Qatar 2022: Dürften wir bitte einen Protest anzetteln?

„Da werden wir genau hingucken, was morgen passiert.“ Einen Tag nach der Aussage von DFB-Präsident Bernd Neuendorf in der ARD ist es nun kein Kunststück mehr, seine Worte zur „One Love“-Kapitänsbinde zu interpretieren: Wenn Wales, England und die Niederlande bei ihren Spielen am Montag damit durchkämen, trüge die Manuel Neuer sie zwei Tage später vielleicht auch. Klingt wie eine Unterstellung? Mitnichten. Aber der Reihe nach.

Politische Symbole sind auf dem großen Fußballparkett in Katar verboten. Das ist nichts Neues und mitnichten eine spezielle Problematik dieses Turniers. Die großen Verbände möchten ihren Sport gerne klinisch sauber halten. Botschaften, die auf negative Themen rund um Vergabe, Austragungsländer oder eben die Verbände selbst abzielen, sind nicht erwünscht. Wie Verbände und Spieler damit umgehen, dafür gibt es keine Anleitungen.

Und so hatten sich zehn europäische Nationalverbände im Vorfeld der WM 2022 geeinigt, mit einer selbstgewählten Symbolik – nämlich besagter Binde – ins Turnier zu gehen: Neben Deutschland waren das die Niederlande, England, Belgien, die Schweiz, Wales, Frankreich, Dänemark, Schweden und Norwegen. Da die beiden Letztgenannten sich nicht für die WM qualifiziert haben, war das Feld bereits auf acht geschrumpft, bevor auch noch Frankreich ausscherte: Kapitän Hugo Lloris kündigte an, die Binde nicht zu tragen – und begründete das mit Respekt vor den Regeln des Gastgeberlandes.

In der Diskussion: One-Love-Kapitänsbinde. (Screenshot: Google)

Nun muss man, und das passiert rund um dieses Turnier leider viel zu selten, klar trennen zwischen Respekt vor kulturellen Unterschieden einerseits und dem Wegducken vor Themen, die nun mal nicht verhandelbar sind, auf der anderen Seite. Wenn ein muslimisch geprägtes Land bei einem sportlichen Großereignis keinen oder nicht in dem Maße Alkohol anbieten möchte, wie das andernorts üblich ist, so hat das etwas mit der Kultur zu tun. Wenn Katar hingegen die Rechte der LSBTIQA*-Community nicht achtet, greift „Kultur“ nicht mal im Ansatz als Argument.

Von Frankreich hätte man sich gewünscht, dass Trainer Didier Deschamps einfach einen neuen Kapitän ernennt; vielleicht aber war der Coach froh, dass Lloris bei diesem Thema die öffentliche Prügel bezog, nachdem Verbandspräsident Noël Le Graët geäußert hatte, er wünsche sich, besagte Binde käme beim französischen Team nicht zum Einsatz. Fans in Deutschland verteilten derweil nachvollziehbarerweise Prügel für eben jene Binde, die als Wegducken vor Verband und Gastgeberland interpretiert wurde.

Immerhin hat Manuel Neuer in der Vergangenheit bereits die Regenbogenbinde getragen, die auch an vielen Bundesligastandorten längst üblich ist. Die „One Love“-Binde wirkte dagegen wie ein lächerlich verwaschenes Pseudosymbol, mit dem gegen alles so ein bisschen protestiert wurde, ohne dabei aber allzu deutlich zu werden.

