Revolution in Mainz: Fußballer beschimpfen Fans

Mainz, ohnehin für ungewöhnliche fußballerische Maßnahmen bekannt, hat mit einem neuen, nicht alltäglichen Projekt auf sich aufmerksam gemacht. „Es ging uns dabei darum, unsere Fans dafür zu sensibilisieren, wie sich Spieler auf dem Feld fühlen, wenn sie – unter Anspannung und Leistungsdruck stehend – von einigen Anhängern permanent beleidigt werden“, heißt es in einer Erklärung auf der Vereinshomepage. In einem aufwändigen Verfahren und mittels extra dafür eingebauter Sensoren wurden dafür zunächst beim Heimspiel gegen den SC Freiburg am 1. Februar Fans ermittelt, die besonders häufig Spieler beschimpften. Ausgewertet wurden dazu einerseits per Wäremeaufnahmen die Erregungskurven der Betroffenen, zum anderen in einem speziellen Audioverfahren, das Namen der Spieler herausfiltert und speichert, ohne Aufnahmen von sonstigen Unterhaltungsbestandteilen zu machen, welche Kicker von den Beleidigungen verstärkt betroffen waren.

„Der besondere Anspruch an das auditive System war, die Namen auch dann herauszufiltern, wenn sie vollkommen falsch ausgesprochen werden, was tatsächlich die Regel ist“, heißt es dazu in der Erklärung. Und noch etwas stellten die Vereinsverantwortlichen im Verlaufe der Messungen fest: „Vor dem tatsächlichen Go hatten wir, auch während der letzten Saison, bereits immer wieder Probeaufnahmen gemacht. Überraschenderweise war es grundsätzlich der Torwart, der sich in einem Spiel den heftigsten Beschimpfungen ausgesetzt sah, egal ob nun Heinz Müller, Christian Wetklo oder Loris Karius den Kasten hüteten.“ Die längst legendäre, ambivalente Haltung der Mainzer zu ihrem Schlussmann ist demnach also mehr als ein bloßes Gerücht, sie lässt sich nun vielmehr sogar mit Zahlen belegen.

Da steht ein Arschloch im Tor? (Foto: Benjamin Wiens/pixelio.de)

Da steht ein Arschloch im Tor? (Foto: Benjamin Wiens/pixelio.de)

Aus den Fans, die verbal besonders heftig auf ihre Spieler eindroschen, wurden insgesamt 300 Probanden ausgewählt, wobei in Sachen Alter, Geschlecht, Berufsabschluss und Herkunft der Schnitt der Stadionbesucher Anwendung fand. Ihnen wurden per Losverfahren diejenigen Spieler zugeordnet, die von den Angriffen besonders betroffen waren. Ziel der Übung: Die Fußballer durften einen Tag lang den Arbeitsalltag der ausgewählten Anhänger begleiten. Damit war es natürlich nicht getan, vielmehr mussten die Spieler ihre Fans im Verlaufe dieses Arbeitstages immer wieder laut anbrüllen. „Am Anfang fiel das gerade den jungen Kickern wirklich nicht leicht. Klar, es gehört im Normalfall ja schon eine gewisse Überwindung dazu, jemanden immer wieder derart anzuschreien.“ Doch nachdem in einem ersten Probedurchlauf die genauen Umstände dieses nicht alltäglichen Experimentes festgelegt worden waren, lief es schließlich rund.

Zunächst hatten die Spieler die Möglichkeit, die Probanden im Verlaufe des Vormittages ein wenig kennenzulernen, Dinge wie ihren Familienstand, ihr Alter oder ihre Hobbys beim Plausch zu erfahren. Später bekam jeder Fußballer für 90 Minuten einen festen Platz zugewiesen, soweit das Projekt in einem Büro durchgeführt wurde in der Regel mit einem gewissen Abstand zum Fan. „Wichtig war uns, die Stadionsituation zu simulieren. Dazu gehört, nicht nur der Beleidigte bekommt mit, was gegen ihn gesagt wird, sondern auch all seine Mitspieler, in der Projektsituation also die Kollegen. Der Beleidigende wiederum sieht aus seiner Position eigentlich nur in etwa, was passiert, mäkelt also an Situationen herum, die er nicht wirklich einschätzen kann.“ Und weiter heißt es: „Eine andere Sache, auf die wir Wert gelegt haben war, dass die Namen unserer Probanden permanent falsch ausgesprochen und betont werden, genau wie es eben die Spieler auch im Stadion erleben.“

So wurde beispielsweise Ulrike K. aus Mainz-G. von einem Spieler in dem Büro besucht, in dem sie als Sekretärin arbeitet. Das Erlebnis hat die 41-Jährige aufgewühlt hinterlassen. „Der hat mich die ganze Zeit Uschi oder Ulle genannt, das war schon mal unangenehm“, erzählt die 05-Anhängerin hinterher. „Und dann konzentrieren Sie sich mal auf ihre Arbeit, wenn die ganze Zeit jemand brüllt, was, so willst du diese E-Mail formulieren, du Amateurin, haben die dir denn in der Ausbildung gar nichts beigebracht? Und wie hältst du Nuss denn die Hand beim Tippen, kein Wunder, dass da nichts bei rumkommt! Das war wirklich schlimm.“ Auch Uwe S. aus Mainz-F., der von einem Spieler beim Außentermin begleitet wurde, wirkte nach dem Experiment erschöpft. „Es ist schon eine gewisse Peinlichkeit dabei. Mein Kollege auf dem Beifahrersitz hört das ja alles mit. Die ganze Zeit das Geschrei, wieso biegst du hier ab, du Idiot, eine weiter wäre viel besser gewesen. Fahr doch mal schneller, du fauler Hund. Und für den Mist lässt du dich bezahlen! Ich war froh, als die Sache endlich rum war, das sind so wirklich keine Arbeitsbedingungen“, gesteht der 53-Jährige sichtlich mitgenommen.

Beim Verein zeigt man sich zufrieden mit den Ergebnissen der ersten Phase. „Dadurch, dass wir auch darauf geachtet haben, Probanden aus allen Bereichen des Stadions auszuwählen, scheint es uns, als ob unsere Idee bereits Früchte trägt“, heißt es. Man habe die Hoffnung, die teilweise sogar richtiggehend traumatischen Erfahrungen der beteiligten Fans werden sich schnell herumsprechen und zu einem Umdenken auf den Tribünen führen. In einem Fall, so heißt es hinter vorgehaltener Hand, habe eine junge Frau sogar ärztlich behandelt werden müssen – die Polin war von einem Spieler immer wieder angeschrieen worden, sie solle doch zurück nach Hause gehen, anstatt ihre blamablen Leistungen (offenbar handelt es sich um eine Kellnerin) hier zur Schau zu stellen. Aber: „Es geht und ging uns nie darum, irgendwen zu verletzen oder fertig zu machen. Ziel ist und bleibt, etwas für den Umgang miteinander im Stadion zu tun. Und wir glauben daran, da mit unserem Experiment positive Impulse setzen zu können.“ Abzuwarten bleibt auch, ob andere Bundesligisten die Projektidee für sich übernehmen – und wer weiß, vielleicht steht tatsächlich eine Revolution auf den Rängen an.

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