Nachgefragt bei… Frank Nussbücker

Was treibt Menschen eigentlich an, ihre Freizeit in Blogs, Podcasts und ähnliches mehr zu stecken, statt sie in der Hängematte zu verbringen? Oder von der anderen Seite betrachtet, wieso machen sie ihr Hobby nicht zum Beruf? Künftig kommen hier in der Rubrik Nachgefragt bei… regelmäßig Menschen zu Wort, deren Projekte mir auf der täglichen Reise durchs Netz aufgefallen sind. Im fünften Teil spreche ich mit Autor und Herausgeber Frank Nussbücker.

Hallo Frank, du gibst mit deinem Kollegen Andreas B. Vornehm seit 2007 zweimal jährlich die Literaturzeitschrift STORYATELLA heraus. Wie kam es dazu?
Ich schrieb seit vielen Jahren Shortstorys, die weder in die U- noch in die E-Schiene passen wollten. Für erstere zu literarisch, für zweitere zu wenig Grass-like. Durch meinen Autoren-Freund & Kollegen Stefan Strehler geriet ich an eine Berliner Lesebühne, deren Autorinnen und Autoren um Andreas B. Vornehm es genauso ging. Ich wurde Stammleser, Mitglied – und irgendwann sagte ich mir: Ich finde es toll, was ihr so schreibt, lasst uns doch mal eine Publikation angehen.

Frank Nussbücker (Foto: privat)

Frank Nussbücker (Foto: privat)

Wie seid ihr eigentlich auf den Namen gekommen? Ein bisschen klingt der ja nach Storyteller. Oder nach Stracciatella! So oder so sind die Assoziationen positiv.
Letzteres freut mich erst mal sehr, liebe Mara! … Zusammen mit meinem Mitherausgeber & Freund Andreas B. Vornehm sowie Oliver Bauer, unserer grauen Eminenz, saßen wir zusammen, um unserem „Baby“ einen Namen zu geben. Der sollte mit dem zu tun haben, was wir machen. Die Amerikaner haben für eben das die schöne Berufsbezeichnung: Storyteller. Nun sind wir alles keine Amerikaner, und die direkte deutsche Übersetzung klingt leider zu sehr nach den Gebrüdern Grimm: Geschichtenerzähler. Genau darum geht es aber bei STORYATELLA: ums Geschichten erzählen! Und das eben nicht gemäß dem kabarettistischen 0815-Standard von „Lustig, lustig, Trallalla“, den ein jeder von den Berliner Lesebühnen kennt, die in anderen Bundesländern ihre Nachahmer gefunden haben. Ebenso wenig auf dem Niveau des elitären Olymp der literarischen Hochkultur, deren Vertreter nur zu gern das ehemalige Land der Dichter & Denker mit dem oberstädtischen Sandkasten der intelligenzgepushten Profilneurotiker verwechseln, in dem ohnehin nicht jeder mitspielen darf. Wir erzählen Geschichten, ganz im amerikanischen Sinne, deren Bandbreite von „Dick & Doof“ bis zu „Sie wissen nicht, was sie tun“ reicht. Tragödie, Komödie, Pulp, Lovestory, Satire, Science Fiction & der ganze Rest: Alles kein Problem, solange es gut geschrieben und intelligent ist und auch die Unterhaltung nicht zu kurz kommt. Und so kamen wir auf den quasi Kunstnamen STORYATELLA, (der in seiner Betonung bitte italienisch auszusprechen ist, wie Mortadella oder Stracciatella), bevor wir uns womöglich Der Geschichtenerzähler oder Potsdamer Platzhirsch oder Enigma-g oder Die skandalöhsen Märchenonkelz oder Testin’ Testosteron oder VOX VULGO DEI oder Leuchtschrift, Dreckschleuder, Doppelpackschreiber oder Der schreibende Bono Bo nennen wollten!

Ihr nennt die STORYATELLA ein Berliner Kurzgeschichtenheft, der Untertitel lautet „Das Leben schreibt das Beste – aber nicht alles!“ Worauf achtet ihr bei der Auswahl der Storys und welche Geschichten passen nicht ins Heft?
Die Storys kommen aus dem prallen Leben, sind aber von diesem nicht 1:1 „abgeschrieben“, sondern eben literarisch verdichtet. Ich mag am liebsten Storys, die mich gnadenlos mitnehmen an die Orte und in die Welten, an und in denen sie spielen. Wobei ich kein Freund von Thriller & Co bin, deren tiefster Sinn darin besteht, möglichst „thrillig“ zu sein. Ich will die Liebe zum Leben darin spüren können, und sei die Welt, in der sie spielen, noch so brutal oder trostlos. Kurzum: Wir suchen Texte, bei denen wir sagen: „Whow!“

