Die Woche am Bruchweg (22/16): Stiller Klassenerhalt

Diese Woche habe ich in der Frankfurter Rundschau in einem Artikel, in dem es vermeintlich um den Zustand von Borussia Mönchengladbach ging, die Behauptung gelesen, es sei „kein Wunder, dass sich manch einer die nicht lange zurückliegende Zeit zurückwünscht, in denen Fußballspiele in Geisterhäusern ausgetragen wurden. Keine Atmosphäre, aber auch kein testosterongetriebenes Alphatiergehabe.“ Viel mehr muss man nicht darüber wissen, wie diese Gesellschaft Fans sieht – und dass sich daran vermutlich auch nichts mehr ändern wird.

Ehrlich gesagt finde ich das ziemlich frustrierend. Egal wie viele Stunden Anhänger*innen von Vereinen in soziale Projekte beispielsweise während der Corona-Pandemie stecken, in Hilfe für Hochwasseropfer, kostenlose Bildungsarbeit rund um Diskriminierungen oder in ganz konkrete Hilfsangebote beispielsweise für Betroffene von sexualisierten Übergriffen, die sehr heterogene Gruppe wird immer wieder reduziert auf eine Handvoll Fans, die sich an Spieltagen nicht im Griff habt, die negativ auffallen oder aus der Reihe tanzen.

Danke an die Fanprojekte!

Noch dazu wird bei dieser eindimensionalen Betrachtung alles in einen Topf geworfen und vermischt: Pyrotechnik, Alkohol, Fangesänge, Gewalt, gruppendynamische Prozesse. Also Themen, die wirklich kritisch sind und über die geredet werden muss mit Punkten, die einige schlicht als persönlich störend empfinden. Unfair ist das, nervig: ein echtes Dilemma.

Spezialist für Fans, Fanbelange und Fanarbeit: Thomas Beckmann. (Foto: Felix Ostermann)

Ein Hoch auf die Fanprojekte, die sich dieser Auseinandersetzung inhaltlich Tag für Tag stellen, die so wichtige Jugend- und Sozialarbeit leisten, ein Hoch auf Menschen in Vereinen, die ihren Anhang differenzierter sehen und offen sind für Dialog, ein Hoch auf die wenigen Medienvertreter*innen, die Szenen nicht aburteilen sondern offen und kritisch begleiten. Eure Arbeit und euer Engagement ist von unfassbarem Wert. Danke, dass es euch gibt.

Live in Mainz: U23 und SCHOTTgoes05

Wie kriege ich jetzt die Kurve zu Mainz 05? Vielleicht mal mit der trockenen Feststellung, dass dieser Verein sicher keine Sehnsucht nach Geisterspielen hat: zum Glück. Wer es nicht schafft, die Profis am Freitag nach Wolfsburg zu begleiten, sei hier auf gleich zwei tolle Chancen hingewiesen, Fußball auch an diesem Wochenende live in Mainz zu sehen: Am Samstag um 14 Uhr tritt die U23 auf der Bezirkssportanlage Mombach im Stadtderby gegen TSV SCHOTT Mainz an, am Sonntag, ebenfalls um 14 Uhr, spielen die #SCHOTTgoes05-Frauen am Kunstrasenplatz in Mombach gegen den SV Dirmingen. Letzteres ist eine tolle Chance, um dem Team schon jetzt zu zeigen, dass sie im Verein herzlich willkommen sind – darüber habe ich diese Woche auch in meiner Kolumne für die Allgemeine Zeitung geschrieben.

Aufsteiger. (Foto: Mainz 05)

Apropos U23: In die oberste Ausbildungsmannschaft der Mainzer rücken zur nächsten Saison mit Leon Hoffmann, Finn Müller, Keanu Kraft, Lasse Wilhelm, Marlon Roos Trujillo und Danny Schmidt gleich sechs Spieler aus der U19 auf. Am längsten aus diesem Sextett ist Lasse Wilhelm im Verein, der 2010 in die U8 wechselte. Diese kontinuierliche Entwicklung von jungen Spielern bleibt ein wichtiger Baustein für die Arbeit des Vereins.

Die innere Erregung regulieren

Wie schwer es manchmal dennoch ist, sich bei den Profis durchzusetzen, zeigen derzeit Beispiele wie Paul Nebel oder David Nemeth, auf die Bo Svensson nach seinem großen Interview in der Allgemeinen Zeitung bei der Pressekonferenz angesprochen wurde. Der Coach hatte erklärt, einige der jungen Spieler entwickelten sich nicht ganz so, wie er das gehofft habe. Er wollte sich aber vor dem Ende der Saison nicht mehr dazu äußern, wohin bei den entsprechenden Spielern derzeitige Überlegungen gehen. Persönlich sehe ich derzeit die Gefahr, dass dieses Thema unter Druck von mehreren Seiten deutlich zu heiß gekocht wird und kann mich nur wiederholen: Allein die Einsatzminuten bei den Profis sind hier überhaupt kein Gradmesser.

Muss manchmal auch ein bisschen grinsen: Bo Svensson. (Foto: Screenshot Mainz 05)

Schwierige Phasen bei den Nachwuchsspielern sind zudem völlig normal, Burkardt und Barreiro können aus ihrer eigenen Vergangenheit ein Lied davon singen. Und selbst in einem Verein wie Mainz 05 wird es nicht jedes Talent dauerhaft im Profibereich schaffen. Es ist imho bedenklich, wenn sowohl Christian Heidel als auch Bo Svensson erneut die hohe Erwartung im Umfeld des Clubs thematisieren, wobei der eine auf mich eher amüsiert, der andere eher mahnend wirkt.

Zeit für Entwicklung

Heidel hatte schon bei seiner Rückkehr in den Club vor anderthalb Jahren viel Zeit auf dieses Thema verwendet. Eventuell muss man ja in einer Saison, in der so früh und ungefährdet der Klassenerhalt geschafft wurde (die Lizenz gibt es übrigens ohne Auflagen), nicht zwingend lauter Stressschauplätze aufmachen – aber das ist nur meine bescheidene Meinung, andere können sich da gerne auspowern.

Sportvorstand. (Foto: Ostermann)

Bo Svensson selbst hat in der PK am Donnerstag dazu Folgendes geäußert: „Wir sind immer noch Mainz in der Bundesliga. Wir kommen aus einer Phase, wo es jahrelang hier nicht besonders stabil lief, und wir sollen jetzt erwarten, dass wir in jedem Spiel 90 überlegene Minuten abliefern. Da sind die Erwartungen sehr hoch.“ Braucht übrigens, auch das wurde bei seiner Antwort klar, niemand glauben, dass er selbst nicht sehr ehrgeizig wäre. Aber wie soll sich bitte etwas entwickeln, wenn einem Team die Zeit für Entwicklung abgesprochen wird?

Ja, in den Auswärtsspielen kommen wenige Punkte rum, fast jede dieser in Sachen Ausbeute ärgerlichen Spiele hat aber sogar in sich eine Entwicklung gezeigt. Manchmal frage ich mich, was hier los wäre, wenn Mainz 05 für ein paar Jahre zurück in der 2. Liga kicken müsste. Aber darüber müssen wir zum Glück nicht nachdenken, weil der Klassenerhalt wieder mal gelungen ist. Ich kann mich nicht erinnern, dass es darüber größeren Jubel gegeben hätte – und wenn wir aufhören, in Mainz den Klassenerhalt zu feiern, dann aber gute Nacht.

Jetzt aber erstmal ein gutes Spiel. In Wolfsburg. Und ein schönes Wochenende.

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