Am morgigen Freitag, 30. Oktober, spielt die Schweizer Künstlerin Sophie Hunger im Schlachthof Wiesbaden. Ich hatte schon mehrfach das Vergnügen, sie zu sehen, unter anderem im Februar 2013 in der Centralstation Darmstadt. Ein Konzertbericht.
Draußen ist es dunkel und nass, in der ausverkauften Centralstation jedoch steht die Schweizerin Sophie Hunger im ärmellosen Kleid auf der Bühne. Diese ist in ein warmes Rot getaucht, verziert mit gelb-orangenen Glühbirnen. Dazu wiegt sich im Saal eine körperlose Masse, zur Einheit verschmolzen in der Hitze des Raumes und dem Glück über die Musik der feenhaften Miss Sophie: so zart, so natürlich – so wunderbar. Und das am Valentinstag!

Mit ihrem neuen Album Supermoon ist Hunger jetzt auf Tour. (Pressefoto)
„Ich denke an die Pärchen im Saal“, sagt Hunger leise. „Die sich anschauen und denken, es wäre für immer. An all die Pärchen, die heute hier sind: Dies ist der Anfang vom Ende.“ In die bass erstaunte Stille lächelt sie erneut ihr undurchsichtiges Lächeln, dann zurück zum Piano, dem nächste Song: „First We Leave Manhatten“ – und nein, die Anlehnung an Leonard Cohen ist nicht zufällig: Hungers Vorbilder sind groß, doch sie muss sich in ihrem Angesicht nicht verstecken.
Es geht etwas Rätselhaftes aus von dieser jungen Frau, die zugleich so uneingeschränkt einnehmend wirkt, dass selbst die kurz geschockten Paare nach dem Konzert gerne ein Bier mit ihr trinken würden. Ist es der Schalk, der in ihren Augen sitzt, wenn sie das Publikum mit Blicken beinahe seziert – oder gar eine kleine Bosheit? Und „hat sie“, flüstert eine junge Frau ihrem Liebsten verstört ins Ohr, „das mit dem Anfang vom Ende tatsächlich Ernst gemeint?“
Ernst und wahrhaftig sind zumindest ihre Texte, die sich oft mit Veränderung beschäftigen. Dem Wandel, dem wir unterworfen sind und der Frage, wie wir damit umgehen, wenn er uns schlicht überkommt; wir ihn nicht gewählt haben. Ihre Songs drückt sie mit mehr aus als Worten und Tönen, stets ist Hungers ganzer Körper im Einsatz: Sie gönnt sich keine Pause, wirft sich sprichwörtlich in die Tasten, schlägt, zupft und spielt ihre Gitarre. Es sind ihre Hände, die besonders faszinieren, mit ihnen schreibt sie Botschaften in die Luft, greift, gestikuliert, lädt ein und verschränkt sich; immer sind sie in Bewegung, haben sie etwas zu sagen, zu erzählen.
Atemlos – aber nicht außer Atem, bestimmt – aber nie unhöflich, mit eigenem Kopf – aber niemals ignorant: so jagt, tanzt und spielt Hunger sich durch das Konzert. Dabei beeindruckt nicht zuletzt ihre Stimme, die mühelos zwischen samtigen Untiefen und klaren Höhen changiert. Vor allem aber beeindruckt Hunger selbst: als Künstlerin, als Mensch, als Eine, die weiß, was sie will – und die es erreicht. Auch an diesem Abend.