Die Geschichte, die ich erzählen möchte, geht so: Vor gut drei Jahren saß ich vor einem sehr hell erleuchteten Spiegel, in der Erwartung, für einen Fernsehauftritt geschminkt zu werden. Die dafür zuständige Maskenbildnerin trat neben mich, musterte mein Gesicht und sagte dann: „Na, bei Ihnen muss man ja ganz schön kleistern.“ Ich lächelte höflich gegen meine Irritation an, folgte mit meinen Blicken den Kreisen, die sie mit ihren Fingern in die Luft zeichnete, und hörte als nächstes den Satz: „Aber mutig, dass Sie sich trotzdem vor die Kamera trauen.“
Zwar war ich geistesgegenwärtig genug, um zu erwidern: „Ich gehe so ja auch auf die Straße“, aber der Satz fiel bedeutungsleer in eine Lücke, die sich in meinem Gehirn auftat. Wovon redete die Frau? Während sie also munter kleisterte, fragte ich schüchtern, was sie mit ihrer Bemerkung genau gemeint hatte. Sie hielt inne, offenbar überwältigt von so viel Begriffsstutzigkeit. „Na, Ihre Pigmentflecken!“ Ich betrachtete mein Gesicht wie mit neuen Augen im Spiegel. Pigmentflecken. Ah! Das mussten die ulkigen Verfärbungen sein, die sich ein, zwei Jahre zuvor zum ersten Mal in mein Gesicht geschlichen hatten.
Dunkel erinnerte ich mich an den spanischen Sommer, der mich, anders als seine Vorgänger, nicht gleichmäßig gebräunt, sondern eher zufällig betupft hatte. Klar hatte mich das irritiert, allerdings kannte ich diese Entwicklung schon von meiner kleinen Schwester und hatte ihr so keine weitere Bedeutung beigemessen. Der Körper verändert sich eben, die Haut sowieso, und mir lag es nach einer kurzen aber heftigen Phase mit extremen Hautunreinheiten ein paar Jahre zuvor ehrlich gesagt fern, mir darüber je wieder Sorgen zu machen. Andererseits, war das vielleicht eine totale Verweigerungshaltung? Gab es ein Problem, das ich beharrlich ignorierte?
Ich brachte den Auftritt gut über die Bühne, die Unterhaltung in der Maske aber blieb mir im Gedächtnis. Die Dame hatte mir empfohlen, mir die Haut abhobeln zu lassen, was sich eher fies anhörte. Aber als ich ein paar Tage später ohnehin bei meinem Hautarzt war, fragte ich ihn nach den Flecken – und was man dagegen tun könne. Seine wie stets pragmatische Antwort lautete: „Nichts.“ Da sei viel Zeug auf dem Markt, mit dem die Hersteller einen Haufen Geld verdienten. „Aber das ist im Prinzip alles Quatsch.“ Er riet mir, im Gesicht Sonnenschutz mit besonders hohem Lichtfaktor zu nutzen. „Und wenn es Sie partout stört, bleiben sie eben aus der Sonne.“ Damit hätte das Thema eigentlich wieder erledigt sein können. Eigentlich…
Erst grämen, dann cremen
„Wie findest du das denn, mit den Pigmentflecken?“, fragte ich meine kleine Schwester bei unserem nächsten Treffen. Die schnaubte und rollte mit den Augen. „Beschissen, aber was soll ich machen? Die sind halt da.“ „Hast du mal versucht, was dagegen zu machen?“ „Ja, aber das bringt alles nichts.“ Ich befühlte mit den Fingern vorsichtig die Haut in meinem Gesicht, als ob die kleinen, verfärbten Stellen spürbar wären. Aber da war kein Widerstand, den meine Finger brechen mussten, kein Hubbel, nichts, was die Bewegung aufhielt. Und doch hatte sich seit der achtlosen Bemerkung der Maskenbildnerin etwas daran verändert, wie ich mich selbst im Spiegel betrachtete, wie ein leises Bedauern darüber, was mit mir und meinem Gesicht passiert war.
Ein paar Tage später goss ich das Wort, das mich neuerdings verfolgte, mit Bedacht ins Netz – und erstarrte. Das Thema wurde dort behandelt wie eine schwerwiegende Krankheit. Ich stieß auf Foren voller Frauen, die ihre Wohnung nicht mehr verlassen wollten, die sich seit Monaten und Jahren grämten und cremten, eine Tube nach der anderen, teuer im Ausland bestellt, alles, um den Teufel aus ihrem Gesicht zu verjagen. Die Tübchen in den USA und in China bestellten, weil dort härtere, schärfere Substanzen erlaubt waren, um das, wovon sie sich so gezeichnet fühlten, aus ihrer Haut auszuradieren, sie dabei aber eigentlich nur zerstörten.
