Qatar 2022: Welche Themen zu kurz gekommen sind

Wenn während der Fußball-WM der Männer in diesem Winter die Rede war vom Zahlenverhältnis zwischen Qataris und jenen Menschen, die zum Arbeiten ins Emirat gekommen sind, wurde als sprachlicher Gegensatz zu den Staatsbürger*innen meist von Arbeitsmigrant*innen gesprochen. Gemeint waren, so ist zumindest mein Eindruck, damit stets solche Menschen, die im absoluten Niedriglohnsektor arbeiten, vor allem auf Baustellen, ob für die Stadien oder die Infrastruktur. Doch das ist unzureichend.

Im ersten Schritt ausgeblendet wurden dabei Frauen. Mehr als einmal habe ich erlebt, dass Leute meinten, es sei unsinnig, das Wort „Arbeitsmigrant“ zu gendern, weil auf den Baustellen doch nur Männer im Einsatz seien. Ja, aber. Frauen verschiedener Herkunftsländer arbeiten beispielsweise im häuslichen Bereich. Es ist wichtig, auch über sie zu sprechen und zu schreiben, weil qua ihrer Arbeitsverhältnisse zu den Gefahren von Ausbeutung und Unfreiheit, die sie mit den Männern teilen, jene sexualisierter Gewalt ungleich größer sind. Sie dürfen nicht unsichtbar bleiben.

Zum anderen ist die Vorstellung, die rund 2,5 Millionen Menschen, die aus dem Ausland nach Qatar gekommen sind, seien allesamt im Niedriglohnsektor unterwegs, falsch. Das Emirat ist ein attraktives Ziel für so genannte Expats, Menschen aus soliden oder besser situierten Umfeldern, die zum Studium oder um in gehobenen Positionen gutes Geld zu verdienen, ins Land kommen. Sie unterrichten an Hochschulen, fliegen für Qatar Airways, arbeiten im medizinischen oder dem Bildungssektor und mehr. Wer nur von Arbeitsmigrant*innen spricht, zeichnet ein schiefes Bild.

Genauigkeit ist wichtig. Denn über kaum ein Thema wurde im Vorfeld der WM mehr geredet als über jene, die auf Baustellen in glühender Hitze geschuftet haben. Wie viele Menschen rund um das Fußballturnier gestorben sind, war eine Frage, die heftig diskutiert wurde. Ein kompliziertes Unterfangen, weil selbstverständlich jeder Mensch, der gestorben ist im Zusammenhang mit der WM, einer zu viel ist. Und die Diskussion damit eben direkt aufhören könnte. Gleichzeitig waren viele der Zahlen, die hierzu kursierten, falsch oder mindestens unscharf, bei Gegner*innen wie Befürworter*innen des Turniers. Und das ist eben auch ein Problem.

Letztlich hat Qatar sich zweimal schuldig gemacht, nicht nur mit den Todesfällen, sondern auch, weil das Emirat keinen Willen gezeigt hat, zu untersuchen, woran die Gemeldeten gestorben sind. Ja, in die Zahlen sind auch Menschen eingeflossen, die Autounfälle hatten oder morgens nicht mehr aufgewacht sind. Wenn das junge Arbeiter waren, die zuvor in der Gluthitze lange Schichten geschoben haben, wäre es dennoch Pflicht und Verantwortung, Verbindungen zu untersuchen.

Während des Turniers ist die Diskussion um die Toten der WM ein wenig in den Hintergrund geraten, obwohl zum einen zwei Todesfälle hinzugekommen sind und zum anderen Hassan al-Thawadi, der Generalsekretär des Organisationskomitees, im Gespräch bei „Talk TV“ unerwartet offen über Zahlen geredet hat. Ein Grund war aus meiner Beobachtung, dass viele Journalist*innen vor Ort auf Menschen getroffen sind, die positive Geschichten über ihr Leben und ihre Arbeit in Qatar zu berichten haben.

So entstehen Dilemmata, denn natürlich ist es wichtig, diese ebenfalls zu erzählen. Und emotional ist es verständlich, wenn sie für den Moment, im Jetzt, durch die persönlichen Begegnungen im Vordergrund stehen. Spannend, aber auch sehr anspruchsvoll, wäre es, herauszufinden, wie viel Anstrengung Qatar aufgewendet hat, um dafür zu sorgen, dass Medienvertreter*innen während der WM besonders leicht auf Menschen treffen, die Positives zu berichten haben. Bei allem, was das Emirat orchestriert hat, ist das keine abwegige Überlegung.

Wahr ist aber auch, dass eben wirklich Punkte dafür sprechen, nach Qatar zu kommen, von denen Arbeitsmigrant*innen und Ehemalige ausführlich berichten. Ihnen zuzuhören ist eine wichtige Aufgabe, weil es eine umgekehrte Instrumentalisierung ist, nur über sie zu sprechen, statt mit ihnen, womöglich um die Ansichten des Westens zu zementieren. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat es im Vorfeld der Weltmeisterschaft ermöglicht, ehemaligen Arbeiter*innen sogar ganz bequem hier in Deutschland zuzuhören, wo einige von ihnen auf Tour waren, um von ihren Erlebnissen im Emirat zu sprechen. Deren Tenor war vielfach differenzierter, als sich das manch eine*r hier vielleicht zuvor ausgemalt hätte.

