Mainz 05: Mit Jan-Moritz Lichte zurück in die Zukunft

Es schadet sicher nichts, sich Spieler und Verantwortliche eines Fußballvereins ab und an als das zu vergegenwärtigen, was sie am Ende des Tages sind: Menschen, die einfach einem Job nachgehen, für den sie sich entschieden haben. Und die dabei, wie wir alle in unserer Arbeit, auch Fehler machen. Vielleicht hilft das, diese Fehler nicht immer mit jener Härte zu bewerten, die im Fußball längst üblich geworden ist. Das bedeutet keinesfalls, dass keine Kritik erlaubt ist. Aber wer Menschlichkeit, Fairness und Werte in diesem Geschäft mit Recht fordert, sollte sie in Handeln und Bewertungen auch selbst zeigen, um glaubhaft zu sein.

Erneuter Neustart: Die Spieler beim Dienstagstraining. (Foto: WP)

Die Spieler des FSV Mainz 05, die am Dienstag um kurz vor halb elf mit dem dritten Chefcoach binnen zwölf Monaten auf den Trainingsplatz kamen, dürften sich dessen bewusst gewesen sein, dass dort mehr Journalist*innen als sonst auf sie warten. So ist das eben, an einem Standort wie Mainz: Das Interesse ist nur dann besonders groß, wenn alles gerade eher nicht so läuft, wie die Verantwortlichen sich das wünschen. Jan-Moritz Lichte, der neue Cheftrainer, wird später in der Pressekonferenz sagen: „Das hat die Mannschaft sich selbst zuzuschreiben, dass sie jetzt als schwierig gilt.“ Die Spieler, denen die Trennung von Sandro Schwarz im November 2019 teilweise extrem zusetzte, wissen, dass sie nach der Lesart des Geschäfts nun den zweiten Übungsleiter auf dem Gewissen haben.

Es ist aber keine allzu steile These, dass die aktuelle Entlassung bei ihnen weniger Spuren hinterlassen wird. Natürlich sollte man sich angesichts einer Einheit wie der am Dienstag davor hüten, allzu viele Interpretationen anzustellen. Trotzdem fällt auf, wie gelöst die Truppe wirkt, wie konzentriert das Trainerteam mit den Spielern arbeitet und welch enorme Ruhe gerade Lichte dabei ausstrahlt. „Ich werde es so machen, wie ich bin“, erklärt der später seine Herangehensweise. Wer sich bislang mit dem gebürtigen Baunataler nicht näher beschäftigt hat, dem mag er in der PK zunächst blass vorgekommen sein. Aber es wäre ein Fehler, die Ruhe des Übungsleiters damit zu verwechseln, dass Lichte nichts zu sagen hat – oder ihn generell zu unterschätzen.

Jan-Moritz Lichte in der Pressekonferenz am Dienstag. (Screenshot)

Das Scheitern der externen Lösung mit Beierlorzer muss indes nicht heißen, dass in Mainz nur interne Lösungen funktionieren. Dennoch ist es für den Moment das Beste, keinen Unbekannten in die sehr verfahrene Situation zu holen. Sportvorstand Rouven Schröder ist dabei aber wichtig, die mediale Andeutung zu entkräften, die Wahl sei nur auf den seit 2017 in Mainz als Co-Trainer tätigen Fußballlehrer gefallen, weil sich die 05er mit Schwarz und Beierlorzer auf der Payroll keine andere Variante leisten können. „Die Überzeugung ist absolut da.“ Eine B-Lösung auf diesem Posten sei schon deshalb nicht denkbar, weil der Cheftrainer der wichtigste Angestellte eines Vereins sei. Lichte übernimmt die Rolle in einem Moment, in dem das Bild des Clubs nach außen so schlecht ist wie ewig nicht. Natürlich ist er davon nicht unberührt, wirkt aber authentisch, wenn er sagt, er wolle sich mit dem Team auf die Inhalte konzentrieren. Und beweist Selbstbewusstsein, wenn er gleich mehrfach erklärt, er könne sich seine neue Rolle als Dauerlösung vorstellen.

