Spielunterbrechung: Mit zweierlei Maß


Wenn wir als eine Gesellschaft funktionieren wollen, in der Menschen vor Angriffen, Gewalt und Schmähungen geschützt werden, müssen wir alle Menschen gleichermaßen schützen. Diese Prämisse bedeutet aber nicht, dass es nicht zulässig ist, kritisch die Stimme zu erheben, wenn Schutz ausgerechnet bei besonders privilegierten Gruppen (erstmals) greift. Darauf hinzuweisen hat nichts mit dem in diesem Zusammenhang oft benannten Whataboutism zu tun, sondern ist eine notwendige Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.

Oder wie Stefan Buczko passend formuliert:

Being angry about double standards isn’t whataboutism.— Stefan Buczko (@StefanBuczko) February 29, 2020

Beim Spiel des FC Bayern in Hoffenheim an diesem 24. Spieltag kam es zu Unterbrechungen, weil Plakate mit Schmähungen gegen Dietmar Hopp gezeigt wurden. Bei der parallel stattfindenden Partie der Freiburger in Dortmund stand eine Spielunterbrechung wohl ebenfalls kurz bevor, weil Hopp mit Gesängen beleidigt wurde.

Ich fasse es nicht. Im Stadion wird „Hopp du Hurensohn“ gesungen und der Schiedsrichter sieht das als Anlass, das Spiel kurz zu unterbrechen? Wie lächerlich soll das eigentlich noch werden? #BVBSCF— Maurice Morth (@JungeMitDemBall) February 29, 2020

Es gibt zwei Möglichkeiten, dieses Thema zu betrachten. Die eine ist, sich zunächst mit der lange zurückreichenden Geschichte zwischen Dietmar Hopp und verschiedenen Fangruppen zu beschäftigen. Diese wurde unter anderem im Fanportal Schwatzgelb.de schon mehrfach gut nachvollziehbar aufgearbeitet, gerne verweise ich deshalb auf diesen Text: klick.

In der Kritik steht dabei berechtigterweise immer wieder das Banner mit dem Fadenkreuz. Eine Auseinandersetzung damit, was genau sich dahinter verbirgt und wieso man das Motiv sehr wohl kritisieren kann, ohne mitzugehen, wenn diesbezüglich von einem Mordaufruf gesprochen wird, findet sich sehr lesenswert in diesem Thread:

Zurück zum #Fußball: Es ist viel zur Causa #DietmarHopp+#Hanau gesagt worden, z.B. von @starcaztle, aber ich fasse nochmal zusammen, warum sowohl Vorgang als auch Berichterstattung imho falsch und gefährlich sind. @DFB @sportschau @SPORT1_Dopa +TWIMC 1/xhttps://t.co/Oi3XeSpUZE— Andrej Reisin (@Andrejnalin77) February 23, 2020

Weil die Kolleg*innen die Geschichte zwischen Dietmar Hopp und gerade den BVB-Fans bereits gut beschrieben haben, möchte ich es an dieser Stelle bei den Links belassen und direkt mit den Vorfällen in Hoffenheim und Dortmund einsteigen.

Fußball wird seit einigen Jahren von so genannten Expert*innen begleitet, die im Studio sitzen und Spiele kommentieren und bewerten. Natürlich werden diese dann auch befragt, wenn Vorfälle wie heute passieren. Die Kommentator*innen und Moderator*innen hatten ebenfalls eine Menge zu sagen zu den Schmähungen gegen Hopp und der Tatsache, dass diese in Spielunterbrechungen mündeten. Die Rede war von einem „schwarzen Tag im Fußball“, bei Sky sprach man davon, etwas Vergleichbares habe es in fast zwanzig Jahren Konferenz nicht gegeben.

Didi Hamann erklärte beflissentlich, „Fußballdeutschland“ stehe hinter Hopp, man wünsche ihm und seiner Familie viel Kraft. Schnell wurde, wie bereits in der letzten Woche, die Brücke zum rassistisch motivierten Anschlag in Hanau geschlagen, eine undenkbare Verharmlosung dieses brutalen Attentats. Hierzu gibt es ebenfalls einen sehr lesenswerten Text bei den Kolleg*innen von Schwatzgelb.de: klick.

Auch abgesehen von diesem undankbaren Vergleich rubbelte man sich an den heimischen Empfangsgeräten doch reichlich verwundert die Augen. Spielabbruch? Wegen wiederholter Beleidigungen gegen den Hoffenheimer Mäzen? Interessanter Schachzug in Zeiten, in denen antiziganistische, antisemitische, rassistische und ableistische Entgleisungen in Stadien wieder zugenommen haben und achselzuckend hingenommen werden. Sexismus hat ja schon in der Vergangenheit nie wirklich irgendjemanden gestört, geschweige denn zum Handeln gebracht.

Da muss man gar nicht so weit gehen und die Würdigung des verstorbenen Nazis Tommy Haller im Heimstadion des Chemnitzer FC auszupacken, die als eine gefährliche politische Positionierung der Kurve und von Teilen des Vereins gewertet werden muss (klick), die der Verband eigentlich an Ort und Stelle hätte sanktionieren müssen. Man muss sich auch nicht in die Niederungen der Ligen begeben und zum wiederholten Male die Partie zwischen dem SV Babelsberg und Energie Cottbus ausgraben, bei der Beschimpfungen wie „Zecken, Zigeuner und Juden“ oder der Hitlergruß nicht zu einem Spielabbruch führten (klick).