Natürlich wurden Arbeitsbedingungen und die Maßnahmen zur Freiheitsverhinderung massiv kritisiert, ebenso wie die Tatsache, dass nicht alle Auftraggeber*innen die Abschaffung des Kafala-Systems vom Papier in die Wirklichkeit transportieren. Es wurde aber auch positiv gesprochen über Schritte zur Verbesserung, die bei vielen der Migrant*innen bereits ankommen, wie eine Anhebung des Lohnes. Entscheidend ist zudem etwas, das der kenianische Menschenrechtsaktivist Malcolm Bidali unter anderem bei der Veranstaltung in Frankfurt (die ich moderieren durfte) betont hat: In Qatar und umliegenden Ländern besteht erstmal überhaupt die Möglichkeit, einzureisen, um dort Geld zu verdienen.

Im Gegensatz zu? Genau, Europa, wo das in dieser Art und Weise nicht möglich ist. Hier tragen nun wir Europäer*innen doppelt Verantwortung, zum einen, weil wir es bei uns nicht ermöglichen, dass Menschen aus anderen Regionen unkompliziert in Jobs kommen. Zudem ist unsere ausbeuterische Lebensweise ein großer Faktor dafür, warum es Menschen in anderen Regionen nicht möglich ist, den Unterhalt für die eigene Familie dort zu verdienen. Wir sind also unmittelbar treibend beteiligt an den Bewegungen zur Arbeitsmigration – darüber wurde und wird viel zu wenig geredet.

Zu kritisieren, was in Qatar ebenso wie den umliegenden Ländern in Sachen Arbeits-, Menschen- und Freiheitsreche falsch läuft, und gleichzeitig die Erkenntnisse aus diesem Turnier zu nutzen, um eigene Fehler anzuerkennen, ist eine Gratwanderung, die vielfach misslungen ist – oder gar nicht erst auch nur im Versuch unternommen würde. Dabei gibt es einiges, worüber wir in Deutschland und Europa angesichts dessen, was wir im Emirat kritisieren, mal nachzudenken hätten.

Von wessen Ausbeutung, geschichtlich ebenso wie aktuell, profitieren wir? Wer muss(te) für unseren Wohlstand in Baracken hausen und zu Niedriglohn arbeiten? Von den selbst während Corona herangekarrten Spargelstecher*innen über Arbeiter*innen etwa in Schlachthöfen hin zu etlichen Menschen, die trotz eines Jobs von dem bisschen, was ihnen als Lohn zugestanden wird, nicht leben können, gibt es da einiges zu beackern.

Die Kluft zwischen Arm und Reich, von der in Bezug auf das Emirat sehr viel gesprochen wurde während des Turniers, ist hierzulande ebenfalls Realität, genau wie das Prinzip der Abschottung zwischen unterschiedlichen sozialen Räumen. Hier warten wirklich große Aufgaben auf uns als Gesellschaft – nicht in fernen Emiraten, sondern genau vor unserer Haustür.

Hopfens DFL-Aus und das Thomas-Prinzip im Fußball

Die Tatsache, wie viele Beobachter*innen auf die Frage, ob Donata Hopfen ihren Job als Chefin der DFL besonders schnell wieder los war, weil sie eine Frau ist, die Gegenfrage stellen, ob sie ihn hätte behalten sollen, weil sie eine Frau ist, sagt viel darüber aus, wie Gleichberechtigung hierzulande diskutiert wird. Das eine ist eine notwendige Beschäftigung mit strukturellen Themen innerhalb der Gesellschaft, das andere grober Unfug. So zu tun, als ginge es um ein und dasselbe, sagt vor allem etwas über jene aus, die diesen Spagat gedanklich vollziehen.

Wer verfolgt, wie ich Themen rund um den Fußball kommentiere, mag sich erinnern, dass Hopfens Amtsantritt bei mir keine Begeisterungsstürme hervorgerufen hat. Grund ist ihre Vergangenheit im Springer-Konzern. Auch ihre ersten Wortmeldungen im Amt, sei es das Vorstellungsvideo oder das Exklusivinterview just bei Springer, konnten mich inhaltlich keinesfalls überzeugen.

Als Feministin für Diversität in allen Lebensbereichen einzustehen, ist nun mal nicht gleichbedeutend damit, eine Frau in Hopfens Position (oder welcher Position auch immer) inhaltlich nicht zu kritisieren, auch wenn diese Unterstellung gängig ist. Worum es geht, ist Chancengerechtigkeit – und tatsächlich eignet sich der Fall Hopfen hervorragend, um zu veranschaulichen, warum Quoten als Hilfsmittel auf dem Weg dahin so wichtig sind.