In der Bredouille: DFB-Boss Neuendorf (Screenshot: ARD)

Bis schließlich die FIFA die Binde ungewollt mit einer größeren Bedeutung auflud, indem der Verband nur 48 Stunden vor Beginn des Turniers mit „einem eigenen Vorschlag“ ums Eck kam, wie Neuendorf in der ARD erklärte. Der DFB-Präsident zeigte sich dabei irritiert: „Wir fanden es schon sehr befremdlich, dass wir diese Binde vor Monaten bekanntgegeben haben der FIFA, dass wir sie tragen wollen als europäische Verbände. Und die FIFA hat darauf nicht reagiert. Sie hat nicht gesagt: Wir verbieten es ausdrücklich, oder: Wir genehmigen es.“

Scheint, als habe die FIFA auf Zeit gespielt, so, wie das gerade rund um die WM bei mehreren Themen den Anschein macht. Kurz vor Turnierbeginn war jedenfalls klar, der Verband würde gegebenenfalls zu Strafen greifen, wenn die Kapitäne mit der Binde auflaufen. Ein ursprünglich wachsweiches Statement hatte so plötzlich Gewicht bekommen: Wie gut das tat.

Ganz besonders jenen Fans, die seit Monaten Proteste rund um das Turnier organisieren. Denn ehrlich? Was ist aus dem vermeintlichen Volkssport Fußball geworden, wenn ein wahllos buntgestreiftes Herz als erdachtes Symbol gegen jede Form der Diskriminierung, eine Art „Toleranz für alle und alles“, schon so aneckt beim Verband und seinem Gastgeberland, dass Sanktionen ins Spiel gebracht werden?

Mit dem Festhalten an der Binde hätte ein minimales Zeichen gesetzt werden können, dass der Fußball noch nicht komplett verdorben und verloren ist – und Menschenrechte sportlichem Erfolg stehen. Was hätte passieren können? Sperren der sieben Kapitäne nach jeweils zwei Spielen? Was für ein Zeichen wäre das gewesen! Ein Ausschluss der beteiligten Nationen vom Turnier? So.Fucking.What.

Es kann doch bitte nicht der Ernst von DFB und anderen Landesverbänden sein, dass sie für Freiheit und Sicherheit Menschen verschiedener Nationen, Gender, Herkünfte, Sexualitäten, Hautfarben und Religionen nicht mal bereit sind, eine gelbe Karte oder Sperre in Kauf zu nehmen. Are you fucking kidding me.

Die Spieler der iranischen Nationalmannschaft, die sich vor dem Spiel gegen England im stummen Protest gegen die Zustände in ihrer Heimat weigerten, die Nationalhymne mitzusingen, haben sich damit wirklich in Gefahr begeben – zu einem Ausmaß, dass etlichen Menschen in der Sicherheit Europas vielleicht niemals klarwerden wird. DFB & Co. haben sich derweil weggeduckt und so final lächerlich gemacht. Ein Protest, der Genehmigungen abwartet, ist kein Protest. Auch und gerade im Sport ist die Geschichte voll von Menschen, die für ihre politische Haltung die Konsequenzen getragen haben.

Die mangelnde Haltung der nationalen Verbände ist absolut beschämend, und darauf kann gar nicht oft genug hingewiesen werden. Egal, wie weit diese Länder im Turnier kommen, sie stehen bereits jetzt als die ganz großen Verlierer da. Alle, denen der Fußball etwas bedeutet, müssen, pardon, das ganz große Kotzen kriegen, angesichts dieses Einknickens.

Im Regenbogen, mit Haltung: ZDF-Reporterin Neumann. (Screenshot ZDF/Florian Reis)

Wobei anzumerken wäre, Spielern die „Eier“ abzusprechen oder sie als „Waschlappen“ zu titulieren, ist auch in der nachvollziehbaren Wut problematisch, da gerade weiche Hoden Teil eines problematischen Männlichkeitsbildes sind, das den Fußball erst dahin gebracht hat, wo er heute gegen Probleme von Macht und Ohnmacht kämpft. Fehlender Mut oder fehlende Konsequenz tun es deutlich besser.*

Apropos bemüht, Einsatz zeigten unter anderem zwei Journalistinnen im Angesicht der FIFA-Shitshow: Alex Scott kommentierte mit One-Love-Binde am Spielfeldrand, Claudia Neumann in einem Shirt mit Regenbogen und der Regenbogen-Binde. Beide sind vor Ort und gehen damit ein persönliches Risiko ein. Man kann ihnen das nicht hoch genug anrechnen. Menschen, die den Fußball lieben, brauchen Hoffnung und Vorbilder, die beiden und die mutigen iranischen Spieler dürfen als solche gelten.

