Zu irgendeinem anderen Zeitpunkt hätte ich diesen Text vermutlich mit dem Satz begonnen: Heute war ein seltsamer Tag. Aber sind gerade nicht alle Tage irgendwie seltsam? Zumindest beim Blick nach draußen, in die Welt, die sich durch Corona permanent verändert. Und mit ihr die Menschen, wir alle, auf unterschiedlichste Arten und Weisen.
Also lasse ich den Satz an der Stelle sein, weil er seine Bedeutung für den Moment verloren hat. So ist das, in einer globalen Pandemie. Manche Dinge verlieren für einen Augenblick ihre Bedeutung, manche auch länger – und das ist völlig okay. Andere aber verlieren ihre Bedeutung nicht, bekommen nur durch die Pandemie sehr viel weniger Aufmerksamkeit. Und das ist leider nicht okay. Aber der Reihe nach.
Jede*r Mensch, di*er feministisch denkt und handelt, kennt den Moment, indem si*er sich die Frage beantwortet: Möchte ich das unter diesem Begriff tun? Feminist*in? Nein, ganz so verpönt wie ehemals Emanze ist der nicht, aber schon ein Kampfbegriff und vielen daher ein rotes Tuch.
Ich habe mal in einem Interview gesagt, dass ich über die Tat zum Wort gekommen bin und genau das ist damit gemeint. Irgendwann ging es aber einfach nicht mehr ohne. Wenn mich Menschen fragen, ob ich Vegetarierin bin, sage ich: „Ich esse kein Fleisch.“ Was ich mir aber (noch) nicht abgewöhnt habe, sind Gummibärchen. Das ist zu groß, um mich mit dem Wort Vegetariern wohlzufühlen. Mit dem Feminismus ist es genau umgekehrt: Irgendwann habe ich mich ohne den Begriff nicht mehr wohlgefühlt.
Das ist bislang alles nur Vorgeplänkel. Ich könnte mich dafür entschuldigen. Aber ich habe keine Lust mehr, mich zu entschuldigen. Es ist sehr befreiend.
(Gar nicht gemeint ist damit übrigens, sich Entschuldigungen in ganz konkreten Konflikten abzugewöhnen. Sie taugen nur nicht als generelle Haltung, weil alles darin verschwimmt.)
Wenn Menschen den Begriff Feminismus im Fußballkontext lesen, sorgt das bisweilen noch immer für Verwirrung. Wie passt das zusammen? Die Unsicherheit wird gern weggescherzt: „Willst du den Proleten in der Kurve Manieren beibringen, hihi?“ „Müssen wir uns jetzt auch noch im Stadion benehmen, haha?“ Schön wäre es ja. Genauso, wie ein wenig Grundbildung über Fans, deren Bild als eierkratzende, schwitzende, pöbelnde Proleten nämlich im Großen und Ganzen ziemlich aus der Zeit gefallen ist. Aber ich schweife ab.
Plötzlich gehört man also zwei Gruppierungen an, die einigen Teilen der Gesellschaft suspekt sind: Feministinnen und Fußballfans. Auch noch beides auf einmal. Da kann dem einen oder der anderen schon mal der Kopf platzen im Gespräch. Und nicht nur das. Ich für meinen Fall widme mich dem Fußball zudem als Journalistin: in der Zeitung, im Podcast „FRÜF – Frauen reden über Fußball“ und hin und wieder in meinem eigenen Blog. Da ist für manche schon die Grenze zur Zumutung überschritten.
Persönlich habe ich mich in all der Zeit mit dem Thema vor allem gewundert über so manche Reaktion. Darüber, wie wenig andere offenbar zusammenkriegen, was für mich so natürlich Hand in Hand geht. Aber letztlich ist der Blick von außen nicht mein Problem – oder doch?
An dieser Stelle wird es kompliziert, auch, weil wir mit Gewohntem brechen.
