In der Sammlung aus Texten, die teilweise zuvor in ihrem Blog erschienen sind oder die sie speziell für das Buch geschrieben hat, findet die Mutter zweier Söhnen jede Menge humorige Beispiele für unsinniges Elternverhalten, aber natürlich – bei aller Übernächtigung – vor allem einen liebevollen Sinn im Leben mit Kids. Auch Themen wie der Verlust eines Kindes während der Schwangerschaft, die noch viel zu oft tabuisiert werden, fasst sie sehr behutsam an und bringt sie zu Papier.
Über all diese Dinge schreibt Harmonika auch regelmäßig in der Brigitte MOM oder gibt Einblicke bei Instagram. Wer ihr dort folgt, weiß, inzwischen wird ihre Familie von Mitgliedern verstärkt, die vier Pfoten von sich strecken, während sie ihre Schnurrhaare putzen.
Mittlerweile hat Litzenburger, wie das kreative Multitalent im so genannten echten Leben heißt, den schmucken Verlag VERYFATBOOKS gegründet, in dessen Büchern nach eigenen Angaben immer „10 Prozent mehr Liebe als in herkömmlichen Konkurrenzprodukten steckt“.
Erschienen ist hier nicht nur ihr Erstling in feiner neuer Optik mit einem gestalteten Cover von Katharina Madesta, sondern auch das von Harmonika verfasste und von Madesta kongenial bebilderte Kinderbuch „Meine ersten Flachwitze“.
Das Buch bedient die logische Tatsache, dass kleine Kinder nun mal vorgelesen bekommen – und denkt deswegen nicht nur an seine junge Zielgruppe, sondern auch die vorlesenden Eltern und anderen Bezugspersonen. In klugen, witzigen und eingängigen Reimen werden die Lesenden und die Lauschenden von einer Begegnung mit herrlich sonderbaren Wesen zur nächsten geführt. Dabei merken sie in schlichter Magie, welche Macht jeder Buchstabe hat.
So klammert sich in Litzensburgers Buch und wundervoll gestaltet von Madesta beispielsweise das Brühwürmchen an seiner Kaffeetasse fest. Ein paar Seiten weiter kaut die Plapperschlange ihrem Gegnüber am Telefon beide Ohren ab, bevor eine schmollende Nöwe die Leserschaft zum Lachen bringt. Begleitend zum Buch gibt es putzige Kartenmotive zum Ausmalen, auf denen die kleinen Leser*innen den Figuren aus dem Buch wieder begegnen.
Um herauszufinden, welches erstaunliche Tier am Ende beim Einschlafen hilft, am besten gleich beim Verlag vorbeischauen und das Buch bestellen. Eignet sich auch prima zum Verschenken.
In einem seiner seltenen Einwürfe auf Twitter betont Thomas Tuchel im April 2020, dass er an der zu seiner Person erschienenen Biografie weder mitgearbeitet, noch sie autorisiert habe. Man will dem Trainer, dessen Profikarriere beim 1. FSV Mainz 05 begann, da gerne zurufen, dass weder die abgelehnte Mitarbeit eine kluge Entscheidung war, noch die Distanzierung eine solche ist.
Bei Daniel Meuren, der Tuchel in seiner Mainzer Zeit als Journalist begleitet hat, und Tobias Schächter, der ihm als Spieler zu Regionalligazeiten begegnete, wäre Tuchel in guten Händen gewesen. Die bisherige Laufbahn ist es auch ohne seine Unterstützung, wobei die im Verlag Die Werkstatt erschienene Betrachtung „Thomas Tuchel – Die Biografie“ sicher von persönlichen Gesprächen mit dem taktischen Mastermind noch profitiert hätte.
Das Gefühl, Einblicke in Tuchels sportliche Denke und in die Herangehensweise an seinen Job zu bekommen, stellt sich beim Lesen dennoch ein. Das liegt vor allem daran, dass Meuren den Trainer während seiner Arbeit in Mainz in regelmäßigen Medienrunden erlebte, aus denen er einerseits seine Eindrücke von der Person Thomas Tuchel speist und zum anderen Zitate ins Buch einfließen lässt.