Liest eure Zeitschrift sich eigentlich tatsächlich in Berlin besonders gut? Ist sie nur für Berliner? Oder soll ihr Name eher einen Berliner Charakter ausdrücken?
Sämtliche STORYATELLA-AutorInnen der ersten Stunde lebten in Berlin, als sie zu STORYATELLA-AutorInnen wurden. Maggy Bartscher, eine unserer großartigsten Autorinnen, zog irgendwann ins Ruhrgebiet – und schrieb weiter für uns. Leider verstarb sie vor zwei Jahren, um Jahrzehnte zu früh… Im Moment lebt einer unserer Stamm-Autoren im Hohen Fläming, ein andere in meiner Geburtsstadt Jena… Es kommt so, wie es kommt. Das Wichtigste ist die Story, und die soll bitte, bitte aus dem Leben kommen. Das ist im Bauch einer Großstadt wie Berlin natürlich besonders prall, aber das ist nicht der Punkt. Sorry für die Wiederholung: Die Story muss mich umhauen. Andreas, meine Liebe, Oliver und etliche von uns leben in Berlin – der Stadt, die wir lieben. Aber das ist unsere Sache…

Wie kommen die Texte in der Regel ins Magazin: Sprecht ihr gezielt Kollegen an oder erreichen euch die Geschichten von ganz alleine?
Sofern ich irgend kann, gehe ich auch auf Lesungen, auf denen ich nicht selbst lese. Höre ich da oder auf unserer Lesebühne eine Story, die mich umhaut, gehe ich sofort hin und sage: „Whow, das hat mich umgehauen! Ich gebe eine Kurzgeschichtenzeitschrift heraus, hier ist ‘ne Karte mit unserer Webseite. Wenn Du Lust drauf hast, würde ich diese Story gern in unserer nächsten Ausgabe abdrucken!“ Mittlerweile bekomme ich viele „unverlangt eingesandte“ Beiträge, mitunter bereits gedruckte Romane oder Gedichtsammlungen… Und manchmal auch eine Story, bei der es mir so geht wie ich gerade eben erzählte…

Welche Tipps habt ihr für Autoren, die nun überlegen, mal etwas von sich zu schicken?
Besorgt Euch eine STORYATELLA – und schaut, ob ihr da drin mal zu lesen sein wollt.

Cover

Irgendwo habe ich gelesen, ihr wollt mit eurem Magazin auch anschreiben gegen das Einerlei der Berliner Lesebühnen. Seht ihr deren Entwicklung kritisch?
Nee. Es gibt in Berlin ein paar Lesebühnen, die seit vielen Jahren sehr erfolgreich sind. Die Surfpoeten, Reformbühne Heim & Welt, Liebe statt Drogen, Chaussee der Enthusiasten… Zumeist sehr starke Performance! Wir sind ein wenig literarischer und weniger Comedy, was ich keinerlei wertend meine, sondern janz sachlich. Ich war mal Schauspieler, und das lasse ich bei meinen Vorträgen gern mal kieken, aber das ist nicht das typische unserer Auftritte. Unsere jährliche Premiere im ZEBRANO-Theater, dem vielleicht steilsten kleinen Theater der Welt, ist stets – zumindest von unserem Anspruch her – eine jute Show, aber auch die ist eher literarisch, denn in Richtung Comedy. Ich war mal bei der Reformbühne Heim & Welt als Gast eingeladen. Zusammen mit Ivo Lotion, einem Barden, der regelmäßig auf den juten, alten Lesebühnen zu hören ist. Seine Songs gefielen mir derart, dass ich ihn spontan fragte, ob er nicht bei unserer nächsten Premiere auftreten will. Wollte er. Kurzum: Da gibt’s keine Kluft. Was mich eher nervt, sind die zahllosen Nachahmer jener wirklich erstklassigen Lesebühnen. Das endet dann oft in reichlich sinnloser Schenkelklopf-Dallerei, aber viel kann ich dazu nicht sagen, da ich an einem solchen Abend nicht allzu lange zu den Gästen gehöre… Ach ja, den Ahne, einen der Alt-Stars der Berliner Vorlese-Szene, hab ich sehr gern, obgleich er in Sachen Berliner Fußball die Weinroten verehrt und ich Unioner bin, aber das ist schon wieder ‘ne andere Story…

Die STORYATELLA erscheint im eigens dafür gegründeten Storyapulpa Verlag. Wie viel Pulp steckt in euren Geschichten?
Lies selbst – und sag es mir, ok? Ganz ehrlich, ich bin kein Freund von Genre-Klischees jedweder Art. Aber, liebe Mara, dein Urteil würde mich wirklich sehr interessieren.

Ein eigener Verlag bedeutet auch ein Investment. Wie finanziert ihr die STORYATELLA? Welche Rolle spielen Werbeanzeigen, und verdient ihr mit dem Magazin Geld?
Klar verdiene ich mit STORYATELLA Geld. Etwa 100 Euro im Jahr ;-) Aber darum geht’s bei diesem ehrenamtlichen Halbtag-Herzensjob auch nicht. Ich bin stolz und glücklich, dass wir in Kürze Ausgabe 14 an den Start bringen. Und das nach einmaliger Investition von 1.000 Euro aus meiner Tasche. Seitdem trägt sich unser Baby selbst, wie das so schön heißt. Diejenigen, die bei uns eine Werbung schalten, sind allesamt Leute mit halbwegs laufenden Geschäften, die uns damit unterstützen wollen – und sich zudem freuen, wenn die neue Ausgabe in ihrem Briefkasten liegt. Eigentlich sind das viel eher Sponsoren als Werbepartner.