Obwohl wir Frauen immer Teil der Fußballwelt waren und sich das weit in die Vergangenheit zurück belegen lässt, scheinen viele Männer den Bereich noch als eine Oase zu empfinden, in der sie gerne ihre Ruhe hätten vor den Weibern. Und auch davor, dass dieser Satz mit seiner eindimensionalen Betrachtung schon jede Menge Widerspruch auslöst. Männer und Frauen? Schwarz und weiß?
Wie stark wollen wir eigentlich themenübergreifend noch in Geschlechtern denken? Sind es nicht vielmehr männlich gelesene und weiblich gelesene Personen? Sind Zuschreibungen wie männlich und weiblich überhaupt weiterhin sinnvoll? Wo finden sich Enbys wieder, wenn in solchen Kategorien gesprochen und geschrieben wird?
Wurde es zunächst einfach kompliziert, regt sich nun bein manchen auch echter Widerspruch. Der kommt in ganz unterschiedlichen Gewändern daher. Völlige Ablehnung. Totale Zustimmung. Und dann der diffuse Zwischenraum, in dem Menschen die Wichtigkeit dieser Themen eigentlich für sich erkannt haben, aber mit ihrer Umsetzung zu kämpfen haben.
In diesem Zwischenraum bewegen wir alle uns von Zeit zu Zeit. Probleme im Umgang mit diesen Themen anzusprechen, heißt nicht etwa, selbst perfekt darin zu sein. Es bedeutet aber, sie wichtig genug zu nehmen, um etwas daran verbessern zu wollen. Auch, wenn es häufig zu metaphorisch blutigen Nasen führt, weil andere sich davon genervt fühlen.
Gendergerechter Sprache und ähnliches möchten nicht wenige Fans am liebsten von „ihrem Fußball“ fernhalten. Für andere ist der erste Affront schon, dass Frauen sich überhaupt zum rollenden Ball äußern. Sprechen wir an dieser Stelle der Einfachheit halber von Blasen – ich versuche sonst, das zu vermeiden – so habe ich natürlich keine Menschen in meiner Social-Media-Blase, die so denken (und in meinem Offline-Umfeld sowieso nicht). Das bedeutet aber nicht, dass mir ihre Meinung nicht aus Leserbriefen entgegenschlägt oder in Kommentaren zu meinen Beiträgen landet, die ja nicht nur Menschen lesen, mit denen ich im persönlichen Austausch stehe. Der Ton, der da meist angeschlagen wird, ist geringschätzig und belehrend.
Natürlich ist es lachhaft, wenn nicht-männlich gelesene Personen darauf hingewiesen werden, sie hätten im Fußball vermeintlich nichts zu suchen. Trotzdem findet dabei ein gewisser Abnutzungsprozess statt, den Männer auf diese Art schlicht nicht erleben. Sie werden eben nicht daran erinnert, doch bitte bei ihren Leisten zu bleiben oder gleich die Fresse zu halten. Sie können – prominente Beispiele beweisen das – ihren Senf zum Fußball noch so unqualifiziert äußern, trotzdem gehören sie irgendwie dazu, und sei es als Folklore. Den Widerstand, den nicht-männlich gelesene Menschen auch heute noch oft erleben bei dem Thema, kennen sie nicht und können seine Wucht deshalb selten nachvollziehen.
Männer lesen Magazine, in denen andere Männer wiederum andere Männer zum Fußball befragen. Damit meine ich natürlich nicht die Spieler oder Funktionäre, die im Fußball der Männer eben genau das sind. Ich meine die Männer, die ihre Geschichten von prägenden Fußballmomenten erzählen, ihre Meinung und Sicht auf die Dinge vor Publikum ausbreiten, als könnte sich kein*e andere*r dazu äußern. In den letzten Monaten habe ich – bis auf den ballesterer – tatsächlich alle Fußballmagazine gekündigt, die ich teilweise für lange Jahre abonniert hatte. Einfach, weil es mich nicht mehr interessiert, immer diese ausschließlich männliche Perspektive darin vorgesetzt zu bekommen. In der Singularität langweilt mich das. Ich will das nicht mehr, oder besser: Ich will eben mehr.