Gerade in der Betrachtung der Zeit beim FSV gerät der Umstand, dass Tuchel für Gespräche bei der Arbeit an dem Buch nicht zur Verfügung stand, teilweise völlig in Vergessenheit. Das ist auch der lebendigen Schreibe des Autorenduos zu verdanken. Wenn sie Tuchel zu Beginn seiner Trainerkarriere im Profibereich zitieren, legen die Worte des damals 35-Jährigen die Basis für die weitere Betrachtung seines Wirkens im Buch:
„Ich habe vom ersten Tag an bei Mainz 05 Rückendeckung und Wertschätzung für mich und meine Arbeit gespürt.“
Thomas Tuchel
Die Wertschätzung ist, so liest es sich, essentiell für den Trainer, der überall da besonders aufblüht, wo sie ihm entgegengebracht wird. Gleichzeitig ergibt sich bei der Lektüre dieser Biografie das Bild eines Menschen, der für Sympathien keine Kompromisse eingeht, wenn es um seine Werte oder die eigene Jobauffassung geht. Was nicht bedeutet, dass ihm menschliche Differenzen egal sind, er setzt nur andere Prioritäten. Das bekamen auch in ihren Vereinen verdiente Spieler zu spüren, deren Ansprüche auf Einsätze er auf ihre Leistung herunterbrach – und nicht erfüllte.
Wertschätzung gegenüber dem Menschen
Tuchel ist niemand, der sich darum bemüht, beliebt zu sein, das gibt sein Fokus nicht her. Im Job zweimal auf den so emotionalen Jürgen Klopp gefolgt zu sein, kann deshalb für den Schwaben keine leichte Aufgabe gewesen sein. Meuren und Schächter betrachten die Schwierigkeiten, die Tuchel beim BVB – neben dem sportlichen Erfolg – bald hatte, mit wohltuender Distanz und sie verlieren dabei niemals die Wertschätzung gegenüber dem Menschen.
Es mag ein „Mainzer Blick“ auf Thomas Tuchel sein, der beim FSV Spieler und Trainer geprägt und den Verein in ungeahnte Tabellenregionen geführt hat. Unkritisch ist er nie. Anzumerken ist ihm die wohltuende Bereitschaft zur Differenzierung, die vielen bei der Betrachtung Tuchels abgeht.
So schnell, wie sich das Rad hinsichtlich der Karriere von Thomas Tuchel weiterspinnt, wäre schon bald die Zeit für eine Neuauflage und Fortschreibung gekommen. Vielleicht lässt Tuchel sich ja im zweiten Versuch darauf ein, Teil dieses guten Projekts zu werden. Es würde sich für alle Beteiligten lohnen. Auch in der vorliegenden Fassung gibt’s eine klare Leseempfehlung.
Ein halbes Jahr ist es her, dass Vergiftete Hoffnung im Societäts-Verlag erschienen ist. Es war ein halbes Jahr, in dem ich keine Lesungen halten konnte, in dem das Buch deshalb auch viel weniger sichtbar war, als 2018 der Vorgänger Im Schatten der Arena. Im März veröffentliche ich deshalb vier Ausschnitte aus dem 05-Krimi. Begleitet werden diese von den eingelesenen Kapiteln.
Auf wen wartet er bloß? Ungeduldig trippelt Jo von einem Fuß auf den anderen. Ihr ist mittlerweile richtig kalt. Sie widersteht der Versuchung, ebenfalls einen Schirm zu holen, obwohl sie weiß, im Kofferraum ihres Autos liegen gleich mehrere Exemplare. Aber sie will hier auf keinen Fall etwas verpassen. Wieder springen die Fußgängerampeln auf Grün, wieder zuckt Jo bei dem Geräusch erschreckt zusammen. Dann nimmt sie wahr, wie sich eine Person aus der Traube löst, die auf Höhe der Kneipe „Schick und Schön“ aus der Boppstraße kommend die Kaiserstraße überquert.
