Der nette Drogendealer von nebenan

In den Siebziger- und Achtzigerjahre war der Waliser Howard Marks nach Schätzungen der US-amerikanischen Drug Enforcement Administration (DEA) für etwa zehn Prozent des gesamten Welthandels von Haschisch und Marihuana verantwortlich. Als die DEA Marks und seine Frau Judy 1988 auf Mallorca festnehmen und an die USA ausliefern, wird er zu 25 Jahren Haft verurteilt. Der „netteste Mann, der je zu einem kriminellen Superhirn wurde“ (Trailer) kommt nach sieben, seine Ehefrau nach zwei Jahren frei. Seine Geschichte bringt der Ganove, der laut eigenen Angaben Mitte der Achtziger unter 43 Decknamen agierte, 1996 als Biographie heraus: Mr. Nice, benannt nach dem Pseudonym, das er am Liebsten trug. Und ohne Ghostwriter, denn die Vorstellung, seine Erlebnisse dauerkiffend und auf dem Sofa liegend zu diktieren habe ihm zwar gefallen, nicht aber die Tatsache, dafür 40 Prozent des Geldes abgeben zu müssen.

Der Brite Bernard Rose hat die Memoiren für die Leinwand adaptiert und unter seiner Regie und Kameraführung breitet sich das Leben des Walisers vor den Augen der Zuschauer aus. Dabei wirkt die Wahl der Stilmittel zuweilen ähnlich unbeholfen wie Marks‘ erste Begegnungen mit Drogen während seiner Zeit als Student: Mit denen kommt der begabte Junge aus bescheidenen Verhältnissen zunächst völlig außerplanmäßig in Berührung, als er einer schönen Kommilitonin den Gang hinunter folgt, die zuvor durch sein Zimmerfenster geklettert kommt. Damit auch tatsächlich jeder Zuschauer ganz sicher versteht, welche Veränderungen dieser erste Joint für Marks‘ Leben bedeutet, wechselt der Film in dieser Szene von schwarz-weiß auf bunt – und passend zu der Drogenerfahrung wird auch ein bisschen mit Slow-Motion gespielt.

Mr. Nice alias Howard Marks. (Foto: Verleih)

Mr. Nice alias Howard Marks. (Foto: Verleih)

Dargestellt wird Marks über einen Zeitraum von fast vier Jahrzehnten ausschließlich von Rhys Ifans, ebenfalls Waliser und dereinst Leadsänger der Super Furry Animals. Das wirkt ein wenig, als spiele der ehemalige Schmuggler sich selbst – quasi vom ersten Schultag bis zur Rente – und es entbehrt nicht einer gewissen Absurdität, wenn der Mittvierziger im Schulbus fährt oder als angeblich Anfang Zwanzigjähriger reichlich naiv und ziemlich bekifft über den Rasen Oxfords tapert. Um unter anderem das England der Siebzigerjahre zu zeigen, bedient der Film sich altem Material, in das er seine Hauptdarsteller hineinprojiziert. Wozu in etlichen Kritiken zum Film gemunkelt wird, der Produktion sei schlicht das Geld ausgegangen, erklären Marks und Ifans in einem Interview damit, Rose setze die sogenannte Rückprojektion als besonderes Mittel der Authentizität ein, da er es hasse, in anderen Filmen Einblendungen zu sehen, die auf das Jahr verweisen, in dem die Handlung gerade spielt. Ifans: „I haven’t seen it before in a movie but you really get a sense of time and place (…). You do feel that the world is changing.“ Auf den heutigen Zuschauer allerdings, der diese Technik aus Uralt-Filmen gewohnt ist, in denen die Landschaft hinter einem Auto vorbei rast, wirkt die Optik weniger authentisch als belustigend.

So schafft der Film durch die Wahl seiner Stilmittel eine Distanz, die sich in der Art und Weise seiner Erzählung eher noch intensiviert, als dass sie aufgehoben würde. Zwar spielen die Darsteller ihre Rollen mit Intensität und Witz, doch Rose gibt seine Figuren zu sehr ans Szenische verloren, als dass er sich darum bemühen würde, ihre Entwicklung aufzuzeigen. So wird kein Motiv erkennbar, warum Marks überhaupt zum Dealer wird, erfährt der Zuschauer wenige der originellen Details über seine Schmuggeleien und bleibt unklar, warum seine Frau lange nahezu kritiklos bereit ist, diese Art von Leben mit ihm zu teilen. Keine Frage, bei 700 Seiten Vorlage muss ein Film Schwerpunkte setzen, Marks ist vielleicht schlicht zum Dealer geworden, weil die Gelegenheit sich ergab und seine Frau bei ihm geblieben, weil sie ihn eben liebte – trotzdem wäre es schön, darüber auch ein bisschen etwas erzählt zu bekommen.

Verschenkte Lebenszeit freilich sind die 121 Filmminuten nicht, den auch wenn der Film dem, was bereits über Marks bekannt ist, wenig Neues hinzuzufügen weiß, ist er doch zumindest unterhaltsam. Der Soundtrack passt, die Bilder stimmen, das Tempo ist über weite Strecken hoch, Ifans und seine Filmfrau Chloë Sevigny sind ein schön anzusehendes Pärchen und vor allem dank David Thewlis, der den IRA-Mann Jim McCann spielt, gibt es ab und zu auch etwas zu lachen.

Mr. Nice
Buch, Regie, Kamera: Bernard Rose
Darsteller: Rhys Ifans, Chloë Sevigny, David Thewlis
Großbritannien 2010, 121 Minuten, FSK 12

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