Als die damals Verantwortlichen des 1. FSV Mainz 05 am 10. November 2019 die Trennung von ihrem Cheftrainer Sandro Schwarz verkündeten, erklärte Rouven Schröder, der Schritt sei „eine Niederlage, die alle Verantwortlichen betreffe“. In der Pressekonferenz an jenem Sonntag ließ der einstige Sportvorstand sich nur so halb entlocken, wer bei den intensiven Gesprächen, an deren Ende laut Vereinsmitteilung die „einvernehmliche Trennung“ stand, den entscheidenden Schritt gemacht hatte. Letztlich fühlte sich das Auseinandergehen an, wie das Ende eines Abnutzungskampfes, in dem viele Fehler passiert waren.
Der einstige Spieler Schwarz, bei Amtsantritt von den älteren Fans – damit meine ich nicht qua Personalausweis, sondern in Sachen Vereinszugehörigkeit – begeistert aufgenommen, hatte sich im erweiterten 05-Umfeld nie den Rückhalt erarbeiten können, der nötig schien, damit dieses sich in einer echten Krise geschlossen hinter ihn stellte. Der Vorwurf dafür ging damals an die Vereinsführung, die es in turbulenten Zeiten nicht geschafft hatte, den Coach zu befreien vom vermeintlichen Makel, mit der Zweiten Mannschaft aus der 3. Liga abgestiegen zu sein. Immer wieder wurde Schwarz von außen darauf reduziert.
Wie ein Autounfall, der zum zweiten Mal passiert
Als Schröder & Co. damit begannen, den Trainer fürs Umfeld zum einen sichtbar zu stärken, ihn zum anderen aber mit den Anhänger*innen unter anderem bei einem Fanabend in den Austausch zu bringen, war es bereits zu spät. Das in Teilen schwierig gewordene Umfeld des Clubs verweigerte sich dem Zusammenhalt – und Schröder benannte genau das bei jener PK im November 2019 als einen der Gründe, warum es gemeinsam nicht weitergehe.
In gewisser Weise fühlen sich die letzten Wochen an, als habe man denselben Verkehrsunfall ein weiteres Mal beobachtet. Allerdings unter völlig anderen Vorzeichen, was die Sache noch unverständlicher macht. Schröder musste sich nach der Trennung von Schwarz den Vorwurf gefallen lassen, er sei vom „Mainzer Weg“ abgewichen, nachdem er sich diesem doch einige Jahre zuvor scheinbar auch verpflichtet hatte, als er nämlich nach fünf Niederlagen am Stück im Saisonendspurt an Trainer Martin Schmidt festhielt und man so den Klassenerhalt schaffte.
Die Parallelen der Entwicklung zu 2019 sind auffällig
Im November 2023 sind bei Mainz 05 aber Menschen in der Verantwortung, die den Mainzer Weg quasi erfunden haben. Und natürlich kann man nach der offiziellen Kommunikation der letzten Stunden sagen, dieser wurde doch gar nicht verlassen, denn was können Heidel und Schmidt dafür, dass Bo Svensson von seinem Amt zurücktritt. Die Frage muss aber doch sein, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Und da sind die Parallelen zu 2019 frappierend.
Wer den zunehmend mitgenommenen Svensson in den zurückliegenden Wochen, ob analog oder digital, bei den Pressekonferenzen erlebte, stellte sich irgendwann die Frage, wieso der Trainer auf dem Podium keine Unterstützung erhielt. Es ist in unruhigen Zeiten schließlich nicht unüblich, dass auch ein Sportverantwortlicher dort Platz nimmt, um Fragen abzufedern, die sich um die Zukunft des Coaches drehen. In der Mitgliederversammlung hat Christian Heidel am Montag gesagt, kein Journalist traue sich, ihm die Trainerfrage zu stellen. Seinem Coach aber wurde sie permanent gestellt, anfangs in Sachen Verlängerung des Vertrages, später in der Erwartung, er möge die eigene Tauglichkeit bewerten. Warum hat man ihn mit diesem Thema Woche für Woche alleine gelassen?
