Mainz 05: Where do we go from here?

Das hat gesessen. Mainz 05 verliert 0:8 in Leipzig und kassiert damit die höchste Bundesliga-Niederlage der Vereinsgeschichte. Es ist ein Tag, an dem die sachliche Analyse schwerfällt, weil jede*r, di*er dem Verein irgendwie verbunden ist, ganz selbstverständlich (auch) emotional auf das reagiert, was da auf dem Platz passiert ist. Es war ehrlich gesagt schwer genug, sich das bis zum Ende anzuschauen – die betretenen Gesichter der Protagonisten nach dem Spiel, halfen dann auch nicht weiter. Der Versuch ist aber umso wichtiger, weil Emotionen, so relevant sie im Fußball sind, hier einfach nicht weiterhelfen. Aber der Reihe nach.

05-Coach Sandro Schwarz in der Pressekonferenz nach dem Spiel. (Quelle: Screenshot)

05-Coach Sandro Schwarz in der Pressekonferenz nach dem Spiel. (Quelle: Screenshot)

Die Startelf
Gegen eine Mannschaft wie RaBa Leipzig, die unter der Woche den VfL Wolfsburg in deren Stadion mit 6:1 überrollt hat, geht jeder Coach am liebsten mit eingespieltem Innenverteidiger-Duo. Diese Möglichkeit war Sandro Schwarz aber leider durch die fünfte gelbe Karte gegen Moussa Niakhaté im Heimspiel gegen Köln genommen. Da zudem Stefan Bell langzeitverletzt ausfällt und Ahmet Gürleyen, das junge Talent auf dieser Position, aufgrund eines grippalen Infekts unter der Woche kaum trainieren konnte, stellte sich Alexander Hack quasi von selbst auf.

Für die Rechtsverteidigerposition hatte Sandro Schwarz im Vorfeld zwei Optionen und er entschied sich für Ronaël Pierre-Gabriel statt Daniel Brosinski. Nachvollziehbar, da Brosinski zwar einer ist, der um jeden Meter kämpft, Pierre-Gabriel unter der Woche im Training aber einen sehr guten Eindruck gemacht hat und das Trainerteam ihm in Sachen Geschwindigkeit vermutlich eine bessere Leistung unterstellte als seinem um zehn Jahre älteren Konkurrenten. Im Mittelfeld vertraute der Trainer wie zuletzt gegen Köln Jean-Paul Boëtius, Levin Öztunali, Kunde Malong und Ridle Baku, im Sturm Robin Quaison und – vielleicht auch aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit mit RaBa-Coach Julian Nagelsmann – Ádám Szalai.

Startelf als Reaktion auf die Trainingsleistungen unter der Woche.

Startelf als Reaktion auf die Trainingsleistungen unter der Woche.

Die Anfangsphase
Klingt mit dem Wissen um die ganze Partie witzig, ist aber so: Die 05er sind besser in die ersten Minuten gekommen, als die Heimmannschaft. Das war auch die Kritik, die ihr Coach nach dem Spiel auf hohem Niveau in der Pressekonferenz äußerte. Weil aber Boëtius Rückpass nicht beim Mitspieler ankommt, stattdessen Timo Werner aus dem Mittelfeld Marcel Sabitzer bedient, der von St. Juste nicht entscheidend genug und von Hack gar nicht gestört wird, liegt die Schwarz-Elf bereits nach fünf Minuten mit 0:1 hinten. Damit ist der Matchplan erstmal hinfällig.