Man kann es sich viel einfacher machen und beispielsweise auf das Pokalspiel zwischen Hertha BSC und Schalke 04 in diesem Monat schauen, bei dem Herthas Jordan Torunarigha von den Rängen rassistisch beleidigt wurde (klick). Konsequenzen gab es keine, obwohl der Schiedsrichter Harm Osmers darüber informiert wurde, dass Torunarigha Affenlaute von den Rängen gehört hatte. Oder wie war es vor zwei Jahren, als Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus von Fans deutlich vernehmbar als Hure beschimpft wurde (klick)? Natürlich gab es im Nachhinein Entschuldigungen, das Spiel lief zuvor aber davon unbeeindruckt weiter.

Dasselbe gilt für Vorfälle bei einem Länderspiel in Wolfsburg im vergangenen Jahr (klick). All diese Vorkomnisse werden entweder nach dem Motto „Was ich nicht höre, interessiert mich auch nicht“ weggewischt oder mit einem kurzen, pflichtschuldigen „Sorry“ zu den Akten gelegt. Häufig wird argumentiert, Rufe seien im Stadion schwieriger auszumachen als die Banner, die Fans im Block in die Höhe halten. Deswegen sei eine Spielunterbrechung bei einer deutlich beleidigenden Tapete nachvollziehbarer als bei Rufen, von wegen, man könne sich ja auch mal verhören.

Schauen wir uns also an, was in Sachen Spruchbändern in der jüngeren Vergangenheit so los war. Da gab es beispielsweise die Ansage der Dynamo-Fans ans St. Pauli Lager, sie bekämen an diesem Spieltag nichts zu essen, weil ihre Frauen zum Fußball gehen (klick).

Oder wie war das mit dem antiziganistischen Banner, das dereinst in der Canstatter Kurve hing? Das führte ebensowenig zu einem Spielabbruch wie dieses ableistisch Tapete.

Nein, damit in einem deutschen Fußballstadion eine Spielunterbrechung herbeigeführt wird, muss schon ein alter, weißer Milliardär beleidigt werden. Pun intended, denn natürlich darf heutzutage niemand von alten, weißen Männern sprechen, ohne sich fragen zu lassen, ob das nicht auch eine Form der Diskriminierung sei. Nein, ist es nicht, weil damit mal eine Gruppe beschrieben wird, die mehr Privilegien genießt als alle anderen zusammen, weshalb diese gezielte Zuschreibung mit Diskriminierung nichts zu tun hat. Ebenso wenig wie diese Diskussion – siehe den Einstieg dieses Textes – eine Form von Whataboutism ist.

Es geht dabei nämlich nicht darum, zu verteidigen, dass irgend-ein-Mensch diesen Beleidigungen ausgesetzt wird. Es geht um eine Eingriffsschwelle. Was muss passieren, damit Maßnahmen wie eine Spielunterbrechung Thema werden? Und da kann es einfach nicht sein, dass in der jüngeren Vergangenheit die antiziganistischen, rassistischen, homophoben, ableistischen, antisemitischen und sexistischen Angriffe in den Stadien (und auch ganz generell in dieser Gesellschaft) auf eine erschreckende Art und Weise zugenommen haben, aber geduldet werden – und der Angriff auf einen einflussreichen Milliardär auf diese Art und Weise hochgekocht wird.

Diesen Vorwurf zu kontern, indem man nun sagt, die Maßnahmen gegen die Hopp-Schmähung könnten doch ein Anfang sein dabei, Beleidigungen und Angriffen im Stadion entsprechend zu begegnen, ist ein absoluter Hohn. Für die vielen marginalisierten Gruppen, deren Bedürfnisse und Ängste zuletzt permanent kleingeredet und beschwichtigt wurden, muss es reichlich unerträglich sein, heute via Berichterstattung suggeriert zu bekommen, im Stadion seien undenkbare Vorfälle zu beklagen, die mit nichts vergleichbar sind, was in den vergangenen Monaten passiert ist.

Es kann und es darf nicht sein, dass wir gesellschaftlich erst dann aufwachen und aktiv werden, wenn Menschen betroffen sind, die über Macht und Einfluss verfügen. Denn eine Gesellschaft, die nicht zu allererst jene schützt, denen die Mittel fehlen, sich selbst zu verteidigen, schützt letztlich niemanden. Das gilt nicht nur im Stadion.

Nachtrag:
1. In einer früheren Version dieses Textes hieß es, das antiziganistische Banner habe „kürzlich“ in der Canstatter Kurve gehangen. Dies wurde korrigiert, da es schon einige Jahre zurückliegt.
2. Eine Spielunterbrechung aufgrund von rassistischer Entgleisungen gab es zuletzt tatsächlich in der dritten Liga. Das ist hier nachzulesen. Es wäre wichtig, dass die beiden oberen Ligen da konsequent nachziehen.


9 thoughts on “Spielunterbrechung: Mit zweierlei Maß

  1. Nicht, dass es inhaltlich etwas ändert, aber das antiziganistische Banner hing mitnichten „kürzlich“ in der Canstatter Kurve – wie auf dem Bild gut an der Laufbahn erkennbar, war das vor dem Stadionumbau. Laut Twitterpost wohl 2005 – ist also schon fünfzehn Jahre her (macht das Banner aber natürlich nicht besser).

    • Danke für den Hinweis, ich habe das im Text entsprechen geändert und als Nachtrag kommentiert.

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