Einen echten Kulturwandel im Fußball herbeiführen

Strukturelle Veränderungen werden nicht damit erreicht, eine Frau an die Spitze zu setzen und zu glauben, damit sei irgendetwas gelöst. Vielmehr braucht es dafür einen umfassenden System- und Kulturwandel; bedeutet: Diversität muss in sämtlichen Hierarchieebenen und inhaltlichen Bereichen Einzug halten. Das passiert leider nur allzu selten aus intrinsischer Motivation.

Frauen für Gleichstellung verantwortlich zu machen, eine Person mit Einwanderungsgeschichte für Integration und den Bereich Corporate Social Responsibility mit einer besonderen Bandbreite an Mitarbeiter*innen zu besetzen, hat übrigens nichts mit Kulturwandel zu tun. So entsteht nur ein Flickenteppich auf Basis von Zuschreibungen und Rollenklischees, der vielfach nichts mit den Kompetenzen der Leute zu tun hat.

Und: Egal, ob es um Gender oder andere Diversitätsebenen geht, die jeweiligen Menschen dürfen nicht immer die eine Person im System sein, die via persönlicher Eigenschaften mit bestehenden Strukturen bricht. Nicht die eine Frau unter Männern, nicht die eine Schwarze Person unter weißen Menschen, nicht die eine mit Einwanderungsgeschichte, die eine jüdische Person oder die eine mit Behinderung. Natürlich arbeiten bei der DFL mehrere Frauen, Hopfen war dennoch ein Fremdkörper innerhalb des „Thomas Prinzip“ des Verbandes.

Qualität wird nicht als entscheidendes Merkmal behandelt

Kennen Sie nicht? Es sagt aus, dass ein Thomas lieber einen anderen Thomas anstellt oder in einem anderen Thomas einen Verbündeten sieht, als in einer Maria, Elif oder Donata. Gleich und gleich gesellt sich eben gern. Und gleich bedeutet im Fußball nun mal nach wie vor in den meisten Fällen: männlich. Genau hier kann die Quote wirken, denn: Wenn es darum geht, ob Frauen in der Blase des Fußballs einen Job bekommen, so ist Qualifizierung trotz aller Beteuerungen eben nicht das entscheidende Merkmal.

Auch hier greift das Thomas-Prinzip: Männer in diesem Sport kommen erstmal gar nicht auf die Idee, Posten mit Frauen zu besetzen. Eine Quote zwingt sie, genauer hinzuschauen. Eine Quote schafft Veränderung. Kulturwandel. Sie verhindert eine Fokussierung auf die eine – wie auch immer – andere Person, die heraussticht aus den vielen Gleichen. Das ist ein ganz entscheidender Schritt auf dem Weg zu mehr Chancengerechtigkeit. Zu der dann übrigens auch gehört, dass die Frauen ebenso Fehler machen dürfen, wie ihre Kollegen, statt sich weiter besonders strecken zu müssen, um Anerkennung zu finden.

Es mag auf den ersten Blick seltsam anmuten, auf die Entmachtung Hopfens mit einer Diskussion zur Quote zu reagieren, inhaltlich ist es aber folgerichtig. Im „System Fußball“ haben Frauen es nicht nur besonders schwer, sich durchzusetzen – sonst gäbe es dort längst viel mehr von ihnen in Entscheidungspositionen –, sie sind offenbar zudem besonders schnell weg vom Fenster, wenn sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Was auch an mangelnden Verbündeten liegt.

Das festzustellen, ist übrigens etwas komplett anderes, als der Meinung zu sein, Frauen dürften in diesem Umfeld nicht kritisiert werden. Natürlich dürfen sie das. Es geht darum, zu reflektieren, wo welches Maß angelegt wird – und da sollten einige, die beim Lesen schon entrüstete Entgegnungen formulieren, vielleicht nochmal selbstkritisch in sich gehen.

Ob Donata Hopfen Fehler gemacht hat? Vermutlich. Mehr Fehler als ihre Vorgänger in den ersten Monaten im neuen Amt? Wer mag das beurteilen. Nach zehn Monaten festzustellen, man habe zu unterschiedliche Vorstellung von der Ausrichtung einer Zusammenarbeit, ist allenfalls amüsant. Klärt man sowas nicht in den Gesprächen vor einer hochdotierten Anstellung? Und immensen Widerstand gegen beispielsweise die kurz ins Spiel gebrachte Austragung des Supercups in Saudi-Arabien würde schon verwundern bei jenen Ligen, deren Verantwortliche Trainingslager in Qatar abhalten oder dafür nach Dubai fliegen und ihre Testspiele gegen Newcastle United austragen.

Wenn der Hauptvorwurf tatsächlich lautet, man habe nach einem Dreivierteljahr Hopfens Handschrift nicht erkannt, werden sich ihre Nachfolger daran messen lassen müssen.

Qatar 2022: Kritik, ja aber … Besen und Eurozentrismus

Die WM in Qatar stellt uns alle vor Herausforderungen. Es ist kein Turnier wie jedes andere – und zugleich waren vorangegangene Turniere schon mit ähnlichen Problematiken behaftet, ohne, dass sie in derselben Intensität diskutiert wurden. Das hat verschiedene Gründe: Fans sind in den letzten zehn Jahren noch weiter politisch geworden – aber auch Eurozentrismus spielt bei der Kritik teilweise eine Rolle. All das gilt es, so gut wie möglich zu differenzieren.