Die Psychologie
Egal, wie sehr man sich als Team auch vornehmen mag, ein Ergebnis wie jenes der Leipziger unter der Woche für das eigene Spiel außen vor zu lassen, so ganz kann das kaum gelingen. Bei einem so frühen Gegentor dürften die Alarmglocken dann also erst Recht angehen. Das gilt für Spieler wie Hack oder Pierre-Gabriel, die ihre Chance unbedingt nutzen wollen, besonders. Das Alter eines Profis ist nicht per se eine Begründung für eine schwache Leistung, es gehört in der Betrachtung aber dennoch dazu, weil eben auch jene Profis am Ende des Tages nur Menschen sind – und Pierre-Gabriel ist gerade mal 21 Jahre alt. Dass dieser jungen Spieler, der bereits das Debakel gegen die Bayern auf dem Platz miterlebte, beeindruckt war vom Druck der Leipziger, schien offensichtlich. Die erhoffte Geschwindigkeit brachte er so kaum auf den Platz.

Auch für Hack (26) ist es bezogen auf die wenigen bisherigen Einsätze ein Déjà-vu, so schnell und effektiv überrannt zu werden, gehörte er doch ebenfalls zur Startelf in München. Dasselbe gilt für Boëtius (25), Baku (21) und Aarón (22). Auf solche Ansätze zum Verständnis der Partie folgt häufig die Erwiderung, das sei „keine Entschuldigung“. Damit habe ich ehrlich gesagt so recht nie etwas anfangen können. Es geht doch vielmehr darum, einer derart schlimmen Niederlage so auf den Grund zu gehen, dass sie künftig vermieden wird. Fans mögen zwar nach einer Entschuldigung dürsten, was sicher verständlich ist. Für die Analyse taugt sie als Ansatz aber kein bisschen.

Die Aufstellungen der beiden Teams in Leipzig. (Quelle: Mainz 05)

Die Aufstellungen der beiden Teams in Leipzig. (Quelle: Mainz 05)

Der weitere Spielverlauf
In der ersten halben Stunde hatten die 05er in Person von Hack und dem erneut starken Öztunali sogar die Chance, noch auszugleichen. Weil das nicht gelang und RaBa sich anschließend in einen echten Torrausch spielte, stand es nach 39 Minuten bereits 4:0 für Leipzig. Schwarz reagierte noch vor der Pause, brachte Kapitän Danny Latza für den blass gebliebenen Szalai und stellte um auf ein 5-4-1. Dem Team fehlte zunächst weiter komplett der Zugriff und das 5:0 fiel noch vor der Pause. Zum Vergessen waren auch die ersten Minuten der zweiten Hälfte, in denen die Mannschaft das 6:0 und das 7:0 kassierte. Sollte es an diesem Tag zweistellig werden?

Nein. Denn nach den unsicheren ersten Minuten in Halbzeit zwei fingen sich die 05er – endlich. Dabei half zwar, dass Leipzig nun einen Gang herunterschaltete, die Abstimmung innerhalb des Teams funktionierte jetzt aber auch besser, speziell nachdem Schwarz in der 54. Minute Brosinski für den völlig indisponierten Kunde Malong brachte. Als der Ball nach einem guten Schuss von Quaison im Netz zappelte, keimte gar kurz Hoffnung auf, man könnte das Ergebnis vielleicht von dieser Seite ein bisschen korrigieren. Doch der Linienrichter zeigte Abseits an – es sollte nur aus Leipziger Sicht noch ein Treffer zum 8:0 fallen.

Seine Einwechslung zahlte sich aus: 05-Veteran Daniel Brosinski. (Foto: Malino Schust)

Seine Einwechslung zahlte sich aus: 05-Veteran Daniel Brosinski. (Foto: Malino Schust)

Die Grundsatzfrage
Die Feldreporter*innen hatten nach der Partie nur eine Frage an die Spieler der 05er: War es nicht ein Fehler, mit einer so mutigen und offensiven Aufstellung ins Spiel gegen Leipzig zu gehen? Doch die wurde reihenweise verneint und Robin Zentner brachte den Grund dafür auf den Punkt: „Das ist es, wie wir Fußball spielen wollen.“ Es schmerzt nach einem Nachmittag wie diesem natürlich, klar ist aber auch, genau dieser mutige Ansatz hat Mainz 05 im Heimspiel der Saison 2017/18 den 3:0-Sieg gegen Leipzig beschert, den Auswärtssieg gegen Dortmund am Spieltag darauf – und mit diesen beiden Partien den Klassenerhalt.

