Rosière Fatale

Rose betritt die Bühne nicht – sie erscheint. Mit mädchenhaftem Lächeln tritt sie nah an ihr Publikum heran, und hat es schon vor dem ersten Ton gewonnen. Auf kniehohen, schwarzen Stiefeln schwingt sie mit kokett niedergeschlagenen Augen leicht die Hüften; mit jeder Bewegung rutscht ihr eng anliegendes schwarzes Kleid einige Millimeter an ihren Beinen hinauf und fällt dann wieder fließend daran herunter. Ihr Lächeln wird breiter, sie hebt den Kopf, schenkt dem Publikum erste Blickwechsel – und beginnt den Abend mit »Saisons«. Niemand, von der ersten bis zur letzten Reihe, egal ob männlich oder weiblich, Single oder seit zwanzig Jahren verheiratet, kann sich diesem traumhaften Wesen nun noch entziehen.

Und das, obwohl von ihrem ersten Schritt auf die Bühne, vom ersten Ton an, der ihre Lippen verlässt jedem klar ist, die Wahrscheinlichkeit, dass die junge Frau auf der Bühne ein perfekt durchgestyltes Kunstprodukt ist, rangiert gleichauf mit der Hoffnung, ihre Show sei, bei aller Perfektion, spontan und irgendwie authentisch. Doch ob sie in diesem Kleidchen steckt, weil sie gern schwarz trägt und dazu mit unschuldigstem Lächeln den Po schwingen lässt, weil ihr nach tanzen zumute ist oder ob sie es tut, weil sie um ihre Wirkung weiß, das spielt im Grunde keine Rolle. Die Stimmung beim Publikum ist so oder so vom ersten Ton an glückselig; auch Sängerin und Tourband scheinen einen munteren Spaß an der Veranstaltung zu haben.

Sexy Girl, kluges Mädchen. (Foto: Stefan Helbig – CC 3.0)

Rose in Mainz: sexy Girl, kluges Mädchen. (Foto: Stefan Helbig – CC 3.0)

Dass sie Rose heiße, vertraut die Schöne den Zuhörern vor dem gleichnamigen Lied an, wie ein noch ungelüftetes Geheimnis. Dann klimpert sie leichthändig auf der Gitarre, die an einem Leopardengurt um ihren Körper liegt, und umfasst zart den Mikrofonständer. Sie haucht ihre Weisen über das Leben mit verträumtem Blick – und die anwesenden Männer träumen davon, nach dem Konzert mit ihr gen Paris zu fliehen. Rose, die eigentlich Keren Meloul heißt, würde heute in einem Klassenzimmer stehen und Schulkinder unterrichten, hätte sie nicht einer Freundin einige ihrer Songs vorgespielt. Die gab sie wiederum an einen Produzenten; der Plattenvertrag folgte prompt und bereits kurz darauf spielte sie ihr erstes großes Konzert im Pariser Olympia – tragisch für Frankreichs Schüler, ein Glücksfall aber für alle Anhänger ihrer federleichten Kompositionen, irgendwo in der wachgeküssten Schnittmenge von Folk, Pop und Blues.

Mit diesem Lied sei sie in Frankreich berühmt, kündigt sie, eingerahmt von Bassist Steph und Gitarrist Jerome, schelmisch ihren Hit »La Liste« an. Die beiden würden in Personalunion den perfekten Mann ergeben: Mit dem einen möchte frau an Feiertagen bei den Eltern am Tisch sitzen, weil er so nett und artig schaut, mit dem anderen auf einem Festival die ganze Nacht lauten, dreckigen Sex im Zelt haben. Beide scheinen zu wissen, was nun kommt. Sie grinsen in Rose’ Pause hinein, die grinst noch breiter, fügt an – so berühmt etwa wie Carla Bruni. Vom schallenden Gelächter des Publikums ist sie offenbar überrascht, doch sichtlich amüsiert, und es verleitet sie dazu, einige Töne aus einem Lied der Kollegin anzuspielen.