In Puncto Fans lohnt es sich, zwei Aspekte in die Betrachtung mit einzubeziehen. Zum einen interessieren sich viele Anhänger*innen von Vereinsmannschaften tendenziell wenig für die Nationalmannschaft, so dass es nur einen kleinen Überschneidungsbereich gibt. Die WM in Qatar aber hat mit ihren Themen auch Vereinsfans mobilisiert, die derzeit deshalb lauter hörbar sind, als das sicher bei vorangegangenen Turnieren der Fall war.

Zum anderen hat nicht zuletzt die Initiative „Boycott Qatar 2022“ dafür gesorgt, dass diese WM schon lange, bevor der Ball überhaupt rollte, besonders intensiv in der Diskussion war. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Vergabe und dem Gastgeberland ist intensiv und hat dazu geführt, dass auch bei Fans der Nationalmannschaft eine stärker reflektierte Haltung zu beobachten ist. Einer der Gründe hierfür mag auch sein, dass dieses Turnier nicht als eines der Fans wahrgenommen wird. Hier gilt es aber bereits einzuschränken, denn diese Wahrnehmung ist in anderen Ländern sicher eine diametral andere.

Wie also umgehen mit dieser Zeit, wo den Finger in die Wunde legen und wann sich selbst hinterfragen? Diese Themen sind gerade journalistisch von großer Bedeutung.

Viel ist seit dem ersten Spieltag der WM diskutiert worden über Gesten und Symbole, und immer wieder wird dieses Thema in einen Zusammenhang gebracht mit der Kultur des Gastgeberlandes. Ich finde es schwierig, ein Verbot beispielsweise von Regenbogen oder Transparenten zur Unterstützung der Frauen im Iran abzulehnen mit Verweis auf die Kultur und Werte in Qatar. Fehlende oder mangelnde Menschenrechte sind kein Ausdruck von Kultur – und Protest dagegen zu verbieten, ist feige und zudem ein Zeichen weiterer Unterdrückung. Es muss möglich sein, diese Themen anzusprechen. Und es ist notwendig, das weiter zu tun.

Die ganze Bandbreite von Themen abbilden

Gleichzeitig ist es natürlich so, dass viele Menschen hier mit westlicher Arroganz auf diese erste WM in der Arabischen Welt schauen. Das zeigt sich schon an Kleinigkeiten, angefangen bei der Beschwerde über den Zeitpunkt des Turniers im Dezember. Es geht nun mal um eine Weltmeisterschaft, und auf einen Austragungszeitraum während des europäischen Sommers zu bestehen, schließt bestimmte Regionen von Anfang an aus. So offen muss Fußballeuropa sein, nicht so zu tun, als habe man ein persönliches Anrecht auf Sommerturniere.

Hinweise auf die qatarischen Fußballmomente im 3-2-1-Qatar-Olympic-and-Sports-Museum.

Ähnlich schwierig empfinde ich die Aufregung um ein Alkoholverbot in den Stadien. Natürlich ist die Diskussion dazu denkbar ungünstig verlaufen, ehrlicherweise aber doch, weil die FIFA versucht hat, gegen Widerstände überhaupt erstmal durchzusetzen, dass Alkohol eben verkauft werden soll. Solche Themen sind es, auf die wir respektvoll reagieren sollten, wenn es ums Thema Kultur geht: Katar ist nun mal ein muslimisches Land mit entsprechenden Werten.

Interessant finde ich zu beobachten, wie sich der Blick vieler Journalist*innen wandelt, die nun vor Ort sind. Ich kann das nach meiner eigenen Reise nach Doha im Spätsommer nachvollziehen. Wer bis oben hin voll mit den Diskussionen um dieses Turnier in Qatar ankommt, ist erstmal zaghaft, vielleicht sogar misstrauisch. Vor Ort steht dann die Begegnung mit Menschen im Fokus – und wenn diese positiv sind, ändert sich natürlich auch der Blick auf das Land in gewisser Weise.

Das ist absolut legitim, denn es geht wie gesagt nicht um eine Verurteilung von Land und Leuten. Wichtig ist aber, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass viele Gesetze und Regelungen in Qatar zutiefst menschenfeindlich sind – und das ändert sich nicht, egal wie viele positive Begegnungen man persönlich in diesem Land hat. Der Fußball, dieses Turnier, hat unseren Blick auf diese Themen gelenkt: Umgang mit Gastarbeiter*innen, fehlende Rechte für Angehörige der LSBTIQA*-Community und Frauen, mangelnde Pressefreiheit. Ich empfinde es als Aufgabe von Medien, über die ganze Bandbreite von Themen zu berichten, also: Kritik ebenso klar zu äußern wie von positiven Erlebnissen und eben den sportlichen Aspekten des Turniers zu berichten.

