Die Woche am Bruchweg (22/7): Helau, helau, helau!

Zehn Tage ist es her, seit ich das Manuskript meiner Frank-Biografie beim Verlag abgegeben habe und ich löse nun ein Versprechen ein, das ich an dieser Stelle noch im alten Jahr gegeben habe: Meine Blogreihe „Die Woche am Bruchweg“ ist zurück. Danke für die Nachrichten des Vermissens in ihrer Abwesenheit und mal sehen, wie regelmäßig und intensiv ich nun wieder zu den Texten kommen – das Vorhaben ist auf jeden Fall da. Es passiert schließlich genug.

Ein Thema, über das ich zuletzt nachgedacht habe, ist, wie enorm die Presseabteilungen der Bundesligavereine in den vergangenen Jahren gewachsen sind. Für die Fans ist das überwiegend angenehm, für die journalistische Arbeit hat es positive, aber auch kniffelige Aspekte, vor allem diesen: Es ist immer schon jemand da, der Geschichten erzählt. Die Messlatte in Sachen Kreativität und Originalität liegt also höher. Vergleichbarkeit gibt es natürlich auch zwischen verschiedenen Medienangeboten, aber die Vereine selbst haben es einfacher, was Zugriff und Erreichbarkeit von handelnden Personen angeht.

Ich mag dieses Zusammenspiel des „same but different“ – und auch, zu beobachten, wie unterschiedlich verschiedene Player mit Themen und Informationen umgehen. Nehmen wir die Pressekonferenz, die jede Woche live auf YouTube zu sehen ist, als Angebot auch an die Fans. Jede*r Journalist*in nimmt für sich andere Aspekte daraus mit, die Medienhäuser setzen verschiedene Schwerpunkte, die Nachberichterstattung des Vereins selbst unterscheidet sich nochmal von jener der Medien. Das finde ich spannend und an vielen Stellen lehrreich.

Natürlich hat der Verein bei dieser Arbeit auch Eigeninteressen. Nehmen wir den Artikel über die Entwicklung von Leandro Barreiro in dieser Woche. Es passiert nicht grundlos, dass Mainz 05 diese Geschichte erzählt, denn sie steht für das Selbstbild der Verantwortlichen in Sachen Nachwuchs. Dabei ist „nicht grundlos“ aber nicht gleichzusetzen mit „unbegründet“, denn das NLZ der 05er genießt einen sehr guten Ruf und Leandro Barreiro und Jonathan Burkardt sind im aktuellen Kader nur zwei der Paradebeispiele für den Mainzer Weg.

Gemeinsame Spielidee und Werte

Aber was bedeutet das? In erster Linie, dass Talente davon profitieren, in einem Club zu spielen, der seine Idee von Fußball konsequent durch alle Altersklassen spielt und trainiert. Das passiert natürlich in einer U10 inhaltlich anders als in einer U17, die übergeordnete gemeinsame Idee ist dennoch wichtig, ebenso wie die verbindenden Werte im Club. Der Weg in die Stammelf ist eine Langstrecke, die weder mit dem ersten Profivertrag, noch dem festen Training bei den Profis, der ersehnten Kadernominierung oder den ersten Minuten in der Bundesliga endet.

Auf diesem Weg müssen viele Dinge passen. Neben dem Fußball sollen die Jungs einen Abschluss machen. Das Alter als Teenager oder junger Twen bringt unglaublich viele Themen mit sich, die wohl die meisten von uns längst vergessen haben; in jener Zeit aber sind sie sehr bedeutsam. Nach Verletzungen müssen die jungen Talente besonders behutsam zurückgeführt werden. Belastungssteuerung ist immer wieder ein Thema. Ich fand erfrischend, wie offen Barreiro über Momente des Frusts auf seinem Weg erzählt hat. Die kann er heute weitergeben an die „neuen Jungen“ im Team, denen dabei vor Augen geführt wird: Da redet einer, der es geschafft hat. Was könnte wertvoller sein?

Die Nähe zum Team im Training, die Berufung in den Kader, sollten in ihrer Bedeutung für die jungen Spieler ebenfalls nicht unterschätzt werden. Dazu kommen Schlüsselmomente wie das Training der U23 mit den Profis, der enge Austausch der Trainer insgesamt, die Verzahnung von Abläufen. Aber auch die Tatsache, dass es im Kern um den sportlichen Wettbewerb in der Bundesliga geht und der Moment, das Gefühl, passen müssen für den Einsatz eines Spielers, bei ihm selbst und dem Trainerteam.

