Die Dazwischen-Band

Im Grunde sollte Kettcar nur noch in der kurzen Phase des Jahres Konzerte geben, wenn der Sommer langsam in den Herbst übergeht. Die Strahlen der Sonne nach und nach an Wärme verlieren, aber noch ein goldenes Licht über der Landschaft ausschütten, das sich mit dem Bunt des ersten farbigen Laubes mischt: Nie sind Konzerte dieser Band passender, nie rufen sie beim Zuhörer ein intensiveres Echo hervor als in diesen Tagen, wenn die warme Jahreszeit sich langsam zurückzieht – und noch ein Hauch Wehmut über diesen Abschied in der Luft liegt; ein Gefühl, irgendwie zwischen den Dingen, den Zeiten zu schweben. Denn fruchtbarer könnte der Herzboden nicht sein, auf dem Marcus Wiebusch seine Texte wie kleine Samenkörner auswirft; wo sie aufgehen und im Wechsel kleine Lichter anzünden oder den Muskel erschrocken krampfen lassen.

„Nur weil man sich so dran gewöhnt hat / ist es nicht normal / Nur weil man es nicht besser kennt / ist es nicht – noch lange nicht – egal“, schreibt Wiebusch ins Poesiealbum seiner Generation und die Fans unterm orange-roten Himmel des 3sat-Zelts summen und flüstern seine Weisheiten beinahe ehrfürchtig mit. Es sind diese Texte, die ein Kettcar-Konzert so perfekt machen für einen Abend zwischen den Jahreszeiten; weil sie vom „dazwischen-Sein“ handeln – zwischen zwei Beziehungen, zwischen gegensätzlichen Emotionen aber vor allem: zwischen der Erwartung, die man mit Mitte zwanzig an die eigene Zukunft hatte – und der Realität, in der man sich zehn Jahre später wiederfindet. Und so resümiert Wiebusch nur seine eigenen Songs, wenn er in Graceland erst beteuert: „Wir würden alle sofort von vorn anfangen“ – nur um dann zu gestehen: „Ich bin einer von ihnen / Es gibt ja auch ernsthaft keine Alternativen.“

Fühlt ihr euch denn auch so total dazwischen? (Foto: Veranstalter)

Fühlt ihr euch denn auch so total dazwischen? (Foto: Veranstalter)

Für die Fans sind Kettcar-Konzerte beinahe Heilige Messen, textsicher und eingeschworen hängen sie an Wiebuschs Lippen und reagieren euphorisch auf jede Ansprache der Musiker. Die Stimmung erinnert an eine Familienfeier, freilich die einer idealen Familie, in der alle große Sympathie und jede Menge Hochachtung füreinander empfinden. „Ein Freund hat mal zu mir gesagt, in Städten mit Flüssen haben die Menschen noch Hoffnung“, textet Wiebusch „Landungsbrücken raus“ an – und erntet überraschte Proteste dafür, den Song bereits so früh zu spielen. Auf seine Prophezeiung, „Und all die guten, guten Geschichten passieren immer auch nur denen / Die sie erzählen können“ (Nullnummernspiel) folgt die Feststellung, „irgendwie schon besser im Taxi zu weinen, als im HVV-Bus“ – doch verhindern lassen die Tränen sich nicht, an Abenden mit „Selbstmitleid für alle. Und jeder bringt sich selbst allein nach Haus’.“ Der erste Teil des Konzerts endet mit dem fabelhaften „Am Tisch“, einem nämlich, an dem unterschiedliche Lebensläufe nebeneinander nicht standhalten können, weil niemand bis ins Detail überzeugt ist vom eigenen – und nicht ausschließen zu können, dass man doch den falschen Weg gewählt hat, lässt die Wellen der Frustration hochschwappen.

Es folgt eine kurze Umbauphase, aus der Kettcar mit einem Streich-Quartett der Neuen Philharmonie Frankfurt zurückkehrt. Auf der eigenen Homepage sprechen Kettcar bezüglich der Streicher-Auftritte von „absurder Schönheit“ – und besser könnte man es kaum beschreiben. Während die Instrumente sich bei „48 Stunden“ noch wenig bemerkbar machen, entfalten sie bereits beim zweiten Stück, „Money left to burn“, beeindruckend ihre Kraft im kleinen Zelt. Fast hypnotisch schließlich der Schulterschluss zwischen Band und Streichern beim als letzten Song angekündigten „Nacht“: Sanft schwellen die Instrumente an, übernehmen zwischendurch fast ganz, als Wiebusch mehr neben- als ins Mikrofon wispert – und verbünden sich schließlich mit seiner Stimme zu einem wehmütigen Ausklang.

Die Fans aber wollen sich nicht zufrieden geben, sondern fordern vehement „Balu“ ein, die traurigschöne Liebesballade, in der Wiebusch sich erst noch fragt: „Wie die Dinge sich wohl anfühlen / Wenn sie denn noch ganz wären / Ein Lebenslauf gebastelt, / Mit den Händen eines Tanzbären“, nur um später lakonisch festzustellen: „Vergiss Romeo und Julia / Wann gibt’s Abendbrot? / Willst du wirklich tauschen / Am Ende waren sie tot.“ Sicher, Euphorie geht irgendwie anders, und doch liegt eine Ruhe über der Szenerie, die Hoffnung atmet, keine Resignation. Denn, wie gesagt, Kettcar-Fans sind textsicher, wissen also, Wiebusch wird sie mit Zuversicht aus dem Abend zurück in ihren Alltag schicken, getragen von den einfachen doch beruhigenden Worten: „Ich werd immer für dich da sein, / Bist du dabei? / In dem Gefühl wir wären zwei.“

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