Zauberneffentag: Eine Höhle im Wald

Letzte Woche: Pause von diesem Wahnsinn, der sich euphemistisch „Vorweihnachtszeit“ nennt, um ein paar Stunden mit dem Zauberneffen zu verbringen. Ich liebe nicht nur den Neffen, ich liebe es auch, bei diesen Besuchen zu erleben, wie so ein kleines Gehirn arbeitet und sich immer weiter entwickelt. Mir kam das schon rasend spannend, schnell und viel vor, als er noch sehr klein war, aber seit er ein Schulkind ist, überrollen mich die Entwicklungen geradezu – und vieles davon ist einfach zu köstlich, um es nicht aufzuschreiben.

Im Odenwald angekommen, klären meine Schwester und ich wie üblich letzte Details auf Englisch, damit die Kekse nicht mitbekommen, worum es geht. Plötzlich nehme ich aus dem Augenwinkel wahr, wie Jakob einzelne Wörter mit den Lippen nachformuliert. Als er merkt, dass meine Aufmerksamkeit sich gerade auf ihn verlagert hat, grinst er breit und sagt: „Bald kann ich das auch mit diesem Englisch, und dann habt ihr aber Pech gehabt.“

Der Neffe weiß, was gut ist. (Foto: WP)

Der Neffe weiß, was gut ist. (Foto: WP)

Mein Neffe hört liebend gerne Radio und die Speicherkapazität in seinem Gehirn geht gegen unendlich, was Werbespots betrifft. Kaum im Auto zitiert er: ‚Wo fahren wir hin?‘ ‚An den Arsch der Welt.‘ ‚Was machen wir da?‘ ‚Möbel kaufen.‘ ‚Möbel kauft man jetzt nicht mehr am Arsch der Welt, sondern bequem vom Sofa aus.‘ Meine Schwester erzählt mir abends, während sie Tränen lacht, er gebe den Spot mehrfach am Tag wieder. Und sie wirft die Frage auf, wie man einem Achtjährigen erklären soll, er dürfe nicht „Arsch“ sagen, wenn das Wort permanent über den Äther gesendet wird.

Neu für mich ist auch im dritten Schuljahr, dass Jakob nun lesen kann, zumal er es natürlich nicht von Anfang an tatsächlich im Alltag angewendet hat. Jetzt tut er das auf der Rückbank mit riesiger Begeisterung: Bauhaus, Aral, Medienhaus Südhessen, Jet. Und dann sind da natürlich die Firmen, deren Werbeslogans er kennt – und wie automatisiert ergänzt: „Media Markt – ich bin doch nicht blöd“, tönt es durchs Auto, oder: „Real – einmal hin, alles drin.“

Als wir an einer Ampel stehen, entsperre ich kurz mein Handy, das in der Halterung an der Lüftung hängt. Da sagt der Keks sehr ernsthaft: „Weißt du, Mara, ich bin sehr froh, dass dein Handy so aufgeräumt ist.“ „Was meinst du denn?“ „Die Ordner. Das ist einfach nicht so ein Chaos.“ Dem Kind ist tatsächlich aufgefallen, dass ich meine Apps nicht wild auf meinem Bildschirm rumfliegen lasse, sondern sie in Gruppen sortiere. Und es gefällt ihm!

Wir sind natürlich an diesem Tag in einer wichtigen Mission unterwegs: Die Mannschaft von Mainz 05 signiert später im Fanshop. Jakob hofft: alles, was man ihr hinhält. Er hat nicht nur sein Trikot dabei, sondern auch die Weihnachtskarte des Vereins, sein Kids Club-Shirt und die Kappe, den Schal sowie ein Bild von sich und der kleinen Schwester im Stadion. Erstmal geht es um die aktuelle Situation der Mainzer, als Hesse muss er sich vor allem von seinem Großvater nach jeder Niederlage aufziehen lassen. Das letzte Spiel aber, bei dem er mit war im Stadion, wurde gewonnen. „Wir haben gegen eine Mannschaft gespielt, die hat ein Logo, das sieht aus wie von einer Spielefirma. Die machen ein Kartenspiel, das wird im Altmühltal sehr gerne gespielt.“ Hinweise hierzu werden gerne entgegen genommen…

Natürlich geht es so kurz vor Weihnachten auch um die Wunschliste, mit der Jakob mächtige Probleme hat: „Ich weiß einfach nicht, ob ich mir eine Wii oder eine Playstation wünschen soll, weil ich im Moment überhaupt nicht rumkomme. Und die Werbeprospekte, die wirft der Papa immer weg, bevor ich sie mir in Ruhe anschauen konnte.“ Das sind schwerwiegende Entscheidungen, die da getroffen werden müssen…

Als wir schließlich in Mainz ankommen, schüttet es aus Kübeln. Jakob will wissen, ob wir zum Stadion laufen oder fahren. „Ich dachte, bei dem schönen Wetter können wir laufen.“ Er sieht mich für einen Moment an, dann sagt er sehr langsam und sehr deutlich: „Du kannst dir deine Witze in die Haare schmieren, Mara.“ Ich schaffe es, mir das Lachen zu verkneifen und ihm zu erklären, dass man so nicht miteinander redet, weil: unhöflich. Als wir anschließend zum Stadion fahren fragt er, ob denn Mainz 05 auch genügend Werbung für die Veranstaltung gemacht habe, damit viele Leute kommen. „Also, wer in Mainz in den letzten Tagen nichts davon mitgekriegt hat, muss in einer Höhle im Wald wohnen.“ Minuten später, ich parke gerade das Auto, fängt Jakob an zu kichern, ich drehe mich zu ihm um, er strahlt und sagt: „Also, der mit dem Wald, der war gut.“

Dann ist für fast zwei Stunden die Sprache völlig abgemeldet. Der Zauberneffe schweigt und genießt die Anwesenheit seiner Idole. Der einzige Satz, den er dabei regelmäßig sagt ist: „Ich hätte gerne eine Unterschrift, bitte.“ Einfach großartig. Erst ganz am Ende der Veranstaltung hat er auch wieder Augen und Ohren für das, was um ihn herum passiert. Am Glühweinstand sagt eine Frau zu ihrer Freundin: „Also, ich habe ja gar nichts mitbekommen von der Aktion heute.“ Mit einem breiten Grinsen dreht Jakob sich zu mir um und flüstert verschwörerisch: „Mara, die wohnt wohl in einer Höhle im Wald.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.