Was wiederum die Härte der Kritik gerade bei einigen angeht, die im Zweifel eher fußballfern sind, sind aus meiner Sicht zwei Punkte wichtig. Der eine ist, dass diese Themen nicht durch den Fußball nach Qatar gekommen sind, sondern dort schon vorher existierten. Vielleicht sollen wir uns als Gesellschaft die Frage stellen, wieso Industrie und Wirtschaft von weiten Teilen der Öffentlichkeit unbemerkt, ergo nicht kritisiert, schon sehr lange Deals mit dem Emirat schließen – im Falle eines Turniers in dem Land aber plötzlich alle eine Meinung haben.

Wie Fußball die Wahrnehmung lenkt

Wie sehr Wahrnehmung da durch Fußball gelenkt wird, ist schon bedenklich. Wichtig ist deshalb, dass nach dem Ende der WM die Aufmerksamkeit nicht abgezogen wird. Wichtig wäre aber auch, sich eben zu informieren und nicht einfach nur Meinung kundzutun. Bei aller berechtigter Kritik an Qatar hat sich dort eben in den letzten Jahren durchaus etwas zum Positiven verändert. Ganz sicher nicht so intensiv und schnell, wie gerade Beobachter*innen aus dem Westen sich das wünschen, aber in deutlicheren Schritten als in angrenzenden Ländern der Region. Weil aber beispielsweise in Saudi-Arabien gerade keine WM stattfindet, sind hierzulande auch keine Stimmen zu hören, die kritisieren, dass dort auf Homosexualität die Todesstrafe steht. Und die Vereinigten Arabischen Emirate wiederum, wo viele Gesetze quasi analog zu Katar sind, gelten gerade bei Fußballprominenz als beliebtes Reiseziel.

Ebenfalls wichtig ist aus meiner Sicht aber diese Feststellung: So weit muss der Blick gar nicht gehen, um festzustellen, dass anderswo auch vieles alles andere als perfekt läuft. Oder wie genau werden in Deutschland zur Spargelzeit nochmal all jene untergebracht, die das königliche Gemüse stechen? Und werden nicht auch die nur für ihre Arbeitskraft vorübergehend ins Land geholt? Wie ernst ist eigentlich den so lautstarken Supporter*innen der LSBTIQA*-Community deren Rechtslage in Deutschland? Wer setzt sich damit auseinander, wie mangelhaft deren Schutz auch bei uns ist – oder wie kompliziert ihr Alltag. Auch im Fußball übrigens, bereits beim Stadioneinlass, Stichwort trans Personen.

Wer sich ernsthaft mit der Bedeutung dieser WM in Qatar auseinandersetzt und damit, ob es aus diesem Turnier Lernprozesse geben wird, muss auch vor der eigenen Tür kehren. Und bereit sein, selbst dazuzulernen. Nur mit dem Finger auf andere zu zeigen, das ist zu einfach.

Qatar 2022: Gesten sind (nur) ein Anfang

Die WM in Qatar läuft noch nicht mal eine Woche und die Diskussionen sind schon völlig überhitzt. Mit der Vorgeschichte rund um die Vergabe des Turniers sowie dem Wissen um fehlende Menschenrechte und die Situation der Gastarbeiter*innen ist das kaum verwunderlich. Jene, die sich nun beschweren, der Sport müsse mehr in den Mittelpunkt rücken, werden vermutlich im Laufe des Turniers weiter enttäuscht werden: Ein unbeschwertes Fußballfest ist nicht mehr zu erwarten, und das ist richtig so.

Immer wieder wird die Diskussion aufgerollt, ob Sport nun politisch sei oder nicht. Die ist von Beginn an eine hinkende: Sport war immer politisch, hat gesellschaftliche Missstände wiedergespiegelt – und immer gab es Sportler*innen, die ihre Botschaften mutig gezeigt haben. Wer Politik aus dem Sport heraushalten möchte, hat nicht verstanden, wie eng beides verknüpft ist, und ist vermutlich in einer privilegierten Situation, also persönlich nicht von jenen Missständen betroffen, gegen die womöglich protestiert wird.

Nur Symbole sind zu wenig, keine Symbole keine Option

Nun ist es mit der Symbolik so eine Sache, auch das ist nicht neu. Wenn beispielsweise im Pride Month Juni Firmen, die sonst nicht für besonders queerfreundliche Haltungen bekannt sind, ihre Logos in den Schattierungen des Regenbogens einfärben, so ist damit freilich nichts gewonnen. Aus gutem Grund wird deswegen auch jede der Gesten und Symbole diskutiert, die derzeit in Qatar kursieren.

Die deutsche Mannschaft vor dem Anpfiff. (Bild: Screenshot/Sportschau)

Nach der Diskussion um das FIFA-Verbot der „One Love“-Armbinde, die dadurch überhaupt erst zum ernstzunehmenden Symbol wurde, war die große Frage für viele, wie sich die deutsche Mannschaft rund ums mittlerweile vergeigte Auftaktspiel zeigen würde. Bei der Ankunft trugen einige der Spieler Trainingsjacken, um deren Oberarm als schmaler Streifen die Farben des Regenbogens zu sehen waren; zumindest bei genauerem Hinschauen. Vor Anpfiff dann eine weitere Geste: Alle Spieler der Startelf hielten sich den Mund zu.

