Buddenbrooks: Das große Gähnen

Bei einer Literaturverfilmung stellt sich in der Regel die Frage, ob die Romanvorlage filmisch gelungen adaptiert wurde. Es gibt jedoch auch solche, bei denen die Frage nach der Adaption gar nicht erst aufkommt: Schlicht und ergreifend, weil der Film so schlecht ist, dass es nicht interessiert, ob es sich um eine Literaturverfilmung oder ein eigenständiges Werk handelt. In diese Kategorie fällt Heinrich Breloers Verfilmung von Thomas Manns Roman „Die Buddenbrooks“. Ganze 152 Minuten dauert Breloers Film – und doch gelingt es dem Regisseur nicht, auch nur eine einzige Figur im Rahmen dieser Überlänge schlüssig zu entwickeln. So blass bleiben sie alle, dass die Schicksalsschläge, deren Einprasseln in kürzer werdenden Intervallen zuletzt das lange herbeigesehnte Ende des Filmes verkünden, den Zuschauer vollkommen kalt lassen – und das, obgleich er gerade zweieinhalb Stunden mit der Familie geteilt hat.

Keine stimmige Figurenentwicklung
Dabei stellt sich die Frage, ob Breloer nicht in der Lage war, seine Schauspieler zu besseren Leistungen zu motivieren – oder ob der Film schlicht Makel an Berben, Schwarz, Diehl & Co. aufzeigt, die in deren bisherigen Arbeiten weniger auffällig waren? Fast schon ein Ärgernis: Iris Berben als Elisabeth ‚Betsy’ Buddenbrook. Nicht nur, dass die 58-Jährige scheinbar mit dem Vorhaben in die Dreharbeiten gegangen ist, lediglich einen Gesichtsausdruck in diesen Film zu investieren (irgendwo zwischen irritiert und abgestoßen schwankend, die Oberlippe leicht hochwärts gekräuselt) – auch abseits der nicht vorhandenen Mimik bleibt ihr Spiel blass und ausdruckslos. Dasselbe gilt für Jessica Schwarz in ihrer Rolle als Antonie ‚Tony’ Buddenbrook. Von den Scherzen mit ihren Brüdern über die Verzweiflung angesichts der anstehenden Ehe mit dem ihr verhassten Kaufmann Grünlich bis hin zum verstohlen ausgetauschten, ersten und einzigen Liebeskuss der starrköpfigen Tochter schafft die 31-Jährige es nicht, den Zuschauer für ihre Figur zu interessieren. Selbst als Tony am Ende des Films, gebeutelt durch den Verlust von Vater, Bruder und Neffen mit tränenheißen Augen von ihrer Schwägerin Abschied nimmt, lässt ihr Schicksal das Publikum seltsam kalt.

Figuren, die den Zuschauer seltsam kalt lassen. (Foto: Verleih)

Figuren, die den Zuschauer seltsam kalt lassen. (Foto: Verleih)

Nur unbedeutend besser agieren sich die Männer durch diese Adaption ohne Höhen, Tiefen, Plots oder offensichtliches Konzept. August Diehl bewahrt zu viel Distanz zu seiner gebrochenen Figur des Christian Buddenbrook, als dass man ihm dessen Wandlung abnehmen könnte. Mark Waschke überzeugt zumindest als der junge Thomas Buddenbrook, steht aber hilflos der Tatsache gegenüber, dass auch seine Figur nur von Szene zu Szene gehoben wird – und wo das Drehbuch keine Entwicklung der Charaktere vorantreibt, kann ein Schauspieler diese auch nicht auf die Leinwand bringen. Und am Ende schafft es selbst der großartige Armin Mueller-Stahl nicht, seiner schablonenhaften Figur des Johann ‚Jean’ Buddenbrook Leben in die vom Make-Up fest gehaltene Gesichtsmaske zu spielen.

Dialoge aus dem Phrasenschwein
Neben der schlechten Figurenentwicklung und damit einhergehender, mangelhafter schauspielerischer Leistung ist die Sprache ein großes Problem dieser Literaturverfilmung. So recht konnten sich Breloer und sein Co-Drehbuchautor Horst Königstein offenbar nicht entscheiden, wo sie ihre Filmsprache ansiedeln sollten. Beim Versuch, die Dialoge irgendwo im Spannungsfeld zwischen dem Mann’schen Original und einem heutzutage gängigen Sprachduktus einzuordnen, kommt ein grauenvolles Wechselspiel von Phrasen und Stereotypen heraus, das nicht selten ins Lächerliche abgleitet. Ähnliche Einordnungsprobleme bereitet das Setting des Films. Natürlich ist im Grunde klar, wann dieser zu spielen hat und der Ausstattung lässt sich auch kein Vorwurf machen. Die Städte, die Häuser, die Kleider, die Einrichtung – all das darf man getrost als gut recherchiert und in jedem Fall ansprechend aufgemacht bezeichnen. Und doch springt auch hier der Funke nicht über.

