Die Woche am Bruchweg (22/20): Viele Fragezeichen

Ich habe in den letzten Wochen in meinen Kolumnen für die Allgemeine Zeitung ebenso wie in den Texten hier im Blog deutlich gemacht, dass ich die Entscheidung für Geisterspiele in den Profiligen durchaus kritisch sehe. Die ersten Spieltage haben daran nichts geändert, im Gegenteil. Ich kann die Begründungen für diese Fortsetzung zwar nachvollziehen, allerdings liegt der Argumentation ein System zugrunde, das bereits lange vor Corona an vielen Stellen krankte. Ich habe auch nach wie vor Zweifel daran, wie gut das hochgelobte Hygienekonzept im Einzelnen umgesetzt wird, weshalb mich sichtbare Verstöße dagegen extrem ärgern. All das schwingt in meiner Betrachtung der Spiele seit dem Re-Start ebenso mit wie in meinem Blick auf Mainz 05 in diesen Tagen und unterm Strich ergibt das eine Verstimmung.

Rouven Schröder in der PK vor der Partie bei Union Berlin. (Foto: Screenshot)

Es ist natürlich richtig, wenn die 05-Verantwortlichen in ihren öffentlichen Äußerungen in dieser Woche neben der Klatsche gegen Leipzig auch immer wieder auf die Aufholjagd in Köln hinweisen. Und verständlich, dass sie mit einer gewissen Abwehr reagieren, wenn sie das Gefühl kriegen, nach nur einem verlorenen Spiel werde alles direkt wieder in düsteren Farben gemalt. An dieses Team zu glauben, ist ihre Aufgabe, und selbst, falls sie es gerade mal nicht tun, müssen sie diesen Glauben wenigstens nach außen vermitteln.

Die Auseinandersetzung mit all diesen Themen, die in einer Pressekonferenz nicht sichtbar sind, aber doch im Hintergrund mitschwingen, ist definitiv gegeben. Doch auch sie ändert nichts an einem gewissen Unwohlsein mit bestimmten Aussagen oder der Art und Weise, wie sie getroffen werden; zumindest nicht im Moment, zumindest nicht bei mir.

„Die Hoffnung ist riesengroß, weil’s eine riesen Chance ist für uns aufzuschließen.“ Dass wir mit Union Berlin auf Augenhöhe sind, ich glaube, da brauchen wir nicht drüber reden.“

Achim Beierlorzer, 05-Chefcoach

Dazu gehört, wie sehr sich derlei Aussagen über den Verlauf dieser Saison wiederholen. Wie gebetsmühlenartig vieles inzwischen klingt. Wie ratlos das macht. Denn müsste man nicht etwas ändern, um etwas zu ändern? Klar, gegen Köln war das ein phasenweise richtig gutes Spiel, also ist der Ansatz nachvollziehbar, beide Spiele gemeinsam betrachten zu wollen. Aber wiederholt sich nicht gerade dieses Auf und Ab? Und war es nicht mal eine Mainzer Stärke, sich nicht derart hoch zu verlieren, so einzubrechen? Insofern landet di*er Betrachter*in zwangsläufig immer wieder bei dem Team, das da in dieser Saison auf dem Platz steht.

Achim Beierlorzer in der Medienrunde nach der Niederlage gegen Leipzig. (Foto: Screenshot)

Natürlich kann ich nachvollziehen, dass Achim Beierlorzer nicht vor Begeisterung im Dreieck springt über die Frage, ob er mit Moussa Niakhaté und Aarón Martín darüber geredet habe, weshalb sie – anders als im Hygienekonzept festgelegt – während des Spiels eine Trinkflasche untereinander weitergereicht haben. „Es ist heute nicht angesprochen worden. Wir hatten definitiv wichtigere Inhalte zu besprechen.“ Ich ärgere mich über diese Antwort, egal, wie menschlich ich sie finde. Weil ich mich frage, ob beides am Ende zusammenhängt, die eine Lässigkeit mit der anderen, die Unachtsamkeit bei der Trinkflasche damit, sich so abschießen zu lassen. Weil ich mir in beiden Situationen mehr Ernsthaftigkeit wünsche.