Der DFB twitterte dazu: „Wir wollten mit unserer Kapitänsbinde ein Zeichen setzen für Werte, die wir in der Nationalmannschaft leben: Vielfalt und gegenseitiger Respekt. Gemeinsam mit anderen Nationen laut sein. Es geht dabei nicht um eine politische Botschaft: Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Das sollte selbstverständlich sein. Ist es aber leider immer noch nicht. Deshalb ist uns diese Botschaft so wichtig. Uns die Binde zu verbieten, ist wie den Mund zu verbieten. Unsere Haltung steht.“

Ich finde es zunächst wichtig, dass der Verband nicht kommentarlos zur Tagesordnung übergegangen ist. Umgehauen hat mich das Bild der Spieler allerdings auch nicht, da ich weiterhin der Meinung bin: Es ist in der privilegierten Situation aller im Verband auch eine Entscheidung, sich den Mund eben verbieten zu lassen. Die Opferrolle, die sich in diesen Worten ausdrückt ist deshalb schwierig. Zudem bestärkt das Bild ja den Eindruck, dass man aus dem Kreise der Mannschaft heraus nichts sagt. Für mich bleibt ein sehr ungutes Gefühl. Plus: Natürlich sind Menschenrechte nicht verhandelbar, explizit zu betonen, man sei damit nicht politisch unterwegs, empfinde ich aber als weitere Abschwächung.

Geäußert haben sich hingegen mittlerweile einige Spielerinnen, darunter Svenja Huth oder Laura Freigang, die auf Instagram postete: „Auch mich beschäftigen die Ereignisse rund um die WM. Als aktive Spielerin stehe ich unter dem Dach der FIFA und möchte mich an dieser Stelle klar von den aktuell diskutierten Handlungen des Weltverbandes distanzieren. Das Alles hat leider nur noch sehr wenig mit dem zu tun, wofür der Fußball eigentlich stehen sollte: nämlich Fairness, Respekt, Integrität und Vielfalt. Fußball ist ein Spiel der Menschen – aller Menschen – und damit spätestens in dem Moment politisch, in dem diese einfache Grundlage völlig missachtet wird. Respekt vor Kultur? Auf jeden Fall. Respekt vor Diskriminierung? Auf keinen Fall. Für Menschen. Für Fußball. #onelove“

Natürlich kann man anmerken, dass die Spielerinnen anders als ihre männlichen Kollegen derzeit nicht in Doha weilen, was ihnen auf den ersten Blick mehr Freiheiten geben mag. Andererseits sind sie, wie Freigang selbst schreibt, auch unterm Dach der FIFA und stehen vor ihrer eigenen WM im kommenden Jahr. Zudem sind viele von ihnen in der Vergangenheit schon offener und lautstärker als die männlichen Kollegen, was den Kreis schließt zum Thema Privilegien: Natürlich sind auch die Frauen im deutschen Fußball in gewisser Weise privilegiert, aber eben unfassbar weit weg von den Privilegien der Fußballer. Flapsig formuliert, scheint das schon hin und wieder beim Denken zu helfen.

Die Eine unter den Allen und was das mit Menschen macht

Eine weitere Frau, deren Geste am Mittwoch viel diskutiert wurde, war Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Diese trug im Stadion die umstrittene „One Love“-Binde. Nicht wenige Berichterstatter*innen und Fans warfen ihr opportunes Verhalten vor, mit dem Hinweis darauf, in ihrer Rolle habe sie ohnehin keine Konsequenzen zu befürchten. Auch wenn das auf dem Papier wahr ist, habe ich Faesers Handeln als sehr stark empfunden. Wie viele Frauen sowohl im Fußball als auch in der Politik ist sie oftmals die Eine unter (cis) Männern, jeweils in Bereichen, in denen viele davon der Meinung sind, Frauen hätten in diesen Fachgebieten nichts zu suchen. Man mag über solche Haltungen den Kopf schütteln, so viel man möchte, sie sind aber nach wie vor gängig – und viele Frauen erleben das.

Nancy Faeser mit der One-Love-Armbinde. (Bild: Screenshot/Sportschau)

Die Situation ist also ohnehin schon eine, in der die Ministerin vermutlich mit erhöhter Aufmerksamkeit für ihre Umgebung agiert. Noch dazu in einem Land, in dem die Rechte von Frauen eingeschränkt sind, ein Satz, den wir derzeit so oft lesen, dass er jede Bedeutung zu verlieren scheint. Es lohnt sich, den Bericht „Everything I Have to Do is Tied to a Man“ von Human Rights Watch anzuschauen, um sich ein Bild davon zu machen, was er im Einzelnen bedeutet. Um abermals zu einer saloppen Formulierung zu greifen: Das macht etwas mit Menschen. Mit dem persönlichen Sicherheitsgefühl, womöglich auch mit dem auf dem Papier. Es ist nicht trivial, sich in dieser Situation so zu verhalten.