Die Vorher-Nachher-Bilder zeigten hübsche Frauen, deren Haut auf dem zweiten Foto fast wie verbrannt erschien, die dabei aber Hoffnung in den Augen trugen, den Feind zu besiegen. Frauen, die nicht mehr als einen Hauch von Flecken oder Verfärbung im Gesicht trugen, denen man aber weißgemacht hatte, sie seien entstellt, hässlich und kaum mehr vorzeigbar. Ehrlich verzweifelte und traurige Frauen, denen man ein Problem eingeredet hatte, weil sie einer scheinbaren Norm nicht entsprachen und weil man hoffte, so verunsichert Geld mit ihnen verdienen zu können.
Die unerkannte Schwangerschaft
Rückblickend frage ich mich, wieso ich nicht spätestens da die Stimme der Maskenbildnerin aus meinem Ohr geschüttelt und das ärgerliche Thema zu den Akten gelegt habe. Aber manchmal sind wir Menschen eben irrational, knüpft eine dumme Bemerkung, achtlos dahingesagt, an die eigene Geschichte an, weckt alte Geister, und lässt uns entsprechend nicht mehr los. In mir jedenfalls war eine Verunsicherung, die mich einfach nicht loslassen wollte, die ich weiter zu beruhigen versuchte, der ich etwas entgegensetzen musste. Nur: was? Wenn ich weder beim Hautarzt noch online Hilfe finden konnte, blieb eigentlich nur noch die Zunft der Apotheker. Also ging ich in die Apotheke, um mich beraten zu lassen. Mit leiser Stimme fragte ich, was man mir gegen Pigmentflecken empfehlen könne – und geriet direkt an die richtige Person.
„Oh, die sind ganz schrecklich bei Ihnen, das sehe ich schon!“, erklärte die Frau und fragte, ob die Schandflecken ein Relikt meiner Schwangerschaft seien. Äh. Nö. Wie? Ich lernte, es sind (klar!) die Hormone, deren harscher Pinsel für die Flecken verantwortlich ist, weshalb meine Gegenüber ihren ältesten Sprössling dafür verantwortlich machte. „Aber sie haben es nicht bemerkt?“ „Öh?“ „Die Schwangerschaft?“ Ja davon liest man ja dauernd: Frauen, die sich jahrelang fragen, wer der traurig aussehende kleine Bub ist, der morgens bei ihnen am Frühstückstisch sitzt, weil sie ihre Schwangerschaft nicht bemerkt haben… „Ich war nie schwanger.“ „Ach, auch kein Abbruch oder Abgang?“ „Nein.“ Sie griff mitfühlend nach meiner Hand, was mich einen Schritt zurückweichen ließ. „Das ist dann ja noch schlimmer.“ Ich verstand nicht, wieso ich, ohne es zu wollen, gerade offenbar alles immer noch schlimmer machte. „So eine komplett sinnlose Laune der Natur.“ Hatte die Frau ernsthaft Tränen in den Augen? Und bebte ihre Stimme?
Wie bescheuert man sein kann
Ich floh. Aus der Apotheke, aus dem Thema, aus der aufgezwungenen Not. Eine Apotheke weiter griff ich beherzt ins Regal (immerhin hatte ich mich ja online informiert), kaufte hautfreundliche Sonnencreme mit LSF 50 und ein Serum, das die Bildung neuer Pigmentflecken verhindern sollte. Ich verließ den Rest des Sommers die Wohnung niemals, ohne zuvor Sunlotion benutzt zu haben, tupfte das Serum und hielt mich stärker als sonst aus der Sonne. So richtig glücklich machte mich nichts davon – und eine wie auch immer geartete Verbesserung meines Hautbildes konnte ich auch nicht feststellen. Was ich aber feststellen konnte, war, dass die Sonne mir fehlte. Und irgendwann später, als ich zufällig Bilder jenes Sommers betrachtete, in denen die Pigmentflecken zum ersten Mal aufgetaucht waren – und auf denen ich einfach nur glücklich aussah–, dass ich echt komplett und vollkommen die Schnauze voll hatte.
