Eigentlich sollte der Auftakt zur neuen Saison im Wiesbadener Literaturhaus Villa Clementine am Donnerstag mit der Neueröffnung des Cafés einhergehen. Anfang der Woche musste diese aber verschoben werden, unter anderem, weil die Küche im Keller nicht fertiggeworden war. Wein und Häppchen gab es aber trotzdem, wobei Häppchen eindeutig ein unzutreffender Begriff ist für die ausgefallenen kleinen Köstlichkeiten, die Betreiberin Lee Perron auf die Tabletts zauberte. Dem Café der Konditorin in der Langgasse, das sie auch nach der Eröffnung in der Villa weiter betreibt, werde ich demnächst definitiv einen Besuch abstatten.
Kultur gab es natürlich auch: Saša Stanišić las aus seinem neuen Erzählband „Fallensteller“, der im Mai 2016 bei Luchterhand erschienen ist, ebenso wie aus früheren Werken. Der 1978 in Višegrad in Bosnien-Herzegowina geboren Schriftsteller erzählte von der Flucht seiner Familie 1992 nach Deutschland, vom Aufbrechen und Ankommen und davon, wie erstaunt er heute noch manchmal ist, wenn er feststellt, was ihm alles gelingt in einer Sprache, die nicht seine erste, ursprüngliche war. Während das Thema Flucht ihn häufig in die Vergangenheit führt, ist es in dem Land, in dem er lebt, Deutschland, ein sehr aktuelles und Stanišić ist einer, der Stellung bezieht, sich einbringt, wie als Deutschlehrer für Geflüchtete, denn: „Sprache ist der Schlüssel zur Integration.“ Das klingt aus dem Munde eines Mannes mit seiner Geschichte nicht nach Phrase, sondern Lebensrealität, und die freundlich, aber sehr bestimmt in den Saal geworfene Aussage „Das erwarte ich von Ihnen allen auch“ – Geflüchteten helfend zur Seite zu stehen also – war nachdrücklich als Appell gedacht.
Dann las Stanišić, und wie. Es war ein Erzählen und Ergreifen, ein Tanzen und Sehnen, es war ein Durchdringen mit Worten und Formulierungen, ein Verbinden mit dem Publikum, ein Lachen und Weinen, eine sprachliche Leichtigkeit und poetische Schwere. Es waren Momente, in denen nichts existierte als Stanišićs Texte, die durch den unfassbar heißen Saal schwebten, in dem der letzte Abend dieses Sommers zu Ende gehen sollte. Wie ein Konzert ohne Musik, aber mit unglaublichem Tempo, mit Klang und Worten, die wie Töne nachhallen. Als wären sie gerade für diesen Moment geschrieben, für uns alle, die ihn miteinander verbringen. Und am Ende war dieses Gefühl gar nicht so falsch, aber das zu erläutern, würde den Genuss bei künftigen Lesungen schmälern. Und die sind tatsächlich genau das: ein Genuss.
So klug, so witzig, so poetisch, mutig und humorvoll ist dieser Saša Stanišić, ihr sollten ihn alle unbedingt live erleben. Und natürlich seine Bücher lesen, diese wunderbaren Schätze.
Liebe „Wortpiratin“, ich möchte beifügen, Herr Stani-i-sic las nur aus seinem aktuellen Werk „Fallensteller“ vor und weniger bis gar nicht, aus früheren Werken. Viele Grüße S.
Hm. Es waren ungefähr 100 Grad in den Zimmer, vielleicht hat mich das durcheinander gebracht. Bei einer Geschichte dachte ich, sie wäre nicht aus dem aktuellen. Würde jetzt aber auch nicht die Hand dafür ins Feuer legen.