Sie kneift die Augen zusammen, um zu erkennen, ob die Silhouette sich auf Rainer Böttinger zubewegt. Tatsächlich. Doch bisher kann sie nicht sehen, wer da forschen Schrittes in ihre Richtung läuft, zumal ein großer, schwarzer Schirm Gesicht und Oberkörper der Person verdeckt. Böttinger hat Jo den Rücken zugedreht. Als er wahrnimmt, wer auf ihn zukommt, tritt er eilig seine brennende Zigarette aus und klappt den Kinderschirm zusammen. Ist ihm der etwa peinlich?
In gebückter Haltung schleicht Jo ein paar Meter an der Mauer entlang. Als sie den Kopf hebt, hat die Person mit dem Schirm diesen ebenfalls zugeklappt und schüttelt Rainer Böttinger lächelnd die ausgestreckte Hand. Jo starrt auf seinen Rücken und es kommt ihr vor, als könne sie sein breites Grinsen sehen. Was für ein schleimiger Kotzbrocken du bist. Sie knirscht wütend mit den Zähnen. Die Frau, der ihr Vater gerade fast in den Ausschnitt fällt, ist sehr groß, sehr schlank und sehr schön. Jo ist sich relativ sicher, sie noch nie gesehen zu haben. Mit klammen Fingern fischt sie in der Hosentasche nach ihrem Handy und versucht, damit ein Foto von den beiden zu machen. Ziemlich verwackelt, aber wer die Frau kennt, würde vielleicht etwas damit anfangen können.
Das Auto, das mit quietschenden Reifen neben den beiden hält, hat ein auswärtiges Kennzeichen. Jo kneift die Augen zusammen, um die Buchstaben entziffern zu können. LDS. Nie gehört. Sie tippt sie in ihren Chatverlauf mit Anda, als sich die Fahrertür des Porsches öffnet und Rolf Böttinger aussteigt. Ihr Halbbruder. Schon wieder. Das wird ja noch ein richtiges Familientreffen hier. Rolf läuft ums Auto herum und reißt die Bei- fahrertür auf. Eine leicht verhuschte junge Frau steigt aus. Er redet wild auf sie ein und drückt ihr die Schlüssel in die Hand. Zögernd geht sie zur Fahrerseite und steigt wieder ins Auto. Rolf klopft auf die Motorhaube und ruft etwas in Richtung seines Vaters, die beiden Männer lachen. Dann gehen sie zusammen mit der Unbekannten in das Gebäude hinein.
Jo wartet einen kleinen Moment, bis sie sich vor den Eingang traut. Von den Dreien ist nichts mehr zu sehen. Sie zögert. Soll sie ihnen einfach ins Gebäude folgen? Mit klopfendem Herzen läuft sie ein paar Stufen die Treppe hinauf. Vor dem Eingang steht ein Typ mit einer Security-Weste. Sie duckt sich rasch und schleicht wieder zurück. Neben dem Haupteingang führt ein Durchgang in den Hof hinter dem Gebäude. Jo erinnert sich, dass im Keller eine Zeitlang Konzerte und Festivals stattgefunden haben, bevor das Gebäude für die Geflüchteten umgebaut worden ist. Irgendwelche Idioten hatten deshalb gegen die neue Nutzung mit Schildern protestiert, auf denen „Partypeople yes, Boatpeople no“ zu lesen war. Jo schnaubt verächtlich. Was für Arschlöcher manche Leute einfach sind.
Im Hof braucht sie eine Sekunde, um sich zu orientieren. Zu ihrer Linken ist der Teil des Gebäudes, in dem die Verwaltung und die Gemeinschaftsräume untergebracht sind, das hat sie auf dem Plan auf der Homepage gesehen. Sie bleibt zögernd stehen. Einige der Verwaltungsräume sind im Sousparterre. Was, wenn die drei dort unten sind und durch einen blöden Zufall ihre Füße sehen, wenn sie da entlangläuft? Jo entfernt sich ein paar Meter vom Gebäude und duckt sich zwischen die Autos, die hier parken. In der Hocke bewegt sie sich langsam zwischen den Reihen und späht rüber zu den tiefliegenden Fenstern. In einem der Räume brennt Licht. Sie hält den Atem an und krabbelt rüber zum Haus, vorsichtig darauf bedacht, nicht in das Sichtfeld der Menschen in dem beleuchteten Raum zu kommen.