Svensson und Schwarz: Selbst ihre stärksten Kritiker
Was Svensson und Schwarz typmäßig sicherlich eint, ist die Tatsache, dass keine Kritik oder Analyse von außen härter mit ihnen umspringen kann als jene, die beide im Inneren selbst anlegen. Das Gefühl, vollumfänglich für eine Situation verantwortlich zu sein und in einer Krise immer wieder zuerst und mit voller Härte bei sich selbst anzusetzen, kann lähmend sein. Es ist eine Lähmung, die sich bei beiden Trainern in der Schlussphase ihrer Tätigkeit bei Mainz 05 beobachten ließ – und aus der ihnen nicht herausgeholfen wurde.
Natürlich kann man in beiden Fällen auch trefflich darüber streiten, ob die Trennungen nicht notwendig waren, ob neue Impuls nicht doch hilfreich sind, ob die These von einem Mainzer Weg, der beinhaltet, gemeinsam in die Krise hinein und aus ihr herauszugehen im heutigen Fußball einfach keinen Platz mehr hat. Man kann sich dann aber auch fragen, was die Identität eines Clubs wie Mainz ausmachen soll, wenn nicht diese inneren Besonderheiten. Und auf diese Frage sollten die Verantwortlichen möglichst ein paar Antworten finden. Denn wenn selbst Bo Svensson, der sich seit 16 Jahren als 05er versteht, der den Verein mit jeder Faser seines Wesens lebt, der ihn aus einer schier unmöglichen Situation im Winter vor drei Jahren gerettet hat, wenn also selbst dieser Trainer und Mensch im erweiterten Umfeld des Clubs in der ersten ernsthaften Krise seiner Amtszeit so wenig Kredit hat, wie zuletzt zu beobachten war: Wer hat hier dann überhaupt noch über eine guten Tag hinaus Kredit?
Und natürlich spielt die Frage nach diesem Kredit eine Rolle für das, was passiert ist, denn es braucht nun wirklich niemand glauben, dass ein Trainer zurücktritt, der spürt, er ist getragen im Vertrauen und es gibt eine Basis für den gemeinsamen Weg aus der Krise.
Woher soll die notwendige positive Wucht kommen?
Als Christian Heidel im Dezember 2020 zurückgekehrt ist zu 05 hat er offen darüber geredet, wie verändert er das Umfeld des Clubs wahrnehme. In seiner Amtszeit seither betont er ab und an, die Fans hätten sich wieder hinter 05 versammelt, er nehme in der Stadt eine ganz andere Stimmung hinsichtlich des Vereins wahr. Am Montag bei der Mitgliederversammlung bedankte er sich sogar für das gute Gespür der 05-Anhänger*innenschaft in der schwierige Situation. Das klang da schon, als sei der Wunsch Vater dieses Gedankens. Der Vergleich zur Lage des Vereins kurz vor der Trennung von Schwarz wurde an jenem Abend auch gezogen, allerdings von Fanseite. Die Verantwortlichen selbst können ihn vielleicht nicht ziehen, weil sie damals nicht in Verantwortung waren und sich die Vorgänge im Nachhinein womöglich nicht erarbeitet haben. Anders jedenfalls ist nur schwierig zu erklären, wieso niemandem die Parallelen aufgefallen sind, als die Sache noch zu retten gewesen wäre.
Nach der Trennung von Schwarz haben es die Spieler um Kapitän Danny Latza damals geschafft, sich aus dem Gefühl der Ohnmacht zu befreien, ihren Trainer komplett im Stich gelassen zu haben – und eine kurzzeitige Leistungsexplosion hingelegt. Langfristig war die Trennung von Schwarz dennoch der Auftakt in eine in der 1. Liga beispiellose Vereinskrise im Innen und Außen, die erst gestoppt wurde, als Christian Heidel, Martin Schmidt und Bo Svensson wieder zu Mainz 05 kamen. Damals war es die ungebremste Euphorie über die Rückkehr der drei Identifikationsfiguren, von der die Kraft ausging, diese schier ausweglose Krise gemeinsam zu meistern.
Wovon genau soll eine ähnliche positive Wucht, die ja zweifellos nötig ist, jetzt ausgehen? Es ist eine Frage, auf die Antworten besser gestern als heute gefunden werden müssen. Ebenso wie auf diese: Wenn die Ansage lautet, der Verein steht über allem und allen – was ja nicht falsch ist: Wofür genau möchte Mainz 05 in Zukunft stehen?