Nostalgie trifft Vorfreude (5): Ihr könnt nach Hause fahr’n!

Es ist natürlich wunderbar, wenn das Stadion ausverkauft ist. Von mir aus dürften gerne zu jedem Heimspiel der Mainzer 34.000 Fußballfans kommen. Da nehme ich auch in Kauf, dass ich früher im Block sein muss als an anderen Spieltagen, um meinen Stehplatz zu ergattern. Dass ich fremden Menschen körperlich deutlich näher komme, als ich es im Normalfall anstrebe. Und dass um mich herum neben den von anderen Kicks gewohnten Gesichtern etliche sind, die man eben nur sieht, wenn der FC Bayern oder Borussia Dortmund zu Besuch kommen. So weit, so in Ordnung. Bis, ja, bis einige dieser Selten-Stadion-Besucher zum ersten Mal den Mund aufmachen. Und auch zum einzigen Mal. Weil sie ihn anschließend nämlich für satte neunzig Minuten nicht wieder zukriegen. Natürlich bekommt man es bei jedem Spiel mit verbalen Klassikern zu tun, was die Bewertungen und Sprüche einiger Umstehender angeht. So ist weithin bekannt, dass Torhüter Christian Wetklo „nix kann“, vor allem „keine Abschläge, der Wurflegastheniker“ – ich möchte mal wissen, welcher verdiente Spieler eines anderen Vereins ähnlich wenig Kredit in bestimmten Fan- oder Anhängerlagern genießt: traurig. Aber derlei Sprüche kennt man ja, also ruhig Blut und am Spiel erfreuen.

Motzt ihr doch, so viel ihr wollt, ich finde es hier ganz fabelhaft! (Foto: A. Karn)

Motzt ihr doch, so viel ihr wollt, ich finde es hier ganz fabelhaft! (Foto: A. Karn)

Genau das, sich am Spiel zu erfreuen, ist den Selten-Stadion-Besuchern mit verbaler Dauer-Diarrhöe aber offenbar fremd. Schon zehn Minuten gespielt und es steht noch immer 0:0? Im Spiel gegen einen in dieser Saison schier übermächtigen FC Bayern München? Da wird es doch unbedingt Zeit für eine erste Bewertung der spielerischen Gesamtleistung auf Seiten der Mainzer: „Grottenkick.“ Wehmütig erinnert man sich da an Zeiten, in denen bei Spielen gegen den Rekordmeister jedes Mal ein kleines Freudenfeuerwerk abgebrannt wurde, wenn zehn Minuten ohne Gegentor verstrichen waren – oder einfach ein Pass gelang. Akustisch kommt indes alles so, wie es nun einmal kommen muss: „Der Kirche spielt doch schon für die Bayern“, fachsimpelt man hinter mir durch die nasskalte Februarluft, gefolgt von einem lauten und vollmundigen: „Kirche, du Penner, fahr doch gleich mit denen nach Hause.“ Anschließend wird der gelungene Scherz gemeinsam belacht und das Thema mit der Feststellung abgeschlossen: „Bei mir würde der Depp ja den Rest der Saison auf der Tribüne hocken.“ Tja, und bei mir hätte der Absender dieser Aussage Stadionverbot, aber das Leben ist nun mal kein scheiß Ponyhof.

Das Gemoser jedenfalls nähert sich seinem vorläufigen Höhepunkt. Auf Seiten der Nullfünfer kann eigentlich überhaupt niemand irgendwas. Nicolai Müller „schläft heute beim Gehen“, Shawn Parker ist „total überschätzt“ und Andreas Ivanschitz ist „der größtmögliche Chancentod“. Auch Christian Heidels Sachverstand muss unbedingt angezweifelt werden, weil er Noveskis Vertrag verlängert hat, obwohl der „schon uralt“ ist und in der ersten Halbzeit auch einen (!) Fehlpass zu verbuchen hat. Fast folgerichtig denn auch die Beobachtung, der „peinliche Tuchel“ gehe „voll auf den Sammer los“ und Niki Zimling sei (Achtung, Brüller!) „zimling schlecht“ ins Spiel gekommen. Kurz vor Ende der Partie dann beim Blick auf einige Anhänger der Münchner, die im Stehblock der Nullfünfer die Auswärtsmannschaft lautstark feiern (wobei die Frage erlaubt sein muss, ob die sich nicht entweder woanders hinstellen oder etwas weniger ekstatisch aufführen können) die wehmütige Feststellung: „Bayernfan müsste man sein!“… „Aber bitte, mach das doch!“, möchte man ihnen da zurufen. Oder anders ausgedrückt: „Geh mit dem Fußballgott – aber geh.“

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