Jo kniet an die Wand des Gebäudes gepresst ein Stück neben dem Lichtkegel und lugt vorsichtig zwischen den Gitterstäben vor dem Fenster hindurch. Bingo. Die drei sind in dem Zimmer. Die Männer stehen mit dem Rücken zu ihr, die Frau in ihre Richtung, aber sie ist ganz auf die vierte Person konzentriert, die zusammengekauert auf einem Stuhl hockt. Jo rutscht ein Stück näher an die Gitterstäbe. Sie realisiert, dass die Fenster gekippt sind und dreht den Kopf, um zu hören, was da unten vor sich geht. Aber sie kann nichts verstehen.
Fuck man, redet doch mal ein bisschen lauter. Die beiden
Männer treten ein Stück von dem Stuhl weg und Jo sieht, dass
es eine junge Frau ist, auf die alle drei derart heftig einreden.
Sie kommt ihr vage bekannt vor, ohne, dass sie sagen könnte,
woher. Ihr Halbbruder schreit nun heftig auf das Mädchen ein,
die mit starrem Blick an ihm vorbeisieht. Plötzlich schnellt
seine Hand vor und er reißt an ihren langen, pechschwarzen
Haaren. Jo unterdrückt einen Schrei. Sie sieht sich um. Was,
wenn sie einen Stein oder sowas gegen das Fenster tritt, um die Runde da unten aufzuscheuchen?
„Was machen Sie denn da?“ Die Stimme bricht aus dem Nichts in Jos Gedanken. Sie fährt erschrocken herum und sieht den Mann mit der Weste hinter sich stehen. Fuck.
Ein halbes Jahr ist es her, dass Vergiftete Hoffnung im Societäts-Verlag erschienen ist. Es war ein halbes Jahr, in dem ich keine Lesungen halten konnte, in dem das Buch deshalb auch viel weniger sichtbar war, als 2018 der Vorgänger Im Schatten der Arena. Im März veröffentliche ich deshalb vier Ausschnitte aus dem 05-Krimi. Begleitet werden diese von den eingelesenen Kapiteln.
Beim Frühstück hängt Luca über der Spieltagsseite der AZ und versucht, die Namen der erwarteten Aufstellung zu lesen. Einige kann er schon völlig eigenständig entziffern, bei manchen braucht er Hilfe. Wieder andere kann er nicht wirklich lesen, hat sich aber die Reihenfolge der Buchstaben wie ein Bild gemerkt und trägt sie deshalb besonders selbstbewusst vor. „Mama. Schöbamäh spielt, hast du gesehen.“ „Ja. Und Brosinski.“ Der Name seines Lieblingsspielers gehört zu jenen, die Luca weder lesend noch erinnernd erkennt, was ihn sehr ärgert. Jo hat es sich deshalb zur Angewohnheit gemacht, ihm den Außenverteidiger immer direkt aufzuzeigen. Luca nickt wissend und Jo beobachtet liebevoll, wie er nach dem Namen eines zweiten Außenspielers sucht. Schließlich entdeckt er Donati und schaut sie mit hochrotem Kopf an. „Du, Mama, wenn Tschullio dabei ist, dann spielt Brosi heute wohl auf links.“