Filme wie „Der Kaufmann von Venedig“ mit Al Pacino oder „Das Parfum“ von Tom Tykwer sind hervorragende Beispiele dafür, wie Set und Drehbuch atmosphärisch so verdichtet und ineinander gewunden sind, dass der Zuschauer abtaucht in die jeweilige Zeit und erst mit dem Abspann langsam zurückkehrt ins Hier und Heute. Breloer aber gelingt es nicht, ein Gefühl für die Zeit zu vermitteln, in der sein Film angesiedelt ist. Zu sehr am Rande der Geschichte spielt sich der Aufstand der Arbeiter ab, beinahe zufällig wirken die Kostüme der Darsteller und nichts Eindeutiges über die zugrunde gelegte Epoche lässt sich aus dem Familienbild ableiten.

Arroganz der Erzählung
Hinzu kommt eine schlichte Arroganz gegenüber denen, die Manns Roman bis heute nicht gelesen haben, da Breloer sich im Grunde auf eine lose Aneinanderreihung von Szenen und Motiven beschränkt, die den Niedergang der Familie Buddenbrook maximal andeuten, nie aber wirklich erzählen. Natürlich kann (und soll) eine Literaturverfilmung nicht das Abbild der jeweiligen Vorlage sein, weshalb es sich empfiehlt, klare Schwerpunkte innerhalb der Erzählung zu setzen und andere Aspekte (und durchaus auch Figuren) zu vernachlässigen. Hier erweist sich das Drehbuch aber als nicht konsequent genug, zudem scheitert Breloers Film daran, Wege zu finden, bildlich Ausgelassenes mit anderen Mitteln einfließen zu lassen oder eine eigenständige, in sich stimmige Geschichte zu erzählen.

Unverständlich außerdem, warum der Regisseur sich durchaus gängigen Erzählhilfen offenbar verschließt, wie beispielsweise einer Einblendung hier und da, wie viele Jahre zwischen einer dunklen Ab- und einer hellen Aufblende vergangen sein sollen. Da seine Figuren bis kurz vor Ende des Films optisch kaum altern, wäre dies durchaus nicht fehl am Platz gewesen, um eine bessere zeitliche Einordnung der Geschehnisse zu ermöglichen. Ganz grauslich fallen schließlich einzelne Szenen auf, beispielsweise als Tony (und später Hanno) im Dachstübchen die Geschichte ihrer Familie lesen und dabei von einem Stimmengemurmel umwabert werden, das stark an Harry Potter erinnert. Diese verstärken den ohnehin immer wieder aufkommenden Eindruck, man habe es mit einer Produktion aus den frühen 1980er Jahren zu tun, die man technisch und erzählerisch doch längst überwunden zu haben glaubte.

Brilliante Bilder
Was dem Zuschauer schließlich positiv in Erinnerung bleibt nach zweieinhalb Stunden Langeweile ist das zumeist hohe bildliche Niveau der erzählerischen Ödnis. Kameramann Gernot Roll schafft es immer wieder, durch einzelne Bilder einen kurzen Moment zu schaffen, in dem es dem Film doch gelingt, zu berühren. Sein Schwelgen in Naturaufnahmen, wie beispielsweise Thomas Buddenbrooks Fahrt durch die Roggenfelder, bleibt einem dabei ebenso im Gedächtnis wie brillante Nahaufnahmen. So erinnert sein Blick auf die Figuren bisweilen an die großartigen Bilder Sven Nykvists in Ingmar Bergmans „Fanny und Alexander“, beispielsweise die Beobachtung des kleinen Hanno am Eingang zum Salon, in dem sein Vater aufgebahrt liegt. Weiter ist dann aber auch leider über den Film nichts Positives zu berichten.

Buddenbrooks
Buch: Heinrich Breloer (Adaption)
Regie: Heinrich Breloer
Darsteller: Iris Berben, Jessica Schwarz, Armin Mueller-Stahl
Deutschland, 152 Minuten, FSK: 6

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