Gefüllte Oliven

Es war nicht seine Schuld. Es war nicht seine Schuld – und ich wusste das auch. Er gab sich ja Mühe, das konnte ich doch auch sehen – und es nutzte doch nichts, schon lange nicht mehr, er machte mich wahnsinnig. Alles, was er sagte, machte mich wahnsinnig. Alles, was er nicht sagte. Alless was er tat – und alles, was er nicht tat. „Ich möchte dir doch nur helfen“, würde er sagen, wenn er zu mir in die Küche kam und meine heilige Ordnung zerstörte, seine klobigen, ungeschickten Finger in meinen Rührteig steckend oder beim Versuch, wenigstens das Gemüseschneiden ohne Panne zu absolvieren. Was natürlich unmöglich war, er schnitt die Zwiebeln zu groß, die Tomaten in Streifen, schälte die Gurken nicht sauber. Er hielt die Mandeln im Inneren der grünen Oliven für Kerne und bemerkte sein Missgeschick erst, als er fast ein ganzes Glas davon gepult hatte, während ich mit Hanne im Wohnzimmer saß und Kaffee trank, rauchte und im Scherz Pläne schmiedete dafür, ihn endlich zu verlassen.

Foto: w.r.wagner/pixelio.de

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„Was soll denn das nun wieder, was hast du dir dabei gedacht, die schönen Mandeln!“, herrschte ich ihn an, als ich schließlich zurück in die Küche kam, um die Pizza zu belegen, Pizza für mich und die Mädels, nicht für ihn, auch nicht für die anderen Männer, die der Mädels. Nur, dass die alle unterwegs waren, auf Sauftour, oder Fußballspielen, oder was weiß ich, nur meiner, meiner nicht. Meiner saß ja in der Küche und pulte Mandeln aus den Oliven, für die ich extra noch zum Feinkosthändler gefahren war, weil Annika sie so mochte. Und ich herrschte ihn dafür an, herrschte ihn an wie eine dieser Frauen, die ich früher gehasst hatte: zum Kotzen. „Es tut mir leid, Schatz, es tut mir so leid“, jammerte er dann – und machte damit alles noch schlimmer. Er versuchte, seine Hände so unauffällig wie möglich mit dem Küchenschwamm zu bearbeiten, denn gegen Mandeln war er allergisch und nur daran konnte er denken, seitdem ihm klar geworden war, dass er in den vergangenen Minuten ein Glas davon zwischen seinen Fingern gerieben hatte. Das hatte ihm zwar nicht geschadet, so viel war offensichtlich, aber jetzt. Jetzt machte er sich Sorgen, auf diese panische, irrationale Art und Weise, so war das immer bei ihm, mit diesen Allergien. Und dazu jammerte er und entschuldigte sich – so war das auch immer.

„Warum verlässt du ihn nicht?“, fragte mich Hanne, während Annika ihn lobte, weil er so sensibel war, so gar nicht machomäßig – und weil er sich doch so bemühte. Und sie wünschte ja, ihr Albert wäre auch ein wenig so wie mein Mann, aber das ist doch auch nicht verwunderlich, wenn eine wie Annika sich das wünscht. Grundschullehrerin, den ganzen Tag von kleinen Kindern und Lehrern umgeben – und Zuhause einen Typen, der von ihr verlangte, dass sie seine Unterhosen bügelt, kein Scherz. Mit den Fingern die Kanten der Schränke abfuhr, wenn er abends von seinem Angeberjob zurückkam, um zu kontrollieren, ob seine kleine Hausfrau, denn das war sie für ihn, eine Hausfrau, ihr Halbtagsjob – so nannte er das und sie widersprach nicht, weil harmoniesüchtig – und ihr Halbtagsjob galt nicht für ihn, ob seine kleine Hausfrau also auch alles ordentlich sauber gemacht hatte. Nein, einen wie Albert, den wollte ich nicht geschenkt; obwohl. Den hätte man wenigstens verlassen können. Mit Albert, das war eindeutig, der war emotional total unterbelichtet, keine Chance auf Besserung, und mit seiner Vorstellung von Beziehung und Gesellschaft dermaßen hängen geblieben – also. Wäre ich Annika, Albert hätte ich längst verlassen.