Jo nickt und lächelt. „Das denke ich auch, Cookie. Und weißt du denn, was heute etwas Besonderes ist bei dem Spiel?“ Luca strahlt. Nonna hat ihm am Freitag das Interview seiner Mutter mit Danny Latza vorgelesen. „Latza muss heute schon vier Tore schießen, damit er besser ist als letztes Mal.“ Jo lacht. „Das wird glaube ich schwierig, Schatz.“ „Aber nicht unmöglich, Mama. Benni Auer hat auch mal vier Tore für uns geschossen. Aber wir sind trotzdem nicht aufgestiegen, leider, leider.“ Er sieht sie aus großen Augen an. Jo beugt sich vor und küsst ihren Sohn auf die Stirn. Es ist schwer zu erklären, wieso es sie derart rührt, dass er Fußballerlebnisse aus dem Ärmel schütteln kann, bei deren Entstehung er nicht einmal geboren war. Aber sie spürt eine heiße, heftige Liebe in ihrer Brust aufflammen und würde Luca am liebsten nie mehr loslassen. „Stimmt doch, Mama, oder?“ Jo lächelt ihn an. „Stimmt absolut. Du bist so klug.“
Luca beobachtet sie angestrengt. „Aber du meinst was anderes. Oder, Mama? „Jein. Latza ist etwas ganz Besonderes für das Spiel heute, das stimmt. Aber überleg mal, wer noch?“ Sie breitet die Arme neben dem Körper aus und schwingt sie auf und ab. „Kackt uns eine Taube auf den Kopf?“ Luca rümpft die Nase. „Nein, du Quatschkopf. René Adler steht heute bei uns im Tor – und der hat lange für den HSV gespielt.“ Luca ist nicht beeindruckt. „Ach sooo. Aber Mama, das interessiert den doch gar nicht mehr. Der ist ja jetzt Mainzer.“
Luca soll mit seiner zuversichtlichen Einschätzung falsch liegen, der langjährige HSVer René Adler scheint an diesem Nachmittag sehr beeindruckt davon, zum ersten Mal gegen seinen Ex-Verein zu spielen. Weil aber Maxim die Mainzer nach nur zwei Minuten in Führung bringt, fällt die deutliche Unsicherheit des Schlussmanns erstmal nicht ins Gewicht. Luca bejubelt beim Tor weniger den Schützen als den Vorlagengeber: Donati. „Hast du gesehen, das war Tschullio!“, erklärt er strahlend Stefan, der seit vielen Jahren neben ihm im S-Block steht. „Ja, das hat er prima gemacht“, nickt der. „Aber für Maxim war es das erste Tor für Mainz 05, wusstest du das?“ Luca sieht auf die Anzeigetafel, die den Treffer für einen Moment festhält. „Eeehrlich? Das allererste?“ Stefan nickt.
„Mama. Gell, Maxim kommt aus Rumanien.“ „Rumänien, Luca. Und schau mal, jetzt hat Hamburg den Ball.“ Der Dotz umfasst mit beiden Händen einen Wellenbrecher, legt den Kopf darauf ab und beobachtet, wie der Ball zwischen den Mannschaften hin und her geht. Hamburg scheint gerade ein wenig die Oberhand zu bekommen. „Mama, hilf mir mal.“ Er hängt nun halb unter dem Wellenbrecher, beide Füße darum geklammert. Jo hievt ihn auf die Stange, damit er besser sieht. „Hast du hinter dir gefragt, ob das okay ist?“ Luca dreht sich zu dem Ehepaar in seinem Rücken. „Seht ihr noch was?“ Die beiden rücken ein wenig nach außen und schauen nun links und rechts an ihm vorbei. „So geht es.“
Jo holt tief Luft und lächelt in sich hinein. Sie weiß nicht, wie die beiden heißen, wohl aber, dass sie verheiratet sind. Sie hat keine Ahnung, wo sie leben oder was ihre Jobs sind, aber sie weiß ohne Zweifel, ihre Herzen schlagen für Mainz 05. Sie könnte nicht sagen, ob sie Geschwister haben, an Gott glauben oder in der freien Zeit gerne schwimmen gehen, aber sie hat mit ihnen in den letzten Jahren Momente der Nähe geteilt, wie sie sie sonst nur mit engen Freunden oder vertrauten Familienmitgliedern erlebt.