Interessant für die Wahl ist durchaus, dass Lichte seinen Fußballlehrer nicht nur als der Jahrgangsbeste, sondern auch in einer Klasse mit dem Vereinsvorsitzenden Stefan Hofmann gemacht hat. Neben Schröder, der Lichtes Arbeit durch die Nähe zum sportlichen Alltag ohnehin gut einschätzen kann, dürfte auch der 05-Boss seine Meinung dazu eingebracht haben. Eine Entscheidung aus gemeinsamer Überzeugung ist ein guter Anfang, um die zurückliegenden Tage hoffentlich bald vergessen zu machen. Dazu aber bedarf es einer Aufarbeitung, die mit dem Trainerwechsel erst ihren Anfang genommen hat.

Raus aus der Krise geht es nicht mit einem großen, sondern in vielen kleinen Schritten. Einer davon ist bereits etwas scheinbar Unbedeutendes, wie die Pressekonferenz nicht nach der Bekanntgabe der Trennung von Achim Beierlorzer am Montag abzuhalten, sondern sich Zeit zu nehmen bis tags darauf. Derart unsortiert wie bei der PK am vergangenen Donnerstag wollte der Club sich kein zweites Mal präsentieren. Auch die Ankündigung, Stefan Hofmann werde als Vereinsvorsitzender in der kommenden Zeit Gespräche mit den Spielern führen, zeigt einen solchen Lernprozess auf. Rouven Schröder verfolgt da ein wenig der Fluch der guten Tat. Weil er im Verein beginnend mit der Posse um Johannes Kaluza von Anfang an mehr Verantwortung übernommen hat, als die sportliche, schien es offenbar allen nur zu natürlich, das beizubehalten.

Das hat die Mannschaft sich selbst zuzuschreiben, dass sie jetzt als schwierig gilt.

Jan-Moritz Lichte

Ihm in der aktuellen Situation die Kommunikation mit der Mannschaft in Sachen Gehaltsverzicht zu überlassen, erweist sich dabei rückblickend als Fehler. Gerade, da er im sportlichen Alltag seit dem Ende der letzten Saison sehr eng ans Team gerückt ist, war das keine gute Lösung: Es geht dabei um mehr als Vertragsangelegenheiten, es geht um eine Ausnahmesituation des gesamten Vereins durch Corona, die es verlangt, dass der Vorsitzende mit den Spielern klärende Gespräche abseits des rein Monetären führt. Zur internen Aufarbeitung gehört, gemeinsam Trennschärfe in die jeweiligen Aufgabenbereiche zu bringen. Eine neue Struktur mit zusätzlichen Gremien hilft niemandem, wenn letztlich alle alles machen. (Weshalb auch infrage gestellt werden muss, wieso der Aufsichtsratsvorsitzende Detlev Höhne nun bei Gesprächen mit den Spielern dabei sein soll, der mit dem operativen Geschäft nun mal qua seines Amtes rein gar nichts zu tun hat.)

Interview mit Lichte und Falkenmayer zu ihrer Arbeit als Co-Trainer im April 2019.

Die aktuelle Krise hat sich bereits seit einiger Zeit auf mehreren Ebenen angedeutet. Immer wieder geht es dabei um Kommunikation. Weder Fans, von denen einige das zuletzt in einem offenen Brief äußerten, noch offenbar Spieler fühlten sich von dem, was die Verantwortlichen taten, stets auf Augenhöhe mitgenommen. Diese müssen sich deshalb nun kritisch mit ihren eigenen Fehlern auseinandersetzen und das dürfte auch angekommen sein. Die Spieler haben ein Recht darauf, sich als mündige Mitarbeiter zu präsentieren. Der Coach und sein Staff haben ein Recht darauf, mit Respekt behandelt zu werden. Die Verantwortlichen haben ein Recht darauf, Entscheidungen zu präsentieren. Die Fans haben ein Recht darauf, gewisse Haltungen und Werte einzufordern. All das ist am besten gemeinsam und mit sehr viel Dialog zu erreichen, aber auch unter Einhaltung der angesprochenen Trennschärfe.