Die Misogynie zeigt sich auch in der Art der Kritik

Natürlich kann man kritisieren, wieso Faeser überhaupt nach Katar fliegt oder sich auf diese Tribüne setzt. Persönlich finde ich, Politik ebenso wie Medien hat die Aufgabe, hinzuschauen, sich ein Bild zu machen, auseinanderzusetzen. Die große Frage, größer als dieses Turnier, ist ja längst: Wieso machen auch deutsche Politiker*innen in vielen Fällen gute Miene zum bösen Spiel und Deals mit Verbrechern? Wo endet die Diplomatie, wo muss sie vielleicht enden? Diese Frage liegt tatsächlich außerhalb des Sports, wenn man aber den Sport als politisch begreift, gehört es dazu, in so einem Moment Präsenz zu zeigen und ihn nicht jenen zu überlassen, die ihn von Anfang an instrumentalisieren wollen.

Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die Bundesinnenministerin sich am Ende nicht mit Gianni Infantino ablichten lässt. Sein Motiv ist ja klar, weil er ihr die Binde schlecht verbieten kann, muss er versuchen, Faeser und ihre Handlung lächerlich zu machen. In den Augen vieler Kritiker*innen, die sie teils mit harten Worten angreifen, ist ihm das gelungen. Ich würde gerne mal erleben, wie diese in einer ähnlichen Situation reagieren … Faeser gestehe ich zu, dass in diesem Moment die Diplomatin in ihr gewonnen hat. Es schwächt den Gesamteindruck ab, macht ihn für mich aber nicht kaputt.

Niemand sollte übrigens so naiv sein, zu glauben, die Kritik und deren Tonfall hätten nicht ebenfalls viel mit Misogynie zu tun. Wer sich dazu ein Bild machen möchte, kann unter dem Tweet der Ministerin in die Kommentare schauen, oder auch nur unter meinem zu ihrem Auftrifft. Es ist wirklich zum Gruseln.

Qatar 2022: Dürften wir bitte einen Protest anzetteln?

„Da werden wir genau hingucken, was morgen passiert.“ Einen Tag nach der Aussage von DFB-Präsident Bernd Neuendorf in der ARD ist es nun kein Kunststück mehr, seine Worte zur „One Love“-Kapitänsbinde zu interpretieren: Wenn Wales, England und die Niederlande bei ihren Spielen am Montag damit durchkämen, trüge die Manuel Neuer sie zwei Tage später vielleicht auch. Klingt wie eine Unterstellung? Mitnichten. Aber der Reihe nach.

Politische Symbole sind auf dem großen Fußballparkett in Katar verboten. Das ist nichts Neues und mitnichten eine spezielle Problematik dieses Turniers. Die großen Verbände möchten ihren Sport gerne klinisch sauber halten. Botschaften, die auf negative Themen rund um Vergabe, Austragungsländer oder eben die Verbände selbst abzielen, sind nicht erwünscht. Wie Verbände und Spieler damit umgehen, dafür gibt es keine Anleitungen.

Und so hatten sich zehn europäische Nationalverbände im Vorfeld der WM 2022 geeinigt, mit einer selbstgewählten Symbolik – nämlich besagter Binde – ins Turnier zu gehen: Neben Deutschland waren das die Niederlande, England, Belgien, die Schweiz, Wales, Frankreich, Dänemark, Schweden und Norwegen. Da die beiden Letztgenannten sich nicht für die WM qualifiziert haben, war das Feld bereits auf acht geschrumpft, bevor auch noch Frankreich ausscherte: Kapitän Hugo Lloris kündigte an, die Binde nicht zu tragen – und begründete das mit Respekt vor den Regeln des Gastgeberlandes.

In der Diskussion: One-Love-Kapitänsbinde. (Screenshot: Google)

Nun muss man, und das passiert rund um dieses Turnier leider viel zu selten, klar trennen zwischen Respekt vor kulturellen Unterschieden einerseits und dem Wegducken vor Themen, die nun mal nicht verhandelbar sind, auf der anderen Seite. Wenn ein muslimisch geprägtes Land bei einem sportlichen Großereignis keinen oder nicht in dem Maße Alkohol anbieten möchte, wie das andernorts üblich ist, so hat das etwas mit der Kultur zu tun. Wenn Katar hingegen die Rechte der LSBTIQA*-Community nicht achtet, greift „Kultur“ nicht mal im Ansatz als Argument.

Von Frankreich hätte man sich gewünscht, dass Trainer Didier Deschamps einfach einen neuen Kapitän ernennt; vielleicht aber war der Coach froh, dass Lloris bei diesem Thema die öffentliche Prügel bezog, nachdem Verbandspräsident Noël Le Graët geäußert hatte, er wünsche sich, besagte Binde käme beim französischen Team nicht zum Einsatz. Fans in Deutschland verteilten derweil nachvollziehbarerweise Prügel für eben jene Binde, die als Wegducken vor Verband und Gastgeberland interpretiert wurde.

Immerhin hat Manuel Neuer in der Vergangenheit bereits die Regenbogenbinde getragen, die auch an vielen Bundesligastandorten längst üblich ist. Die „One Love“-Binde wirkte dagegen wie ein lächerlich verwaschenes Pseudosymbol, mit dem gegen alles so ein bisschen protestiert wurde, ohne dabei aber allzu deutlich zu werden.