Das Stadion ist ein magischer Ort und die Begegnungen, die sie dort alle zwei Wochen erlebt, sind mindestens so wichtig, wie das Geschehen auf dem Platz. Sie dreht sich zur Seite, um Lucas Gezappel auf dem Wellenbrecher und Stefans so konzentriertes Gesicht gleichzeitig beobachten zu können. Deswegen ahnt sie, was auf dem Spielfeld passiert sein muss, bevor Klaus Hafners sonore Stimme es ihr über die Stadionanlage mitteilen kann: der Ausgleich.
„Mama. Der große Mann ohne Haare hat ein Tor geschossen, weil Stefan Bell nicht richtig aufgepasst hat.“ Luca schaut vorwurfsvoll, und an der Seitenlinie rastet Sandro Schwarz mit dem ganzen Körper aus. Er geht zu Co-Trainer Jan-Moritz Lichte, der die Ersatzspieler alle auf einmal zum Aufwärmen schickt. Jo grinst. „Stimmt, Schatz. Da sah Bell nicht gut aus.“ „Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt, Mama.“ Der strenge Ton ihres Sohnes kitzelt ihr Lachzentrum noch mehr als seine leicht altkluge Einschätzung zu Stefan Bells Schnarcherei vor dem Gegentreffer. Sie schielt ein wenig neidisch auf das Bier ihres Nebenstehers und schüttelt sich. „Tut mir echt leid, Cookie. Es war so ein doofes Tor, manchmal muss man auch lachen, weil etwas besonders doof war.“ „Meinst du, René Adler hat jetzt eine Herzspaltung? Weil er doch immer noch in Hamburg wohnt.“ Die Tatsache, dass der Torwart nicht Haus und Hof an der Elbe für die zwei Jahre in Mainz aufgegeben hat, macht ihrem Sohn zu schaffen. „Ich denke nicht, Cookie. Aber vielleicht ist er schon besonders nervös heute. Stell dir mal vor, du müsstest bei Skribb.lio gegen Nonna und mich ran.“ Das grob an die Montagsmaler angelehnte Onlinespiel zocken sie neuerdings zu dritt gegen Lucas Freund Emil, dessen älteren Bruder und seine Mutter. „Ui, Mama, das wäre sehr kompliziert in mir drin.“ Er schlägt sich leicht mit der Faust gegen die Brust. „Siehst du. Und so geht es René Adler gerade.“
Ein halbes Jahr ist es her, dass Vergiftete Hoffnung im Societäts-Verlag erschienen ist. Es war ein halbes Jahr, in dem ich keine Lesungen halten konnte, in dem das Buch deshalb auch viel weniger sichtbar war, als 2018 der Vorgänger Im Schatten der Arena. Im März veröffentliche ich deshalb vier Ausschnitte aus dem 05-Krimi. Begleitet werden diese von den eingelesenen Kapiteln.
„Mama?“ „Was denn, Cookie?“ „Möchtest du ein Mädchen oder einen Jungen?“ „Ich bin mit dir ganz zufrieden.“ „Orrr. Mama. Ich meine die Katze.“ „Da bin ich mit Obama ganz zufrieden.“ „Mama. Du bist unmöglich.“ Jo betrachtet den zappelnden Luca im Rückspiegel und muss über seine offensichtliche Ungeduld lachen.