*In einer früheren Version des Textes wurde die Formulierung fehlendes Rückgrat genutzt. Die ist allerdings ableistisch und wurde deswegen ersetzt. Ich bitte, das zu entschuldigen. Zudem war fälschlicherweise die USA als Gegner des Iran genannt, es war aber natürlich das Spiel gegen England. Erwähnenswert dazu: Die englischen Spieler sind vor dem Spiel auf die Knie gegangen.

Fanpreis 2022 für die Weiß-braunen Kaffeetrinker*innen

Am Wochenende hatte ich die große Ehre und noch größere Freude, bei der Gala der Deutschen Akademie für Fußballkultur die Laudatio auf die Weiß-braunen Kaffeetrinker*innen zu halten. Weil ich das Thema so wichtig finde, möchte ich diese hier gern zum Nachlesen veröffentlichen. Kontaktiert die tolle Truppe, wenn ihr ähnliches vorhabt. Und unterstützt ihre tolle Arbeit.

Hallo liebe alle, die Sie und ihr dem Fußball verbunden sind und seid. Ich freue mich wirklich sehr, heute die Laudatio für den easyCredit-Fanpreis 2022 halten zu dürfen. Seit der Jurysitzung hat diese Laudatio eigentlich immer ein bisschen in meinem Kopf und in meinem Herzen gearbeitet – und ich könnte bestimmt zwei Stunden über Fankultur sprechen. Aber ich verspreche, ich fasse mich kurz.

Fußballfans, Menschen, die dem Fußball verbunden sind, sind eine unglaublich heterogene Gruppe. Daran muss man vielleicht mal ganz explizit erinnern in Zeiten, in denen sich in der öffentlichen Wahrnehmung abermals ein Bild vom Fan als grölendem, betrunkenen, immer gewaltbereiten Fan verfestigt. Gibt’s im Stadion Probleme? Sicher. Wie überall sonst auch, wo Zehntausende aufeinandertreffen.

Gemessen an allen Menschen, die ihre Wochenenden in den Stadien verbringen, passiert dort allerdings sehr, sehr wenig, was negativer Schlagzeilen bedürfe. Und trotzdem ist die Aufmerksamkeit bei negativen Themen immens hoch, während all die wunderbaren Dinge, die Fans tun und leisten, ihr Engagement im sozialen, ihre Arbeit für ein inklusives Stadion, gegen Diskriminierungen und Ausgrenzung, viel zu selten im Rampenlicht steht.

Heute Abend wollen wir das Rampenlicht für die Fans ganz besonders hell strahlen lassen.

Die Fangruppen, die sich für den Fanpreis beworben haben, sind vielfältig und engagiert, sie klären auf, helfen vermeintlich Schwächeren, die ja in der Regel nur diejenigen sind, die von der Gesellschaft sonst zu wenig Hilfe bekommen. Sie engagieren sich in ihren Städten.

Eine Vielzahl von Fanclubs engagiert sich seit dem Angriffskrieg Putins auf die Ukraine ganz intensiv für Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten.

Wir waren in der Jury echt überwältigt von der Vielzahl der wunderbaren Einsendungen. Wir danken allen, die sich um diesen Preis beworben haben, für ihr Engagement und rufen ihnen zu: Wir sehen euch!

Und trotzdem. Trotz all der wundervollen Projekte war das eine sehr kurze Jurysitzung. Weil wir alle ein Gespür dafür hatten, dass da eine Gruppe dabei ist, die heraussticht damit, was für ein Thema sie beackert. Deswegen zeichnen wir die Weiß-braunen Kaffeetrinker*innen aus, deren fußballerische Liebe dem FC St. Pauli gehört.

Warum die Kaffeetrinker*innen?

