Nostalgie trifft Vorfreude (4): Glückliches Findelkind

Meine Jungs, alle seit frühester Kindheit Fans „ihres“ Vereins, haben mir etwas erklärt über Fans und ihre Teams. Der Fan, so sagen sie, sucht sich seinen Verein nicht aus, vielmehr wählt der Verein seine Fans. „Dein Verein findet dich“, erklären sie mir, „das kann schon ganz früh sein, kann aber auch seine Zeit dauern. Aber du musst ihn nicht suchen, du darfst dich entdecken lassen!“ Die so ernsthaft vorgetragene Weisheit haben sie natürlich von Nick Hornby geklaut, aber irgendwie ist es eine schöne Vorstellung, fast ein wenig zu romantisch und verklärt für die Jungs, die Woche um Woche im Block stehen oder vor der Glotze sitzen, um die Spiele ihrer Mannschaften zu verfolgen. Und heute (Anmerkung: Originaltext vom 25. Februar 2007) habe ich von Herzen begriffen, wie recht sie haben. Nicht etwa in meinem Stadion, sondern beim Seitensprung: Mit einem Kumpel, der zu den derzeit schwer gebeutelten Fans der Männer am Geißbockheim gehört, habe ich den Nachmittag im Rhein-Energie-Stadion verbracht und die Hoffnung der Kölner auf einen Heimsieg ihrer Truppe geteilt.

Thanks for giving me a home: Bruchwegliebe, forever. (Foto: WP)

Thanks for giving me a home: Bruchwegliebe, forever. (Foto: WP)

Vielleicht, so hatte ich gestern Abend noch gedacht, kann ich ein bisschen von der glücklichen Stimmung der Mainzer mit ins fremde Stadion retten, habe mich also sogar mit meinem Glücksschal unter die Anhänger gewagt, weil man doch nicht gefeit ist davor, einen kleinen Aberglaube mit durch die Spieltage zu tragen. „Wir haben hier übrigens die Mainzer Glückseligkeit mit an Bord heute!“, stellt der Kumpel mich seinen Jungs vor, von denen einer mit einem geschnaubten, „boah, gehen die mir auf die Eier grad!“, reagiert. Aber ich nehme es ihm nicht übel, die Mainzer Hinrunde ist nicht vergessen und ich weiß, wie sehr eine dauerhaft miese oder ergebnislose Leistung des eigenen Teams einem auf die Stimmung drücken kann. Zur Erinnerung: Ein einziges Spiel hat die Klopp-Elf in der Hinrunde für sich entscheiden können, mit elf Punkten hat die Mannschaft sich in die Winterpause verabschiedet und so manchen Fan sehr ratlos zurückgelassen – was soll man da noch tun, wenn sich über Wochen und Monate gar nichts zu bessern scheint; schon gar nicht zählbar?

Die Hoffnung nicht aufgeben. Den Glauben nicht verlieren. „Jetzt erst recht!“, zierte als Schriftzug die Caps und Mützen von Spielern und Trainerstab. „Wir können das hier noch wenden!“, wurde Kloppo nicht müde zu wiederholen. „Mainz ist noch nicht abgestiegen, auch wenn das manch einer jetzt schon glaubt!“, beteuerten Präsident und Manager mit fester Stimme. Und die Fans? Standen zu ihrer Mannschaft, ohne sich erkennbare Vertrauensmängel anmerken zu lassen. Natürlich schummeln jene, die sagen sie hätten keinen düsteren Moment gehabt, in dem ihnen der rechte Glaube fehlen wollte. Selbstverständlich hat man das Stadion oder die Kneipe mal verlassen und geflucht über den Grottenkick, neben dem einem mehr Bier in den Hals geflossen war als geplant – oder man sich im Stadion den Arsch abgefroren hatte – und für was? Aber das brachte die Besetzung der Mainzer Fanblöcke nie dazu, ihre Unterstützung für das Team aufzugeben. Die Spieler wurden nach jeder Heimniederlage mit einem überzeugten „Auswärtssieg“- Sprechgesang angefeuert, Trainer und die Buben in rot-weißen Shorts niemals angefeindet oder gar ausgebuht. Als die Mannschaft auf den letzten Platz abrutschte, bekräftigten wir unseren Zusammenhalt mit dem Verein, indem wir Transparente trugen, auf denen zu lesen war: „Ich geh mit meiner Laterne!“ Und heute, wo in Mainz plötzlich ein Spiel nach dem anderen gewonnen wird, da gibt es keinen Fan, der sich nicht sicher ist, einen Anteil am wiedergekehrten Erfolg zu haben, „weil, ich hab an die Jungs geglaubt“. Eben! Das ist mein Verein.

Anders in Köln. Um der zurzeit glück- und erfolglosen Mannschaft Druck zu machen, boykottieren Teile der Fans das Spiel gegen den SC Paderborn, indem sie die komplette erste Halbzeit nicht im Block sondern vorm Stadion verbringen. Bei der Mannschaftsaufstellung kommt von den Rängen kein Applaus, keine Unterstützung, nur vereinzelte Pfiffe und Buh-Rufe ertönen, dieselbe Geräuschkulisse beim Einlaufen der Mannschaften. Während der ersten Minuten des Spiels herrscht unheimliche Stille. Lediglich der Block mit den Fans aus Paderborn feuert die eigenen Jungs an und ein kleines, dickes Mädchen direkt hinter mir schreit, egal was auf dem Platz passiert, gellende Anfeuerungsrufe. Als der SC Paderborn in Führung geht, klatschen und johlen viele der Kölner Fans, teils aus Häme, teils aus Frustration, die ersten Besucher verlassen das Stadion. Ich möchte auf den Platz rennen und die Spieler umarmen – die zugegebenermaßen eine miese Leistung abrufen, dabei aber derart verunsichert wirken, dass sie mir einfach nur leid tun. Während ich dem Trainer Daum still dafür grolle, dass er gestern in Interviews noch nicht einmal danach klang, hinter seinen Buben zu stehen oder den Glauben an sie zu haben: Wie soll da denn noch was zusammenlaufen?

Den Kölnern gelingt noch vor der Halbzeit der Ausgleich, was ein zwischenzeitliches Stimmungshoch bei den Fans einleitet. In der zweiten Hälfte des Spiels sind auch die Blöcke wieder gefüllt, eine Weile wird die Mannschaft angefeuert, auf jeden Fehlpass jedoch – und von denen gibt es etliche – setzen erneute Pfeifkonzerte ein. Da plötzlich fällt mir die Theorie wieder ein, nach der ein Verein sich seine Fans aussucht – und nicht der Fan den Verein wählen kann. „Was lachste?“, fragt mein Kumpel der Köln-Fan und ich schüttle leichthin den Kopf, „ach, nix!“. Immerhin – er hat die Wahl des Vereins tapfer angenommen und steht, wie es sich gehört, in guten und schlechten Zeiten treu zu ihm. Und ich? Bin gerade ein bisschen beschwipst von dem Glücksgefühl, das mich überrollt – und möchte meinem Verein gern Danke! zurufen. Danke, dass du mich ausgewählt hast, zu deiner Anhängerschaft zu gehören, mein Mainz 05!

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