„Hör mal, Cookie. Ich habe dir das mit der Katze noch nicht fest versprochen, okay? Es ist also nicht gesagt, dass wir da gleich mit einem neuen Mitbewohner aus dem Tierheim rausgehen.“ „Es ist aber auch nicht gesagt, dass wir es nicht machen.“ Jo grinst. „Also, willst du ein Mädchen oder einen Jungen, Mama?“ „Ich bin mit meinem Jungshaushalt eigentlich ganz zufrieden. Du, Obama und ich – das klappt ganz gut, was meinst du?“
„Und Hans.“ „…“ „Mama?“ „Hm?“ „Warum hast du ein eigenes Zimmer und ich habe ein eigenes Zimmer und Hans hat kein eigenes Zimmer? Er weiß gar nicht, wo er seine Sachen hintun soll, wenn er bei uns ist.“ „Hat er das gesagt?“ Luca grübelt angestrengt. „Cookie?“ „Du darfst nicht mit ihm schimpfen.“ „Wieso sollte ich mit Hans schimpfen?“ „Er sagt, du bist sauer, wenn er ein eigenes Zimmer will.“ „Sagt er das, hm.“ Nicken. „Schau mal, Luca, als wir in die Wohnung gezogen sind, da gab es Hans doch noch gar nicht. Erinnerst du dich?“ „Ja. Da gab es Jonas.“ Jo beißt sich heftig auf die Unterlippe. „Stimmt, da gab es Jonas.“
Die plötzliche Erwähnung ihres besten Freundes versetzt ihr einen Stich. Sie macht eine mentale Notiz, in den kommenden Tagen zu seinem Baum im Friedwald zu fahren. „Jonas hatte auch kein eigenes Zimmer, Mama.“ „Nein. Er hatte eine eigene Wohnung. Genau wie Hans.“ „Hast du ein Zimmer in Hans’ Wohnung?“ „Nein. Die ist dafür auch viel zu klein.“ „Und unsere ist zu klein für ein Hans-Zimmer.“ „Stimmt.“ Luca zwirbelt mit den Haaren in seinen Locken. „Mama.“ „Was denn, Cookie?“ „Hättest du gerne eine andere Wohnung?“ „Wie meinst du das?“ „Eine für uns alle. Mit Hans?“ „Hättest du das denn gerne?“
Jo fährt auf den Stellplatz neben dem Tierheim und dreht sich zu ihrem Sohn um. Luca betrachtet angestrengt seine Nägel, von denen die dunkelgrüne Farbe schon fast vollständig abgeblättert ist. Sie macht eine weitere gedankliche Notiz, schwarzen Lack zu besorgen. Den hat er sich als nächstes gewünscht und sie weiß, der Zwerg wird sie an die alte Farbe nicht ranlassen, ohne, dass sie neue besorgt hat, die sie ihm anschließend aufträgt.
„Ich mag Hans echt gerne, Mama.“ Sie drückt ihrem Sohn die feuchte Hand. „Ich auch.“ „Aber ist es okay, wenn ich keine andere Wohnung will? Auch, wenn Hans dann traurig ist?“ Jo quetscht sich so gut es geht zwischen den Sitzlehnen hindurch, um Luca zu umarmen. „Natürlich ist das okay, Cookie.“ Er schnieft. „Und Hans ist auch gar nicht traurig.“ „Doch.“ „Nein. Mach dir keine Sorgen.“ „Aber er hat es mir gesagt.“ Jos Herz setzt einen Schlag aus. Sie nimmt das Gesicht ihres Sohnes in beide Hände. „Was hat er gesagt?“ „Dass er traurig ist, weil er nicht bei uns wohnen darf.“ Zähneknirschen. „Als du weg warst.“ „Cookie. Das war nicht in Ordnung von Hans.“ „Du darfst nicht mit ihm schimpfen.“ Etwas in Jos Brust explodiert. „Werde ich nicht, versprochen. Aber du darfst nicht mehr traurig sein, okay? Das ist ein Erwachsenenthema. Und Hans hätte nicht mit dir darüber sprechen dürfen. Ich rede mit ihm.“
„Mama, bist du sauer?“ „Auf keinen Fall.“ So viele Lügen. Und so viel Wut. Als Jo mit Luca an der Hand auf das Tor der Tierhelfer zustapft, ist ihr ein bisschen schwindelig. Sie könnte Hans umbringen für das, was er getan hat. Wie kann er es wagen, ihren Sohn in diese Diskussion hineinzuziehen? Das ist astreine Erpressung. Sie muss unbedingt mit ihm reden. Als Jo die gusseiserne Klingel drückt, brummt ihr Handy. Sie zieht es ein Stück aus der Jackentasche, um aufs Display zu schauen. Es ist eine Nachricht von Adam. „Du fehlst.“ Mist. Mist. Mist.