisch verstünden, um ihren Anekdoten folgen zu können? Unstimmiges Gemurmel, Lachen – sie deutet es als ein Ja und plaudert weiter drauf los. Und es ist auch völlig egal, ob man etwas von dem versteht, was sie erzählt, wenn man nur dabei zusehen kann, wie ihr die Wörter weich und samtig, wie überreife Kirschen, von den Lippen perlen. Unweigerlich fühlt man sich an das Bob Dylan Biopic »I’m not there« erinnert, in dem Robbie (Heath Ledger) seiner neuen Flamme (Charlotte Gainsbourg) nicht abnehmen will, dass sie Französin ist: mit der Begründung, sie sei schlicht zu französisch. Zu sexy, zu perfekt, zu – Klischee. Die Franzosen und der Sex, nichts liegt eben näher – schon gar nicht in der Präsenz von Frauen wie Gainsbourg oder Rose. Die trinkt auf der Bühne übrigens Evian und Rotwein; doch man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie damit nur eine Erwartung erfüllt – wenn auch gerne und mit Augenzwinkern.

Apropos Bob Dylan – mit dessen »Don’t Think Twice (It’s All Right)« wagt die Französin sich auch an ein Cover; unnötig fast zu sagen, dass der Versuch gelingt. Und endlich ein Lied zum mitsingen, auch für alle, die im Französischunterricht immer gepennt oder Latein belegt haben. Überhaupt, Dylan: Der stand am Anfang ihrer eigenen Liebe zur Musik, seine Songs waren es, die in der jungen Keren erste Sangesbegeisterung auslösten; der Vater hat ihr Dylans Werk damals nahegebracht. Plötzlich leidenschaftlich und intensiv werden die mittlerweile dank eines locker gebundenen Pferdeschwanzes freiliegenden Züge der Sängerin bei »Julien«; ihr Umschwung von lässiger Unbeschwertheit zur stillen Inbrunst kommt wie aus dem Nichts, wirkt wohl gerade deswegen besonders aufrichtig, fast schmerzlich. Als die Französin dann die Bühne verlässt, wartet der ganze Saal auf die fällige Zugabe; niemand glaubt daran, das Konzert könne enden, ohne dass die zarte Poetin »Ciao Bella« vorgetragen hat. Die kleine, hoffnungsfrohe Weise auf den toten italienischen Großvater, den sie in kaum einem ihrer Interviews unerwähnt lässt, ist an diesem Abend ein Höhepunkt mit Ankündigung.

Nachdem sie ihr Publikum so beschenkt hat, gönnt die 29-Jährige sich anschließend selbst einen Spaß und schleudert herrlich verpoppt und ausgelassen den Sechzigerjahrehit »Poupée de cire, poupée de son« von der Bühne. Das scheint ihr, trotz all der Verschmelzung mit den eigenen Songs, doch irgendwie näher; wild und ein bisschen ungezogen. Nicht umsonst hat sich die Schöne schließlich ihren Künstlernamen nach dem Film »The Rose« gegeben, der sich an die Biographie von Janis Joplin anlehnt. Als sie deren »Mercedes Benz« schmettert, bittet sie gar ihr Publikum zu sich auf die Bühne und nicht wenige nutzen die Chance, ihr nah zu sein, wenigstens für einen Moment. Da erscheint sie dann wirklich völlig losgelöst, wiegt sich zwischen ihren Anhängern und genießt deren süße Euphorie.

Doch natürlich nur kurz, dann schieben zwei Ordner die Fans sanft, aber bestimmt von der Bühne. Rose lächelt noch einmal ihr mädchenhaftes Lächeln. Bedankt sich, auf französisch, englisch und deutsch – und schwebt in ihrem kleinen schwarzen Kleid davon. Das Publikum starrt ihr ungläubig hinterher, die Musiker auf der Bühne lächeln, irgendwie selig, als wollten sie sagen, „ihr habt sie nur einen Abend gesehen, wir dürfen sie die ganze Tour begleiten“. Rose steht da sicher gerade hinter der Bühne und grinst, eher dreckig als mädchenhaft. Und anschließend wird sie mit ihren Musikern ein großes Bier trinken gehen, keinen Wein. Die Männer werden so tun, als seien sie der Sängerin – im Gegensatz zu ihrem Publikum – kein bisschen verfallen. Und Rose wird so tun, als wisse sie nicht, dass sie es selbstverständlich doch sind. Kluges Mädchen.