Mainz 05: The Worst Fucking Christmas

Sechs Punkte nach 13 Spielen. Die Ratlosigkeit der Verantwortlichen nach der Niederlage des FSV Mainz 05 gegen Werder Bremen ist greifbar. Wieder ein Spiel gegen einen direkten Konkurrenten verloren. Nach Bielefeld und Köln nun auch gegen Werder unterlegen. Was nutzt es da noch, vom Gegner für die wackere Verteidigungsleistung gelobt zu werden? Gar nichts. Die viel zu harmlose Offensive der Mainzer kann erneut nicht stechen und die zumeist fleißige Defensive hat mit einem unaufmerksamen Moment das Gegentor zugelassen. Unfassbar.

Die dunklen Wolken über dem FSV Mainz 05 sind nicht neu.

Niemand, der den Verein begleitet, ob als Anhänger*innen oder Journalist*in, kann unberührt bleiben von dem, was sich aktuell bei Mainz abspielt. Es steckt eine gewisse Tragik darin, dass die engagierten, guten Leistungen gegen stärkere Teams wie Gladbach und Leverkusen ohne Punkte geblieben sind. Natürlich fehlen auch Zähler aus den ersten Spielen noch unter Achim Beierlorzer. Ich bin der Meinung, dass Lichte einen guten Plan für das Spiel seiner Mannschaft hat. Er hat sie aber in der vielleicht undankbarsten Situation überhaupt übernommen.

Entscheidender aber: Was aktuell passiert, ist kein Problem dieses Trainers oder dieser Saison. Es ist der Tiefpunkt einer andauernden Entwicklung, in der viele Dinge – teilweise auch unglücklich – zusammengekommen ist. Das rheinhessische Bollwerk war lange eines durch die Ruhe im und um den Verein und die Kontinuität auf den entscheidenden Posten. Um die Ruhe war es noch vor der Kontinuität geschehen. Natürlich war absehbar, dass der Abgang von einer prägenden Figur wie Christian Heidel Auswirkungen haben würde. Entscheidender als dessen Wechsel ist aber, was im Nachgang passiert ist und wovon der Verein sich seither nicht erholt.

Die Unruhe rund um die Causa Harald Strutz und den Kurzzeitvorsitzenden Johannes Kaluza mögen weit weg scheinen, spielen aber eine Rolle für das, was gerade passiert. Die von Beginn an schlechte Lobby der perfekten Identifikationsfigur Sandro Schwarz konnte in dieser Phase nicht aufgefangen werden, Fans, die schon den Umzug ins (notwendige) neue Stadion mit Verlusten in der emotionalen Anbindung mitgemacht hatten, gingen von Bord.

An der schlechten Lobby gescheitert: Sandro Schwarz.

Klar schaut man auf die aktuelle Situation und kann nur feststellen, dass der Wurm drin ist. So tief, dass die Frage immer schwieriger zu beantworten wird, wie diese Saison noch zu einem irgendwie positiven Ende geführt werden kann. Und natürlich muss sprichwörtlich jeder Stein umgedreht werden. Aber es wäre eben zu einfach, dabei nur auf die ganz unmittelbare Gegenwart zu schauen. Das Problem ist viel grundsätzlicher und es gibt keine einfachen Antworten auf die drängenden Fragen, für die der Verein endlich Lösungen finden muss.

Kurzfristig steht nun auch Jan-Moritz Lichte wieder besonders im Fokus. Die Frage, ob es Sinn ergibt, auf dem Posten in der kurzen Winterpause nochmals eine Veränderung vorzunehmen, kommt von allen Seiten, ist aber leider ebenfalls nicht so einfach zu klären. Schalke 04 konnte beispielsweise auch nach der erneuten Trainerentlassung nicht punkten und es wäre nicht sehr überraschend, wenn ein neuer Wechsel auf dieser Position auch in Mainz verpuffen würde. Weil der Trainer nicht das Problem ist. Schon eher die Mannschaft, ja, doch auch dieses Fazit wäre für sich genommen zu einfach, weil diese seit Jahren die unruhige Entwicklung im gesamten Verein wiederspiegelt.

Ich weiß, es ist keine populäre Feststellung, dass die Spieler auch nur Menschen sind. Stimmt aber halt trotzdem. Die Tragik auf dem Platz ist letztlich diese: Spieler, die vor allem ihren Job machen, wachsen in einer so ausweglosen Situation selten über sich hinaus. Spieler, die sich dem Verein fest verbunden fühlen, spüren die Last der Verantwortung derart stark, dass sie sich damit selbst im Weg stehen und ebenfalls selten entscheidende Impulse liefern können. Manchmal taugt ein Sieg wie der in Freiburg für ein Team als Initialzündung für Besserung. Manchmal verpufft er. Nicht alles im Fußball lässt sich logisch erklären. Auch nicht schön. Trotzdem wahr.

Ich glaube nicht daran, dass eine Situation wie die aktuelle bei Mainz 05 an einzelnen Personen festgemacht werden kann. Natürlich tragen Rouven Schröder, Stefan Hofmann und Jan Lehmann in ihren jeweiligen Rollen Verantwortung für das Tief. Sie tragen diese aber ebenso für gelungene Transfers, für eine erfolgreiche Saison unter Sandro Schwarz, für die stabile wirtschaftliche Lage trotz der Corona-Krise. Ich verstehe, wie groß gerade die Sehnsucht nach einfachen Antworten ist. Aber es gibt keine einfachen Antworten.

Die Situation ist ernst. Und sie wird noch ernster angesichts der anstehenden Wahl für den neuen Aufsichtsrat und den Posten des Vereinsvorsitzenden im Februar 2021. Die Liste der Vereine, die in ähnlich ausweglosen Momenten von Leuten nahezu gekapert wurden, die sich extrem wichtig genommen haben, die Versprechen gaben, die sie nicht halten konnten und die einfach mal etwas zu sagen haben wollten, ist lang. Es wird spannend zu beobachten, wer den Hut für die Posten in den Ring werfen wird und was die Mitgliederversammlung daraus macht.

Es bietet aber auch die Chance, an einigen Stellen in Verantwortung eben nachzujustieren. Die Neustrukturierung des Vereins war notwendig, doch sie ist unterm Strich bislang inhaltlich kein Erfolg. Das gilt längst nicht nur fußballerisch, hat aber Auswirkungen auf den Sport. Dieser Misserfolg hat viele Gründe. Einige, wie die mangelhafte Kommunikation mit den Fans, bestimmte Schwachstellen im Kader oder das Trainermissverständnis Achim Beierlorzer wurden inzwischen erkannt und die Arbeit daran läuft. Alles, was schiefgelaufen ist, wieder in richtige Bahnen zu lenken, wird Zeit brauchen. Vielleicht mehr, als bleibt, um überhaupt noch eine Chance auf den Klassenerhalt zu haben.

Der Abstieg ist aber nicht mal das schlimmste Szenario, das Mainz 05 droht. Schlimmer ist die längst berechtigte Sorge, der Verein könne so auseinanderfallen, wie es anderen Clubs in der Vergangenheit passiert ist. Die entscheidende Frage ist: Wofür möchte Mainz 05 eigentlich stehen? Das intellektuell über eine Leitbilddiskussion zu klären reicht nicht. Es geht um eine inhaltliche Strategie, mit der Spieler nicht nur in den Verein geholt, sondern an ihn gebunden werden. Und um ein glaubwürdiges Selbstbild, in das sich die Fans wieder verlieben können.

Es ist fünf vor zwölf.

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