Ich hatte die Schnauze voll davon, mir von wildfremden Menschen erzählen zu lassen, wie ich auszusehen und wofür ich mich zu schämen hatte. Davon, Geld auszugeben für Produkte, die nachweislich nichts veränderten. Und ich hatte die Schnauze ganz besonders voll davon, mit Ende dreißig durch eine einzige, dumme Bemerkung in die Gedankenfalle getappt zu sein, die mich an jenem Abend erwischt hatte, und auf diesen Unsinn tatsächlich zu hören. Wie saublöd war ich eigentlich? Klar, ich konnte mir die Gründe dafür herleiten, aber ich wollte sie nicht mehr gelten und mich vor allem nicht von ihnen dominieren lassen. Ich wollte aber auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern ich wollte diese Geschichte erzählen.
Fuck you, bodyshaming
Weil es an jedem verdammten Tag passiert, das kleine Mädchen, junge Frauen, ältere Damen, Kids, Chicks, Teenager, Girls und Women durch flapsige Bemerkungen, doofe Sprüche und vermeintlich wohlwollende Kommentare angegriffen werden. Weil wir, die Frauen, auf einem gewissen Level ein Leben lang angreifbar bleiben für und von Teile(n) einer Gesellschaft, die von uns und unseren Körpern das Unmögliche verlangen. Die uns in Vorstellungen und Förmchen pressen und uns erklären, was schön ist und annehmbar, woran wir arbeiten müssen und was wir so lassen dürfen, wie es ist.
Weil es immer noch gesellschaftlich akzeptabel ist, Frauen zu allererst nach ihrem Aussehen zu beurteilen. Weil es für die permanente Herabsetzung von (zumeist weiblichen) Körpern sogar ein Wort gibt: Bodyshaming. Weil viele von uns diese Werturteile internalisiert haben, wir nach etwas streben, einem altersunabhängigen Ideal, das es einfach nicht gibt, es sei denn, man hat den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als sich der Pflege seines Körpers zu widmen. Weil wir viel zu oft unsere Wertigkeit davon ableiten, als läge die in unserem Spiegelbild. Bullshit!
Wir sind großartig!
Wir sind so viel mehr als unsere Körper und deren Tagesform. Wir sind Frauen. Wir sind Töchter, Schwestern, Geliebte. Wir sind beste Freundinnen, Mütter, Ehefrauen. Wir sind Entdeckerinnen, Poetinnen, Schultern zum Ausweinen. Wir sind groß und wir sind klein, blond und brünett, mutig und verunsichert. Wir sind strahlend, abgearbeitet, kreativ, einfallsreich. Wir sind Erzieherinnen, Leuchtturmwärterinnen und Hirnchirurginnen, Aktivistinnen, Seelentröster, Nervensägen. Wir sind laut und wir sind leise, wir können alles alleine und brauchen Hilfe. Wir sind stark und wir sind anlehnungsbedürftig, wir sind Mechanikerinnen und Moderatorinnen, unendlich traurig und unfassbar glücklich.
Wir sind offen und wir sind verschlossen, wir sind verliebt und wir werden geliebt, wir fliegen irgendwann zum Mars und wir waten durchs Meer, wir sind alles, was wir sein möchten und noch viel mehr, wir ziehen uns zurück und wir wachsen über uns hinaus. Und nichts davon verändert sich durch die Flecken auf unserer Haut oder die Kilos auf unseren Hüften, auch nicht durch die Dellen unserer Schenkel oder die ersten grauen Haare. Unsere Körper sind das Haus, in dem wir wohnen, das mit uns wächst und sich entwickelt. Wir sind schön, von innen und von außen, genau so, wie wir beschließen zu sein, wie das Leben uns prägt und wir uns ihm zeigen.
Es heißt, die Haut sei das Spiegelbild unserer Seele. Jedes Jahr, wenn der Sommer kommt, zeichnet meine Seele einen Teil ihrer Geheimnisse mit sanftem Pinsel in mein Gesicht. Die Flecken, die unter ihrer Hand entstehen, sehen aus wie Wolken, wie Kontinente, wie Sandburgen. Sie verraten, wo ich schon gewesen bin und wo mein Leben mich noch hintragen wird. Und wenn der Sommer vorbei ist, baut meine Seele ihre Leinwände ab, verpackt sie bis zum nächsten Jahr, wenn sie erneut darauf zu zeichnen beginnt. Es sind Seelenlandschaften, die für eine kurze Zeit des Jahres auch auf meiner Oberfläche zu sehen sind. Ich finde sie wunderschön.