Kampf ums Tor

Ich glaube, die jungen Spieler bei Mainz 05 können gut einordnen, wann sie zu Einsätzen kommen oder auch nicht – was nicht bedeutet, dass es keine Frustrationen gibt – und setze da auf die offene Kommunikation des Staffs, die immer wieder positiv benannt wird. Es ist ja kein Zufall, wie viele Talente aus dem eignen Nachwuchs im Bundesligakader mitmischen und das Thema nur auf diejenigen zu beschränken, für die es oben die erste Saison ist, würde zu kurz greifen. Spieler müssen den Anspruch an sich haben, sich durchzubeißen, wenn sie diesen Weg tatsächlich gehen wollen. Insbesondere gilt das für die umkämpfte Position im Tor. Dort wird nun mal nicht vor jedem Spiel neu nominiert und wer Torhüter wird, weiß das. In Mainz hat es aus guten Gründen viele Phasen mit zwei starken Keepern gegeben, weil bei möglichen Ausfällen der Nummer 1 jemand hintendran stehen muss, der fast ebenbürtig ist. Anders ist der Fußball hier gar nicht zu spielen, weshalb eine abweichende Regelung leichtsinnig wäre.

Mir ist nach vielen Jahren 05-Begleitung klar, dieser Satz ist nicht beliebt, aber manchmal wundere ich mich noch immer über die Erwartungshaltung im Vereinsumfeld. Klar kann man sich über Karim Onisiwo aufregen und warum der nicht mehr als drei Tore schießt, man könnte aber auch anerkennen, dass acht Assists ziemlich gut sind und sich vor Augen führen, wie intensiv und klug er in jedem Spiel über die komplette Zeit ackert. Natürlich gibt es immer mal einen Anlass, eine Schnute über Alexander Hack zu ziehen, wenn der mit seinen langen Armen und Beinen ungeschickt anmutet. Gleichzeitig hat der Verteidiger diese Saison in 18 Spielen schon drei Tore geschossen und ziemlich viele Dinger geklärt. Was aber bleibt hängen?

Ohne Fragen wären mehr als sieben Tore für Jonathan Burkardt schön, aber zum einen misst sich dessen Qualität nicht ausschließlich daran – nein, auch nicht als Stürmer –, zum anderen haben aus dem aktuellen Kader in dieser Saison bereits 13 Kicker getroffen. Was extrem für das Spiel der Mannschaft steht und ihre Bereitschaft, Verantwortung nicht nur in einem sehr begrenzten Gebiet zu übernehmen. Und sorry, not sorry, aber: Wir reden schon immer noch von Mainz 05. Ich freue mich über jede Ambition nach oben, sobald die Klasse gehalten ist, aber würden die Stürmer 20 Buden schießen und die Verteidiger keinen mehr vorbeilassen – sie wären die längste Zeit im Verein gewesen, so ehrlich sollte man auch sein. Auf diesem Niveau gehören Licht und Schatten zueinander und es ist vergleichsweise häufig ziemlich hell. Manchmal kommt mir ein bisschen zu kurz, wie viel Spaß der 05-Fußball derzeit oft macht.

Leihspieler im Glück

Zur Aktualität der Woche gehört natürlich auch der Wechsel von Ádám Szalai, der mit sehr viel Liebe verabschiedet wird. Dazu und über Spieler, die seine Lücke in der Kabine füllen können, habe ich in meiner Kolumne für die Allgemeine Zeitung geschrieben.

Noch in der letzten Woche gab’s zudem einen kleinen Aufreger um Luca Killian, der aus der Leihe nach Köln nicht gerade mit Sehnsucht von Mainz 05 gesprochen hat. Da schließt sich so ein bisschen der Kreis zum Anfang und der Medienarbeit der Vereine, denn veröffentlicht hat die Aussagen des Spielers das FC-Clubmagazin „Geißbockecho“. Ich formuliere das mal ganz vorsichtig: Die werden sich dabei schon auch etwas gedacht haben – im Interesse ihres Vereins. Parallel hat mit Dominik Kohr ein nach Mainz ausgeliehener Spieler extrem positiv und glücklich über seine Zeit hier gesprochen und klar signalisiert, wie gerne er bleiben würde. Man könnte unterm Strich also festhalten, beim einen passt es, beim anderen nicht.

„Er ist ein super, aber auch superkritischer Trainer, der uns jeden Tag besser machen möchte. Er hat uns gut im Griff, weiß genau, was wir tun müssen, damit wir nicht stagnieren. Ich bin froh, dass ich das gerade alles mitbekomme.“

Dominik Kohr über Bo Svensson

Nun steht das Fastnachtsspiel vor der Tür, vorausgesetzt, wir werden vorher nicht weggeweht. Ich trage womöglich ein älteres Trikot, komme also verkleidet als Fan aus einer früheren Phase des Vereins. Das hätte den Vorteil, dass Menschen mich mit einer glorifizierenden Sympathie betrachten würden, weil ihre Erinnerungen an mich schon etwas verschwommen sind und das Glück dabei immer an die Oberfläche drängt.

Helau.

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