Take Shelter – Im Auge des Sturms

Letztlich geht es in Jeff Nichols’ Film „Take Shelter“ vor allem um eines: Vertrauen. Wem kann ich noch trauen, wenn ich mir selbst zu misstrauen beginne? Können die Menschen, die ich liebe und die mich lieben mir auch dann vertrauen, wenn ich keine Erklärung für mein eigenes Verhalten finde? Und wie weit darf oder muss dieses aus der Liebe geborene Vertrauen gehen? Nichols’ Antwort ist denkbar einfach: Vertrauen ist die Grundlage für jede zwischenmenschliche Beziehung, die er auf der Leinwand zum Leben erweckt. Und wenn man sein ambivalentes Ende denn hoffnungsvoll deuten mag, dann im Zusammenhalt seiner Figuren – die sich entschieden haben, einander vollkommen zu vertrauen.

Wem kann man noch trauen, im Auge des Sturms? (Foto: Verleih)

Wem kann man noch trauen, im Auge des Sturms? (Foto: Verleih)

Curtis laForche (Michael Shannon) hat sich seinen amerikanischen Traum erfüllt: Ehefrau, Tochter, Hund, Häuschen, Job – und für jedes Problem (wie die Gehörlosigkeit der Tochter) gibt es eine Lösung (in diesem Fall: seine außergewöhnlich gute Krankenversicherung). Diese Idylle ist echt, mag Curtis auch beim Plausch mit Kumpel und Arbeitskollege Dewart (Shea Wigham) nach dessen Prahlerei, er plane einen Dreier mit seiner Gattin und einer Internetbekanntschaft, leicht bedauern, so etwas sei mit seiner Frau nicht denkbar. Aber – diese Idylle ist auch bedroht, das spüren Curtis und die Zuschauer von Anfang an; nicht nur, weil der Regen, der auf den Familienvater herunterprasselt, eine unerklärliche, ölige Konsistenz hat.

Wem vertraue ich meine Ängste und Zweifel an, wem meine (vermeintliche) Schwäche? Es sind nicht nur seine Visionen vom öligen Regen, die Curtis zu schaffen machen, sondern auch seine Albträume. In denen unglaubliche Stürme aufziehen, Schwärme von Vögeln den Himmel verdunkeln, schließlich aus ihm heraus fallen, seine Tochter in Gefahren gerät, vor denen er sie nicht schützen kann – und die Welt aus den Fugen. Auch, weil Curtis nicht mehr weiß, wem er noch trauen darf: Es sind in diesen Albträumen gerade die Menschen, die er am meisten liebt, die ihn bedrohen, angreifen und verletzen. Und so, wie diese Visionen und Albträume ineinander übergehen und miteinander verschmelzen, greift beides in seine Realität. Wird er gerade wahnsinnig? Oder sind seine Träume Vorboten auf ein drohendes Unheil? Und wenn sie Vorboten sind, heißt das, dass er den Menschen, die ihn darin verraten, auch im Leben nicht mehr vertrauen kann?

Nichols bietet gleich mehrere mögliche Erklärungen für das, was mit Curtis passiert. Mag sein, der Vorarbeiter sieht tatsächlich Dinge, für die seine Umwelt kein Gespür hat. Oder der Familienvater ist krank, verliert den Verstand: Seine Mutter (Kathy Baker) war etwa in seinem Alter, als bei ihr psychotische Schizophrenie diagnostiziert wurde. Gerade zu ihr bemüht sich Curtis zuerst um ein gewisses Vertrauen, mit seinem Besuch in ihrem Heim; der aber scheitern muss. Dennoch, der rationale Curtis scheint sich zunächst mit der Variante, seiner Mutter in ihre Krankheit zu folgen, fast am wohlsten zu fühlen und beginnt eine Gesprächstherapie.

Obwohl der Boden, über den der Familienvater tastend geht, schwankt unter seinen Schritten, ist es immer wieder er selbst, dem Curtis vertraut, gibt er den Glauben an seine eigene Wahrnehmung nie auf. Und folgt den Warnhinweisen, die er daraus bezieht, in der festen Hoffnung, so die Menschen schützen zu können, die er liebt – auch wenn es zunächst wirkt, als würde er durch sein Handeln alles zerstören. „I’m doing this for us. I know you don’t understand.“ Zwei Sätze, in denen Curtis’ ganzes Dilemma liegt. Und die letztlich eben diesen Glauben an sich selbst ausdrücken – in dem er sich seiner Frau Samantha (großartig: Jessica Chastain) schließlich auch anvertraut. Von seinen Albträumen und Visionen erzählt. Und so ihr Vertrauen zurückgewinnt, mitten im scheinbaren Wahnsinn, der ihn dazu treibt, den Sturmbunker hinterm Haus auszubauen – obwohl doch alle Finanzen in die Gesundheit der Tochter fließen sollen.

Der Rest seiner Umwelt freilich rückt immer weiter vom scheinbar in den Irrsinn driftenden Curtis ab; zuletzt auch Dewart, der gemeinsam mit seinem Freund den Job verliert, nachdem der unerlaubt Werkzeug und Maschinen aus der Firma geliehen hat – für seinen Bunker. Auf einer Feier, zu der die Familie geht, weil Samantha „something normal“ braucht, etwas Normales, zum Luft holen, zum Kraft schöpfen, kommt es zum Eklat, als Dewart Curtis angreift – so lange, bis der explodiert. „You think I’m crazy?“, brüllt der Hüne, nachdem er einen Tisch umgeworfen hat, als sei es ein Glas Wasser. „There’s a storm coming like nothing you have ever seen and not one of you is prepared for it!“ Die Gesellschaft zittert und schweigt. Tochter Hannah (Tova Stewart) schaut den Vater aus großen Augen an – ist es Angst, die darin liegt? Wird Samantha das Kind – nun doch – an der Hand nehmen und wegführen, von hier, vom Vater, und wird das mühsam erkämpfte Vertrauen brechen?

Regisseur Nichols selbst sagt über seinen Film:

I think it’s a lot about communication. We all carry these fears and doubts. They will always be there, whether it’s fear of the government collapsing, or the environment, or you can’t pay your bills, whatever. We’ll always have something to worry about. And I think where relationships maybe get damaged is in people not sharing those fears with their significant others. That seemed like an answer to me, and an interesting ending for this problem that I’d built up in this film.

So kommt es, dass dessen Ende schließlich weniger ambivalent ist, als es zunächst scheinen mag. Die Frage, ob Curtis tatsächlich krank ist oder nicht, ob der Sturm nun kommt oder der dunkle Himmel ein falscher Alarm ist, ob die apokalyptischen Bilder des Filmes und die Visionen seiner Hauptfigur Parabeln sind auf unsere, auf die amerikanische Gesellschaft im Hier und Jetzt – all das ist letztlich nicht wesentlich. Wesentlich ist das Kleine im Großen. Wichtig sind die Beziehungen, die wir führen. Worauf es ankommt sind die Sprache, die wir wählen und der Weg, den wir gehen. Wenn wirklich ein Sturm kommt, das Ende der Welt, fehlen uns allen die Mittel, um das aufzuhalten. Aber wir entscheiden, wie wir unser Leben bis dahin gestalten. Was uns wichtig ist. Und wen wir an der Hand halten, wenn die Apokalypse uns trifft. Das mag auf dem Papier kitschig klingen, bei Jeff Nichols ist es jedoch ganz große Kinokunst.

Take Shelter
Buch & Regie: Jeff Nichols
Darsteller:  Michael Shannon, Jessica Chastain, Shea Wigham
USA, 121 Minuten, FSK: 12

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