Die Mitglieder des Fanclubs haben am Millerntor das so genannte Trockendock eröffnet, einen Verkaufsstand, an dem es ausschließlich alkoholfreie Getränke gibt. Sie haben aus Eigenmitteln die Finanzierung gestemmt, nachdem der Verein ihren Antrag abgelehnt hat, vier alkoholfreie Stände für alle Fans anzubieten. Der Club duldet den Trockendock heute, das Risiko tragen aber die Kaffeetrinker*innen. Mit dem Preis wollen wir ihr Engagement nicht nur auszeichnen, sondern auch unterstützen – und ihr finanzielles Risiko lindern.

Die Verbindung von Alkohol und Fußball ist sehr intensiv. Bier im Stadion ist für viele von uns total selbstverständlich, auf Auswärtsfahrten ist Alkohol morgens um neun der Standard, ein Spiel, bei dem es nur alkoholfreies Bier gibt, wird leidvoll beklagt. Was macht das mit denen, die eine Suchtkrankheit überwunden haben?

Es geht beim Engagement der Kaffeetrinker*innen nicht um Verbote, nicht darum, Bier aus den Stadien zu verbannen. Es geht darum, sichere Orte innerhalb des Fußballs zu schaffen. Inzwischen sind Menschen mit unterschiedlichen Suchtthematiken vereint unterm Dach der WBKler*innen. Während Vereine mit Wetten und Alkoholika für sich werben, macht dieser tolle Fanclub uns darauf aufmerksam, dass wir wachsam sein müssen beim Thema Sucht.

Das Stadion ist ein Ort für große Gefühle, für wunderbare Gemeinschaft, für das nun schon angesprochene soziale Engagement. Es ist aber zugleich ein Ort, an dem – übrigens gerade auch junge – Menschen extrem selbstverständlich mit Alkohol in Kontakt kommen. Und an dem umgekehrt dem Alkohol nicht leicht zu entkommen ist.

Deshalb ist das Angebot der Weiß-braunen Kaffeetrinker so wichtig und wir hoffen, dass es Schule macht. Und darum, ganz ohne Oscar-Umschlag: Ganz herzlichen Glückwunsch an die Weiß-braunen Kaffetrinker*innen zum easyCredit-Fanpreis 2022.

Die Woche am Bruchweg (22/43): Auf nach München!

Wir schreiben gerade mal Ende Oktober und doch ist in drei Monaten das Fußballjahr in Sachen Bundesliga bereits vorbei. Mit dem Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt am 13. November war es das für 2022. Angesichts der Tatsache, dass es bislang im Stadion noch nicht einmal unangenehm zugig war diese Saison, scheint das schwierig vorstellbar.

Doppelpass incoming. (Foto: Sport1/Montage: Wortpiratin)

Am Samstag geht es indes erstmal zum Rekordmeister nach München. Ich bin ehrlich: In dem Stadion war ich noch nie. Es wird eine Premiere, die vor allem deswegen zustande kommt, weil ich Sonntagmorgen im Sport1-Doppelpass sein werde, neben unter anderem 05-Sportdirektor Martin Schmidt und Heribert Bruchhagen. Ich bin gespannt auf die Runde. Zum ersten Mal jedenfalls gab es bereits vorab Liebesbriefe von Menschen, die finden, Frauen hätten in derlei Sendungen nichts zu suchen. Ich lösche da mittlerweile routiniert.

Wollte ich eine Überleitung erzwingen, würde ich sagen: Genauso routiniert, wie Bo Svensson die Fragen in der Pressekonferenz beantwortet. Beim Aufzählen der Münchner Spieler, denen sein Team in Sachen Verteidigung die volle Aufmerksamkeit widmen müsse, kam er jedenfalls nicht aus dem Tritt. Es ist natürlich allen bewusst, dass ein eigener Sahnetag einem schächeren der Bayern begegnen muss, um gerade in München eine Chance zu haben. Aber schön wäre so ein Dreier in der bayerischen Fremde ja schon mal wieder.