Den Verantwortlichen im Verein steht dabei sehr viel Arbeit bevor. In die aktuelle Krise haben sie sich selbst hineinmanövriert, auch, weil es an der einen oder anderen Stelle Beratungsresistenzen gab. Doch die Situation ist längst nicht aussichtslos. So, wie man in weiten Teilen selbstverschuldet hineingeraten ist, gibt es nun auch die Möglichkeit, aus eigener Kraft wieder herauszukommen. Bei der Aufarbeitung jeder Stein umzudrehen, bedeutet aber nicht, dass ein personelles Tabula rasa hilft. Rouven Schröder hat sicher Fehler gemacht, er ist aber in der Lage, (sich) die einzugestehen und wird deshalb daraus lernen. Das ist ein Recht, auf das jede*r von uns im eigenen Job besteht.

Muss nun beweisen, dass er aus den Fehlern der Vergangenheit lernt: Rouven Schröder.

Ihm dieses abzusprechen, wäre auch deshalb falsch, weil er den Verein tatsächlich lebt – und gestalten will. Die ständigen Vergleiche seiner Arbeit mit der von Christian Heidel sind weder zielführend noch fair. Der Don konnte, so ehrlich muss man bei aller Wertschätzung sein, schalten und walten, sich Fehler anders erlauben, weil er keine Entlassung durch einen Aufsichtsrat fürchten musste – und hat vor seiner Entdeckung der Ausnahmetrainer Klopp und Tuchel nun wirklich auch einige Übungsleiter eingestellt und vor die Tür gesetzt. Die Werte des Vereins, die in der Zeit unter Heidel entstanden sind und manifestiert wurden, sind wichtig und müssen wieder mehr Beachtung finden. Aber der rückwärtsgewandte Personenkult muss mal ein Ende haben, wenn die Anhänger*innen nicht emotional ewig in der Vergangenheit festhängen wollen. Dafür ist in Rheinland-Pfalz doch eigentlich ein drittklassiger Verein zuständig.

Ich werde nicht aufgeben, ich werde mich weiter einsetzen für diesen Verein, für die Mannschaft, für die Mitarbeiter. Das kann ich mit 100%iger Überzeugung sagen. Ich bin ein Kämpfer, das war ich schon immer und den Fokus werde ich nicht verlieren.

Sportvorstand Rouven Schröder

Als Jan-Moritz Lichte in der PK gefragt wird, ob sein Vorbild eher Thomas Tuchel oder Jürgen Klopp sei, erklärt er, „Kloppo“ als Vorbild zu nennen, das sei vermessen, weil „Vorbild“ immer bedeute, man glaubt, dasselbe erreichen zu können. Fast andächtig verweist der neue Trainer darauf, was Klopp der Stadt und dem Verein alles gegeben hat. Es ist schön, dass er sich dessen bewusst ist und in diesem Geiste wirken möchte. Es ist aber wichtig, dass die Anhänger*innen auch bereit sind, anzunehmen, dass andere, neue Verantwortliche dem Club ebenfalls etwas geben wollen – und dass sie eine zukunftsfähige Lust darauf entwickeln.

Ich glaube nicht daran, dass Mainz 05 dauerhaft ein Verein geworden ist wie jeder andere. Es mag im Moment den Anschein machen und das Risiko ist groß, in diesem Zustand zu verharren. Aber in der Situation liegt auch eine Chance, das zu tun, was in Mainz immer besonders gut funktioniert hat: zusammenzurücken. Es allen zu zeigen. Aus einer scheinbar unmöglichen Situation gestärkt hervorzugehen. Niemand hat Mainz 05 aktuell in dieser Saison für etwas Anderes auf dem Zettel, denn als Schlagzeilenlieferant. Wenn gerade jetzt intern und mit dem Umfeld der Schulterschluss gelingt, kann der Verein aber mal wieder alle überraschen. Der Weg dahin ist lang und steinig, aber nicht unmöglich.

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