Ich sehe es nicht kommen – aber ich kann es spüren

Lange hat es gedauert, bis „Helen“, das mittlerweile nicht mehr ganz so neue Werk von Regisseurin Sandra Nettelbeck („Bella Martha“) auch in Deutschland in die Kinos kam – am 26. November war es so weit. In ihrem Film zeigt Nettelbeck die Geschichte einer Frau, die scheinbar alles hat – und an einer Depression erkrankt. Für Helen (Ashley Judd) selbst kommt die Krankheit zwar ähnlich unerwartet wie für ihr Umfeld, doch schlussendlich nicht ebenso überraschend: Vor zwölf Jahren war sie bereits einmal wegen einer Depression in der Klinik. Damals scheiterte ihre erste Ehe, inzwischen ist sie wieder verheiratet und ihre Tochter (Alexia Fast) zur Teenagerin herangewachsen.

Helens Depression quält sich aus ihr heraus, und Judd spielt den Zusammenbruch schmerzhaft authentisch. (Foto: Verleih)

Helens Depression quält sich aus ihr heraus, und Judd spielt den Zusammenbruch schmerzhaft authentisch. (Foto: Verleih)

Für ihren Mann David (Goran Visnjic) bricht mit der Diagnose eine Welt zusammen, den Halt jedoch verliert er erst, als er merkt – er kann seiner Frau nicht helfen. Weil sie sich nicht helfen lassen will, nicht helfen lassen kann. Der einzige Mensch, den sie noch an sich heranlässt ist Mathilda (Lauren Lee Smith), eine Schülerin aus ihrem Musikseminar an der Universität, die sie in der Klinik wiedertrifft. Zwischen den beiden entspinnt sich eine Freundschaft, die zugleich Mut macht und unendlich traurig – denn sie basiert auf der gemeinsamen Krankheit. Und sehr schnell ist klar, beschließt eine der beiden Frauen, sich in ihr altes Leben zurückzukämpfen, bleibt die andere zurück; weil jede, wenn überhaupt, nur die Kraft hat, sich selbst zu retten.

Nettelbeck nimmt sich unglaublich viel Zeit, ihre Figuren zu entwickeln. Helens Depression quält sich gewaltsam aus ihr heraus, und Ashley Judd spielt diesen Zusammenbruch, die beißende Angst, die erdrückende Traurigkeit, schmerzhaft authentisch. Obwohl Visnjic hinter Judds schauspielerischer Leistung zurückbleibt, überzeugt auch er als überforderter Ehemann, der verzweifelt versucht, seine Frau an der gemeinsamen Liebe oder der Erinnerung daran heilen zu lassen. Aber Helen nimmt weder seine Hilfe noch die der Ärztin an, verlässt das Krankenhaus und verschanzt sich mit Mathilda in deren Wohnung. Es mutet klischeehaft an, dass ausgerechnet eine Begegnung mit ihrer Tochter ihren Überlebensinstinkt weckt und sie dazu bringt, zur Behandlung in die Klinik zu gehen. Doch Judd vermittelt auch diese Wandlung überzeugend und überdies gibt es dem Zuschauer, der sich mit „Helen“ weit auf das schwierige Thema Depressionen einlässt, in diesem aufwühlenden Film ein Stück Hoffnung: Während Mathilda auf der einen Seite über den Selbstmord ihrer eigenen Mutter nie hinweggekommen, sondern daran sprichwörtlich kaputtgegangen ist, sieht Helen in ihrer Tochter den Grund, den sie brauchte, um gegen ihre Krankheit anzukämpfen.

Nettelbecks Film versucht nicht zu erklären, weil es nichts zu erklären gibt; er belehrt nicht, sondern lässt den Zuschauer mitfühlen – die Ohnmacht der Betroffenen ebenso wie die ihrer Mitmenschen. Das basse Erstaunen des Umfelds darüber, warum es gerade diese offenbar glückliche und erfolgreiche Frau getroffen hat: Weil es eben jeden treffen kann. In ruhigen, kühlen Bildern, die wie ein Seelenspiegel Helens wirken, ohne dabei zu dramatisieren oder zu überzeichnen, gleitet der Zuschauer durch die Gemütszuständer der Protagonistin, fühlt und leidet mit ihr und bekommt zudem speziell in der Verzweiflung ihrer Tochter die unbarmherzige Wucht zu spüren, mit der die Depression auch die Angehörigen der Erkrankten trifft. Ein sehr empfehlenswertes Stück Kino zu einem wichtigen Thema.

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