My personal Diana

Am 31. August 1997 starb in einer sternenklaren Nacht, auf dem Weg von Erbach im Odenwald ins niederländische Edam, die Prinzessin von Wales. Ich hatte damals den ersten ernstzunehmenden Liebeskummer meines Lebens und war noch einige Jahre entfernt von der Erkenntnis, dass durchfeierte Nächte Probleme nur kurzzeitig verschwimmen lassen, nicht etwa lösen. Auch, dass der Konsum von rund dreißig Zigaretten am Tag nicht meine Stimme sexy werden, sondern das Krebsrisiko ansteigen lässt, ignorierte ich erfolgreich. Zumal der schmerzlich vermisste Ex die kleinen Glimmstängel hasste – und sie deswegen umso besser in meine Spätteenagerlogik passten. Meine Schwester war mit unserem Paps verreist in jenem Sommer, unsere Mutter war zur Kur. Und ich nutze meine ungewohnte Freiheit ausgiebig: Tage verschlafen, Nächte durchfeiern, Frühstück im Bett, Liebeskummerheulkrämpfe in jeder Ecke der Wohnung. Fernseher auf dem Zimmer, Papis Zigaretten im Kirschbaum. Dauertelefonate im Liegestuhl auf der Terrasse.

Erinnerungen an die Prinzessin und ihren Lebensgefährten. (Foto: Bobak Ha'Eri – CC 3.0)

Erinnerungen an die Prinzessin und ihren Lebensgefährten. (Foto: Bobak Ha’Eri – CC 3.0)

Außerdem lud ich permanent alle Menschen ein, die ich kannte, dazu etliche, die ich nicht kannte, versaute meinen Eltern 20 Jahre Nachbarschaftspflege binnen weniger Nachtstunden – und gab das Geld aus meinen Ferienjobs für billiges Bier und Tiefkühlpizzen aus. Als ich an einem dieser Partyabende mit meinen Mädels hinterm Haus in der Wiese lag und Sternschnuppen zählte, kam uns die Idee, zu verreisen. Einfach abhauen, das klang so unglaublich verwegen, dass wir uns in den Plan verliebten, noch bevor er zu Ende geschmiedet war. Am nächsten Abend, einem Samstag, wollten wir los. „Holland“, schlug ich vor. Und nannte, weil ich das auf eine Weise romantisch fand, einen kleinen Zeltplatz, von dem ich wusste, der vermisste Ex hatte ihn kürzlich erst bereist. Das wussten natürlich auch meine Mädels, doch weil dieses Alter seine eigene Logik hat, in der wir uns alle einig waren, äußerte niemand Protest oder machte einen Gegenvorschlag. Am nächsten Abend packten wir meinen blauen Golf voll mit Zelten, Taschen und Bier und hinterließen unseren Eltern Zettel an den Kühlschränken, die verkündeten: „Wir sind dann mal in Holland.“ Unterwegs sammelten wir eine Freundin von einer Party ein, die auf der Rückbank sofort tequilaseliger Schlaf übermannte – und los ging das Abenteuer. Es war der 30. August 1997.

„Mach mal lauter!“, erklang es plötzlich vom Rücksitz. Ich kann mich noch an den Streckenabschnitt erinnern, auf dem wir unterwegs waren. Ich sehe die Bäume am Wegrand neben uns vorbeiziehen in der sternenklaren Nacht, die viel zu hell war. Julia erwachte aus ihrem Schnapskoma, Sanne drehte am Radio und Nadine schob ihren Kopf in die Lücke zwischen Fahrer- und Beifahrersitz und erklärte: „Irgendwas hat der gesagt mit Lady Di.“ Das, was der Sprecher im Radio gesagt hatte, war, dass Lady Diana, Princess of Wales, und ihr Lebensgefährte, Dodi al Fayed, in einem Tunnel in Paris verunglückt waren. Genauere Einzelheiten waren noch nicht bekannt, lediglich von überhöhter Geschwindigkeit und einem eintreffenden Krankenwagen war die Rede.

Im Auto hing atemlose Stille. Von uns vier Mädchen hatten drei Mütter oder Omas mit starkem Hang zur Klatschpresse, wir waren mit den Bildern der Prinzessin aufgewachsen. Als sie 1981 den englischen Thronfolger geheiratet hatte, war meine Schwester geboren worden, als im darauf folgenden Jahr ihr erster Sohn auf die Welt kam, hatte meine Mutter mir die Bilder gezeigt. Beim zweiten Kind konnte die erste von uns schon die Bildunterschriften lesen. Es gab keine öffentliche Person, von der wir uns über die Jahre eingebildet hatten, mehr zu wissen als Lady Di. Sie war bereits länger das Gesicht des englischen Königshauses als Kohl deutscher Kanzler – daran hatte auch die Scheidung nichts geändert. Wir kannten die Prinzessin. Jede von uns.