Denn das ist der Deal: In einer Weiterentwicklung des Fußballs, der bei Mainz 05 unter Wolfgang Frank und Jürgen Klopp gespielt wurde, erweitert um Elemente des Tuchel-Fußballs, lässt Schwarz mutig und mit Lust am Ballbesitz spielen. Das ist mal mehr und mal weniger erfolgreich – und wenn es nicht erfolgreich ist, tut es bisweilen auch richtig weh.

Wenn also nun nach einem Spiel wie dem in Leipzig an etlichen Stellen wieder die Trainerfrage gestellt wird, so ist das eigentlich Unsinn, weil es nicht um eine Personenfrage geht. Es geht im Verein vielmehr um eine Systemfrage: Für welchen Fußball will Mainz 05 stehen?

Wir brauchen auch das Thema Trainer nicht in Frage stellen. Das ist ganz klar eine Thematik, bei der wir die Mannschaft in die Pflicht nehmen. Wir stehen als Verein zusammen. Und der Trainer bleibt der Chef der Mannschaft, da werden wir gemeinsam arbeiten, um die Mannschaft aufzurütteln. Der Trainer ist im Moment der ärmste, der die Mannschaft in der Woche und auch vor dem Spiel sehr gut eingestellt hat.
Rouven Schröder, 05-Sportvorstand

Klar kann man in ein Spiel wie das gegen RaBa auch mit der maximalen Mauertaktik reingehen, natürlich kann man die Tore ausschließlich mit hohen Bällen auf einen nun wieder vorhandenen Stoßstürmer einleiten. Auch das hat es in den vergangenen Jahren in Mainz phasenweise schon gegeben. Schön anzusehen war es nicht. Der Fußball, den die Mannschaft aktuell spielt, tut an Tagen wie diesem Samstag in Leipzig, wenn nichts daran funktioniert, weh. Und ja, Schmerzen dieser Art gab es im bisherigen Saisonverlauf bereits mehrfach. Aber soll die Schlussfolgerung daraus tatsächlich sein, vom eigenen Weg abzuweichen?

Nochmal: Es geht nicht konkret um die Person, die den Trainerposten aktuell besetzt. Es geht um das Konzept, mit dem Mainz 05 diese Besetzung seit Jahren vornimmt. Rouven Schröder hat stets betont, Sandro Schwarz wurde nicht etwa zum Trainer gemacht, weil er 05er ist, sondern weil die sportlich Verantwortlichen im Verein in ihm das sehen, was sie sich auf der Position wünschen. Und nur darauf kommt es an. Viele 05-Anhänger*innen ziehen aktuell gerne den Vergleich mit dem SC Freiburg, der sich als ähnlich gelagerter Verein im oberen Drittel der Tabelle tummelt. Sie blenden dabei aber aus, dass man in Freiburg bereit war, mit Christian Streich in die 2. Liga zu gehen und ihm vertraute, nach dem Abstieg die Mission Wiederaufstieg zu schaffen. Dieses Vertrauen hat Streich zurückgezahlt und nebenher junge Spieler behutsam entwickelt.

Nahm nach der Niederlage das Team in die Pflicht und stellte sich hinter den Trainer: Rouven Schröder. (Quelle: Mainz 05)

Nahm nach der Niederlage das Team in die Pflicht und stellte sich hinter den Trainer: Rouven Schröder. (Quelle: Mainz 05)