In der Bredouille: DFB-Boss Neuendorf (Screenshot: ARD)

Bis schließlich die FIFA die Binde ungewollt mit einer größeren Bedeutung auflud, indem der Verband nur 48 Stunden vor Beginn des Turniers mit „einem eigenen Vorschlag“ ums Eck kam, wie Neuendorf in der ARD erklärte. Der DFB-Präsident zeigte sich dabei irritiert: „Wir fanden es schon sehr befremdlich, dass wir diese Binde vor Monaten bekanntgegeben haben der FIFA, dass wir sie tragen wollen als europäische Verbände. Und die FIFA hat darauf nicht reagiert. Sie hat nicht gesagt: Wir verbieten es ausdrücklich, oder: Wir genehmigen es.“

Scheint, als habe die FIFA auf Zeit gespielt, so, wie das gerade rund um die WM bei mehreren Themen den Anschein macht. Kurz vor Turnierbeginn war jedenfalls klar, der Verband würde gegebenenfalls zu Strafen greifen, wenn die Kapitäne mit der Binde auflaufen. Ein ursprünglich wachsweiches Statement hatte so plötzlich Gewicht bekommen: Wie gut das tat.

Ganz besonders jenen Fans, die seit Monaten Proteste rund um das Turnier organisieren. Denn ehrlich? Was ist aus dem vermeintlichen Volkssport Fußball geworden, wenn ein wahllos buntgestreiftes Herz als erdachtes Symbol gegen jede Form der Diskriminierung, eine Art „Toleranz für alle und alles“, schon so aneckt beim Verband und seinem Gastgeberland, dass Sanktionen ins Spiel gebracht werden?

Mit dem Festhalten an der Binde hätte ein minimales Zeichen gesetzt werden können, dass der Fußball noch nicht komplett verdorben und verloren ist – und Menschenrechte sportlichem Erfolg stehen. Was hätte passieren können? Sperren der sieben Kapitäne nach jeweils zwei Spielen? Was für ein Zeichen wäre das gewesen! Ein Ausschluss der beteiligten Nationen vom Turnier? So.Fucking.What.

Es kann doch bitte nicht der Ernst von DFB und anderen Landesverbänden sein, dass sie für Freiheit und Sicherheit Menschen verschiedener Nationen, Gender, Herkünfte, Sexualitäten, Hautfarben und Religionen nicht mal bereit sind, eine gelbe Karte oder Sperre in Kauf zu nehmen. Are you fucking kidding me.

Die Spieler der iranischen Nationalmannschaft, die sich vor dem Spiel gegen England im stummen Protest gegen die Zustände in ihrer Heimat weigerten, die Nationalhymne mitzusingen, haben sich damit wirklich in Gefahr begeben – zu einem Ausmaß, dass etlichen Menschen in der Sicherheit Europas vielleicht niemals klarwerden wird. DFB & Co. haben sich derweil weggeduckt und so final lächerlich gemacht. Ein Protest, der Genehmigungen abwartet, ist kein Protest. Auch und gerade im Sport ist die Geschichte voll von Menschen, die für ihre politische Haltung die Konsequenzen getragen haben.

Die mangelnde Haltung der nationalen Verbände ist absolut beschämend, und darauf kann gar nicht oft genug hingewiesen werden. Egal, wie weit diese Länder im Turnier kommen, sie stehen bereits jetzt als die ganz großen Verlierer da. Alle, denen der Fußball etwas bedeutet, müssen, pardon, das ganz große Kotzen kriegen, angesichts dieses Einknickens.

Im Regenbogen, mit Haltung: ZDF-Reporterin Neumann. (Screenshot ZDF/Florian Reis)

Wobei anzumerken wäre, Spielern die „Eier“ abzusprechen oder sie als „Waschlappen“ zu titulieren, ist auch in der nachvollziehbaren Wut problematisch, da gerade weiche Hoden Teil eines problematischen Männlichkeitsbildes sind, das den Fußball erst dahin gebracht hat, wo er heute gegen Probleme von Macht und Ohnmacht kämpft. Fehlender Mut oder fehlende Konsequenz tun es deutlich besser.*

Apropos bemüht, Einsatz zeigten unter anderem zwei Journalistinnen im Angesicht der FIFA-Shitshow: Alex Scott kommentierte mit One-Love-Binde am Spielfeldrand, Claudia Neumann in einem Shirt mit Regenbogen und der Regenbogen-Binde. Beide sind vor Ort und gehen damit ein persönliches Risiko ein. Man kann ihnen das nicht hoch genug anrechnen. Menschen, die den Fußball lieben, brauchen Hoffnung und Vorbilder, die beiden und die mutigen iranischen Spieler dürfen als solche gelten.

*In einer früheren Version des Textes wurde die Formulierung fehlendes Rückgrat genutzt. Die ist allerdings ableistisch und wurde deswegen ersetzt. Ich bitte, das zu entschuldigen. Zudem war fälschlicherweise die USA als Gegner des Iran genannt, es war aber natürlich das Spiel gegen England. Erwähnenswert dazu: Die englischen Spieler sind vor dem Spiel auf die Knie gegangen.