Finanzierbarkeit ist im Literaturbetrieb ohnehin ein schwieriges Thema. An dem Heft arbeiten neben dir und deinem Mitherausgeber auch Grafiker und Lektoren. Sind das bezahlte Angestellte – oder muss ein gelegentliche Freibier reichen?
Alle, die an STORYATELLA mitarbeiten, tun dies aus ihrem Herzen heraus. So halte ich es, und genau so hält es Andreas, der die Grafik verantwortet und sich um die Bildenden KünstlerInnen kümmert. Meine Liebe, Anke Nussbücker – wir lernten uns übrigens 1999 auf einem Seminar für Prosa-Autoren kennen – ackert auch unheimlich mit, dass die jeweils neue Ausgabe erscheint. Ebenso unsere bis heute graue, aber ungemein lebenshungrige Eminenz Oliver Bauer, Katrin Schulz – und janz, janz dolle unser ebenfalls ehrenamtlich arbeitender Lektor T.A. Wegberg. Der veröffentlicht einen Roman nach dem anderen, sein neuester kommt zusammen mit meinem neuen Buch über die Fans des 1. FC Union Berlin im Herbst bei Schwarzkopf & Schwarzkopf raus. Dazu übersetzt er, arbeitet ehrenamtlich bei einem Krisendienst für Jugendliche in akuter Not – kurzum, der bräuchte seinen „Job“ hier nicht wirklich. Er ist dabei, weil er längst ein STORYATELLer ist und mit seinen Geschichten gehörig dafür sorgt, dass die Qualitätsmesslatte der von uns abgedruckten Storys recht hoch ist. Ein unglaublich feinfühliger Lektor, Kollege & Freund, einfach nicht zu bezahlen, genau wie alle, die bei uns mitmachen.

Deine Brötchen verdienst du als Autor und Biografieschreiber. Was reizt dich daran, die Lebensgeschichten anderer Menschen aufzuschreiben?
Schon immer interessierte ich mich für die Lebensgeschichten anderer Leute. Das fing an, als mir meine Oma dereinst in unseren Dämmerstündchen Geschichten aus ihrem Leben erzählte. Seit vielen Jahren ist das Aufschreiben eben solcher Geschichten einerseits Broterwerb, andererseits Erholung von meiner eigenen literarischen Arbeit. Ich muss hier keinen Stoff generieren, sondern selbigen vielmehr in die Form bringen, in der er am besten den Weg zu seinen Lesern findet. Zudem kann ich hier ein wenig meiner zweiten großen Liebe nachgehen: Ich war viele Jahre Schauspieler und liebte es, mich in die jeweilige Rolle einzufühlen, wie das dereinst der olle Stanislawski nannte. Eben das muss ich tun, um als Ghostwriter im Ton eines Anderen schreiben zu können, sprich: Das Buch schreiben, welcher es geschrieben hätte, wenn er das könnte…

Andreas B. Vornehm (Foto Paul Pape)

Andreas B. Vornehm (Foto Paul Pape)

Über Andreas B. Vornehm war mal zu lesen, er schreibe an der längsten hard-boiled Kurz-Kulturanthropologie-SMS der Welt. Ist er inzwischen fertig geworden?
Nein. Die ist derart lang, ich glaube, im Moment steckt er mitten in Band LMXII… Aber im Ernst: Kaum einer beobachtet sich selbst und seine Umwelt derart scharf und dennoch mit Liebe, wie er. Für mich ist Andreas B. Vornehm seit vielen Jahren der beste Schriftsteller dieser Welt, den ich persönlich kenne.

Gelegentlich veranstaltet ihr auch gemeinsame Lesungen. Wie ist das Feedback der Gäste?
Unsere Premieren verlassen viele Leute mit ‘nem Lächeln in den Augen. Ein steileres Feedback kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen …

Für alle, die jetzt neugierig geworden sind: Wann erscheint die nächste Storyatella – und wo kann man sie kaufen?
Premiere ist am 24. Oktober. STORYATELLA bekommst Du auf unseren Lesungen und über unsere Webseite. Bis vor zwei Jahren versorgte ich noch einige Berliner Buchläden, auf Kommission, dafür fehlt mir mittlerweile – leider – die Zeit. Ich bin ja glücklich, dass ich, dass wir STORYATELLA Jahr für Jahr immer wieder an den Start und unter die Leute bringen. STORYATELLA ist unser literarisches Piratenboot, das sich einen feuchten Kehricht um gängige Konventionen, um U- E- und sonstwelche angeblichen literarischen Gattungen schert. STORYATELLA lebt von der Liebe derer, die es produzieren und unserer LeserInnengemeinde. Wir sind keine geschlossene Gesellschaft …

Vielen Dank für das Gespräch!

Im sechsten Teil von Nachgefragt bei… spreche ich mit Martin über den Wochenendrebell. Ihr habt ein großartiges Projekt, über das ihr mit mir reden wollt? Dann schreibt mir doch eine Mail.

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