Die nächsten Stunden klebten wir am Radio. Alle dreißig Minuten verkündete uns der Sprecher Neuigkeiten über den Zustand der Unfallbeteiligten. So erfuhren wir sehr schnell, dass Dodi den Unfall nicht überlebt hatte und es flossen die ersten Tränen, um die traurige Prinzessin, deren Schicksal ihr das Glück dieser neuen Liebe nicht gönnte. Diana war indes ins Krankenhaus gebracht worden und wurde operiert. Wir dachten an die kleinen Prinzen, an den untreuen Ehegatten, seine Geliebte – und fieberten mit, als säßen wir vorm Operationssaal. Der Diana-Glorifizierungsmodus hatte uns bereits ergriffen, als die Prinzessin noch zwischen Leben und Tod schwebte. Dieser Zustand hielt mehrere Stunden, bis sie schließlich, kurz vor der niederländischen Grenze, ihren Verletzungen erlag. Wir saßen bizarr berührt miteinander vor dem Radio, draußen flog die Landschaft vorbei und die ersten Hände fielen in Handtaschen und fingerten im Dunkel nervös nach Zigaretten, die wir auf den Schock rauchen mussten.

Summer of 97

Die Tatsache, dass wir, zwar nicht vor Ort, aber dennoch irgendwie live dabei gewesen waren, irritierte uns: Es war, als hätten wir gegenüber dem Rest der Welt einen Wissensvorsprung – einen, der uns quälte. „Krass“, sagte Julia nach einer gefühlten Ewigkeit und ihr Schnapsatem entleerte sich mit einem Rülpsen, bevor sie wieder einschlief. Nadine fing an zu heulen, ich stellte mir die ganze Zeit vor, wie Charles mit hängendem Kopf ins Schlafzimmer seiner Söhne schlich und musste trocken schlucken, beim Gedanken an die fremden Jungs. „Ich frag mich ja bloß, wer jetzt auf die Titelseiten von diesen ganzen Zeitschriften soll?“, wunderte sich Sanne und Nadine schluchzte noch lauter. Wir fühlten uns, als hätten wir einen Freund verloren.

Inzwischen ist der Hype um die Prinzessin kleiner geworden, doch regelmäßig zu ihrem Todestag taucht das immer noch vertraute, junggebliebene Gesicht in den Medien auf. Ich feiere wider besseres Wissen immer noch die eine oder andere Nacht durch und Charles hat seine Camilla geheiratet. Das Rauchen habe ich bereits dreimal aufgegeben, zuletzt vor drei Jahren – und bin guter Hoffnung, diesmal wird es halten. Aus den kleinen Prinzen sind erwachsene junge Männer geworden. Mein Herz hat andere Männer geliebt, verstoßen oder vermisst und die Mädels, neben denen ich heute im Sommer in der Wiese liege und Sternschnuppen zähle, sind andere geworden – ebenso wie die Gesichter auf den Magazincovers.

Ein Ereignis wie der Tod der Prinzessin bleibt uns nicht selbständig im Gedächtnis, sondern gekoppelt an die Situation, in der wir zu dem Zeitpunkt steckten. Das Gesellschaftsgeschehen verbindet sich mit der individuellen Vita, schon allein das ist Grund dafür, warum eine den Prinzessinentod im Gedächtnis behält, ein anderer eher den Absturz einer Boeing, zwei Tage vor dem eigenen achtzehnten Geburtstag. „Das war die WM als ich mit Jochen zusammen war!“, oder: „Bei der Beerdigung hat Bine mich begleitet!“ – so strukturieren wir Erinnerungen. Das kollektive Gedächtnis hält Stützpfeiler für das persönliche, emotionale bereit.

Der Sommer in dem Lady Di starb, war unser letzter Schul- und Jugendsommer, bevor wir uns aufmachten in die Welt. Er war der Sommer meiner ersten Liebesversuche und der, den wir gefühlt zu 67 Prozent in meinem blauen Golf verbrachten. Der Sommer, in dem Julias Schwester nach England zog, wir Sanne ein um Monate verspätetes Geburtstagsgeschenk machten – und Nadine zum ersten Mal das Meer sah. Es war der Sommer, in dem wir noch mal intensiv Zeit miteinander verbrachten, bevor uns im darauffolgenden Jahr das Abitur im Hier und Jetzt verschluckte, und an ganz unterschiedlichen Enden der Welt wieder auftauchen ließ. Und auch dafür steht der Tod Dianas in unserer Erinnerung, wie ein Symbol für das Ende der gemeinsamen Stunden.

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