„Der Respekt ist immer da.“

05-Sportvorstand Rouven Schröder über den Gegner Union Berlin

Noch unwohler wird mir, wenn Beierlorzer erklärt, die Spieler würden aus den Flaschen ja nicht wirklich mit dem Mund trinken, sondern das Wasser „sprutzen“. Wer so im Fokus der Öffentlichkeit steht und auch als Vorbild taugen soll, muss sich da besser verhalten. Geht es doch mal in die Hose, wünsche ich mir eine klare Ansage, intern ebenso wie öffentlich. Klar kann man kritisieren, sowas müsse doch nicht zu hoch gehängt werden. Andersherum geht es aber auch: Warum haben die Spieler solche Sachen nicht einfach mal im Griff? In der Corona-Krise müssen wir alle uns ständig anpassen und neue Dinge lernen. Auch nur den Anschein zu erwecken, das sei alles halb so wild, empfinde ich als gänzlich falschen Ansatz. (Damit zu „argumentieren“, dass auch gejubelt werde, obwohl das nicht gewollt ist, ist erst recht fatal: Weil andere Fehler machen, verlieren die eigenen Nachlässigkeiten nicht an Gewicht.)

Letztlich landen wir so immer wieder beim Thema der Einstellung. Dazu passt, was Michael Ebert diese Woche im kicker schrieb, nämlich, dass Niakhaté seiner Meinung nach die Lage bei Mainz 05 unterschätzt. Der Abwehrchef hatte sich in der Medienrunde am Montag von der verschärften Tabellensituation nicht beunruhigt gezeigt. Auch da ist natürlich die Frage der Lesart berechtigt. Könnte man es Franzosen nicht positiv auslegen, ruhig zu bleiben? Aber ehrlicherweise bin ich da inhaltlich beim Kollegen und noch dazu irritiert mich, mit welcher Körperhaltung Niakhaté bei der Runde in seinem Stuhl hing: Als ginge ihn all das nichts an.

Moussa Niakhaté beantwortet die Fragen der Journalist*innen. (Foto: Screenshot)

Ist das zu hohes Anspruchsdenken, zu erwarten, dass ein Spieler da einen gewissen Ernst, vielleicht sogar ein gewisses Feuer ausstrahlt in Haltung und Aussagen? Sind all das Details, in die unnötige Bedeutung gelegt wird? Klar, nach einem 3:3 gegen Leipzig würden solche Nebenschauplätze vielleicht eher untergehen, aber macht sie das auch unbedeutend? Ich höre die Verantwortlichen zwar sagen, wie sehr alle den Verein leben, aber bezogen auf viele der Spieler fällt es mir ehrlich gesagt schwer, das zu glauben. Wenn Beierlorzer sagt, auch die wollten nächste Saison in der 1. Liga spielen, denke ich, die wechseln dann eben den Club. Wenn jemand wie Florian Müller nach der Klatsche gegen Leipzig ernsthaft sauer und emotional vor die Kamera tritt, nehme ich das schon als totale Ausnahme war – und sehr positiv. Klar, ist halt alles nur ein Geschäft, ein Produkt, das hören wir dieser Tage ja oft. Und letztlich kann man das als eine neue Art der Ehrlichkeit loben, auch das passiert ja.

Ich frage mich dennoch, wie auf diese Art gerade in der aktuellen Situation die Verbindung zu den Fans aufrechterhalten werden soll. Mit drölfzig Merchandising-Mailings pro Woche allein dürfte das jedenfalls eher schwierig werden. Gewisse Entfremdungstendenzen hat es auch in Mainz ja schon lange vor Corona gegeben und irgendwie sehe ich momentan so gar nicht, wie die gerade in Zeiten von Geisterspielen, in denen statt Fans Werbepartner auf der Gegengerade zu sehen sind, eingedämmt werden sollen. Ja, schon klar, es geht ums Überleben. Das habe ich verstanden. Aber für wen möchte der Verein diese Phase genau überleben, wenn am Ende die Fans fehlen? Uns allen stehen harte Wochen bevor. Auf und neben dem Platz.

2 thoughts on “Die Woche am Bruchweg (22/20): Viele Fragezeichen

    • Mir tun Rouven Schröder und Achim Beierlorzer (vorher Sandro Schwarz) am meisten leid. Die müssen in den Medienrunden, die immer gleichen Fragen zur Mentalität der Mannschaft beantworten, was dann gerne als Phrasendrescherei abgetan wird. Selbst als der Druck maximal war, nämlich im Hinspiel gegen Union, hat die Mannschaft ein unglaublich schlechtes Spiel gezeigt und haben Sandro Schwarz´ Entlassung/Rücktritt mutwillig in Kauf genommen. Es gibt m. E. nach keinerlei Grund zu glauben, dass sich das in den verbleibenden Spielen mentalitätsmäßig ändert. Einige Spieler rackern sich tatsächlich ab, aber wenn auch nur drei, vier Feldspieler ihre Leistung nicht bringen, passiert halt das, was am Sonntag passiert ist…

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