Damit meine ich nicht nur die Stimmen von Frauen, ich mein eine generell höhere Diversität. Männer, Frauen, Enbys, Weiße, Schwarze, Behinderte, Hetero- und Homosexuelle. Ich habe die Nase voll davon, Interviews mit Behinderten nur zu lesen, wenn es um ihre Behinderung geht, mit nicht-deutsch Gelesenen primär zu Rassismus, mit Juden zu Antisemitismus, mit Frauen zu Familie, Pflege und Homeschooling. Ich möchte, dass all diese Menschen zu Wort kommen. Ich will nicht am Bild einer Muslimin mit Kopftuch erkennen, dass es im Text um Religion geht, sondern möchte sie über Basketball sprechen hören. Ich möchte, dass Juden von ihrer Liebe zum Kino erzählen, Schwarze über Homeschooling sprechen, Männer über Pflege. Ich habe es satt, in Schubladen gesteckt zu werden oder Texte zu lesen, die innerhalb dieser Schubladen gedacht sind. Und ich bin nun wirklich nicht die Einzige.
Damit sind wir zurück an dem Punkt, dass manche Themen in dieser Krise an Bedeutung verlieren – und andere nicht. Das Thema Diversität verliert garantiert nicht an Bedeutung. Dennoch versuchen viele Menschen, uns gerade das Gegenteil zu erklären. Und „uns“ meint in dem Fall auch ganz konkret: uns Feministinnen. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mir zuletzt die Frage gestellt wurde, ob ich auch in dieser Situation „mit dem Thema kommen“ wolle. Als hätte Corona nun alles abgeschafft oder der Bedeutung beraubt, Diversität, Feminismus, Sichtbarkeit. Die Antwort ist also klar: ja, ich will auch jetzt mit diesen Themen kommen. Weil ich und wir alle es müssen. Weil es keine Alternative gibt.
Und hier wird nun der große Bogen, den ich mit diesem Text geflogen bin, wieder kleiner, komme ich zurück zum Thema Fußball und der Sichtbarkeit von Frauen bei ganz konkreten Projekten, egal, wie klein oder groß sie sind.
Manch eine*r wird sich fragen, wieso wir diese große Schleife geflogen sind, um zu einem vermeintlich einfachen Thema zu kommen: Warum kritisiert eine Handvoll Frauen, wenn Blogger, die sie sehr schätzen, eine öffentliche Leserunde unter sich ins Netz stellen?
Die Frage nach der Schleife lässt sich für mich am besten so beantworten: Weil die meisten nicht-männlich gelesenen Menschen, die im Fußball unterwegs sind, Teile davon permanent fliegen. Weil sie ihren, weil wir unseren Umgang mit Fußball für uns als das Selbstverständlichste der Welt empfinden, aber von Teilen dieser Welt immer wieder aufs Neue gespiegelt bekommen, das sei nicht unser Tanzbereich. Weil es uns als jammern ausgelegt wird, das anzusprechen. Und weil uns das inhaltlich zwar auf der einen Seite am Boppes vorbeischwirrt – es aber trotzdem nervt. Abnutzt.
In der Konsequenz haben sich Frauen, die im Fußball unterwegs sind, in den letzten Jahren verstärkt zusammengetan. Das ist bei „F_in – Frauen im Fußball“ ebenso passiert wie bei „FRÜF“ und vielen anderen Stellen. Diese Bande sind auch deshalb wichtig, weil sie die Selbstverständlichkeit, die wir empfinden, betont und nach außen trägt. Und es ist zum Glück auch nicht so, als würde sich gar nichts bewegen. Es ist nur noch lange nicht genug.