Etwas haspelig kam in der PK derweil Svenssons kurze Einlassung zu den Ereignissen beim Spiel gegen Köln am letzten Freitag rüber – und so, als habe er sich nicht intensiver damit befasst. Zwar sind seine Aufgaben vor allem sportliche, nach derart einschneidenen Vorfällen kann aber in der PK immer eine Nachfrage kommen und dann wäre es nicht ganz doof, das Vereinsstatement zu kennen. Zumal daran sehr viel zu loben ist, was ich in meiner aktuellen Kolumne für die AZ deswegen auch tue.

Pausiert haben zuletzt die #SCHOTTgoes05-Frauen, am Sonntag treten sie auswärts in Ober-Olm an. Es ist das erste Spiel unter ihrem neuen Trainer Takashi Yamashita, dem Torjägerin Nadine Anstatt unter der Woche beim Dreh zu meiner Videokolumne für die Allgemeine Zeitung (VÖ 9.11.) eine sehr gute Ansprache und die nötige Balance zwischen fordern und fördern attestierte. Die Entwicklung des Teams bleibt spannend zu beobachten.

Geschlagen geben mussten sich am vergangenen Wochenende die Meenzer Dynamites beim Bundesligaabsteiger HL Buchholz 08-Rosengarten. Trainerin Niki Nagy sagte hinterher über die Partie: „Das Ergebnis ist zum Schluß etwas zu hoch aufgefallen, denn bis zur 55. Minute haben wir zwei gleichwertige kämpferische Mannschaften gesehen.“ Mit dem 26:24 in der 51. Minute wurde es sogar noch mal richtig spannend, letztlich waren die Gegnerinnen an diesem Tag aber doch zu abgezockt.

Ein richtig starkes Statement hat die Sportliche Leiterin der Dynamites, Eva-Maria Federhenn, im Namen der ganzen Abteilung zu den Berichten um André Fuhr und Übergriffe im deutschen Handball abgegeben. Es ist sehr wichtig, dass Vereine sich in dieser Causa deutlich positionieren. Hier muss dringend aufgearbeitet werden. Es ist furchtbar, dass Vorfälle dieser Art im Sport immer wieder passieren. Und es ist umso wichtiger, dass sie ans Licht kommen, Aufarbeitung erfahren, dass Betroffene geschützt und Täter bestraft werden. Es braucht eine Kultur des Hinsehens, von allen, die sich dem Sport allgemein verbunden fühlen.

In diesem Sinne: Wir lesen uns.

Die Woche am Bruchweg (22/42): Vorfreude aufs Flutlicht

Wenn es um seine Spieler geht, ist Bo Svensson eher selten schmallippig. In dieser Woche aber schon, als ihm nämlich Fragen nach der erneuten Suspendierung von Delano Burgzorg gestellt wurden. Laut kicker sind die „disziplinarischen Gründe“ wiederholtes Zuspätkommen – dass Burgzorg seinen Coach gegen sich aufgebracht hat, war offensichtlich. Svensson ist sicher niemand, der seinen Spielern zweite Chancen verwehrt. Wer sie nicht nutzt, nun ja.

Apropos Chancen, am Freitagabend bietet sich die nächste auf den ersten Heimsieg der Saison. Unter Flutlicht, bei aufklarendem Wetter, gegen Köln. Das könnte ein richtig heilsamer Abend werden, der die guten Ergebnisse der Englischen Woche abrundet.

Eine Heimniederlage mussten am Sonntag die #SCHOTTgoes05-Frauen gegen den 1. FC Saarbrücken hinnehmen. Das 2:3 ist deshalb besonders ärgerlich, weil das Team zuvor 2:0 geführt hatte. Saarbrücken gab allerdings nicht auf, traf vor und zwischen den Toren zudem noch das ein oder andere Mal den physischen Kasten und holte sich, als es kurz vor Schluss nach einem leistungsgerechten Unentschieden aussah, den Sieg.

Wie groß der Ärger gerade bei den SCHOTT-Spielerinnen anschließend war, darf durchaus als positives Zeichen gewertet werden: Dieses Team hat an sich selbst den Anspruch, um den Aufstieg mitzuspielen.