Parallel dazu sind Vereine wie Hannover 96 oder Stuttgart in den letzten fünf Jahren jeweils zweimal abgestiegen, Köln sitzt ohnehin im Fahrstuhl fest und die Aufsteiger der letzten Jahre konnten sich alle nicht langfristig in der 1. Liga halten. Mainz hingegen gelingt das Jahr für Jahr aufs Neue, aber noch immer genießen die Verantwortlichen dafür durchwachsenen Kredit bei Teilen der Anhängerschaft. Wieso diese sich so auf Sandro Schwarz einschießt, habe ich bis heute nicht verstanden… Und das wiedergekäute Argument, dass er damals mit der U23 aus der 3. Liga abgestiegen ist, kann ich nicht gelten lassen, wenn ich mich umgekehrt daran erinnere, wie eine ganze Fangemeinschaft den ihr damals noch unbekannten Jørn Andersen gegen Presseangriffe verteidigte, obwohl der gerade mit Offenbach abgestiegen war.

Die Konsequenz
Was also tun, nach der höchsten Niederlage der Vereinsgeschichtein der Bundesliga? Weiterarbeiten. Das klingt vielleicht zu einfach, ist nach einer Klatsche dieser Größenordnung aber schwierig genug. Doch damit allein ist es aktuell nicht getan, denn bei allem Verständnis, bei aller Psychologie und aller Nachsicht mit diesem jungen, in der Entwicklung begriffenen Team, muss tatsächlich auch ein Ruck durch die Mannschaft gehen. Der Kampf, den die Spieler gegen Köln auf den Platz gebracht haben, darf keine Eintagsfliege sein sondern muss Alltag werden.

Die Spieler müssen, auch abseits vom Sportlichen, ein Gefühl dafür (vermittelt) bekommen, wo sie sind, für wen sie spielen, was es bedeutet, ein 05er zu sein. Diese Mentalität kann das Trainerteam zwar vorgeben, aber offenbar genügt das alleine nicht. Also müssen die 05-Verantwortlichen sich andere Wege überlegen, um die DNA des Vereins bei den Spielern einzupflanzen. Und ansonsten die Ruhe bewahren, auch wenn der Sturm gerade heftig tobt. In Mainz ist man nie den Gesetzen dieses Business gefolgt. Jetzt wäre ein ziemlich dummer Zeitpunkt, um damit anzufangen.

Edit: In einer früheren Version des Textes stand die höchte Niederlage der Vereinsgeschichte, das Wort Bundesliga wurde ergänzt.

5 thoughts on “Mainz 05: Where do we go from here?

  1. Ja, deine grundsätzliche Sichtweise teile ich. Was ich aber anders bewerte: Sandro hatte am Samstag gar nicht die Spieler zur Verfügung, so mutig gegen Leipzig spielen zu wollen. Das hätte klar sein müssen, dass dies nicht funktioniert.

  2. Grundsätzlich sehe ich vieles so wie du, nur eins möchte ich sagen:
    „Klar kann man in ein Spiel wie das gegen RaBa auch mit der maximalen Mauertaktik reingehen, natürlich kann man die Tore ausschließlich mit hohen Bällen auf einen nun wieder vorhandenen Stoßstürmer einleiten. Auch das hat es in den vergangenen Jahren in Mainz phasenweise schon gegeben. Schön anzusehen war es nicht.“

    Warum kann man das nicht mal machen? Es geht ja nicht darum, dass man jetzt jedes Spiel das lange Holz rausholt, aber etwas weniger Naivität bzw. etwas mehr „Zynismus“ (=destruktiver 1:0-nach-´ner-Ecke-Tedesco-Fußball) wäre mir lieber als 4-6 mal pro Saison mehr als 5 Tore zu kriegen. Damit macht man sich (und das Torverhältnis) in der Öffentlichkeit einfach viel schlechter als man in Wirklichkeit ist.

    Grüße!

    • Ich denke schon, es ist erstmal eine Grundsatzfrage. Aber klar, man kann natürlich, wenn das Problem wie jetzt wieder gesehen häufiger auftritt, darüber nachdenken, in bestimmten Spielen anders aufzutreten. Andererseits, siehe Heim-3:0, hat es eben auch schon geklappt. Knifflig.

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