Gesehen hatte ich das natürlich schon hunderttausend Mal; lebensmüde Menschen, die sich eine Waffe an den Kopf halten. Zack, abgedrückt – und Ruhe, endlich Ruhe, endlose Ruhe. Ich meine, im Fernsehen lassen sie es doch wirklich aussehen, als bekäme das der größte Idiot hin, ohne sich eine Blöße dabei zu geben, da macht man sich doch als potentieller Nachahmer keine Gedanken. Zack, abgedrückt – und Ruhe. Das viel größere Problem, seien wir mal ehrlich, ist es, an eine Waffe heranzukommen. Gut, damals, daheim auf dem Land, da wäre das sicher ganz einfach gewesen. Da hat ja, ich weiß nicht, wie die Waffengesetze dazu stehen, aber dennoch, da hat ja jeder dritte Obstbauer die Schrotflinte noch bei sich daheim im Kleiderschrank. Oder unterm Bett vielleicht, bei den ganz Vorsichtigen, aber jedenfalls, damals, daheim auf dem Land, da hätte ich noch Leute gekannt. Die hätten Großeltern gehabt. Mit Hof und so. Das wäre alles kein Problem gewesen, mit der Waffe.
Oder später dann, in der Großstadt, da wäre das sicherlich auch nicht allzu schwierig gewesen. Ich meine, mein Mitbewohner, der tat das ja immer ab, als sei ich hysterisch, also, meine Angst, meine ich. Die tat er ab, Angst – davor, wir würden nachts überfallen. Oder ausgeraubt. Meinte er, ich hätte wohl zu viele amerikanische Filme gesehen – und unsere Gegend sei doch total sicher und so. Sowas in der Art, ja; daran meine ich mich jedenfalls zu erinnern. Er glaubte also, die Gegend, in der wir lebten, sei gar nicht so gefährlich – aber ich habe sie doch gesehen. Die Dealer und Stricher, die Streuner und Zuhälter, und, mal ehrlich, da kann mir doch niemand erzählen, dass da nicht jeder dritte bewaffnet war. Bis unter die Zähne, das ist es ja, was ich glaube, also – wenn Sie mich fragen. Das mit der Waffe also, das viel größere Problem, seien wir mal ehrlich – aber gelöst habe ich es dann trotzdem. Da war ich ja, für einen Moment, schon beinahe ein bisschen stolz auf mich – und muss zugeben, in meiner speziellen Situation und für mein Vorhaben, war das ja schon fast ein bisschen kontraproduktiv. So ganz plötzlich stolz auf mich zu sein, aber das habe ich also auch hinter mich gebracht. Verdrängt, sozusagen, dass kann man ja, damit ist man doch groß geworden, mehr oder weniger. Damals, auf dem Land, oder ein bisschen auch später dann, in der Großstadt. Verdrängung, also, was soll ich sagen – funktioniert prima.
Dann saß ich also da, mit dieser Waffe, ich weiß auch nicht, die war irgendwie so – ja, schwer? Also, schwerer als ich sie mir vorgestellt habe. Dafür nicht so kühl, ich meine, das liest man doch immer, oder, wie die Leute ihre Lippen um den kühlen Schaft einer Kanone schließen. Ich habe das ja sowieso nie verstanden, was das plötzlich soll, mit diesem lasziv angedeuteten Vorspiel, bevor es dann knallt – zack, abgedrückt… und Ruhe. Aber vorher, ja, da will doch der Zuschauer/Leser noch mal kurz was jucken spüren, so stelle ich mir das doch vor. Da sitzt so ein Drehbuchautor, der sich denkt, da soll es doch die Damen noch mal jucken und den Herren noch mal hochsteigen, bevor dann das Blut von innen so, platsch! – gegen die Mattscheibe gefeuert wird. Und das Gehirn, so, aber erstmal – Vorspiel? Pervers ist das doch. Also, wenn Sie mich fragen…
Da sitze ich nun also mit meiner Waffe und meinem Vorhaben, in dieser Welt, die, ich weiß nicht, wie soll ich das erklären? Ich verstehe sie eben einfach nicht mehr, so ist das wohl, ich komme da nicht mehr mit. Mir ist das alles, na ja, zuviel geworden klingt nach aufgeben, das trifft es aber nicht wirklich, es ist mehr so ein – Ausstieg, wäre vielleicht passend. Ich meine, wir steigen doch jetzt auch aus der Atomenergie aus, es gibt eben so Dinge, die haben sich überlebt, die muss man aufgeben – so geht es mir wohl mit mir. Und deswegen nun also die Waffe, die ist schwarz und schwer, aber nicht kühl. Und ich will sie bestimmt nicht in den Mund nehmen. Nein, also das mit dem Vorspiel, das spare ich mir, das habe ich mir fest vorgenommen. Auch kein Nachspiel, also, keinen heulenden Brief oder so, das ist doch albern, das habe ich doch alles auch gar nicht nötig, ich will nur – zack, und abgedrückt; und dann eben Ruhe, ja, aber das versteht sich doch von selbst. Was sich aber nicht wirklich von selbst versteht, das muss ich doch mal erwähnen, ist diese Waffe, also, ganz ehrlich – es ist ja nicht so, als ob da eine Gebrauchsanweisung beiläge, schon gar nicht, so wie ich sie gekauft habe. Und wenn schon, dann sicher keine zum Selbstmord, die bräuchte ich aber, ich meine, ich bin mir nicht mal sicher auf welche Stelle des Kopfes ich zielen muss? Oder aus welcher Entfernung? Und wie gesagt, nein, in den Mund nehmen, das kommt einfach nicht in Frage für mich… nein.
Ich beschließe also, mir helfen zu lassen, online, also, wozu gibt es schließlich das Internet? Und gebe bei Google „Selbstmord“ und „Kopfschuss“ ein. Das sind dann, also, was soll ich sagen, doch seltsame Seiten, auf die ich dabei stoße. Da will einer wissen, ob ich als Selbstmörder den Schuss noch höre, den ich abfeuere, quasi, den tödlichen? Und um Morde geht es, ganz klar, da sind Aufklärer am Werk. Soldaten und Depressive scheinen ebenfalls sehr interessiert am Thema, nein – wie soll ich sagen, hier komme ich wohl, nein, hier komme ich nicht weiter. Und auch nicht mit der Bildersuche, nein, da lande ich nur bei Desperate Housewives und Kurt Cobain, das war doch ein ganz hübscher Kerl, irgendwie, aber nein – hilfreich ist auch das nicht. Ich setze dann also die Waffe ohne Anleitung an, ich meine, das muss doch irgendwie zu schaffen sein, da bin ich mir ganz sicher, zumal, das erwähnte ich ja eingangs schon, man die Situation doch schon hunderttausend Mal im Fernsehen gesehen hat – und da, also, da haben die das doch auch alle hinbekommen. Also zack, und abgedrückt – und oh Gott, was soll ich sagen, irgendetwas stimmt wohl nicht mit dieser Waffe. Oder sollte ich tatsächlich nichtmal dazu in der Lage sein, mir den Kopf wegzuschießen? Also, jedenfalls, etwas war gerade sehr laut – und nun riecht es so seltsam und. Oh Gott, ist das Blut, ich glaube, es ist Blut. Etwas läuft aus meinem Kopf, aber ich, ich kann die Farbe nicht erkennen, es – oh mein Gott! Ich glaube, ich bin blind, ich, zuerst waren nur die Farben weg, aber dann, also, ich, ich sehe nur noch Schlieren und, und…
„Scha-hatz, Essen is’ fertig, kommst du runter?“
Kleinen Moment noch…
