Kinotipp: Kedi. | Die Liebe steckt in allen Dingen

Es war der Schriftsteller Ernest Hemingway, der einst sagte: „One cat just leads to another.“ Oder genauer: schrieb, in einem Brief an seine erste Frau Hadley Richardson. Das berühmt gewordene Zitat setzte der Dichter, der zu jener Zeit mit seiner dritten Frau Martha Gellhorn und elf Katzen auf einer kubanischen Finca lebte, in den Zeilen an Hadley folgendermaßen fort: „The place is so damned big, it doesn’t really seem as though there were many cats (until you see them all moving like a mass migration at feeding time).“

Obwohl Hemingway diese Worte natürlich schrieb, lange bevor der Film „Kedi. Von Katzen und Menschen“ entstanden ist, wirken sie doch beinahe wie eine Zitat aus der wunderbaren Dokumentation, die seit dem 8. August in deutschen Kinos zu sehen ist. Schließlich gehören die streunenden Katzen Istanbuls so selbstverständlich zum Bild der Stadt, dass sie manchmal gar nicht weiter auffallen. Dann wieder machen sie mit Nachdruck auf sich aufmerksam, sei es durch ihr Verhalten oder das Auftreten im Pulk, scheinen plötzlich überall zu sein und es ist unmöglich, sich ihrem sanften Charme zu entziehen.

Insgesamt drehten die Filmemacher um die aus Istanbul stammende Regisseurin Ceyda Torun und den in der Pfalz aufgewachsenen Kameramann Charlie Wuppermann drei Monate lang, 200 Stunden Material kamen dabei am Ende zusammen. Daraus entstanden ist eine bildstarke Dokumentation, die zwar mit ihrer zärtlichen Betrachtung der Vierbeiner sicher in erster Linie Katzenliebhaber anspricht, die aber neben der Liebeserklärung an die streunenden Tiger auch eine an die großartige Stadt Istanbul und ihre stolzen Menschen ist.

Sari

Gedreht wurde mit 19 Tieren, von denen am Ende sieben als Hauptfiguren im Film zu sehen sind. Der Film folgt den Katzen auf ihren Wegen durch die verschiedenen Viertel Istanbuls und porträtiert dabei auch die Menschen, bei denen die Katzen sich niedergelassen haben. Gerade diese behutsam eingefangenen Begegnungen zwischen Zweibeiner und Vierbeiner sind es, die „Kedi“ (türkisch: Katze) so besonders machen, ihm ihren Zauber verleiht.

Da ist die junge Frau, die davon erzählt, wie die Mutterschaft ihre Katze verändert hat. Sarı liegt nun nicht mehr faul in der Sonne, sondern widmet ihre Tage der Aufgabe, Futter für den Nachwuchs zu organisieren. Zwischendurch schaut sie bei ihren Menschen herein, lässt sich streicheln und scheint schnurrend Kraft zu tanken für die nächsten Raubzüge. Und wenn die junge Türkin die Katze krault und dabei erzählt, wie wichtig Sarı ihre Freiheit sei, scheint sie damit auch ein wenig sich selbst zu meinen.

Bengü

Da ist Bengü, die getigerte Katze, die auf das Schnalzen ihres einen Menschen erst reagiert, wenn der andere sie mit der Bürste fertig verwöhnt hat. Die Katzendame Psikopat, die eifersüchtig über ihr Viertel und ihren Ehekater wacht. Der kleine Kater Deniz, der in einer Markthalle lebt und sich, trotz festem Futterplatz, dort geschickt sein Fressen räubert. Da ist der Restaurantbesitzer, der mit seinem Viereiner beim Tierarzt anschreiben lässt. Und der ältere Mann, der von seinem Nervenzusammenbruch erzählt, und wie ihm das Leben erst zurückgeschenkt wurde, als er begann, sich um die Katzen der Stadt zu kümmern.

Die Filmemacher begegnen ihren Helden, ob tierisch oder menschlich, mit Respekt, Sympathie und Wärme. So öffnen sich Katzen und Menschen gleichermaßen, erzählen mit Worten oder schnurrend ihre Lebensläufe nach und lassen die Kamera dabei ganz nah an sich heran. Die Bilder und Geschichten, die sich dabei entfalten, sind beinahe träumerisch, aufgespannt vor der wunderschönen Leinwand, die Istanbul im Hintergrund aus Farbe und Licht zeichnet.

Deniz

Die Liebe steckt in allen Dingen, das ist die Botschaft dieses Films, der seine Protagonisten und die Stätte ihrer Geschichte so zärtlich porträtiert, das man ihm daraus in einem Punkt auch einen Vorwurf machen muss: Die gezeigten Tiere mögen liebevolle Begleiter haben, aber viele Tiere, gerade in Großstädten, leben im Elend. Die Kastration von Straßenkatzen und generell Streunern ist ein enorm wichtiger Baustein zum Tierschutz und es hätte dem Film gutgetan, nicht nur auf positive Emotionen zu setzen, sondern dieses wichtige Thema anzusprechen.

Es gibt keinen vernünftigen Grund, sich eine Katze zu halten. Sie kosten Geld, haaren alles voll, zerkratzen das Sofa und tun und lassen ausschließlich, was sie wollen. Es gibt aber auch keinen vernünftigen Grund, zu hoffen, zu glauben oder zu lieben. Hoffnungen zerplatzen, Glaube wird erschüttert, Liebe bricht uns das Herz. Das ist die eine Seite. Aber Hoffnung flüstert unseren Herzen Mut ein. Glaube gibt uns Kraft. Liebe bringt unser Herz zum Tanzen. Leben besteht aus so viel mehr als dem Offensichtlichen, den vermeintlich wichtigen Dingen oder dem geraden Weg. Es besteht aus Momenten, aus Begegnungen, aus kleinen Oasen des Glücks.

Katzen sind mit dem Verstand nicht zu begreifen, und genau das macht sie so wunderbar. Sie sind faszinierend, eigensinnig, liebevoll, mitfühlend, störrisch, anhänglich und großartig. Sie sind wie du und ich, haben ihren eigenen Charakter, ihren eigenen Kopf sowieso und ein Leben ohne Katzen ist, frei nach Loriot, möglich, aber sinnlos. „Eine Katze, die zu deinen Füßen miaut und zu dir nach oben schaut, ist das Leben, das dich anlächelt“, heißt es in Kedi. Dieses Lächeln fängt der Film über 79 Minuten ein – und bringt damit die Leinwand zum Leuchten.

Filmplakat zu Kedi. Von Katzen und Menschen. (Fotos: Kedi)

Filmplakat zu Kedi. Von Katzen und Menschen. (Fotos: Kedi)

„Kedi. Von Katzen und Menschen“
Türkei, USA 2016, 79 Minuten
Regie: Ceyda Torun
Kamera: Charlie Wuppermann
Schnitt: Mo Stoebe
Musik: Kira Fontana

2 thoughts on “Kinotipp: Kedi. | Die Liebe steckt in allen Dingen


  1. Wunderschön geschrieben. Kann ich als Mitbewohner einer Katze nur so unterschreiben :-)

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