Just like I saw it on TV

Nachdem die Bilder aufgehört haben, ihre Geschichte zu erzählen, starren sie beide weiter auf den leeren Bildschirm. So lange, bis der mit einem leisen Poff und einem kurzen, hellen Aufflackern erlischt. Schließlich ist sie es, die zuerst etwas sagt. „Das kotzt mich so an!“, schimpft sie in die Stille des Raums, der außerdem dunkel ist, weil sie das Staffelfinale der Serie so intensiv wie möglich erleben wollten. Ohne Licht. Und ohne den andern wahrzunehmen. „Was kotzt dich denn an daran, es war doch gut, oder? Würdiges Ende, findest du nicht?“ „So ist das im wirklichen Leben aber nie. Das war total unrealistisch.“ Sie dreht sich zu ihm um, obwohl sie weiß, dass sie nicht mehr von ihm erkennen kann als einen Schatten. Die Straßenlaternen werfen ein wenig Licht durch die Fenster, doch es macht nicht mehr von ihm sichtbar als einen schemenhaften Umriss, wie er da in seiner Sofaecke kauert. „Das ist deine Beschwerde?“, lacht er sie aus. „Dass es unrealistisch war?“ Sie nickt trotzig.

„Wenn du Realismus willst, geh spazieren, triff Freunde oder fahr raus zum Real.“ (Montage: Julia Rudholzner)

„Wenn du Realismus willst, geh spazieren, triff Freunde oder fahr raus zum Real.“ (Montage: Julia Rudholzner)

„Wenn du Realismus willst, geh spazieren, triff Freunde oder fahr raus zum Real, aber Fernsehen ist ja nun nicht gerade für unsere Realität verantwortlich, oder? Und Serien schon gar nicht.“ Sie dreht sich auf den Rücken und denkt über seine Worte nach, während sie mit den Augen die fahlen Lichtspiele beobachtet, die von vorbeifahrenden Autos an die Zimmerdecke gemalt werden. „Aber so ist das nicht mehr. Das stimmt nicht, nicht im Bezug auf so eine Serie.“ „Was?“ „Was du gesagt hast?“ „Was von dem, was ich gesagt habe?“, fragt er, und sie ärgert sich über die leise Ungeduld in seiner Stimme. So, als ob er gerade die zehn Gebote verlesen hätte – und sie habe nur acht davon mitbekommen. „Mit dem Realismus, dass das Fernsehen dafür nicht zuständig ist. Klar ist es nicht seine erklärte Aufgabe, aber die Serie zum Beispiel versucht sich ja sehr am Realismus. Und andere Filme oder Serien auch. Aber wenn es um das Thema Beziehungen geht, Liebe und so – dann scheitern sie einfach, das können sie nicht so darstellen wie es im wirklichen Leben ist.“

Sein Feuerzeug klackt mit einem leisen, metallenen Geräusch auf und für einen kurzen Moment mischt sich in das blaue, fahle Licht der Straßenlaternen und Autoscheinwerfer die kühle Flamme des Feuers. Ihr wird bewusst, wie schnell ihre Augen auf das hellere Licht reagieren, wie viel länger sie brauchen, um sich wieder an das Dunkel zu gewöhnen. „Beispiel?“ fordert er. „Erin Brockovich!“ Sie spürt sein leises Lachen noch bevor es erklingt. „Über den Film regst du dich jetzt echt schon seit Jahren auf.“ „Na, zu Recht!“, beharrt sie. „Ich meine, der Tussi läuft alles schief, immer wenn sie denkt, sie ist schon völlig am Boden, bekommt sie noch mal ein paar vor die Fratze geballert – und als sie dann komplett fertig ist mit den Nerven“, … „zieht ein gutaussehender Motorradrocker neben ihr ein, hütet ihre Kinder, schmeißt ihr den Haushalt und hält ihre Launen aus“, führt er zu Ende. „Du hast das Wichtigste vergessen.“ „Nämlich?“ „Dass er sie liebt!“ „Ja, das meinte ich doch damit.“

„Siehst du, aber genau das ist eben das Ding. Nicht, ja das meinte ich ja damit, sondern eben genau das: er liebt sie. Ihr Leben läuft total schief, sie hat dreiundzwanzig uneheliche Kinder, kämpft einen völlig aussichtslosen Kampf, rennt rum wie der letzte Straßenköter, jammert und heult den ganzen Tag – und er ist einfach da. Und liebt sie, als wäre es das Normalste auf der Welt.“ „Ich versteh nicht, warum du immer ausgerechnet bei dem Film so einen Hals bekommst mit dem Thema. Der war ja noch nicht mal gut. Und außerdem sah der Typ später in Thank you for Somking oder wie der Streifen heißt komplett scheiße aus und war ein totales Arschloch, also was soll’s!“

Sie ist genervt von den Kringeln, die er in die Luft pustet, und den Pausen, die er wegen des Rauchens macht. „Darum geht’s doch gar nicht.“ „Worum geht es denn dann?“ „Immer noch um dasselbe Thema wie eben, nämlich dass der Liebespart von Filmen und Serien kein Stück der Realität entspricht.“ „Und die sieht wie aus?“ „Na, überleg doch mal, wer damals in Hamburg in die Wohnung neben meiner WG gezogen ist, als ich arbeitslos und total am Sack war“, klopft sie mit dem Handrücken gegen die Wand und ihre Erinnerung. „Jedenfalls kein gutaussehender Motorradrocker…“ „Sondern der Arsch, der den Job gekriegt hat, den du zu der Zeit eigentlich gern gehabt hättest…“, „So dass ich über Monate jeden morgen seinen Wecker klingeln hören konnte und mir vorstellen, wie er in mein potentielles Büro geht. Das ist das wahre Leben.“

Er zündet sich noch eine Zigarette an und sie greift nach der roten Packung, fummelt sich ebenfalls eine heraus und klemmt sie in den Mundwinkel. „Ich dachte ja bis eben, du rauchst nicht mehr“, mahnt er und sie muss grinsen über den Vorwurf in seiner Stimme. „Das tu’ ich ja auch gar nicht.“ „Und was ist das dann?“ Sie dreht sich zu ihm um und leuchte ihn ein wenig mit dem Feuerzeug an, die Kippe klebt ihr nass im Mundwinkel und schmeckt vertraut nach etwas, woran sie sich gerne erinnert. „Das ist meine Erin Brockovich Zigarrette.“ „Deine was?“ Sie nuckelt an ihrer Kippe, puste imaginären Rauch in die Luft und blickt ihm scheinbar sehnend nach, wie er zur Decke steigt, bis ihr klar wird, dass ihr Schauspiel umsonst ist, weil er sie nicht sehen kann – und da beginnt sie albern zu gackern. „Meine Erin Brockovich Zigarrette. Die zu rauchen ist ungefähr so, wie wenn man einem verliebten Paar im Fernsehen zuschaut: man ist live dabei – aber nicht persönlich involviert.“ „Das stelle ich mir nicht besonders befriedigend vor“, sagt er. „Ist es auch nicht“, erwidert sie nur leise; doch das Rauchen hat ihr nie gefehlt.

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