Fest steht unterdessen auch, mit welchem Trainer das passieren wird. SCHOTT hat mit Takashi Yamashita eine Wunschlösung aus dem Hut gezaubert, die nur auf den ersten Blick überraschend ist. „Taka“, so der Spitzname des Fußballlehrers, hat als Spieler für den SV Gonsenheim und die U23 der 05er die Schuhe geschnürt.

Seit 2018 trainiert er den FC Basara Mainz, dessen Mitbegründer und Vorsitzender er ist. Auch Shinji Okazaki gehörte zum Gründungsteam, dritter Gründervater ist Babak Keyhanfar. Sein Team hat Yamashita mittlerweile bis in die Verbandsliga geführt, wo Basara nach zwölf Spielen derzeit auf Platz zehn steht.

Torben Schröder, Kenner der rheinhessischen Fußballszene und als Journalist unter anderem für die Allgemeine Zeitung unterwegs, hat nur Gutes über „Taka“ zu berichten. „Ich hielt ihn bislang für den unterschätztesten Amateur-Trainer der Region. Ein großartiger Ausbilder, der noch aus End-20ern mehr rausholt, als die in ihrer ganzen Karriere aus sich herausgeholt haben.“

Die sportliche Leiterin bei SCHOTT, Nadine Kreß, betont: „Wir sind glücklich, ihn für uns gewonnen zu haben. Er hat in und um Mainz ein sehr gutes Standing sowie Netzwerk.“ Yamashita selbst sagt in der AZ, er habe vor allem darüber nachdenken müssen, ob er „ein guter Trainer“ für den Fußball der Frauen sei. Letztlich hat er sich für das Angebot entschieden.

Journalist Schröder beschreibt den Coach als „recht streng“ und einen Disziplinfanatiker, „aber offenbar auch sehr gut in der Menschenführung, denn nicht mal die Spieler, die bei ihm nicht gespielt haben, sagen ihm was Schlechtes nach.“ Gute Noten für einen, der die Nachfolge von Kurzzeittrainer König antreten wird, der immerhin aufgrund von „Unstimmigkeiten“ mit dem Team seinen Hut nehmen musste. Torwarttrainer Felix Altmayer bleibt ebenso im Staff wie Co-Trainer Alexander Ulbrich, Yamashita bringt zudem Yuya Okuda als zweiten Co-Trainer mit.

Apropos Co-Trainer. Ein bemerkenswertes Interview mit 05-Co-Trainer Babak Keyhanfar haben hat der Verein für seine Medien geführt. Keyhanfar, dessen Eltern aus dem Iran nach Deutschland gekommen sind, der selbst aber hier geboren ist, macht derzeit in den sozialen Netzwerken sehr bemerkenswert auf die Situation im Heimatland seiner Eltern aufmerksam.

Im Interview sagt er dazu: „Ich möchte so als Sportler einen Teil dazu beitragen, die Realität widerzuspiegeln und mich so angemessen und authentisch wie möglich äußern.“ Eine Haltung, die im Fußball nicht selbstverständlich, aber umso wichtiger ist. Danke, Babak.

Die Woche am Bruchweg (22/41): Bäumchen wechsel dich

Manche Dinge wiederholen sich, ohne, dass die Beteiligten das eingeplant hätten. Wenn die Verantwortlichen bei Mainz 05 sich für einen eher kleinen Kader entscheiden, können Ausfälle schneller zu Schwierigkeiten führen.

Das Risiko ist positiv kalkulierbar, weil andererseits weniger Spieler auf der Bank sitzen. Treffen Verletzungen & Co. einen Mannschaftsteil besonders empfindlich, muss Bo Svensson kreativ werden, neue Lösungen finden, dem Nachwuchs vertrauen. Das gehört zu seinen Aufgaben.