„Warum verlässt du ihn denn nicht?“, also Hanne, während sie ihr Rotweinglas schwenkte. Ich konnte nicht antworten, natürlich, auf diese Frage hatte ich selbst keine Antwort – erst recht keine gute, und selbst wenn. Konnte ich nicht antworten, den Mund voller Pizza, mit Oliven, ohne Mandeln und so richtig wollte es mir heute nicht schmecken. Auch nicht der Wein, nicht einmal die Gesellschaft der Mädels. „Jetzt sag nicht wieder, er bemüht sich doch so“, fauchte Hanne lautstark, dabei hatte ich keinerlei Anstalten gemacht. Aber Annika, die zuckte zusammen, ausgerechnet Annika. Dabei wurde bei der Zuhause immerzu nur gefaucht und gekeift, seltsam eigentlich, dachte ich kauend, wie man sich da noch so erschrecken kann. „Aber er bemüht sich doch so“, sagte ich; dann doch.

Im Bett war es dasselbe. Er schwitzte und zappelte und hängte sich rein, aber es nützte nichts, alles war falsch. Was er tat und was er nicht tat, was er sagte und was er nicht sagte, wie er mich anfasste und wie nicht, es machte mich wahnsinnig, er machte mich wahnsinnig. Und erzeugte in mir eine Wut, die war so ekelhaft und mächtig, ich wollte mit mir selbst nichts zu tun haben. Im Bett war es genau genommen besonders schlimm, dieses sinnlose Gezappel, dieser treue Blick aus den fragenden mache-ich-es-richtig-Augen, das verdammte Bemühen. Anfangs hatte ich noch versucht, irgendwie an ihm vorbei zu fühlen, mich an ihm vorbei zu bewegen, aber es klappte einfach nicht. Ich konnte meinen Anspruch in der Küche an ihm vorbeibauen, ich konnte wegsehen, wenn er ängstlich und mit eingezogenem Kopf rückwärts einparkte, als sei es ein Kunststück, ich konnte die unendlich langweiligen Geschichten über seinen grauenvollen Job ignorieren. Aber ich war nicht bereit, nie gewesen, ihm im Bett etwas vorzuspielen, ich wollte verdammt noch mal auf meine Kosten kommen, das war mein gutes Recht, darauf hatte ich einen Anspruch, wenn man so will – und er tat das schließlich auch.

Dann seine Konsequenz, wenn es wieder nicht klappte und er sich plötzlich seinerseits alles verkniff, nur um es mir in die Schuhe zu schieben, dabei konnte ich sehen, konnte an seinem Gesicht ablesen, wie verkniffen alles war. Und dass er könnte, wenn er wollte, das nun aber eben nicht, nur um mich zu bestrafen; dabei war es mir vollkommen egal. Und dann, kurze Zeit später, wenn er mich schlafend wähnte, seine rüttelnden Bewegungen unter der Decke, die er für unauffällig hielt. Und er glaubte ja, ich schliefe, weil ich früher immer schnell und gut eingeschlafen war neben ihm, aber so war das längst nicht mehr. Und da lag er nun und fummelte und keuchte sich in die Armbeuge, mir hatte er den Rücken zugewandt und dachte tatsächlich, ich bekäme von alledem nichts mit, es war erbärmlich. Wie hätte ich es also wissen sollen. Wie hätte ich da wissen sollen, dass dieses Gekeuche, in jener Nacht. Wieso macht er das auch, den Kuchen. Wo ist er überhaupt hergekommen, um diese Uhrzeit. Der Kuchen. Ich verstehe das nicht. Ich meine. Irgendetwas musste ich doch tun, mit den Mandeln. Die werfe ich doch nicht einfach so weg.

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