Die Antwort auf das „Warum“ in Bezug auf die Leserunde ist vielschichtig. Der erste Teil ist im Grunde ein Kompliment: Von vielen der Beteiligten hätten wir mehr erwartet. Weil wir mehr von ihnen gewohnt sind und sie zu der Blase gehört, die nicht nachfragt, ob Menschen sich weiblich oder männlich identifizieren. Leider ist das nicht gleichbedeutend damit, sich mit Geschlecht nicht auseinanderzusetzen. Überall, wo Ungleichheit herrscht, muss am Status quo geschraubt werden. So zu tun, als wäre daran irgendein Teil privat, ist schlicht und ergreifend Quatsch. Das Private ist längst politisch.
Natürlich steckt auch Verärgerung darin, darauf aufmerksam zu machen. Grund dafür ist auch die beschriebene Schleife. Die Abnutzung, der Frust darüber, denselben Themen immer wieder zu begegnen. Und damit, ja, irgendwann die Geduld zu verlieren. Ungläubig zu sein darüber, wie sich alles wiederholt. Auch bei Leuten, bei denen gegenseitige Wertschätzung da ist. In dieser Konstellation nervt und schmerzt es ehrlich gesagt besonders.
Negativer Höhepunkt, wie sich auch hier „Argumente“ wiederholen. Es waren keine Frauen zu kriegen, wir haben doch gefragt. Ihr beschwert euch ja auch nicht, dass keine Behinderten oder Ausländer dabei sind. Nervt nicht. Ihr macht uns alles kaputt. Hände hoch, wer das so schon erlebt hat. Die Kritiker*innen werden gleichzeitig zu Täter*innen („Ihr macht uns alles kaputt“) und Opfern („Jammert nicht“) gemacht. Alles innerhalb dieser Schleife wiederholt sich. Wieder. Und wieder. Und wieder. Es ist einfach unfassbar ermüdend.
Ja, wenn von 100 Menschen, die sich zu Fußball äußern, 90 Männer sind, dauert es länger, Frauen für eine Runde zu finden. Damit haben wir alle bei unseren Projekten Erfahrungen gemacht. Es bedeutet, eben länger und intensiver suchen zu müssen.
Aber das ist doch nur ein privater Gig. Ja, das ist auch wunderbar, aber wenn er am Ende im Internet steht, ist es eben doch eine öffentliche Veranstaltung. Die nächste, bei der nur eine Menge weißer Männer über Fußball spricht. Ganz ehrlich, wollt ihr Teil davon sein?
Aber ihr wart schon auch pampig. Möchte ich gar nicht ausschließen. Wir haben bei dem Thema ein gewisses Standgas. Wir gehen in unserer Blase aber auch davon aus, es ansprechen zu können, ohne dass Beteiligte die beleidigte Schildkröte geben – und in ihrem Panzer verschwinden, aus dem heraus sie dann mosern.
Dazwischen ganz viel Schweigen, das laut dröhnt. Von Menschen, die sich das leisten können, weil ihr Alltag nicht aus diesen Widerständen besteht.
Nichts davon ist schön. Zumal, weil im konkreten Fall eben Menschen aufeinandertreffen, die sich in weiten Teilen gegenseitig kennen und schätzen. Wenn Kommunikation und Verständnis in dieser Konstellation schon so schwierig sind, was sagt das dann über unser Gesellschaft als Ganzes? Vielleicht lieber gar nicht drüber nachdenken. Und die Hoffnung trotzdem nicht aufgeben.
Keine*r von uns steht morgens auf und nimmt sich vor, der Stachel im Fleisch der Gewohnheit anderer Menschen zu sein. Manchmal ist so ein Stachel aber das Einzige, was uns alle dazu bringt, innezuhalten. Weil irgendwas unangenehm ist. Weil wir deutlicher spüren als sonst, diese Gewohnheit funktioniert so nicht mehr. Weil wir im Angesicht des Stachels eben Dinge hinterfragen, die bis dahin ohne Gegenworte durchgerauscht sind. Weil uns allen Dinge durchrutschen. Weil wir alle von Zeit zu Zeit diese Stachel spüren müssen, um unseren Trott aufzubrechen.
Es gibt keine Veränderung, ohne Widerstand.