Die besonderen Herausforderungen in der Defensive nach dem Abgang von Moussa Niakhaté und durch Krankheiten und Sperrungen sind hinlänglich bekannt. Es sind tatsächlich nur noch sechs Ligaspiele bis zur Winterpause, dazu die Partie im Pokal. Gut möglich, dass die 05-Verantwortlichen bereits nach Verteidigern Ausschau halten, mit denen sie ihre Truppe in der langen spielfreien Zeit verstärken können.

Die Personaldecke ist indes sogar dünner geworden, weil zum einen Silvan Widmer zunächst fehlt. Und dann hat der Verein unter der Woche den Ausfall von Maxim Leitsch bekanntgegeben, der an körperlicher und mentaler Erschöpfung leidet.

Offen mit Krankheiten umgehen

Sein Coach wollte sich in der Pressekonferenz nicht weiter dazu äußern ­ und das ist mit Blick auf die Privatsphäre des Spielers sicher nicht verkehrt. Andererseits ist es positiv und bestärkend, wenn mit Krankheiten des Körpers und der Seele im Fußball offener umgegangen wird.

Kurzer Exkurs: Chelsea-Managerin Emma Hayes hat gerade verkündet, für eine gewisse Zeit krankheitsbedingt auszufallen. Zuvor hatte sich Hayes die Gebärmutter entfernen lassen. Sie leidet seit längeremt an Endometriose, einer Krankheit, die bei vielen Menschen, die mit Uterus geboren wurden, mit Schamgefühlen, Fehlinformationen und Leid einhergeht.

Hayes Schritt ist deshalb wichtig. Krankheiten und Ausfallzeiten auch im Fußball zu normalisieren, kann im Sport selbst einen positiven Effekt haben – und von dort in die Gesellschaft ausstrahlen.

In Bremen wird es am Wochenende das erste Spiel der Mainzer gegen die Norddeutschen in Grün-Weiß, nachdem diese Claudio Pizarro mit einem Abschiedsspiel noch einmal haben hochleben lassen. Ob es den 05ern hilft, dass Pizarro nun auch nicht mehr im Sinn dabei ist – Tore gegen Mainz kann er ja schon länger nicht mehr netzen – bleibt abzuwarten.

Gegen die gut aufgelegte Werner-Truppe ist wirklich alles drin, im Guten wie im Negativen. Viel wird davon abhängen, ob Svenssons Team auf den Platz bringt, was der Trainer von ihnen erwartet.

Dominik Kohr hat beim Dreh für meine AZ-Videokolumne „Wortpiratin rot-weiß“ beteuert, wenn der Mannschaft das schnell wieder und dann vor allem dauerhaft gelingt, seien die europäischen Plätze drin. Das sind ungewohnt selbstbewusste Töne und daran muss nichts schlecht sein.

Selbstbewusst können auch die #SCHOTTgoes05-Frauen um Kapitänin Heiðrún Sigurðardóttir beim Heimspiel gegen den 1. FC Saarbrücken antreten. Das 3:1 in Bad Neuenahr durch Tore von Nadine Anstatt (2) und Lisa Gürtler (1) war der sechste Sieg im sechsten Spiel. Damit steht die Truppe mit 18 Punkten und 25 zu drei Toren weiter souverän auf dem ersten Platz.

Es gibt diese Teams, über die Expert*innen scherzen, sie trainierten sich selbst. Die SCHOTT-Frauen scheinen zumindest unerschütterlich gegen Weschel auf der Trainer-Position. Die Frauen sind mit Coach Nicolai König in die Saison gegangen, der – wie berichtet – nach dem vierten Spiel gehen musste, worauf die Sportliche Leiterin Nadine Kreß und Co-Trainer Alexander Ulbrich das Training übernahmen.

In der Partie am vergangenen Sonntag nun musste Marc Kreß, letzte Saison noch U13-Trainer bei Mainz 05, für seine erkrankte Frau einspringen. Am Sonntag wird es wieder sie sein, die mit dem Team arbeitet – und natürlich gewinnen möchte gegen Saarbrücken. (14 Uhr, Karlsbader Straße). Die Spielerinnen derweil lassen sich von nichts beirren – und gewinnen einfach weiter.