Ob alle Anwesenden genug französisch verstünden, um ihren Anekdoten folgen zu können? Unstimmiges Gemurmel, Lachen – sie deutet es als ein Ja und plaudert weiter drauf los. Und es ist auch völlig egal, ob man etwas von dem versteht, was sie erzählt, wenn man nur dabei zusehen kann, wie ihr die Wörter weich und samtig, wie überreife Kirschen, von den Lippen perlen. Unweigerlich fühlt man sich an das Bob Dylan Biopic »I’m not there« erinnert, in dem Robbie (Heath Ledger) seiner neuen Flamme (Charlotte Gainsbourg) nicht abnehmen will, dass sie Französin ist: mit der Begründung, sie sei schlicht zu französisch. Zu sexy, zu perfekt, zu – Klischee. Die Franzosen und der Sex, nichts liegt eben näher – schon gar nicht in der Präsenz von Frauen wie Gainsbourg oder Rose. Die trinkt auf der Bühne übrigens Evian und Rotwein; doch man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie damit nur eine Erwartung erfüllt – wenn auch gerne und mit Augenzwinkern.

Apropos Bob Dylan – mit dessen »Don’t Think Twice (It’s All Right)« wagt die Französin sich auch an ein Cover; unnötig fast zu sagen, dass der Versuch gelingt. Und endlich ein Lied zum mitsingen, auch für alle, die im Französischunterricht immer gepennt oder Latein belegt haben. Überhaupt, Dylan: Der stand am Anfang ihrer eigenen Liebe zur Musik, seine Songs waren es, die in der jungen Keren erste Sangesbegeisterung auslösten; der Vater hat ihr Dylans Werk damals nahegebracht. Plötzlich leidenschaftlich und intensiv werden die mittlerweile dank eines locker gebundenen Pferdeschwanzes freiliegenden Züge der Sängerin bei »Julien«; ihr Umschwung von lässiger Unbeschwertheit zur stillen Inbrunst kommt wie aus dem Nichts, wirkt wohl gerade deswegen besonders aufrichtig, fast schmerzlich. Als die Französin dann die Bühne verlässt, wartet der ganze Saal auf die fällige Zugabe; niemand glaubt daran, das Konzert könne enden, ohne dass die zarte Poetin »Ciao Bella« vorgetragen hat. Die kleine, hoffnungsfrohe Weise auf den toten italienischen Großvater, den sie in kaum einem ihrer Interviews unerwähnt lässt, ist an diesem Abend ein Höhepunkt mit Ankündigung.

Nachdem sie ihr Publikum so beschenkt hat, gönnt die 29-Jährige sich anschließend selbst einen Spaß und schleudert herrlich verpoppt und ausgelassen den Sechzigerjahrehit »Poupée de cire, poupée de son« von der Bühne. Das scheint ihr, trotz all der Verschmelzung mit den eigenen Songs, doch irgendwie näher; wild und ein bisschen ungezogen. Nicht umsonst hat sich die Schöne schließlich ihren Künstlernamen nach dem Film »The Rose« gegeben, der sich an die Biographie von Janis Joplin anlehnt. Als sie deren »Mercedes Benz« schmettert, bittet sie gar ihr Publikum zu sich auf die Bühne und nicht wenige nutzen die Chance, ihr nah zu sein, wenigstens für einen Moment. Da erscheint sie dann wirklich völlig losgelöst, wiegt sich zwischen ihren Anhängern und genießt deren süße Euphorie.

Doch natürlich nur kurz, dann schieben zwei Ordner die Fans sanft, aber bestimmt von der Bühne. Rose lächelt noch einmal ihr mädchenhaftes Lächeln. Bedankt sich, auf französisch, englisch und deutsch – und schwebt in ihrem kleinen schwarzen Kleid davon. Das Publikum starrt ihr ungläubig hinterher, die Musiker auf der Bühne lächeln, irgendwie selig, als wollten sie sagen, „ihr habt sie nur einen Abend gesehen, wir dürfen sie die ganze Tour begleiten“. Rose steht da sicher gerade hinter der Bühne und grinst, eher dreckig als mädchenhaft. Und anschließend wird sie mit ihren Musikern ein großes Bier trinken gehen, keinen Wein. Die Männer werden so tun, als seien sie der Sängerin – im Gegensatz zu ihrem Publikum – kein bisschen verfallen. Und Rose wird so tun, als wisse sie nicht, dass sie es selbstverständlich doch sind. Kluges Mädchen.

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