Ruth Johanna Benrath: Wimpern aus Gras

„You didn’t adress my husband as a part of me.“ Mit diesem Satz endet die Freundschaft zwischen Anna und Rena, diesem und einer Handvoll Wutworte, die Anna aus ihrer neuen Heimat Amerika schreibt; die Entfremdung hat freilich bereits viel früher begonnen. Rena braucht ein Wörterbuch, um Annas Vorwurf zu verstehen. Und lernt, dass es im Englischen zwei Formen der Anrede für Frauen gibt – Ms. und Mrs. – je nach dem, ob verheiratet oder nicht. In der darauffolgenden Zeit wird die Protagonistin des Romans „Wimpern aus Gras“ vieles nachschlagen, denn Annas Ehemann Reiko hat der Studentin das Tagebuch seiner Frau zusammen mit ihrer Todesanzeige nach Heidelberg geschickt.

Verschachtelt, zart und kraftvoll: Wimpern aus Gras. (Foto: Verlag)

Verschachtelt, zart und kraftvoll: Wimpern aus Gras. (Foto: Verlag)

So fragmentiert, verschachtelt und manchmal geheimnisvoll die Sätze sind, auf die Rena in diesem Tagebuch stößt, webt Ruth Johanna Benrath auch ihre zarte Geschichte über Freundschaft, Liebe, Verlust und Identität. Zumeist angestoßen von Annas rätselhaften Niederschriften entfaltet die Autorin das Leben der Verstorbenen ebenso behutsam wie das der zurückgebliebenen Freundin – und über die beiden Frauen erklärt sie die Rolle des Mannes, der im Leben zu ihrer Trennung beitrug und nun, nach Annas Tod, eine Art Wiedervereinigung ersehnt. Neben der intensiven Entwicklung der Figuren steht die Sprache im Fokus des Romans. Wie verbindend diese in bestimmten Momenten sein kann und welch enorme Distanz sie in anderen zu verschaffen vermag, lernen Benraths Figuren auf verschiedenste Weise.

Annas Großmutter ist Amerikanerin, und so selbstverständlich es in ihrem Elternhaus ist, zwischen den Sprachen zu springen, so schwierig empfindet es Rena beizeiten, diesem Wechsel zu folgen und in der fremden Sprache auch jedes Detail zu verstehen oder ausdrücken zu können. Als das Leben die Heldinnen des Romans an verschiedene Orte trägt, bleibt ihre Nähe zueinander zunächst in den Briefen erhalten, die zwischen ihnen hin und her gehen. Mit der Zeit aber werden genau diese zum Ausgangspunkt für Missverständnisse, die über Wut in die Sprachlosigkeit und zuletzt dem Ende der Freundschaft führen. Für Anna bietet das Englische einen sicheren Rückzugsort, an den sie flüchtet in Momenten, von denen sie sich überfordert fühlt. Damit hinterlässt sie der besten Freundin in ihrem Tagebuch noch viel mehr Rätsel, als wenn sie dieses in der gemeinsamen Muttersprache geführt hätte. Wie intensiv Rena sich in das Ergründen dieser Geheimnisse hineinbegibt, lässt die Grenzen zwischen ihr und der toten Freundin immer mehr verschwimmen vor den Augen des Lesers – und ist von der ersten bis zur letzten Seite so ungewöhnlich wie lesenswert geschrieben.

Ruth Johanna Benrath
Wimpern aus Gras
217 Seiten
suhrkamp nova
13,95 Euro

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