Sheriff meines Herzens

Mein Papi hat alte Western geliebt. Und ich fand es wundervoll, sie mit ihm anzuschauen – wie es überhaupt schön war, Dinge nur mit ihm zu teilen. Schon als ich noch recht klein war, begannen mich seine staubigen Cowboystreifen zu faszinieren. So wurden es unsere Western, seine und meine – und gemeinsam haben wir im Lauf der Jahre wohl sämtliche Streifen gesehen, in deren Titel das Wort „Colt“ vorkommt. Ich mochte die dreckigen Helden der Filme, mochte, dass die Guten und die Bösen hier einfach auseinander zu halten waren. Ich fand es cool, wie die Männer mit wettergegerbten Händen ihre Zigaretten hielten, so, wie ich es auch von meinem Paps kannte. Mir gefiel die Musik der Filme, die immer ein wenig fremd klang. Und ich war fasziniert von der Weite des Landes, in dem die Cowboys umherritten. Eines aber beschäftigte mich und ich erinnere mich daran, wie ich das Thema irgendwann aufbrachte, ein wenig unsicher: Was mich an den Filmen besonders beeindruckte war, wie selbstverständlich sich diese Männer vor ihre Familie stellten, wenn Gefahr im Verzug war. Wurde auf einen Menschen geschossen, den sie liebten, sprangen sie mit verzerrtem Gesichtsausdruck und auf eine mir damals noch unverständlich langsame Art und Weise vor den Bedrohten, laut schreiend fingen sie mit ihrem Körper die Kugeln ab und mussten anschließend – meist qualvoll und stark blutend – sterben; nicht ohne zuvor ein paar letzte liebende Worte gurgelnd aus ihrer Kehle gestoßen zu haben.

Du fehlst in jedem Lachen, jeder Träne. (Foto: Andre Müller/pixelio.de)

Du fehlst in jedem Lachen, jeder Träne. (Foto: Andre Müller/pixelio.de)

Mein Vater erklärte mir, es sei selbstverständlich, was diese Cowboys taten – sich zu opfern, wenn es um die Menschen geht die man liebt. „Würdest du dich denn auch vor mich stellen, wenn jemand auf mich schießt?“, fragte ich ihn damals und mein Paps nickte ernsthaft. „Na klar. Vor dich, die anderen drei, vor deine Mami. Auf jeden Fall.“ Und obschon Schießereien zwischen Cowboys im Odenwald der Achtzigerjahre nicht an der Tagesordnung waren, dieses Bild hat mich nie mehr losgelassen und schon damals begriff mein kleines Kinderherz, welche Bedeutung in den Worten meines Vaters lag; dass ich geliebt wurde und beschützt. Umso mehr litt ich darunter zu wissen, ich könnte dasselbe nicht für ihn tun: Für niemanden wollte ich mir Kugeln durch den Körper jagen lassen und so grauenvoll verenden, wie die Cowboyväter in den Filmen, die ich mit meinem sah. Immer wieder erklärte er mir dann geduldig, dass ich das auch nicht musste, denn ich war doch ein Kind, von mir wurde kein Heldenmut gefordert. Das zu wissen tat unglaublich wohl und es erwuchs mir eine warme Zuversicht daraus und aus dem Wissen, dass er mich retten würde – jederzeit.

Heute weiß ich, dass er genau das getan hat, über all die Jahre. Als mein Vater zum ersten Mal krank wurde, hatten alle Ärzte erwartet, er würde sterben. Aber er hat sich ins Leben zurück gekämpft, ist bei uns geblieben – und für uns. Sein Überleben all die Jahre ist auch der Willenskraft zu verdanken, die er hatte. Seinem Kampf, den er immer gegen die Krankheit gefochten hat. Seinem Glauben daran, zu überleben und bei seinen Kindern zu bleiben. Weil wir seines Schutzes bedurften. Wir vier wären ohne ihn nicht zu den Menschen geworden, die wir heute sind. In all dem Chaos, das über die Jahre immer wieder um sich griff war er es, der dafür gesorgt hat, dass unsere Herzen weich blieben. Weil er sie gepflegt hat, uns Liebe beigebracht, Vertrauen und Glück.

Manchmal scheint es fast, als habe er den Zeitpunkt seines Todes gewählt, als habe er in der Zeit zwischen dem ersten Infarkt und seinem Tod, schließlich, immer wieder mit Gott verhandelt, ihm immer neu klar gemacht, dass er noch nicht gehen könnte. Er hat seine Hand über unsere Herzen gehalten und ist so lange an unserer Seite geblieben, bis wir einen Punkt erreicht hatten, an dem wir alleine weiterkommen konnten, ohne ihn; trotz des unendlichen Schmerzes über den Verlust. Er hätte tausend Jahre später gehen können, doch keinen Tag früher.In jener Nacht, bevor er gestorben ist, hat er sich in unsere Träume geschlichen, um uns jedem einen Schutzumhang dazulassen, genäht aus den Fasern seines Herzens. Der hält das Böse von uns fern, nun, da er an einem anderen Ort ist. Den Umhang kann man natürlich nicht sehen. Aber manchmal, wenn ich ganz aufmerksam bin, spüre ich, wie er sanft über meine Schulter streift. Und fühle mich sicher in seinem Schutz.

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